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Die Immobilienblase sucht ihre Nadel

10.08.2004  |  Prof. Dr. Hans J. Bocker
Symphonie vom grossen Reichtum und Börsenrhapsodie

Unter dem Taktstock des grossen Finanz-Dirigenten Alan Greenspan am Pult der im Privatbesitz befindlichen US-Zentralbank spielte das legionenstarke Orchester der Hochfinanz mit all seinen Instrumentalisten sowie den begleitenden Chören der Analysten und Finanzmedien bisher höchst populäre Melodien. Die Symphonie vom mühelosen Reichtum und die grosse Börsenrhapsodie erklangen seit etwa zwei Jahrzehnten und wurden nur von gelegentlichen Missklängen wie beispielsweise im Oktober 1987 (Autsch!) und vom März 2000 (Oh Schmerz lass nach!) unterbrochen. Doch jedes Mal fanden diese Musikerscharen dank des genialen Dirigentenstabes wieder zu Finanztakt und Börsen-Melodie zurück (Alanseidank!), wenngleich die Instrumente neuerdings stark verstimmt klingen und die Messing-Bläser etwas Grünspan angesetzt zu haben scheinen. Doch wenn der Finanz-Komponist (und sei es der ärgste Banause, der sich in Washington auftreiben lässt) die Partitur mit genügend Dollar-Noten höchst glaubwürdig ausstattet, werden selbst die schärfsten Dissonanzen für die bewundernden Massen zum Ohrenschmaus.

Doch bahnen sich in neuester Zeit Disharmonien in den Ober- und Unterstimmen (also der institutionellen und privaten Investoren) an, die kaum noch zu überhören sind und viele Anleger-Zuhörer eigentlich zum Verlassen des Konzertsaales bewegen sollten. Doch weit davon entfernt: Es drängen sich stattdessen immer neue Investorenmassen herein. Es klang doch seit 20 Jahren so berauschend nach der Melodie "Verweile doch, du bist so schön", - während sich tief unten die Orchestermitglieder auf die unvermeidliche Prügelei vorbereiten, die Insider sich in Rekordzahlen von ihrem Noten- bzw. Aktienmaterial trennen und dem Dirigenten schlussendlich der Blattschuss droht.


Die grosse Blase am Häusermarkt

Was macht denn diese Klänge und Tonfolgen neuerdings so "schräg"? Genaueres Hinsehen auf die Noten-Pulte zeigt dort ein gerade mit Fortissimo abgespieltes Notenblatt, dem der Komponist den Titel "US Housing Market Bubble" und sinnigerweise den deutschen Untertitel "Die Elegie von der grossen Immobilienblase" gegeben hat. Das Stück erklingt nicht nur in USA, sondern auch in Grossbritannien, Irland, Regionen Kanadas (z. B. Calgary) und einer Reihe anderer Länder lautstark. Dort reimt sich zwischen Bass-, Violin- Internet @- und Neubauten-Haustür-Schlüsseln immer weniger zusammen. Es muss sogar befürchtet werden, das der Dirigent am Ende nicht nur den Taktstock, sondern freiwillig das Handtuch wirft.

Bleiben wir beim wichtigsten Immobilienmarkt der Welt, dem der USA. Dort treten ganz besonders and Ost- und Westküste Exzesse auf, wie sie in der Geschichte noch nie zu beklagen waren. In Boston beispielsweise wurden noch vor drei Jahren Häuser in Elendsvierteln von der Stadtverwaltung für einen Dollar angeboten, unter der einzigen Auflage, dass man darin zu wohnen habe. Nur jedes fünfte der völlig heruntergekommenen Häuschen fand einen zögernden Käufer. Derzeit verkaufen sich diese Wohnstätten ehemaliger Asozialer für satte 300.000 US$. In vielen noblen Regionen der Westküste sind selbst an etwas aufpolierte Hundehütten erinnernde Gelasse für Menschen auf Winzgrundstücken für unter einer halben Million Dollar nicht mehr zu haben.

Natürlich haben sich die Preissteigerungen im Mittelwesten, dem sog. "Bibel-Gürtel", nicht zu diesen aberwitzigen Höhen aufgeschwungen. Die grosse Blase der Immobilienbranche zeigt also örtlich verschiedene Grade der Aufblähung. Und in den endlosen Wäldern und Bergen Wyomings oder Montanas sind einsame, weit abgelegene Grundstücke nach wie vor nahezu umsonst zu haben, wenngleich sich auch dort der Quadratmeter von 50 Cents auf drei Dollar emporpreiste. Aber wie viele können schon abseits jeder Zivilisation leben? Seit 1996 haben sich die durchschnittlichen US-Immobilienpreise um 53% verteuert, 34% über der Inflationsrate, - Zahlen, die eigentlich keinerlei Alarmstimmung auslösen sollten. Doch vielerorts kletterten die Preise um das Drei-, Vier- oder Fünffache. Der Durchschnitt hat ja bekanntlich noch 50% der Gesamtzahl über sich angesiedelt und dort spielt sich erstaunliches ab. Ein bestimmtes Einzimmerappartement in Spitzenlage in New York kostete 1995 noch 165.000 $. Kürzlich wechselte es den Eigner für 495.000 $. Die Blase ist am ausgeprägtesten an Ost- und Westküste, gefährlicherweise genau dort, wo sich die Menschenmassen zusammenknäulen.

Die Umsätze im Häusermarkt (neue und bereits bewohnte) beliefen sich im Juli 2004 auf jahresbezogen 2,1 Billionen US$. Dies entspricht einer Steigerung von über 56% in den letzten zwei Jahren und dem vierfachen Umsatz vom Jahre 1995. Wenn sich hier keine Blase aufbläht, dann gelten die einfachsten mathematischen Regeln nicht mehr.

Damit nicht genug: Das Verhältnis von Häuserumsätzen und Durchschnittseinkommen aus Löhnen und Gehältern hat sich seit 1995 von 16:1 auf heute 36:1 erhöht. Und das Verhältnis von diesen Umsätzen zum Bruttoinlandsprodukt ohne Staatsanteil kletterte gleichzeitig von rund 10 auf 22%. Musste man 1995 noch 12.000 Stunden zum US Durchschnittslohn für ein Standard-Einfamilienhaus arbeiten, brauchte es zuletzt fast 17.000 solcher Arbeitsstunden. Mittlere Hauspreise zogen im gleichen Zeitraum pro Jahr um durchschnittlich 9% schneller an, als die Inflationsrate - in jedem einzelnen Jahr. Für den Käufer kostete der Quadratfuss eines neuen Durchschnittshauses im Jahre 1950 etwa 10 US$. Heute rund 100 US$.

Im amerikanischen Durchschnitt gewann jeder Hausbesitzer seit 1995 etwa 52.000 US$ an zusätzlichem "Vermögenswert". Hauseigner gibt es deren 72 Millionen, die Familienmitglieder nicht gerechnet. Doch diese Zahl als Durchschnittswert täuscht in ihrer Harmlosigkeit. Die Mehrzahl der Amerikaner über 40, also die sog. Babyboomergeneration, die nun bald in Rente geht und es wegen ihrer sozialen Gruppenstärke schwer haben dürfte, ihre Häuser vor dem Umzug ins Altersheim demnächst an die ausgedünnte nachrückende Generation zu veräussern, gewannen das Drei-, Vier- oder auch schon mal Zehnfache dieser Summe an Papierwert hinzu. Es ist also vor allem die über dem Durchschnitt liegende Gruppe, die zur Sorge Anlass gibt.

Insgesamt haben allein die durch den Staat gegründeten und unterstützten Hypothekar-Organisationen der USA (wie "Fannie" und "Freddie", siehe unten) beispielsweise im Jahre 2002 922 Mrd. US$ und 2003 noch einmal 1,1 Billionen US$ an neuen Immobilienkrediten vergeben. Die Zahl für 2004 dürfte noch eine Steigerung aufweisen, doch sind erste Zeichen des Rückgangs nicht zu übersehen. Zusammen garantieren diese staatlichen Kredit-Organisationen 42% aller Werte des US Hypothekenmarktes, der seinerseits rasch auf die Marke von insgesamt 8 Billionen US$ (in Worten: Achttausend Milliarden!) an verbrieften und zu verzinsenden Werten zustrebt.

Zudem hängen über 5 Billionen US$ an Vermögenswerten von Unternehmen aller Art von der Fähigkeit der US-Hausbesitzer ab, ihre monatlichen Raten bezahlen zu können. Beginnt diese Fähigkeit zu leiden, geraten 8 Billionen US$ direkt und 5 Billionen US$ indirekt in "Lebensgefahr". Das sind zusammen 13 Tausend Milliarden Dollar, eine gefährdete Summe, die sich jeder Vorstellungskraft entzieht. Die Dimensionen dieses Kartenhauses werden hier vage sichtbar.

Schon kleine Erhöhungen der Zinssätze genügen, um hier ein Platzen der Blase und damit Verluste in Billionenhöhe auszulösen. Das erklärt, das Stillhalten der Fed, und die, nach 13 Senkungen in Folge, lediglich symbolische Anhebung des Leitzinses von 1,0 auf 1,25% im Frühsommer 2004. Was es in der Praxis bedeuten würde, wenn als Folge steigender Zinsen oder von Arbeitsplatz- und Einkommensverlusten auch nur ein Bruchteil der 72 Millionen Betroffenen ihre Hausschlüssel den Bausparkassen und Banken zurückgibt, da der Wert des Hauses die Schulden darauf längst nicht mehr abdeckt oder die monatlichen Zahlungen nicht mehr geleistet werden können, ist schwer vorstellbar. Man wird bei Verwandten unterkriechen oder "homeless" werden und der Wohlfahrt zur Last fallen. Schlimmer noch: Spätestens wenn die tatsächlichen Hauseigner, nämlich die Banken und Bausparkassen, plötzlich auf Millionen leer stehender und auf Käufer wartender Häusern sitzen, dürfte das Ende der Immobilienblase gekommen sein. Vielleicht kann man dann einen ganzen Strassenzug für eine Handvoll Krügerränder bzw. Gold-Eagles günstig erwerben.

Das Platzen der Blase braucht längst nicht alle 40 Mio. Hausbesitzer unmittelbar zu betreffen. Es genügen bescheidene 10 Mio. Der Multiplier-Effekt mit seiner Kettenwirkung wird dann für etwas sorgen, was man sonst nur von Dominospielen her kennt. Selbst wenn die Hauspreise auf breiter Front "nur" um 20% nachgäben, hätte dies verheerende Folgen, denn die Gruppe die davon betroffen würde, ist die grösste aller "sozialen Einheiten". Anders, als wenn einige 100.000 Aktionäre ihr Vermögen verlören, ist eine Masse von über 72 Mio. nebst Familien finanzpolitisch mit Rettungsaktionen der Regierung kaum noch "hantierbar". Die Plattitüde "Die Masse machts" gilt hier im wahrsten Sinne des Wortes.

Die grosse Gefahr entsteht also durch die unheilige Kombination von erstens riesigen Massen der Betroffenen, zweitens deren historisch bisher unerreichten Verschuldungsgrad (allein Abzahlungs- und Kreditkartenschulden  o h n e  Hypotheken) belaufen sich auf durchschnittlich 30.000 US$ pro Familie, denen etwa 3.000 US$ an Liquidität gegenüberstehen) und drittens dem Fehlen von Sparwillen und angesparten Vermögen. Viertens schliesslich wurden Schuldverpflichtungen in unwahrscheinlichen Höhen eingegangen, die auf immer weiter steigende Hauspreisen sowie extrem niedrigen Zinskonditionen basieren, um durch Bar-Entnahmen aus immer höheren Hypotheken den laufenden Konsum finanzieren zu können. Dass aber Hauspreise für immer steigen und Zinsen für immer extrem niedrig bleiben sind selbst für illusionsleidende Amerikaner unhaltbare Annahmen.




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