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Niedrige Zinsen: Die Ruhe vor dem Sturm oder ein Dauerbrenner?

17.01.2018  |  Carsten Klude
Die Wirtschaft in Deutschland boomt. Das Bruttoinlandsprodukt stieg im Jahr 2017 einer ersten Schätzung des Statistischen Bundesamts zufolge um sehr ordentliche 2,2 Prozent und damit so stark wie seit der Konjunkturerholungsphase im Jahr 2011 nicht mehr. Berücksichtigt man, dass im Vorjahr überdurchschnittlich viele Feiertage die Arbeitszeit verringerten, ergibt sich sogar ein kräftiges Wachstumsplus von 2,5 Prozent.

Trotz der Hochstimmung in der größten europäischen Volkswirtschaft liegen die europäischen Leitzinsen jedoch unverändert auf ihrem Rekordtief, wo sie wohl auch noch bis weit ins Jahr 2019 hinein bleiben werden. Mehr noch verharren auch die langfristigen Marktzinsen, gemessen an den zehnjährigen Bundesanleihen, bei lediglich rund 0,5 Prozent.

Ist diese überraschende Zinsentwicklung nur die Ruhe vor dem Sturm? Gemäß der ökonomischen Theorie sollte ein wirtschaftlicher Aufschwung gepaart mit einer sehr expansiven Geldpolitik früher oder später zu einer steigenden Inflation und damit zu höheren Zinsen führen. Irgendwann muss sich schließlich auch die Geldschwemme der Notenbanken durch die massiven Anleihekaufprogramme bemerkbar machen.

Steigende Preise für Immobilien und andere Sachwerte könnten Vorboten einer großen Inflationswelle sein, die noch unterschwellig, aber unaufhaltsam auf uns zurollt. Anschließend müsste die Europäische Zentralbank massiv mit höheren Leitzinsen gegensteuern. Die dramatische Folge könnte eine Stagflation, d.h. gleichzeitig Geldentwertung und Wirtschaftskrise sein.

Doch entgegen der ersten Intuition gibt es gute Gründe dafür, dass die Inflation trotz Wirtschaftsboom und Geldschwemme langfristig niedrig bleibt. Anders ausgedrückt spricht einiges dafür, dass der langfristige Trend zu immer tieferen Inflationsraten anhält und es nicht zu einer "Mean Reversion", also nicht zu einer Rückkehr zum langjährigen Durchschnitt kommen wird.

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Die wesentliche Ursache liegt in der demografischen Entwicklung begründet. In vielen europäischen Staaten schrumpft der potenzielle Absatzmarkt durch geringe Geburtenraten und eine abnehmende Bevölkerung. In allen Volkswirtschaften sorgt darüber hinaus noch stärker die Alterung der Gesellschaft für einen Nachfragerückgang. Denn ältere Menschen haben erfahrungsgemäß deutlich geringere Konsumbedürfnisse als junge Bevölkerungsgruppen.

Die Folge ist ein kontinuierlich schrumpfender Binnenmarkt. Für die Unternehmen führt dies entsprechend zu geringeren Produktionsmengen und zu einem Rückbau der Kapazitäten statt zu Erweiterungsinvestitionen.

Zwar hält dieser Trend schon seit einiger Zeit an, er wurde aber in den 1990er Jahren durch die neuen Absatzmärkte in Osteuropa und in den 2000er Jahren durch die Integration Chinas, Indiens und anderer Schwellenländer in den Welthandel teilweise kompensiert. Doch diese Entwicklung lässt aus drei Gründen nach.

Erstens gehen die Wachstumsraten der Schwellenländer langsam, aber sukzessive zurück, zweitens ist der Abbau von Handelshemmnissen merklich ins Stocken geraten oder teilweise sogar schon wieder ins Gegenteil umgeschlagen und drittens gehen immer mehr Unternehmen dazu über, lokal direkt am Absatzmarkt zu produzieren.

Folglich lässt die Neigung der Unternehmen nach, in Europa neue Fabriken zu errichten oder bestehende Kapazitäten auszuweiten. Stattdessen wächst allenfalls noch der weniger kapitalintensive Dienstleistungssektor, dessen Anteil an der Wertschöpfung immer weiter zunimmt. Daraus resultiert ein geringerer Bedarf an Krediten. Trotz der boomenden Konjunktur steigt das Kreditvolumen an Unternehmen in der Eurozone lediglich um magere 0,2 Prozent.

Die geringere Kreditnachfrage trifft dabei auf ein zurückhaltendes Angebot. Eine verstärkte administrative Regulierung und erhöhte Eigenkapitalunterlegungsanforderungen führen dazu, dass die Finanzinstitute weniger offensiv Kreditkonditionen bepreisen und Kredite vergeben, als dies in ähnlichen Konjunkturphasen der Vergangenheit der Fall war. Eine schwächeres Kreditwachstum ist der Preis für krisenfestere Banken.

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Die geringe Kreditvergabe hemmt zunehmend den Geldkreislauf. Denn ein Kredit führt über den Geldschöpfungsmechanismus in etwa zu einer verachtfachten Erhöhung der Geldmenge. Der Mechanismus läuft dabei so ab, dass für den Kredit Güter und Dienstleistungen erworben werden, woraufhin der Verkäufer wiederum den Erlös bei der Bank einzahlt, die daraufhin auf Basis der zusätzlichen Einlagen erneut Kredite vergibt, so dass sich der Kreislauf fortsetzt. Die EZB versucht diese Marktentwicklung ähnlich wie zuvor andere Notenbanken durch eine direkte Zuführung von Liquidität in den Markt über den Ankauf von Anleihen zu kompensieren.


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