Suche
 
Folgen Sie uns auf:

Niedrige Zinsen: Die Ruhe vor dem Sturm oder ein Dauerbrenner?

17.01.2018  |  Carsten Klude
- Seite 2 -
Der kurzfristige Erfolg der Verhinderung einer Deflation gibt ihr Recht. Doch verschärft sie damit mittel- bis langfristig die Problematik. Denn die zusätzliche Liquidität kommt in Form von Sichtguthaben früher oder später bei den Unternehmen und privaten Haushalten an. Wer jedoch über viel Cash verfügt, der braucht weniger Kredite, wodurch der Geldschöpfungsmechanismus weiter gestört wird. Im Normalfall sollte der hohe Cash-Bestand bei den Unternehmen früher oder später für Investitionen genutzt werden. Doch bei einer schrumpfenden Konsumnachfrage im Inland sind die Investitionsanreize gering.

Dies ist damit auch die wesentliche Erklärung dafür, wo das ganze Geld bleibt, das in den Markt gepumpt wird. Es versickert nicht, verdrängt aber anderes Geld. Schon der Ökonom Milton Keynes erkannte diese Gefahr und beschrieb sie als Liquiditätsfalle.

Der beschriebene Mechanismus erklärt, warum keine Geldschwemme entstanden ist. Nichtsdestotrotz könnte in einer boomenden Konjunktur mit einer Rekordbeschäftigung über steigende Löhne eine Inflationierung in Gang gesetzt werden. Doch auch hierfür gibt es aktuell wenig Anhaltspunkte. Was sind die Ursachen für die zögerliche Lohnentwicklung?

Zum einen scheint die Macht der Gewerkschaften nicht mehr so groß zu sein wie in der Vergangenheit. Die abnehmende Zahl der Arbeiter und eine geringere Organisationsneigung der jüngeren Bevölkerungsgruppen lassen die Mitgliederzahlen absolut und relativ zur Gesamtbeschäftigung zurückgehen. Darüber hinaus scheint sich das Interesse der Mitglieder mehr in Richtung einer Arbeitszeitflexibilisierung und anderer nichtfinanzieller Verbesserungen des Arbeitsumfelds zu bewegen. Schließlich scheint nach den Erfahrungen aus der Finanzmarktkrise eine größere Präferenz hinsichtlich Jobsicherheit gegenüber Gehaltszuwächsen zu bestehen.

Vor allem aber dürfte die Globalisierung Auswirkungen auf die Lohentwicklung haben. Unternehmen sind heute viel besser in der Lage, auf Veränderungen bei den Arbeitskosten in einer Volkswirtschaft durch eine Verlagerung der Produktion in andere Länder zu reagieren. Die lediglich national organisierten Gewerkschaften treffen hierbei auf international agierende Konzerne. Diese Entwicklung ist global ablesbar und dürfte sich kaum wieder umkehren lassen.

Dass es sehr schwierig sein kann, aus einem Niedrigzinsumfeld wieder herauszukommen, belegt das Beispiel Japan. Trotz massiver Anleihe- und Aktienkäufe, einer sehr expansiven Fiskalpolitik und eines wachsenden Drucks auf die Gewerkschaften und Unternehmen, höhere Tarifabschlüsse zu vereinbaren, gelingt die Reflationierung nur sehr bedingt.

Die Wahrscheinlichkeit ist vielmehr sehr hoch, dass die japanische Volkswirtschaft spätestens in der nächsten Rezession wieder in die Deflation zurückrutscht. Auch hier ist die alternde und schrumpfende Bevölkerung die wesentliche Ursache der Entwicklung. Obwohl es den japanischen Unternehmen insgesamt sehr gut geht, wird immer weniger im Inland investiert. Über viele Jahre haben die Gewerkschaften Nullrunden auf das nominale Gehalt mit den Unternehmen abgeschlossen.

Open in new window

Nun ist Japan in Bezug auf die Bevölkerungsentwicklung und die Mentalität wohl noch etwas ausgeprägter aufgestellt als Europa, die Parallelen in den Tendenzen, die mit Zeitverzug nach Europa kommen, sollten aber auch nicht unterschätzt werden.

Für den Anleger ergeben sich daraus mehrere langfristige Empfehlungen. Erstens sollte er sich weniger Sorgen um steigende Inflationsraten und Zinsen machen, als dies in der Öffentlichkeit in Deutschland verbreitet ist. Zweitens sollte er sich anschauen, welche Anlagen in Japan in den vergangenen zehn bis 15 Jahren erfolgreich waren. Drittens sollte er unbedingt Phasen für mutige Anlageentscheidungen nutzen, in denen dieser langfristige Trend von kurzfristigen Gegenbewegungen überlagert wird.

Konkret bedeutet dies, mutig in dem Moment in langlaufende Anleihen zu investieren, wenn die langfristigen Zinsen überraschend ansteigen. Schon eine Verzinsung von über 0,5 Prozent bei zehnjährigen Bundesanleihen kann sich letztendlich auszahlen. In konjunkturellen Hochphasen sollte die Duration mutig und sukzessive auf eine überdurchschnittliche Länge ausgeweitet werden. Die Aktienquoten sollten strategisch erhöht werden.

Eine konsequente taktische Allokation kann einen erheblichen Zusatznutzen bringen, dauerhaft zu niedrige Aktienquoten schaden jedoch am meisten. Langfristige Immobilieninvestments sollten auf beste Lagen in den beliebtesten Großstädten ausgerichtet sein. Wohnen ist Büro in einer alternden Gesellschaft mit einem geringeren Erwerbstätigenanteil überlegen, Logistik ist noch stärker von einer geringeren Investitionstätigkeit betroffen und der Einzelhandel wird zudem vom Trend zum Onlinehandel zusätzlich unter Druck gesetzt.

Beteiligungen sollten auf Wachstumsfelder ausgerichtet sein, da der Gesamtumsatz eher stagnieren dürfte. Bei den Sektoren sind Branchen wie Banken und Versicherungen, die unter niedrigen Zinsen leiden, tendenziell unterzugewichten, während Technologie und Teile der Industrie übergewichtet werden sollten. Unternehmen mit einer Ausrichtung auf Schwellenländer sind zu präferieren.


© Carsten Klude, Dr. Christian Jasperneite, Matthias Thiel, Martin Hasse, Darian Heede
M.M.Warburg Investment Research

Quelle: Auszug aus "Konjunktur und Strategie". Den Berichten, Tabellen und Grafiken liegen vertrauenswürdige Informationen aus öffentlichen Quellen zugrunde. Für die Richtigkeit können wir jedoch keine Gewähr übernehmen. Der Inhalt ist urheberrechtlich geschützt.



Bewerten 
A A A
PDF Versenden Drucken

Für den Inhalt des Beitrages ist allein der Autor verantwortlich bzw. die aufgeführte Quelle. Bild- oder Filmrechte liegen beim Autor/Quelle bzw. bei der vom ihm benannten Quelle. Bei Übersetzungen können Fehler nicht ausgeschlossen werden. Der vertretene Standpunkt eines Autors spiegelt generell nicht die Meinung des Webseiten-Betreibers wieder. Mittels der Veröffentlichung will dieser lediglich ein pluralistisches Meinungsbild darstellen. Direkte oder indirekte Aussagen in einem Beitrag stellen keinerlei Aufforderung zum Kauf-/Verkauf von Wertpapieren dar. Wir wehren uns gegen jede Form von Hass, Diskriminierung und Verletzung der Menschenwürde. Beachten Sie bitte auch unsere AGB/Disclaimer!




Alle Angaben ohne Gewähr! Copyright © by GoldSeiten.de 1999-2024.
Die Reproduktion, Modifikation oder Verwendung der Inhalte ganz oder teilweise ohne schriftliche Genehmigung ist untersagt!

"Wir weisen Sie ausdrücklich auf unser virtuelles Hausrecht hin!"