Suche
 
Folgen Sie uns auf:

Gustave Le Bon

17.08.2000  |  dottore
- Seite 3 -
7. Wie beeinflusse ich die Massen und die Herrschsucht der Massen

"Da die Masse durch übermäßige Empfindungen erregt wird, muss der Redner, der sie hinreißen will, starke Ausdrücke gebrauchen. Zu den gewöhnlichen Beweismitteln der Redner in Volksversammlungen gehört Schreien, Beteuern, Wiederholen, und niemals darf er den Versuch machen, einen Beweis zu erbringen."

(Die Zeit der großen Redner ist zunächst einmal vorbei; im Bundestag haben wir derer nur noch zwei: Gysi und Fischer, aber was nicht ist, kann jederzeit werden. Als jemand, der hunderte von Reden vor bis zu 5000 Menschen großen Auditorien gehalten hat, weiß ich aber, wie leicht es ist, sein Publikum zu beeinflussen, es damit zu einer "Masse" zu machen. Das Schreien ist because of political correctness inzwischen out, aber es gibt dafür subtilere Möglichkeiten, das Publikum in seinem Sinne zu manipulieren, z.B. das Flüstern und die Pause. Das wichtigste ist in der Tat der "nicht erbrachte Beweis", daher darf man in Diskussionen niemals eine Frage beantworten. Das lernen Strukturvertriebsleute übrigens schon im ersten Lehrgang. Auf die Börse bezogen ist der "nicht erbrachte Beweis" - um nur einen zu nennen - die Behauptung, Aktien würden sich "langfristig" immer besser entwickeln als alles andere. Diese Behauptung gilt inzwischen bereits als Dogma, wird aber alsbald ebenso zertrümmert werden wie alle anderen volkswirtschaftlichen Dogmen auch).

"Man spricht mit Recht von der besonderen Optik des Theaters. Zweifellos ist sie vorhanden, aber ihre Gesetze haben nichts mit dem gesunden Menschenverstand und der Logik zu tun. ... Beim Lesen bestimmter Stücke kann man sich ihren Erfolg oft nicht erklären."

(Wie jeder weiß, sind die Börsen inzwischen zu Theaterstücken mutiert. Wir kennen den Auftritt des Kollegen Busch vor dem Dax-Chart oder die eigens als Bühne aufgebaute Wand der Nasdaq, vor dem dann Markus Koch und andere ihren "Auftritt" haben. Natürlich gehören hierher auch die Inszenierungen von IPOs, etwa an der NYSE oder in Deutschland bei Börsengängen à la Infineon, wo der Held sogar in Motorrad-Kluft auftritt.
Infineon hatte allerdings den Nachteil, dass man das Stück nirgends nachlesen konnte, eben so wenig wie das von t-online und demnächst t-mobil, weil es gar keinen ernstzunehmenden Text dazu gibt: testierte Bilanzen nämlich. Wir haben es also mit virtuell perfekten Inszenierungen zu tun und die prompt folgenden Kollektivhalluzinationen, nach dem Motto: Da kann der Kurs ja nur noch steigen, sind die massenpsychologisch unausweichliche Folge).

"Der Überschwang der Massen erstreckt sich nur auf die Gefühle und in keiner Weise auf den Verstand. Die Tatsache der bloßen Zugehörigkeit des einzelnen zur Masse bewirkt... eine beträchtliche Senkung der Voraussetzungen seines Verstandes."

(Inzwischen ist ja noch und noch die Rede von der "Masse der Anleger" und dass sie sich "irrational" verhalten, vor allem, wenn sie Papiere verkaufen statt sie ad Kalendas Graecas zu halten. Die Versuche, "Irrationalitäten" in der anderen Richtung - siehe Greenspans "exuberance" - anzuprangern zeigen natürlich genau so, dass offenbar Le Bon nicht gelesen wurde. Die Masse hat nur Gefühle und niemals Verstand, was sie letztlich berechenbar und unberechenbar zugleich macht. Inzwischen hat sogar die Ökonomie die Waffen gestreckt; ich bitte dazu das sensationelle Buch "Butterfly Economics" zu lesen, das ein ehemaliger Redakteur des "Economist" veröffentlicht hat. Seine These: Die Wirtschaft gaukelt durch die Gegend - genau so unberechenbar und scheinbar sinnlos wie ein Schmetterling fliegt. Diese Erkenntnis allerdings steckt wiederum gewisse Rahmen ab, innerhalb derer wir analytisch vorgehen können: der Schmetterling kann z.B. nicht in 100 Meter Höhe aufsteigen; er kann sein Flugtempo nicht oder nur ganz gering variieren; er muss sich letztlich doch auch mal ausruhen oder Nahrung suchen, usw. Hier ist also wieder ein interessanter Berührungspunkt zur EWA gegeben, wie jeder, der die Analysen nachvollzieht, die hier geboten werden, bestätigen wird).


8. Die Unduldsamkeit der Massen

"Die Massen kennen nur einfache und übertriebene Gefühle. Meinungen, Ideen, Glaubenssätze, die man ihnen einflößt, werden daher nur in Bausch und Bogen von ihnen angenommen oder verworfen und als unbedingte Wahrheiten oder ebenso unbedingte Irrtümer betrachtet."

(Le Bon führt dazu natürlich die Glaubensauseinandersetzungen an; wir können es aber auch ins Anlegerverhalten ziehen: ich habe in meinem Bekanntenkreis z.B. zwei absolut feindliche Lage, die einen sehen nur in der Immobilie ihr Heil, die anderen in Finanztiteln. Dabei ist die Immobilien-Masse nicht mal bereit, Immobilienaktien oder auch nur Immo-Fonds zu akzeptieren, die Finanztitel-Masse geht umgekehrt auch nie in REITs, Fannie Mae oder anderes, was mit Immos zusammhängen könnte. Und dass sich die Massen der Funtamental-Bullen bzw. -Bären unversöhnlich gegenüber stehen, erfahren wir nun jeden Tag).

"Da die Masse in das, was sie für Wahrheit oder Irrtum hält, keinen Zweifel setzt, andererseits ein klares Bewußtsein ihrer Kraft besitzt, so ist sie ebenso eigenmächtig wie unduldsam. Der einzelne kann Widerspruch und Auseinandersetzung anerkennen, die Masse duldet sie niemals."

(Gottseidank, damit wäre zumindest bewiesen, dass dieses Board hier keine Masse ist, wie vorhin schon beim de la Vega/Le Bon Posting vermutet. Hier herrschen Widerspruch und Auseinandersetzung).

"Die Massen erkennen die Macht an und werden durch Güte, die sie leicht für eine Art Schwäche halten, nur mäßig beeinflusst. Niemals galten ihre Sympathien den gütigen Herren, sondern den Tyrannen, von denen sie kraftvoll beherrscht wurden. Ihnen haben sie stets die größten Denkmäler errichtet. Wenn sie den gestürzten Despoten gern mit Füßen treten, so geschieht das, weil er seine Macht eingebüßt hat und in die Reihe der Schwachen eingereiht wird, die man verachtet und nicht fürchtet."

(Speziell ein Phänomen der politischen Geschichte, von Napoleon über Bismarck bis Helmut Kohl. Aber wir finden es auch in Sachen Börse. Der Peter-Lynch-Kult, der Warren-Buffett-Kult, der Martin-Ebner-Kult, der John-Templeton-Kult, die gestürzten Soros, Robertson, oder früher: die gestürzten Billy Salomon, Gutfreund, Henry Kaufmann, usw., usw. Die UBS hatte mal als sie noch die SBG war einen Tyrannen als CEO namens Schäfer; nachdem er endlich abgetreten war, begegnete ich ihm auf einem großen Empfang. Schäfer - eben noch der mächtigste Banker der Schweiz - stand völlig unbeachtet in einer Ecke. Er hat mir richtig leid getan).

"Ist die Haltung der Obrigkeit schwankend, so wendet sich die Masse, die stets ihren äußeren Gefühlen folgt, abwechselnd von der Anarchie zur Sklaverei, von der Sklaverei zur Anarchie."

(SEHR WICHTIG! Ich bitte statt "Obrigkeit" das Wort "Greenspan" zu setzen. Seit letzter Woche scheint er vom klassischen Sklavenhalter mit der neunschwänzigen Zinspeitsche in der Hand, obendrein unberechenbar, zum schwankenden "Na-ich-weiß-auch-nicht-so-genau"-Typus geworden zu sein. Wird das die Masse der Anleger bemerken, was über kurz oder lang geschieht, ist der Anarchie Tür und Tor geöffnet, sprich an den Börsen zieht Panik ein).


9. Wie kommen die Ideen zu den Massen und umgekehrt

"Man kann die Ideen der Massen in zwei Klassen einteilen. Zu der einen zählen wir dir zufälligen und flüchtigen Ideen, die unter dem Einfluss des Augenblicks entstehen: z.B. die Vorliebe für eine Person oder eine Lehre. Zu der anderen die Grundideen, denen Umgebung, Vererbung, Glaube große Dauerhaftigkeit verleihen, wie z.B. die religiösen Glaubenssätze von ehemals, die demokratischen und sozialen Ideen von heute."

(Hinzugekommen ist inzwischen eine weitere wichtige Idee, nämlich die von der "Machbarkeit der Wirtschaft". Um diese Idee zu pflegen gibt es weltweit mindestens 100.000 Ökonomie-Professoren, Chefstrategen, Notenbanker usw., die sich immer wieder vernehmen lassen. Was sie wirklich können, zeigt sehr gut der von JüKü reingestellte Beitrag zur Greenspan-Rede. Darin besonders der Teil ganz unten, wo der Fed-Chef auf die Frage nach den teuren Häusern sinngemäß antwortet, er würde ja gern die Häuserpreise runterknüppeln ("knock off"), aber das könne er nicht. Damit war Schluss. Aber weder die Fragestellerin noch der Fed-Chef haben da nachgehakt und uns darüber informiert, was denn wäre, wenn doch? Dann würde nämlich ganz Amerika in den landesweiten Privatbankrott abtauchen, weil ja die Häuser drüben bekanntlich sehr hoch beliehen sind. Klartext: Die "Idee" von der Machbarkeit der Wirtschaft hat sich selbst lächerlich gemacht und sie wird alsbald von selbst verschwinden).

"Man kann sich die Grundideen als die Wassermasse eines langsam dahinströmenden Flusses, die flüchtigen Ideen als die kleinen, immer wechselnden Wellen vorstellen, die seine Oberfläche erregen und, obwohl ohne wirkliche Bedeutung, sichtbarer sind als der Flußlauf selbst."

(Le Bon, ein präexistenter Elliott, wer hätte das gedacht).


10. Ideen und ihre Dauer

"Welche Ideen den Massen auch suggeriert werden mögen, zur Wirkung können sie nur kommen, wenn sie in sehr einfacher Form aufzunehmen sind und sich in ihrem Geist in bildhafter Erscheinung wiederspiegeln."

(Als jemand, der das Phänomen "Bild" bestens kennt, muss ich sagen: extrem klar gedacht, immerhin erschienen damals, 1895, weder Boulevard-Presse noch gab's TV oder "Big Brother"-Watching am PC. Auch gab's noch keine Kurskurven, Mr. Dow fing damit gerade erst an, heute aber sind diese und ihre Wirkungen unbestreitbar, jedenfalls für die "Masse" Börsianer, was übrigens auch sehr schön die Beobachtung belegt, dass Leute, die mit ihrem Depot im Minus sind, nicht etwa "cut your losses short" machen, sondern immer sagen: "Da schau' ich gar nicht mehr hin" - ein Quote, das ich von Kollegen und Kolleginnen jetzt jeden Tag höre; sie bilden sozusagen die Masse der "Bild-Negierer" - die Absturz-Fotos der Concorde aber schauen sie immer noch fasziniert an).

"Kein Band logischer Übereinstimmung oder Folgereichtigkeit verbindet diese Vorstellungsbilder miteinander. ... Man wird also einsehen, dass in der Masse die entgegengesetztesten Vorstellungen einander folgen."

(Eben noch: Rein in Aktien, das sieht man doch schon am Kursverlauf (dass das mit den expoentiellen Blow-off-Kurven nicht gut gehen kann, wird verdrängt). Und kurz darauf: Das ist ja schrecklich, wie konnte so was bloß passieren, man spreche bloß mal mit Telekom-Ex-Freaks. Und schließlich: Nie wieder, alles Gangster, die mich bloß abzocken wollten).

"Unter dem Einfluss einer der verschiedenen in ihrem Verstand (!) aufgespeicherten Ideen folgt die Masse dem Zufall des Augenblicks und wird infolgedessen die verschiedenartigsten Taten begehen. Der völlige Mangel an kritischem Geist lässt sie die Widersprüche nicht sehen."

(Sehr gut! Irgendwer setzt in den "Verstand" der Masse die Idee, Aktien sind langfristig immer noch die beste Geldanlage und sie folgen dem, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, was denn überhaupt "langfristig" heisst. Gestern Abend war in den Tagesthemen eine Pappnase zu bewundern, die doch - "Chefstratege" oder "Chefanalyst" vermutlich - tatsächlich sinngemäß sagte: Langfristig seien Aktien unschlagbar, jedenfalls für die nächsten "ein, zwei Jahre". Frau Bauer lächelte anschließend dummdreist - wie immer - in die Kamera. Offenbar haben die TT inzwischen schon keinen Chefredakteuer mehr, der solchen Unfug aus dem Programm nimmt).

"Man darf nicht glauben, eine Idee könne durch den Beweis ihrer Richtigkeit selbst bei gebildeten Geistern Wirkungen erzielen. Man wird davon überzeugt, wenn man sieht, wie wenig Einfluss die klarste Beweisführung auf die Mehrzahl der Menschen hat. Der unumstößliche Beweis kann von einem geübten Zuschauer angenommen worden sein, aber das Unbewusste in ihm wird ihn schnell zu seinen ursprünglichen Anschauungen zurückführen.
Sehen wir ihn nach einigen Tagen wieder, wird er aufs Neue mit genau denselben Worten seine Einwände vorbringen."

(Jede Diskussion ist daher per se sinnlos, das hatte auch schon Schopenhauer gelehrt in seiner berühmten Stelle in der "eristischen Dialektik" - griech.: eris = Streit - wo er sinngemäß schreibt: Alle Argumente, die sich an den Verstand und nicht an das Gefühl richten, haben keinen Sinn).

"Ideen brauchen lange Zeit, um sich in der Masse festzusetzen, und sie brauchen nicht weniger Zeit, um wieder daraus zu verschwinden ... Alle Staatsmänner wissen heute, wie viel Irrtum in den Grundideen steckt; da aber ihr Einfluss noch sehr stark ist, so sind sie genötigt, nach Grundsätzen zu regieren, an deren Wahrheit sie nicht mehr glauben."

(Man vergleiche dazu Alan Greenspan, der in den 60er Jahren ein fanatischer Anhänger des Goldstandards war und schreibt: "Eine geradezu hysterische Feindschaft gegen den Goldstandard verbindet Staatsinterventionisten aller Art. Sie spüren offenbar klarer und sensibler als viele Befürworter der freien Marktwirtschaft, dass Gold und wirtschaftliche Freiheit untrennbar sind, dass der Goldstandard ein Instrument freier Marktwirtschaft ist und sich beide wechselseitig bedingen." Und heute ist Greenspan d e r Staatsinterventionist schlechthin. Sein Aufsatz, erschienen im "The Objectivist" der Ultrakapitalistin Ayn Rand, wurde von mir in WELT am SONNTAG nachgedruckt als AG Fed-Chef wurde. Das anschließende Aufjaulen, z.B. von Kostolany, war herzzerreißend. Der volle AG-Text jetzt nachzulesen in der ganz exzellenten Broschüre "Die Geldfalle" von Reinhard Deutsch. Was Deutsch völlig klar herausgearbeitet hat, wiewohl ich seine "Silberexplosions-These" (noch) nicht teile, ist MUST READ für dieses Board hier).




Bewerten 
A A A
PDF Versenden Drucken

Für den Inhalt des Beitrages ist allein der Autor verantwortlich bzw. die aufgeführte Quelle. Bild- oder Filmrechte liegen beim Autor/Quelle bzw. bei der vom ihm benannten Quelle. Bei Übersetzungen können Fehler nicht ausgeschlossen werden. Der vertretene Standpunkt eines Autors spiegelt generell nicht die Meinung des Webseiten-Betreibers wieder. Mittels der Veröffentlichung will dieser lediglich ein pluralistisches Meinungsbild darstellen. Direkte oder indirekte Aussagen in einem Beitrag stellen keinerlei Aufforderung zum Kauf-/Verkauf von Wertpapieren dar. Wir wehren uns gegen jede Form von Hass, Diskriminierung und Verletzung der Menschenwürde. Beachten Sie bitte auch unsere AGB/Disclaimer!




Alle Angaben ohne Gewähr! Copyright © by GoldSeiten.de 1999-2024.
Die Reproduktion, Modifikation oder Verwendung der Inhalte ganz oder teilweise ohne schriftliche Genehmigung ist untersagt!

"Wir weisen Sie ausdrücklich auf unser virtuelles Hausrecht hin!"