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Gustave Le Bon

17.08.2000  |  dottore
- Seite 5 -
14. Erfahrung, Vernunft, und die "Führer" der Massen

"Die Erfahrung ist so ziemlich das einzige wirksame Mittel, um der Massenseele eine Wahrheit fest einzupflanzen und zu gefährlich gewordene Täuschungen zu zerstören. Dazu muss die Erfahrung auf einer breiten Grundlage ruhen und oft wiederholt werden."

(Klingt gut, aber:)

"Die von einer Generation gesammelten Erfahrungen sind im allgemeinen für die folgende nutzlos, darum hat es keinen Zweck, geschichtliche Ereignisse als Beweis anzuführen."

(Mein Problem, seit ich denken kann. Ich hatte schon in meiner Studien- und Assistentenzeit - arbeitete in zwei Fakultäten, der Philosophischen und der Rechts- und Staatswirtschaftlichen - immer wieder feststellen können, dass ich mit dem Wissen aus der einen Ecke in der anderen nichts anfangen konnte und vice versa. Jeder blieb fest auf seinem Standpunkt stehen, der Historiker und der Ökonom. Meine Beiträge wurden zwar immer wieder als "hoch interessant" und "anregend" empfunden, aber das war's dann auch.

Und das mit der GENERATION ist ganz genau so. Ich kann heute als jemand, der sogar noch die Erfahrungen der Generation vor mir mit großem Dank aufgenommen und gespeichert hat, nur sehr schwer einen Zugang zur jüngeren Generation finden, was unsere Themen hier angeht. Es heisst dann immer: "Ja, ja, schon gut, Alter.." oder "Nein, diesmal ist es eben anders..." Dennoch werde ich nicht müde zu wiederholen: Schaut in die Geschichte, da ist alles vorhanden, was wir wissen müssen. Wer nicht reinschaut, gerät in Gefahr, den bekannten Kollektivhalluzination zu erliegen, die Le Bon so meisterlich beschrieben hat).

"Ihr (der Erfahrung) einziger Nutzen ist, dass sie zeigt, in welchem Maße die Erfahrungen in jedem (!) Zeitalter wiederholt werden müssen, um irgendeinen Einfluss zu gewinnen und den Erfolg zu haben, auch nur einen (!) Irrtum, der mit der Massenseele verwachsen ist, auszurotten."

(Dass die Weltgemeinschaft der Anleger jetzt ihre eigenen Erfahrungen machen musss, liegt auf der Hand. Und der Irrtum bezüglich der "immer weiter steigenden Kurse" wird vermutlich auch dieses Mal nicht auszurotten sein - aber warten wir es ab).

"Bei der Aufzählung der Faktoren, die imstande sind, die Massenseele zu erregen, könnten wir uns die Erwähnung der Vernuft ersparen, wenn man nicht den negativen Wert ihres Einflusses aufzeigen müsste... Die logischen Köpfe, die an die ziemlich knappen Schlußketten der Vernunft gewöhnt sind ... sind immer wieder über das Fehlschlagen ihrer Beweise überrascht."

(Diese Überraschung sollten wir Logiker uns also ein- für alle Mal abgewöhnen).

"Daher wenden sich auch die Redner (heute: die Politiker, die Medien usw.), die Eindruck auf die Massen zu machen verstehen, an ihr Gefühl und niemals an ihre Vernunft. Die Gesetze der Logik haben keinerlei Einfluss auf sie."

(Nur als Beispiel das Rentenproblem: Die Leser einer großen Zeitung sind einfach nicht bereit, anzuerkennen, dass sie keinerlei Anspruch auf die von ihnen eingezahlten Rentenbeiträge haben können, weil die längst an frühere Rentner ausbezahlt wurden. Wer versucht, das mit unserem Umlaufverfahren logisch zu erklären, erhält wütende Proteste, von wegen "ich habe immerhin 40 Jahre lang eingezahlt und jetzt Anspruch auf mein Geld", usw. Wer obendrein auch noch versucht, klar zu machen, dass auch der Übergang zu einer "privaten" Altersvorsorge das Problem, dass immer die Jüngeren an die Älteren zahlen müssen, nicht löst, weil es eben einfach zu wenig Jüngere gibt, scheitert genau so, von "fondsgebundenen" LVs mal ganz abgesehen, die inzwischen als die ultimative Lösung vorgegaukelt werden).

"Man draucht nicht einmal bis zu den primitiven Wesen hinabzusteigen, um die völlige Ohnmacht der Logik im Kampf gegen Gefühle festzustellen. Erinnern wir uns nur daran, wie hartnäckig sich viele Jahrhunderte hindurch die religiösen Vorurteile gehalten haben, die der einfachsten Logik widersprechen."

(Da muss ich mich selbst als Beispiel anführen. Ich bin bekanntlich Katholik und weiß sehr wohl um die mit dem Glauben verbundene Problematik. Fallen mich Zweifel an, tröste ich mich mit dem berühmten "Credo, quia absurdum" - ich glaube es, weil es widersinnig ist - des Augustinus. Mein Intellekt bäumt sich zwar dagegen auf, aber dann finde ich wieder irgendwo eine herrliche Kirche, zuletzt St. Gallen, heule hemmungslos und fühle mich wieder "geborgen". Ich hoffe nur, in meinen übrigen Lebensbereichen "massenfest" zu bleiben und tröste mich mit Le Bons Schlusssatz zu diesem Kapitel:)

"Nich vermöge, sondern oft trotz der Vernunft bildeten sich Gefühle wie Ehre, Entsagung, religiöser Glaube, Ruhmes- und Vaterlandsliebe, die bis heute die Triebfedern aller Kultur gewesen sind."

(Dies kann natürlich auch ins Aschgraue diskutiert werden, aber sei's drum)


15. Die Führer der Massen und ihre Überzeugungsmittel

Vorweg: Der Begriff "Führer" ist inzwischen ja so negativ besetzt, dass ich mir lange überlegt habe, das Folgende überhaupt reinzustellen.
Aber wir müssen das hier völlig nüchtern sehen: Le Bon veröffentlichte diese Passagen im Jahr 1895. Sein Weitblick hat seines gleichen nicht! Er hat jetzt das Wort, und ich werde ihn heute auch nicht weiter kommentieren, weil der Text für sich spricht:

"In den menschlichen Massen spielt der Führer eine hervorragende Rolle. Sein Wille ist der Kern, um den sich die Anschauungen bilden und ausgleichen. Die Masse ist eine Herde, die sich ohne Hirten nicht zu helfen weiß.

Sehr oft war der Führer zuerst ein Geführter, der selbst von der Idee hypnotisiert war, deren Apostel er später wurde. Sie hat ihn so sehr erfüllt, dass neben ihr alles verschwand und dass ihm nun jede gegenteilige Anschauung als Irrtum und Aberglaube erscheint.

Meistens sind die Führer keine Denker, sondern Männer der Tat. Sie haben wenig Scharfblick und könnten auch nicht anders sein, da der Scharfblick im allgemeinen zu Zweifel und Untätigkeit führt.

Man findet sie namentlich unter den Nervösen, Reizbaren, Halbverrückten, die sich an der Grenze des Irrsins befinden.

So abgeschmackt auch die verfochtene Idee oder das verfolgte Ziel sein mag, gegen ihre Überzeugung wird alle Logik zunichte.

Verachtung und Verfolgung stört sie nicht oder erregt sie nur noch mehr.

Persönliches Interesse, Familie, alles wird geopfert. Sogar der Selbsterhaltungstrieb ist bei ihnen ausgeschaltet, und zwar in solchem Maße, dass die einzige Belohnung, die sie oft anstreben, das Martyrium ist.

Die Stärke ihres Glaubens verleiht ihren Worten eine große suggestive Macht. Die Menge hört immer auf den Menschen, der über einen starken Willen verfügt. Die in der Masse vereinigten Einzelnen verlieren allen Willen und wenden sich instinktiv dem zu, der ihn besitzt.

Die großen Überzeugten ... begeisterten erst, nachdem sie selbst durch einen Glauben begeistert waren. Dann freilich konnten sie in den Seelen jene furchtbare Macht erzeugen, die Glaube heißt und den Menschen zum völligen Sklaven seines Traumes macht.

Nicht das Freiheitsbedürfnis, sondern der Diensteifer herrscht stets in der Massenseele. Ihr Drang, zu gehorchen, ist so groß, daß sie sich jedem, der sich zu ihrem Herrn erklärt, instinktiv unterordnen."

(Selbst wenn Le Bon in den Zwanziger und Dreissiger Jahren gelesen und in allen Schulen, Universitäten und Kriegsakademien gelehrt worden wäre - ob uns das die Jahre 1933/45 erspart hätte? Ich habe Zweifel. Wir können nur alles in unserer Kraft Stehende tun, um eine Wiederholung, in welche Richtung auch immer sie verlaufen würde, zu verhindern. Le Bon gibt dazu einen wichtigen Hinweis: Massenbewegungen mit einem "Führer" an der Spitze erlöschen sofort, wenn das "Führer"-Problem beseitigt wurde. Oder wie es Israels so schrecklich zu Tode gekommener Premier Rabin einmal sagte: "Man muss der Schlange den Kopf zertreten, so lange sie noch klein ist.")


16. Wie wirke ich auf Massen ein?

"Wenn es sich daraum handelt, eine Masse für den Augenblick mitzureißen und sie zu bestimmen, irgend etwas zu tun..., so muss man sie durch raschen Einfluss auf wirken. Der erfolgreichste ist das Beispiel."

(An der Börse drückt sich jeder davor. Weder kennen wir das private Depot von Herrn Breuer noch das von Frau Weisenborn, usw. In den Börsenblättern werden immer auch nur "Musterdepots" aufgelegt. Selbst Greenspan ist kein gutes Beispiel, denn zum einen darf er keine Aktien haben, wie alle, die in den USA wichtige Ämter bekleiden, zum anderen: wer macht schon in Bonds, wenn die Börse abgeht, zum dritten: An seinem Portefeuille hatte er 1999 große Verluste, hatte ich glaube, schon mal gepostet.

Was ein Beispiel dennoch vermag, zeigt amazon.com, wo der Kurs massiv niederging als Jeffs treueste Anhängerin unter den Analysten "das Handtuch" warf. Ein anderes Beispiel ist der berühmte Brief von John D. Rockefeller, kurz nach dem 29er Crash, als er in seiner schönen, klaren Schrift die Nation wissen ließ, dass er und sein Sohn "noch nie so optimistisch" gewesen seien für US Economy, "wie heute"hin gekauft hätten.

Andererseits versuchten einige Banker 1929 die Katastrophe dadurch aufzuhalten, dass sie persönlich an der NYSE erschienen, und Aktien mit Geldkursen an sich zogen, die weit über den letzten Notizen lagen - es nutzte nichts. Dazu Galbraith & Granville lesen! Das mit dem Beispiel kann wirken, kann auch nicht, es kommt darauf an, wie die Massen präpositioniert sind, siehe gleich dazu. Ich bin mir sicher, dass jetzt ein Breuer-Zitat - er war ja lange Börsenchef - in dem Sinne: "Heute habe ich alle meine Aktien verkauft" den Dax schlicht töten würde. Umgekehrt ein "Heute habe ich sogar Kredit aufgenommen, um die Aktien auf dem niedrigen Niveau zu kaufen"?
Würde den Dax erst recht in die Tiefe jagen, siehe dazu gestern die Martyriums-Sucht der Führer).

"Handelt es sich jedoch darum, der Massenseele Ideen und Glaubenssätze langsam einzuflößen, so wenden die Führer verschiedene Verfahren an: die Behauptung, die Wiederholung und die Übertragung (contagion). Ihre Wirkung ist ziemlich langsam, aber ihre Erfolge sind von Dauer."

(Wie unschwer nachzuvollziehen, hunderte von Beispielen in der Geschichte).

"Die reine, einfache Behauptung ohne Begründung und jeden Beweis ist ein sicheres Mittel, um der Massenseele eine Idee einzuflößen. Je bestimmter eine Behauptung, je freier sie von Beweisen und Belegen ist, desto mehr Ehrfurcht erweckt sie."

(Ich darf nur an Kostos "Dornröschen-Schlaf" erinnern, ein perfektes Beispiel dazu).

"Die Behauptung hat aber nur dann wirklichen Einfluss, wenn sie ständig wiederholt wird, und zwar möglichst mit den selben Ausdrücken. Napoleon sagte, es gäbe nur eine einzige ernsthafte Redefigur: die Wiederholung.
Das Wiederholte befestigt sich so sehr in den Köpfen, dass es schließlich als eine bewiesene Wahrheit angenommen wird."

(Ich hatte die Freude, sehr oft zusammen mit Kostolany vor Publikum zu sprechen. Immer sah ich in den ersten Reihen die gleichen Gesichter. Die Menschen, zu denen sie gehörten, waren weit gereist, um nur ja den großen Aktien-Propheten nicht zu verpassen, der in immer gleichen Worten, mit kräftiger und klarer Stimme, seine Rede hielt. Ich war da nur die Side-Show, obwohl ich in der Gold-Hausse der 70er durchaus auch mal die Haupt-Show war. Einmal, Gold war schon deutlich sichtbar gekippt, hatte ich in Linz 1400 Zuhörer, mehr als jemals ein Nachkriegs-Politiker in dem Großen Saal zusammenbracht hatte. Und alle wollten von mir nur die Wiederholung hören, von wegen: Gold schlendert jetzt mühelos auf 10.000 oder so.

Als ich die Leute dann enttäuschen musste, gingen sie verstört nach Hause, änderten aber ihre Meinung in keiner Weise. Ich selbst habe übrigens meine Ansicht über die Inflation, und dass sie immer weitergehen müsse, erst angefangen zu überdenken, als mich Dr. H.-D. Schulz - ja genau der! - einmal nach einem Vortrag fragte, ob ich mir nicht auch mal ein "deflatorisches Szenario" vorstellen könnte.

Ich war geschockt, und ging subito in mich. Danach habe ich meine VWL-Theorien noch einmal Punkt für Punkt überprüft und kam nach langer schwieriger Denkarbeit endlich dahinter, initiiert zum einen von Heinsohn/Steiger und gemeinsam entwickelt dann mit Dipl.-Ing. Walter Lüftl, ein Hochgenuss übrigens, mit Naturwissenschaftlern zu arbeiten; die haben nie ein Problem damit gehabt, die "neuen" Gedanken nachzuvollziehen).

"Wenn eine Behauptung oft genug und einstimmig wiederholt wurde, wie das bei gewissen Finanzunternehmungen der Fall ist, ... so bildet sich das, was man eine gestige Strömung (courant d'opinion) nennt, und der mächtige Meschanismus der Ansteckung kommt dazu. Unter den Massen verbreiten sich Ideen, Gefühle, Erregungen, Glaubenslehren mit ebenso starker Ansteckungskraft wie Mikroben. Diese Erscheinung beobachtet man auch bei Tieren, wenn sie in Scharen zusammen sind. Ein Schreck, die wirre Bewegung einiger Schafe greift bald auf die ganze Herde über. Die Übertragung der Gefühle erklärt die plötzlichen Paniken..."

(Bestens herausgearbeitet!)



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