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Gustave Le Bon

17.08.2000  |  dottore
- Seite 6 -
17. "Nimbus" bzw. "Prestige"

"Eine große Macht verleiht den Ideen, die durch Behauptung, Wiederholung und Übertragung verbreitet wurden, zuletzt jene geheimnisvolle Gewalt, die Nimbus heißt."

(Nimbus = lat. Heiligenschein; kommt schon in der "heidnischen" Zeit Roms vor, als sich Kaiser auf Münzen mit selbigem verehren ließen. Die Massenbeeinflussung im Alten Rom ist überhaupt ein höchst interessantes Thema. Wie konnte der Kaiser den gigantischen Laden überhaupt zusammenhalten? Antwort: Durch die Münzprägung.

Auf den Münzen erschien stereotyp immer der Kopf des Herrschers, Rückseite positive Symbole wie Fortuna als Göttin, Geldverteilungsszenen, Merkur mit Füllhorn, usw. Um den Kopf immer die Aufschrift DN = Dominus Noster, unser Herr. Dazu IMP = Imperator, korrekt: Oberbefehlshaber, Klartext: Hinweis auf die Legionen, die jederzeit zur Stelle sein konnten. Der Trick funktionierte in Westrom fast 500 Jahre lang, in Ostrom wandelte sich die Rs. allmählich zur Darstellung des thronenden Christus beim Gerichtstag. Darstellung heißt PANTOKRATOR, griech. = Allesherrscher. Und die Nummer hielt fast weitere 1000 Jahre. Genial).

"Alles, was in der Welt geherrscht hat, Ideen oder Menschen, hat sich hauptsächlich durch die unwiderstehliche Kraft, die sich Nimbus (le prestige) nennt durchgesetzt... Am meisten Nimbus haben die Toten, also Wesen, die wir nicht fürchten."

(Schon Keynes sprach von der Vorliebe seiner Zunft, sich von Denkern und ihren Hirngespinsten leiten zu lassen, die schon lange tot sind; heute werden außer ihm gern beschworen: Ludwig Erhard, F.A. von Hayek, Röpke, Adam Smith, nur um Karlchen Marx ist es etwas still geworden).

"Der Nimbus ist in Wahrheit eine Art Zauber, den eine Prsönlichkeit, ein Werk oder eine Idee auf uns ausübt. Diese Bezauberung lähmt alle unsere kritischen Fähigkeiten und erfüllt unsere Seelen mit Staunen und Ehrfurcht. Die Gefühle ... sind unerklärlich wie alle Gefühle, aber wahrscheinlich von derselben Art wie die Suggestion, der ein Hypnotisierter unterliegt. Der Nimbus ist der mächtige Quelle aller Herrschaft."

(Der größte Nimbus der Gegenwart liegt im Wort "Staat". Wenn ich diverse Postings der letzten Zeit anschaue, hier in diesem höchst "aufgeklärten" Board, so kann ich nicht umhin, zu konstatieren, dass - bei aller "kritischen" Haltung dem Staat gegenüber in Details - doch der Zauber der Idee, dass es immer eine Institution gibt, die am Ende alles doch wieder zum Guten wendet, fast in allen Köpfen nistet. Diese Idee vom (unpersönlichen) "Allheilmacher" stammt übrigens vom französischen Revolutions-Paten Mirabeau. Als Frankreich 1789 endlich in der überschuldungsbedingten ausweglosen Lage war, meinte Mirabeau, die neue Idee von der "Nation" würde alles schon richten. Natürlich hat sie gar nichts gerichtet. Die Überschuldung verschwand in der Hyperinflation (= Ausbuchung) der Assignaten. Und dann kam der Auftritt eines Artillerie-Leutnants namens Napoleon, der dann als "großes Heilmitel" (in personifizierter Form) antreten konnte. Resultat: Millionen Tote, schon damals. Und das "Heil Hitler" war nur eine Doublette bzw. Bestätigung des Vorgehenden).

(Le Bon beschäftigt sich dann ausführlicher mit Napoleon, der den Nimbus schon in der Anfangszeit in sich trug und die altgedienten Generäle, deren Chef er plötzlich geworden war, auch "ohne Redensarten, Gesten, Drohungen ... zahm" zu machen verstand. Napoleon griff zum alten Trick der Pause und ließ die Befehlshaber warten, dann gab er einen knappen Auftritt und ein alter Haudegen meinte, dass er sich den Einfluss nicht erklären könne, der ihn beim ersten Blick "überwältigt" hätte...)

"An der Entstehung des Nimbus können zahlreiche Faktoren beteiligt sein. Einer der bedeutendsten war stets der Erfolg. Der Nimbus verschwindet immer im Augenblick des Misserfolges. Der Held, dem die Masse gestern zujubelte, wird morgen von ihr angespieen, wenn das Schicksal ihn schlug. Je größer der Nimbus, um so heftiger der Rückschlag. Die Masse betrachtet dann den gefallenen Helden und rächt sich dafür, dass sie sich einer Überlegenheit gebeugt hat, die sie nicht mehr anerkennt."

(Top-Kandidaten für diesen Prozess, bezogen auf die Börse, sind: Ron Sommer, Warren Buffett, Peter Lynch, Heiko Thieme, Gates, Ellison, Eisner, Jack Welch, sämtliche Chefanalysten und Chefstrategen (die dies ahnend schon früh in die Anonymität abzutauchen versuchten), schließlich jeder Hinz & Kunz von "Anlageberater", usw. Die Auswahl ist sehr, sehr groß.)

"Der Nimbus kann sich auch abnutzen, indem man ihn diskutiert; das geht langsamer, aber sicher. Der diskutierte Nimbus ist kein Nimbus mehr."

(Dieses Stadium scheint so peu à peu erreicht zu werden. Der Nimbus von den ununterbrochen steigenden Kursen, inzwischen heisst es ja immer häufiger "langfristig steigender Kurse", ohne mitzuteilen, wie "lang" denn "lang" sein mag, beginnt sich - da er mehr und mehr diskutiert wird - zu verflüchtigen).


18. Die Meinungen der Massen

"Über den festen Glaubensanschauungen ... liegt eine Schicht von Meinungen, Ideen, Gedanken, die fortwährend entstehen und vergehen. Manche sind sehr vergänglich und die bedeutendsten überdauern kaum das Leben einer Generation."

(Das Tempo des Entstehens und Vergehens hat sich heute enorm beschleunigt. Vor allem der schnelle Wechsel zwischen der Forderungen nach mehr Staatsinterventionismus oder Rückkehr zu mehr wirtdchaftlicher Freiheit ist bemerkenswert. An den Börsen ist der Parameterwechsel noch schneller, vgl. den Wechsel hin zum "Aktiensparen" in den 90ern, dann zum "Es kann nur noch aufwärts gehen" zur Jahreswende, jetzt ein "langfristig muss man immer gewinnen", usw. Die neue Ausgabe von "Mein Geld" erscheint mit dem großen Titel SPAREN - mit Disziplin zum Ziel, von Aktien ist nur noch am Rande die Rede).

"Die Anzahl der unbeständigen Meinungen der Massen ist heutzutage größer als je, und zwar aus drei verschiedenen Gründen. Erstens büßen die alten Glaubenslehren ihre Herrschaft ein und wirken nicht mehr wie früher richtunggebend auf die Meinungen. Das Erlöschen der Gesamtüberzeugungen gibt Raum für eine Menge Sonderanschauungen ohne Vergangenheit und Zukunft."

(Was sich ebenfalls beschleunigt hat, so dass vielerorts ein Gefühl der "Leere" entstanden ist und der Orientierungslosigkeit in den "Grundfragen des Lebens").

"Zweitens wächst die Macht der Massen immer mehr und findet immer weniger Gegengewicht, so dass sich die außerordentliche Beweglichkeit der Ideen, die wir bei ihnen fanden, frei entfalten kann."

(Klartext: Selbst bei einfacher Überprüfung bereits als skurril entlarvte Ideen konnten sich so tief in den Gemütern eingraben, etwa die Idee, dass bei der Staatsverschuldung eigentlich doch nichts passieren kann; warum es dann aber doch z.B. die 60-Prozent-Grenze in Maastricht gegeben hat, wurde deshalb nur oberflächlich hinterfragt - sind 60 Prozent etwa ein Naturgesetz oder -zustand? Warum nicht 0 % oder 100%?).

"Drittens führt die neuerdings so verbreitete Presse unaufhörlich die entgegengesetzten Meinungen vor den Augen der Masse vorüber. Die Wirkungen, die jede von ihnen eben hervorzurufen suchte, werden bald von widersprechenden Einflüssen aufgehoben. Keine Meinung kann sich richtig verbreiten, und alle führen nur ein vergängliches Dasein. Sie sind tot, bevor sie bekannt genug sind, um allgemein zu werden."

(Kann ich als vom Fach nur bestätigen. Alles huscht immer schneller vorüber; umso fataler ist es aber, wenn sich bestimmte Standard in der gesamten Presse einnisten, z.B. die Kritiklosigkeit den Börsenabläufen gegenüber - inzwischen überrascht sogar die taz (!) ihre Leser mit Börsenkursen).

"Wenn irgend etwas die Stunde des Niedergangs aufhalten kann, so ist es nur die außerordentliche Veränderlichkeit der Meinungen und die wachsende Gleichgültigkeit der Massen gegen alle allgemeinen Grundanschauungen."

(Da hatte sich Le Bon schwer geirrt, wie die Jahre 1917 und 1933 usw. markieren. Die Massen, definiert hier als z.B. Gesamtheit der Bevölkerung, nicht als die extrem agilen "kleinen" Massen, erscheinen zwar in "normalen Zeiten" ziemlich gleichgültig, aber in der Stunde der Not, beginnen sie zu rasen. Und sollte eine solche Stunde wiederkehren, ist bei der Verflachung der Grundanschauungen damit zu rechnen, dass sogar minimale "Denkansätze" und seien sie noch so wirr die Massen sofort ergreifen und in die bekannten unangenehmen Richtungen führen. Die ganz großen Massen heute liegen dösig in der Sonne, aber wehe, eine unangenehme Sache schreckt sie auf!

Dies bedeutet für jeden von uns, und nicht nur hier im Board, extrem wachsam zu sein, um die "unangenehme Sache" - und sei es nur der "Trigger" für Crash oder Krise - so früh wie möglich zu erkennen. Denn dass wir die nächsten zehn Jahre so easy weitermachen und -leben können wie bisher, dürfte doch wohl fraglich sein).


ENDE

dottore und Dr. Le Bon bedanken sich bei allen, die mitgelesen haben.



Anmerkung von GoldSeiten.de 04/2002:
Das Buch "Psychologie der Massen" von Gustave LeBon ist wieder erhältlich.
In die selbe Richtung und nicht weniger interessant ist das Buch "Börsen und Behavioral Finance" von Hartmut Kiehling.




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