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Alternative Geldexperimente und Reformansätze - Revolution von unten?

19.04.2007  |  Markus H. Schiml
- Seite 2 -
Debitismus und Eigentumsökonomik

Der Debitismus bzw. die Eigentumsökonomik wird von Heinsohn und Steiger als Alternative zur gegenwärtigen Wirtschaftstheorie betrachtet und ist keine Geldreformbestrebung im praktischen Sinne. Sie geht auf die Arbeit von Gunnar Heinsohn (1984) zurück. Die Eigentumsökonomik betrachtet die Volkswirtschaft - entgegen der vorherrschenden neoklassischen Theorie nicht als Summe von Tauschgeschäften, sondern von Schuldverhältnissen. Sie formulieren somit eine Theorie der Eigentumswirtschaft bzw. ein (Privat-) Eigentumsparadigma. In erster Linie ist die Eigentumsökonomik der Ansicht, dass die traditionellen ökonomischen Theorien ausschließlich Produktionstheorien sind und dass sie die erste Wirtschaftstheorie ist. Die Existenzsicherung vollzieht sich eben nicht durch ausschließliche Produktion von Gütern und deren Verteilung, sondern vielmehr durch individuelle Vermögensakkumulation.

So liegt für ihre Vertreter der entscheidende Punkt bei der Unterscheidung zwischen Eigentum (rechtliche Beherrschung) und Besitz (materielle Beherrschung). Wichtig ist, dass Eigentum in der bürgerlichen Gesellschaft als Rechtstitel künstlich geschaffen wurde, wobei der Besitztitel dem Eigentumstitel übergeordnet ist. Während dem Besitzer zwar das Recht auf Nutzung, Fruchtziehung oder Veränderung, beispielsweise im Miet- oder Pachtvertrag, zugestanden wird, stellt Eigentum die Haftung des Eigentümers mit seinem Vermögen als Sicherheitspfand, um Kredit zu erhalten (Beleihung, Verpfändung und Veräußerung), sofern der Gläubiger auf die sichere Einklagbarkeit seiner Rechtsansprüche durch z. B. staatliche Institutionen vertrauen kann.

Die historische Fundierung der Theorie kommt nun dadurch zum Ausdruck, dass entgegen der traditionelle Theorie berücksichtigt wird, dass nach der Stammes- und Feudalgesellschaft und einer Existenzabsicherung durch Moralvorstellungen, Sitten und hierarchische Produktionsstrukturen in der heutigen bürgerlichen Gesellschaft Vertragsbeziehungen vorherrschen, die zum Wirtschaften mit Eigentum und einer Vermögenshaftung führen. So wird geschlussfolgert, dass zu Beginn eines jeden wirtschaftlichen Aufschwungs - historisch gesehen - immer die Etablierung von Eigentumsinstitutionen vollzogen wurde.

Der Bogen zum Geld wird nun dadurch gespannt, indem davon ausgegangen wird, dass durch die Eigentumskonstitution erst Zins und Geld entstehen kann. Das Postulat der klassischen Dichotomie, also der Geldschleier bzw. die Neutralität des Geldes, würde die Sicht auf die Ursachen wirtschaftlichen Handelns erschweren.

Die Verschuldung sehen die Vertreter dieser Theorie daher keineswegs als ein Übel an. Vielmehr ist sie die Grundlage für effiziente Allokations- und Innovationsleistungen, da fast alle wirtschaftlichen Transaktionen auf Schuldverträgen beruhen. Geld entsteht daher also durch benötigte Vorleistungen eines Unternehmers z.B. für Investitionen (Vorleistungen), das nur durch a) eine Sicherheitsleistung und b) einen Zins akzeptiert wird.

Eine beliebige Verlängerung des Kredits ist ausgeschlossen, da die Vermögenssicherheitsleistung bald nicht mehr genügen würde. So würde ein Verschuldungswachstum notwendig sein, um eine effiziente Angebots-Nachfrage-Koordination zuzulassen und eine Wachstumsdynamik zu erreichen. Neben den Gütermärkten geht es hier auch um sog. "Verschuldungsmärkte", da der verschuldete Unternehmer "ein Angebot produzieren (muss), dass attraktiv genug ist, um andere in die Verschuldung zu führen. Die systemische Geldknappheit ist der Motor des produktiven Wettbewerbs um Schulddeckungsmittel. (...) Dies zwingt den Schuldner im Wettbewerb zu enormer Anstrengung im Bereich der Schaffung von Innovationsleistungen, um neue Bedürfnisse zu kultivieren und somit starke Nachfrageschübe zu erzeugen. Verschuldungswachstum ist somit keinesfalls als Krisenindikator zu verwenden."

Den Kritikern der extremen weltweiten Verschuldung bei den Staaten oder den Haushalten halten sie daher entgegen, dass nicht das Verschuldungswachstum relevant ist, sondern die Nachhaltigkeit der Verwendung dieser Schuld. Den Gegnern des Zinssystems halten sie entgegen, dass diese einen Systemfehler vermuten, da sie die Eigentumssicherung des Geldes nicht berücksichtigen und die Symmetrie von Eigentum und Schulden übersehen.

Auch der Aussage, dass nach dem Ende des Goldstandards Geld nicht mehr durch einen Gegenwert besichert und weitgehend im Vertrauen in die geldpolitischen Entscheidungsträger begründet ist, widersprechen sie und verweisen auf den eigentumsbesicherten Kreditkontrakt und auf die Gelddefinition in der Eigentumsökonomik, indem sie Geld als "Anrecht auf Gläubigervermögen" definieren, also weniger aus einer funktionalen, sondern eher einer entstehungstheoretischen Perspektive. Geld ist in diesem Sinne ein Schulddeckungsmittel.

Zu guter Letzt muss noch auf einen zentralen Punkt in der Theorie der Eigentumsökonomik eingegangen werden: dem Zins. Die Begründung des Zinses sieht man in der sog. Eigentumsprämie und sie dient der ökonomischen Sicherheit. Er ist ein immaterieller Ertrag eines Eigentümers für unbelastetes Vermögen. Ergänzt wird diese Eigentumsprämie auf dem Kreditmarkt durch einen Aufschlag für das Ausfallrisiko und die Kosten der Refinanzierung bei der Notenbank. Die Zinsen auf dem dem Kreditmarkt nachgelagerten Kapitalmarkt, also der Zinscoupon bei Bonds beispielsweise, ergeben sich dagegen in erster Linie durch eine sog. Liquiditätsprämie, da der Schuldner bereits existierendes Geld ausleiht und die Prämie erhält, die der Gläubiger aufgibt. Gegebenenfalls erhöht sich dieser Zins durch einen Inflationsaufschlag.

Dennoch besteht aber über die Liquiditätsprämie eine Verbindung zwischen Geldmarkt (Kreditmarkt) und Kapitalmarkt. Zum einen ist der Kapitalmarkt unabhängig vom Geldmarkt nicht denkbar. Zusätzlich sind beide über die Liquiditätsprämie verbunden. So geben sowohl Schuldner als auch Gläubiger im Rahmen der Vermögensbelastung ihre Eigentumsprämie auf dem Geldmarkt auf. Dafür erhält der Schuldner die (immaterielle) Liquiditätsprämie, der Gläubiger dafür im Gegenzug Zinsen. Die Liquiditätsprämie erhält dann auf dem Kapitalmarkt der Schuldner vom Gläubiger im Tausch gegen den Zins.


Perspektiven

Die Aktualität dieser Diskussion über Geldsystem und Wirtschaftstheorie zeigen die Themen auf der Prague Conference on Political Economy im April 2006, die OIKOS-Konferenz zum nachhaltigen Geldsystem im Mai 200641 mit je einem Workshop über Geldsysteme und Komplementärwährungen sowie die diesjährige Konferenz der Evangelischen Akademie in Bad Boll am 5./6. März mit dem Titel "Tabuthema Zinsen". Die Referenten der diesjährigen Internationalen Rohstoffmesse in München sollten dieser Problematik, wie in den vergangenen Jahren, auch in diesem Jahr große Beachtung schenken.
Thorsten Polleit, der Chefvolkswirt von Barclays Capital, selbst Kritiker der aktuell zu hohen Liquidität und "ECB-Watcher" drückte diese Aktualität überraschend wie folgt aus:

"Die Auffassung, Gold werde seine Geldfunktion nicht wiedererlangen, entstammt dem Glauben, der Papiergeldstandard, dem heute alle großen Währungen unterliegen, sei ein "sicheres" Regime. Doch es handelt sich um ein großes Experiment, dessen Ergebnis im Ungewissen liegt. Papiergeld ist ein "Schönwetter-Regime". Dass es eine dauerhaft verlässliche Einrichtung ist, kann daher nicht als gesichert gelten. Die Notwendigkeit, künftig einmal zu einer Edelmetall- bzw. Goldbindung des Geldes zurückkehren zu müssen, kann nicht ausgeschlossen werden."

Für die Zukunft bleibt es spannend im "Paralleluniversum" der Geldsystemkritik, denn der Hauptteil der Wissenschaft nimmt wenig an der Diskussion teil. Dazu kommt, dass sich die Anhänger der verschiedenen Strömungen der Kritik auch nicht einig sind und teilweise extrem abweichende Positionen vertreten.

Trend- und Zukunftsforscher sehen zudem das Geldmonopol des Staates bröckeln. So etwa John Naisbitt einer der zuverlässigsten seiner Zunft in der FTD vom 12. März 2007: "Die Post ist privatisiert worden, die Telekom und die Bahn. Als Nächstes sind die Währungen dran. (...) Der Durchbruch wird erfolgen, sobald wir verstehen, dass Geld - ebenso wie Autos, Kühlschränke oder Gold - eine Ware ist."

Besonders sollten die weiteren Entwicklungen bei den Regionalwährungen beobachtet werden. So besitzt in Deutschland bald jede größere Stadt eine "Parallelwährung". Ob deren Akzeptanz bei der Bevölkerung eine kritische Masse erreicht, bleibt interessant. Gleiches gilt für Anhänger einer Krisentheorie, indem sie Edelmetalle und, durch neue Geschäftsmodelle, auch Industrierohstoffe an den verschiedensten Lagerstätten horten.

Das Originaldokument mit allen Fußnoten und dem Literaturverzeichnis kann hier als PDF herunter geladen werden.


© Dipl.-Volkswirt Markus Schiml
Der Autor ist unter redaktion@oeconomy.com erreichbar.



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