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Die Neuauflage der marxistischen "Verelendungstheorie": Klimawandel und Corona. Was Mises und Hayek dazu sagen würden

25.04.2021  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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In einer Privatrechtsgesellschaft ist das Gesundheitssystem privatisiert. Die Versorgungsleistungen werden auf einem freien Markt angeboten und nachgefragt. Ihre Preise reagieren auf Angebots- und Nachfrageänderungen. Beispielsweise beobachten Krankenversicherungen genau, welche Krankheitserscheinungen unter welchen Bedingungen entstanden sind - und verändern ihre Tarife entsprechend: Krankheitsförderndes Verhalten wird entmutigt, krankheitsvermeidendes Verhalten wird ermutigt.

Im Bestreben, die Kunden zufrieden zu stellen, werden Krankenversicherungen bestrebt sein, Versorgungsengpässe zu vermeiden beziehungsweise zu lindern - indem sie zum Beispiel die Kapazitäten für Krankenhausbehandlung erweitern, oder indem sie krankheitsverhindernde Maßnahmen (wie bessere Ernährung, physische Kräftigung etc.) ermutigen. Auch hier gibt es einen Wettbewerb, der die besten Lösungen hervorbringt.

Wettbewerb gibt es auch in der angewandten und forschenden Medizin: In der Privatrechtsgesellschaft gibt es keine "von oben" vorgegebene zentrale Stelle, die bei der Ursachendiagnose und der Bekämpfung einer Viruserkrankung ein Deutungs- und Durchsetzungsmonopol beanspruchen kann. Der Wettbewerb verhindert insbesondere, dass kritische Stimmen nicht übergangen oder zum Schweigen gebracht werden.

Bei der Sammlung und Auswertung der Daten zur Krankheitslage herrscht ebenfalls Wettbewerb. Die Wahrscheinlichkeit, dass Deutungsfehler auftreten, dass Fehlinterpretationen (wie sie beim PCR-Test vorliegen) rasch bereinigt werden, ist daher groß. Der Anreiz, der medizinischen Wahrheit auf die Spur zu kommen, ist höher als im staatlich alimentierten, beherrschten Gesundheitssystem. Gerade die Dezentralisierung eröffnet die Möglichkeit, einen ergebnisoffenen Diskurs zu befördern, der das geeignetste medizinische Vorgehen herausbildet.

Die Anbieter von Gesundheitsleistungen stehen untereinander im Wettbewerb. Das sorgt tendenziell für einen Abwärtsdruck auf die Marktpreise für Gesundheitsleistungen. Der Wettbewerb sorgt dafür, dass die Anbieter von Gesundheitsleistungen einen Anreiz haben, ihre Kunden aufzuklären, wie sie sich vor der Viruserkrankung am besten schützen können - denn eine erfolgreiche Krankheitsvermeidung senkt die Behandlungskosten für die Krankenversicherungen.

Ich glaube, ich muss an dieser Stelle nicht gesondert erwähnen, dass all diese konstruktiven wettbewerblichen Kräfte im staatlich beherrschten Gesundheitssystem geschwächt sind oder gar fehlen; dass der Staat, wenn er das Gesundheitssystem beherrscht, unter Umständen sogar bereit ist, seine Belange vor die Gesundheit der Menschen zu stellen, um seine eigenen Ziele - die Machtausweitung - zu verfolgen.

Ich vermute, dass sich Mises und Hayek mit den Handlungsprinizipien, die sich in einer Privatrechtsgesellschaft herausbilden würden, in Zeiten des Coronavirus anfreunden könnten; weil Mises und Hayek vermutlich die Gefahren einer staatlichen Gesundheitsdiktatur“ erkennen würden.


CO2-Steuer gegen Klimawandel

Damit beende ich die Diskussion um den Umgang mit dem Coronavirus und wende mich der zweiten Drohkulisse der Verelendungstheorie zu: dem Klimawandel. Der Klimawandel wird als menschengemachtes Phänomen gedeutet, und auch (wie in der Coronavirus-Krise) wird der Staat auch hier als der Retter in der Not angesehen.

Die allseits befürwortete Heilsidee ist, dass der Staat eine CO2-Steuer erhebt. Die Befürworter der CO2-Steuer berufen sich auf das Problem der "negativen Externalitäten": Die C02-Steuer soll sicherstellen, dass die CO2-Emittenten die Kosten tragen, die ihre Emissionen verursachen. Die Kosten der CO2-emittierenden Produktion sollen verteuert werden - und entweder weniger CO2-intensive Produktionswege ermutigen oder die Güter derart verteuern, dass sie nicht mehr nachgefragt werden.

(Übrigens sei an dieser Stelle die Frage gestellt: Wer bekommt die Steuereinnahmen? Nein, nicht die Geschädigten, der Staat steckt sie sich ein.) Offiziell heißt es, mit der Erhebung der CO2-Steuer soll der Staat durch Kontrolle der menschengemachten CO2-Emissionen das Weltklima lenken. Damit steht der Staat allerdings vor einem gewaltigen Wissensproblem.


Preise als Wissensfaktor

Jeder, der die Schriften von Hayek gelesen hat, kennt die Worte "Anmaßung von Wissen" (das ist der Titel von Hayeks Nobelpreisrede am 11. Dezember 1974). Hayek vertrat die Ansicht, dass das Wissen keine abstrakte, sozial verfügbare Größe, sondern dass es stets an individuelle Personen gebunden ist.

Der freie Markt kann das Wissen, dass dezentral in den Köpfen der vielen Individuen vorhanden ist, bestmöglich nutzbar machen zum Wohle aller Beteiligten. Der entscheidende Faktor ist der Marktpreis. Steigt beispielsweise der Preis eines Gutes, heißt das, dass das Gut knapp ist - dass man sparsam mit ihm umgehen muss, und dass es sich lohnt, das Angebot für dieses Gut auszuweiten. Beides sorgt dafür, dass die Preissteigerung abgemildert und die Versorgungslage verbessert wird.

In Europa werden CO2-Zertifikate von den Staaten ausgegeben, und sie werden am Markt gehandelt. So gesehen scheint ein marktkonformer Umgang mit dem Problem Klimawandel vorzuliegen. Die entscheidende Frage dabei ist jedoch: Woher wissen die Staaten die richtige CO2-Emissionsmenge, denn die geben sie dirigistisch vor.

Begrenztes Wissen: die "Methode des Verstehens" Damit kommen wir zu einem besonders schwierigen Wissens- bzw. Erkenntnisproblem, dass Ludwig von Mises klar vor Augen hatte. In den Naturwissenschaften wird Wissen durch Laborexperimente gewonnen. Vereinfacht gesprochen geht das so: Man verändert einen Faktor bei Konstanz aller anderen Faktoren. Man testet eine Hypothese wie "Wenn X, dann Y" oder "Wenn X und a% steigt, verändert sich Y um b%". Meist lässt sich auf diesem Wege erfolgreich Wissen erarbeiten.

(Gleichwohl muss man hier anmerken: Hieb und stichfest ist auch diese Methode nicht. Denn sie leidet unter dem Induktionsproblem: Nur weil ein Experiment geklappt hat, heißt das noch nicht, dass es auch künftig klappt. Aber weil es offensichtlich so etwas wie Naturgesetzlichkeiten gibt, funktioniert die Methode.)

Die Klimawissenschaft ist jedoch anders, ist besonders. Sie ist eine Querschnittsdisziplin, die die Erkenntnisse der Physik, Geologie, Biologie, Meteorologie, Ozeanographie etc. nutzt. Sie stützt sich dabei zum einen auf Erkenntnisse, die aus naturwissenschaftlichen Laborversuchen gewonnen wurden - und damit als hinreichend verlässlich einzustufen sind.

Die Klimawissenschaft untersucht jedoch zum anderen auch komplexe Zusammenhänge über lange Zeiträume. Damit begibt sie sich in das Feld der geschichtswissenschaftlichen Untersuchungen. Und daraus ergeben sich besondere erkenntnistheoretische Probleme. Denn die reale Welt ist kein Labor. Beispielsweise unterliegt die Erdtemperatur vielen Einflussfaktoren, deren Bedeutung im Zeitablauf variiert, und die sich auch gegenseitig beeinflussen können.

Jeder historische Datenpunkt ist sozusagen ein Unikat. Es lassen sich daher auch keine homogenen, miteinander vergleichbaren Beobachtungssätze gewinnen (die man aber benötigt, um Zeitreihenanalysen sinnvoll betreiben zu können). Die Klimawissenschaften sind folglich keine Naturwissenschaft in dem Sinne, dass sie ihre Erkenntnisse mittels naturwissenschaftlicher Laborversuche gewinnen könnten.

Vielmehr müssen sich die Klimawissenschaftlicher notgedrungen der Methode des Verstehens - wie Ludwig von Mises sie bezeichnet - bedienen. Die Methode des Verstehens bedeutet, dass man alle verfüg-baren geistigen Hilfsmittel zur Anwendung bringt: Logik, Handlungslogik, Mathematik, aber natürlich auch naturwissenschaftliche und geschichtswissenschaftliche Erkenntnisse. Das Verstehen bedeutet, dass man etwas nicht mit wissenschaftlicher Gewissheit wissen kann. Ludwig von Mises sagte dazu: "Der logische Raum des Verstehens liegt allein dort, wohin praxeologisches Begreifen und naturwissenschaftliches Erklären nicht zu dringen vermögen." (3)

Verstehen liefert lediglich Einsichten, die nicht in Widerspruch zu akzeptierten Wissenschaftserkenntnissen stehen. Das sollte deutlich machen, warum die Aussagen, die die Klimawissenschaften vorbringen, nicht die erkenntnistheoretische Qualität haben können, wie man es aus der Naturwissenschaft gewohnt ist. Die Klimawissenschaften können zum Beispiel nicht sagen, dass in 95% aller beobachteten Fälle sich eine ganz bestimmte Ursache-Wirkungsbeziehung gezeigt hat beispielsweise zwischen CO2 und der Erderwärmung).


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