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Der Lehrlingsmangel wird zum gesamtwirtschaftlichen Problem

21.11.2021  |  Prof. Dr. Eberhard Hamer
Die Handwerksbetriebe suchen dringend Lehrlinge, bieten mehr als 600 freie Plätze an.

Junge Leute dagegen sind nicht knapp, gibt es nicht weniger als früher. Offenbar aber ist der Beruf des Handwerkers von der Jugend weniger gewünscht.

Das Mittelstandsinstitut Niedersachsen ist den Gründen nachgegangen und hat Jugendliche sowie Handwerksmeister befragt.

1. Die Handwerksmeister selbst sahen ehrlicherweise eigene Gründe:
  • Das Handwerk ist kein Bürojob, sondern Werk mit der Hand und verlangt körperliche Anstrengung, macht zum Teil (Bau, Fleischerei u.a.) schmutzig. Die Mehrzahl der Jugendlichen aber will heute einen gemütlichen Bürojob, der nicht schmutzig macht, nicht anstrengend ist und oft noch sogar höher gewertet wird.

  • Der Handwerker arbeitet ständig unter Zeitdruck, weil Arbeitszeit Produktkosten sind und er nicht den Zeitaufwand bezahlt bekommt, sondern nur den vereinbarten Preis. Und das auch nur, wenn der Kunde keine Gründe zur Mängelrüge findet, um auch nach der Arbeit noch Preisnachlässe zu erpressen. Da haben es die Büro- und Sozialberufe leichter. Dort wird man für Zeiteinsatz (auch für Zeitvertreib) unabhängig vom Ergebnis bezahlt.

  • Die gesellschaftliche Wertschätzung des Handwerks war nach dem letzten Weltkrieg am höchsten. Sie ist in zwischen abgesunken, weil Serien- und Massenprodukte von der Industrie kommen und viel Handwerk - vor allem im Bau - nur noch auf Einzelproduktion und Reparaturen zurückgefallen ist. Unsere Jugend ist satt, strebt nicht mehr Wertschöpfung an, sondern Zeitvertreib und Berufe des Zeitvertreibs. In vielen Handwerksberufen vor allem des Reparaturhandwerks stehen die Meister unter unerträglichem Druck. Sie sollen Tag und Nacht zur Stelle sein und den Reparaturerfolg garantieren, obwohl z.B. bei den Installationen oder beim Tischler die großen Produzenten nicht mehr wunschgemäß liefern, weil sie nur noch langfristige Produktzyklen haben und selbst Einzelteile von Zulieferern nicht bekommen.

    Der Kunde macht jedoch den Reparaturhandwerker für die Verzögerung verantwortlich. Bürojobs beim Staat oder in großen Unternehmen dagegen machen keinen Stress, sind gesellschaftlich höher gewertet und werden auch nicht nach Ergebnis bezahlt, sondern nur nach Zeiteinsatz oder Zeitvertreib. Wird man mit der Arbeit nicht fertig, ist "zu wenig Personal da", werden zusätzliche Mitarbeiter gefordert.

  • Bei Elektrikern, Installateuren und anderen technischen Handwerksberufen sind die Anforderungen an die Meister durch Normveränderung, Produktumstellung und die neue digitale Technik so gestiegen, dass selbst erfahrene Meister nicht mitkommen, sondern oft noch die Hilfe des Produzenten brauchen, die er ihnen nur selten und zögerlich gibt. In den Bürojobs braucht man dagegen nicht zum Kunden, sondern lässt ihn kommen. Und wenn eine Arbeit zu kompliziert ist, gibt man sie weiter oder schiebt sie an den Vorgesetzten, um selbst nicht dafür geradestehen zu müssen.

  • Im Handwerk besteht gegenüber anderen Branchen Totalwettbewerb, kann also ein Betrieb kaum Gehaltserhöhungen durchsetzen, obwohl die Produkt- und Personalkosten zurzeit dramatisch steigen. Viele Handwerksmeister haben am Ende des Jahres weniger als ein Lehrer verdient, obwohl sie die dreifache Stundenzahl gearbeitet und dazu noch das Gesamtrisiko des Betriebes getragen haben.

  • Zusätzlich belastet die Corona-Hysterie die Arbeitsbeziehung im Betrieb mit den Kunden und vor allem für Reparaturarbeiten vor Ort in den Wohnungen oder Häusern

  • Alle Handwerksmeister aller Branchen beklagten die immer unerträglicher werdende Regulierungswut der Bürokratie. Nahezu alles werde geregelt durch immer neue auch widersprüchliche Vorschriften, bei denen man wegen der täglichen Arbeit überhaupt nicht mehr mitkomme. Dadurch sei man ständig "mit einem Bein in der Haftung" oder sogar strafbar. Das Risiko des Arbeitens für den Meister steige dadurch unerträglich an. Die Gesetzes- und Bürokratieflut war noch vor der steuerlichen Ausplünderung der Betriebe erster Grund für die Aufgabeüberlegungen ihres Betriebes bei vielen befragten Meistern.

2. Bei den befragten Jugendlichen sprachen andere Gründe gegen eine Handwerkslehre:
  • "Warum soll ich eine Handwerkslehre machen, bei der ich erst wenig und nachher kaum mehr verdiene als ein ungelernter Sozialarbeiter, der einen viel angenehmeren Job hat?"

  • "Handwerk ist Stress. Die Arbeit muss fertig werden. Sie zwingt mich zur Leistung und ich kenne viele Berufe, die ein bequemes Leben haben, keinen Stress, die auch beliebig Krankenschein nehmen können und sich dennoch besser dünken als ein Handwerker".

  • "Bei einer Handwerkslehre muss ich morgens um 7 Uhr zur Stelle sein, Da gehe ich lieber mit Bafög ein paar Jahre ins Studium und verdiene hinterher bequemer und mehr als ein Handwerker".

  • Einige ausländische jugendliche Zuwanderer würden zwar eine Lehre überlegen, "wir können aber weder rechnen noch die deutsche Sprache richtig. Wir würden eine Gesellenprüfung doch nicht bestehen".

  • "Ich habe Abitur (Gesamtschule). Warum soll ich nicht irgendetwas kostenlos studieren und mir damit die Chance auf einen Büroposten schaffen?"

    Die ca. 50% Abiturienten unserer Jahrgänge sind deshalb fürs Handwerk verloren. Sie glauben, sie seien schon für das Handwerk "übergebildet", obwohl unser Handwerk viele davon für "untergebildet" und "unbrauchbar" hält.

Es gibt eine ganze Reihe zusätzlicher Gründe, etwa bei den Meistern, dass der Lehrling wegen der Berufsschulpflicht kaum noch im Betrieb ist, dass es kaum noch Disziplinierungsmöglichkeiten gibt, wenn einer nicht arbeiten will, dass die Missbräuche insbesondere mit Scheinkrankheit steigen oder dass "man eben nur die kriegt, die selbst einfache Bürojobs nicht schaffen, aber für uns ebenfalls unbrauchbar sind".

Bei Lehrlingen gab es Zusatzgründe, wie nicht den richtigen Lehrbetrieb in der Nähe, Unsicherheit darüber, welche Arbeit man langfristig überhaupt will und sogar, dass "ein Lehrlingslohn ja geringer ist als ein Mitarbeiterlohn".

Das Mittelstandsinstitut Niedersachsen ist schon aufgrund früherer Untersuchungen zu der Überzeugung gekommen, dass der Wertewandel von der wertschaffenden produktiven Arbeit hin zu Spaß- und Lustberufen bereits in der Schule den jungen Menschen nahegebracht wird ("kein Leistungsterror") und deshalb Beschäftigungsberufe statt Wertschaffungsberufe in der Jugend bevorzugt werden.

Einen zweiten Grund sieht das Institut darin, dass viele Handwerksberufe (z.B. Elektriker, Elektroniker u.a.) inzwischen intellektuell so anspruchsvoll geworden seien, dass der von unseren Billigschulen abgelieferte Bildungsstand junger Leute dafür nicht mehr ausreiche. Wer eben nicht richtig schreiben und nicht rechnen kann, die deutsche Sprache nicht beherrscht, kann auch keine Aufmessungen durchführen, keine Stromstärken berechnen oder keine Pläne lesen. Der Lehrlingsmangel ist somit auch ein Vorbildungsproblem.

Besonders interessant war die Diskussion mit den Meistern über die Folgen der Lehrlingskrise. Ziemlich einheitlich wurde behauptet, dass schon bald ein Handwerkermangel in Deutschland zum gesamtwirtschaftlichen Problem würde. Wenn "Handwerk nicht mehr lohnt", sind auch keine Handwerker mehr dafür da, neue Häuser zu bauen, die immer komplizierteren Anlagen darin zu bauen oder zu warten oder zu reparieren oder den Bürgern schnell ihre Heizung zu reparieren oder das Licht wieder zu bringen.

In vielen Bereichen des täglichen Lebens sind wir auf Handwerksleistungen existenziell angewiesen, vor allem im Service- und Reparaturbereich. Wenn dieses nicht mehr gewährleistet ist, kommt es zu dramatischen privaten Lebensproblemen der Konsumenten und Betriebsproblemen der Unternehmen.

Genügend Handwerker zu haben, war ein Luxus, den wir in der Vergangenheit hatten und nicht genügend gewertet haben. Durch den kommenden Handwerkermangel werden die Menschen den Wert des Handwerks neu entdecken, werden die Preise für das knappe Handwerk dramatisch steigen und dann wohl auch die Löhne der Werteschaffer wieder über denen vieler Lustbeschäftigter liegen müssen.

Ein Handwerksmeister hatte einen guten Tipp: Immerhin streben von den Zuwanderern 70% ins Sozialsystem, nur 30% würden arbeiten wollen . Wenn es gelänge, den Bildungsstand jedenfalls dieser Arbeitsbereiten so zu heben und die Anforderungen an einen Lehrling so anzupassen, dass beides zusammenpasst, könnte daraus eine Entlastung für den Lehrlingsmangel werden. Dann müssen eben für die Arbeiten, die ein Handwerker nicht mehr kann, Ingenieure ran - mit dreifachem Preis.


© Prof. Dr. Eberhard Hamer
Mittelstandsinstitut Niedersachsen e.V.


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