Hohe Inflation und negative Realzinsen für länger
04.02.2022 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
"We are to be ruined now by the deluge of bank paper." - Thomas Jefferson (1743-1826)
Auch wenn die Zentralbanken Zinserhöhungen in Aussicht stellen: Anleger haben gute Gründe zu befürchten, dass die Güterpreisinflation hoch bleibt und die Realzinsen im negativen Territorium verharren; dass also die Kaufkraft des Geldes weiter schwindet.
Fallende Zinsen
Steht eine "Zinswende" an? So scheinen es die Finanzmärkte zu sehen, nachdem die US-Zentralbank (Fed) angekündigt hat, bereits im März ihren Leitzins anheben zu wollen, und diesem Zinsschritt weitere folgen zu lassen. Der Grund: Der öffentliche Druck auf die Fed, ihre extrem expansive Geldpolitik zu beenden, ist in den letzten Monaten angestiegen - vor allem als Folge der mächtig angezogenen Konsumgüterpreisinflation: Allein im Dezember 2021 stiegen die Preise um 7 Prozent gegenüber dem Vorjahr, das war die höchste Rate seit 1982.
Greift die Fed - die ja de facto den internationalen geldpolitischen Kurs festlegt - zu Zinserhöhungen, werden andere Zentralbanken diesem Beispiel sehr wahrscheinlich folgen.
Quelle: Refinitiv; Graphik Degussa.
Wenn von "Zinswende" gesprochen wird, so sollte zunächst geklärt werden, was darunter zu verstehen ist. Wie Abb. 1 zeigt, fallen die langfristigen US-Zinsen (fast wie mit dem Lineal gezogen) seit Anfang der 1980er Jahre. So gesehen hat es seit etwa 40 Jahre keine "Zinswende" mehr gegeben. Die Zinsen kannten nur eine Trendrichtung: und zwar nach unten.
Allerdings hat es im Zuge dieser (im Trend fallenden) Zinsentwicklung immer wieder Phase gegeben, in denen die Zinsen angestiegen sind (die Kurzfristzinsen übrigens viel stärker als die Langfristzinsen); und so gesehen hat es immer wieder "kleinere Zinswenden", vielleicht besser: Zinsschwingungen, gegeben, aber keine dieser Zinsschwingungen hat bislang den langfristigen Abwärtstrend der Zinsen aufgehalten oder umgekehrt.
Der fallende Zinstrend bedeutet, vereinfacht gesprochen, dass die Zinsen, wenn sie erst einmal abgesunken sind, nicht wieder auf ihr zuvor beobachtbares Niveau zurückkehren. Wie erklärt sich das? Der Zins wird durch viele Faktoren bestimmt. Beispielsweise ist da die Zeitpräferenz der Menschen: Wenn eine Volkswirtschaft wohlhabender wird, steigt die Zukunftsorientierung der Menschen.
Das heißt, die Menschen konsumieren nicht ihr ganzes Einkommen, sondern sparen einen Teil davon. Ein erhöhtes Ersparnisangebot trägt dazu bei, den Marktzins abzusenken. Und wenn zudem die Inflationserwartungen der Marktakteure im Zeitablauf abnehmen, dann trägt das ebenfalls dazu bei, den Marktzins zu verringern.
Von sehr großer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Geldpolitik der Zentralbank. Sie bestimmt traditionellerweise den Kurzfristzins. Dadurch übt sie einen ganz entscheidenden Einfluss auf die Langfristzinsen aus. Warum?
Die sogenannte Zinsarbitrage stellt sicher, dass der Langfristzins quasi die (in der Zukunft erwarteten) Kurzfristzinsen reflektiert. Wenn also die Zentralbank den Finanzmarktakteuren signalisiert, wohin sie ihren künftigen Kurzfristzins schleust, dann hat sie tendenziell auch den Langfristzins gut im Griff. Mittlerweile beeinflussen die Zentralbanken den Langfristzins jedoch vor allem, indem sie Schuldpapiere kaufen, beziehungsweise indem sie den Märkten signalisieren, dass sie "im Fall der Fälle" Schuldpapiere nachfragen werden.
Zwischen dem Kurs einer festverzinslichen Anleihe und ihrer Rendite besteht ein negatives Verhältnis: Steigt (fällt) der Anleihekurs, fällt (steigt) ihre Rendite. Wenn also eine Zentralbank Schuldpapiere nachfragt, dann erhöht sie den Anleihekurs (im Vergleich zu einer Situation, in der sie keine Anleihen nachfragt). Und dadurch senkt sie die Rendite der Anleihen ab.
Eine Zentralbank hat eine im Grunde unbegrenzte Kaufkraft. Schließlich kann sie das Geld, mit dem sie ihre Schuldpapierkäufe bezahlt, jederzeit in jeder beliebigen Menge selbst herstellen. Daher hat eine Zentralbank die Macht, nicht nur den Kurzfrist-, sondern auch den Langfristzins quasi auf die Nachkommastelle zu fixieren.