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Blut, Schweiß und Tränen

24.07.2008  |  Ronald Gehrt
- Seite 2 -
Es braucht keine "handfesten Fakten"

Was war da los, fragte mich ein Leser? Das einzige, was man identifizieren konnte: Es ging beim Rohöl los, der Rest bewegte sich danach blitzschnell so, wie es momentan als "logisch" angesehen wird. Fallendes Öl ist gut, also müssen die Edelmetalle als "Negativ-Barometer" fallen und die Aktien steigen. Da stark fallende Ölpreise nicht zu einem steigenden Euro/Dollar-Kurs passen, wird das dann auch eben noch schnell zurechtgebogen und der Euro in die Tonne getreten.

Das ist ja alles schön und gut. Es sieht also "rund" aus. Aber was hilft mir diese Erkenntnis dabei, herauszubekommen, ob das morgen so weitergeht oder eben nicht? Schließlich lief das Ganze bis ca. 14 Uhr genau anders herum: Öl rauf, Gold rauf, Euro rauf, Aktien runter. Suchen wir also behände nach dem Grund. Und stellen fest: Nichts.

Manch ein Anleger sagt sich dann "kann nicht sein". Und weil die Börsenkommentatoren das wissen, wird halt irgendwas zurechtgebastelt. Heute war der angebliche Grund, dass der gerade auf den Golf von Mexiko zulaufende Tornado seine Richtung geändert habe und nun nicht die Ölförder- und Verarbeitungsgebiete touchieren werde. Diejenigen, die solche Gründe brauchen, um die Kurse wieder bequem in ein "es" zu verwandeln, geben sich damit zufrieden und beschimpfen diesen Tornado wüst. Vor allem, wenn sie in Aktien Short und Öl Long waren. Aber:

Erstens kann der Tornado nichts dafür, zweitens kann er jederzeit wieder die Richtung wechseln und doch noch ein paar Plattformen beschädigen und drittens ist dieser Grund Unfug. Zum einen wegen "zweitens" und zum anderen, weil das schon am Vormittag bekannt war, als der Ölpreis noch im Plus lag. Und die Begründung ist nicht nur Käse, sie bringt Ihnen auch nichts, wenn Sie wissen wollen, ob aus diesem schlagartigen Richtungswechsel nun mehr wird oder nicht.


Wir sind alle Ameisen

Nein, denken wir mal in Richtung der Ameisen. ALLE Marktteilnehmer sind Ameisen, alle tragen zum Auf und Ab der Kurse bei. Einige hingegen schleppen ein paar Zuckerstückchen mehr durch die Gegend, sprich: Es gibt uns ... und es gibt die so genannten „institutionellen Anleger“: Fonds, Hedge Funds, Pensionskassen, Banken im Eigenhandel. Also die großen Ameisen, die mit ihren Entscheidungen Milliarden bewegen- und damit auch die Kurse. Aber:

Auch diese "Institutionellen" sind keine "es". Da sitzen Menschen, die genauso gierig, hoffnungsvoll und ängstlich sein können wie wir. Oft haben sie auch nicht viel mehr Wissen und Erfahrung als wir. Nur mehr Geld zu bewegen. Werden die etwa nicht nervös, nur, weil sie das zweihunderteinundsiebzigfache verdienen als Sie und ich zusammen? Mitnichten. Im Gegenteil. Diese Menschen machen genauso Fehler wie wir. Sie sind gierig (sonst hätten wir keine Subprime- oder Immobilienkrise), sie sind hoffnungsvoll (siehe die Hoffnungsrallye im April/Mai - das waren nicht nur Privatanleger!) und sie sind ... nervös.

Wenn Sie Hedge Fund-Manager wären (ich wäre lieber Rübenzüchter, aber manche lockt der Gedanke offenbar) und würden z.B. eine dezente, kleine Long-Position im Rohöl halten, die, sagen wir, 20% des Fondskapitals ausmacht und Sie durch den Kursrutsch letzte Woche (der auf selbem Weg entstanden sein kann) kurz vor einem Margin-Call in den Miesen liegen würden ... was würden Sie tun? Ich für meinen Teil würde bluten, schwitzen, Tränen vergießen und an meinen Job und meine schon verplante Provision denken.

Was tun SIE, lieber Leser, wenn es falsch läuft? Durchhalten, neu überlegen, weiter durchhalten .. .und wenn es die Nerven nicht mehr mitmachen: aussteigen. Nur weg damit, Schluss, bäh. Nur dieses wachsende Minus nicht mehr sehen müssen. Und nun stellen Sie sich vor, diese Leute, die aufgrund der reinen Größe der Positionen die Kurse wirklich bewegen, sind auch Menschen! Denen geht es genauso. Und so kann es allemal sein, dass der heutige Abwärtsimpuls im Öl genau so ausgelöst wurde. Und das ist noch nicht alles:

Wenn einer der "großen Adressen" schief liegt und mit größeren Positionen aussteigt, dann kann das sogar scheibchenweise geplant sein, vorsichtig, um die Kurse nicht zu sehr zu drücken, bevor man alles verkauft hat, was raus soll. Aber knapp unter den Tagestiefs lagen natürlich Stoppmarken der kurzfristig agierenden Trader, die in dem Moment automatisch ausstiegen und damit den Kursdruck erhöhten ... andere gehen Short, weil neue Korrekturtiefs erreicht wurden und erhöhen den Druck ... und so entsteht auf einmal ein kräftiger Rücksetzer, den eigentlich gar keiner wollte.

Das sieht der Rest der Traderwelt ... und hat keine Ahnung, was los ist. Und so greifen die automatischen Konditionierungen. Man tut, was man in solchen Fällen halt tut: Einige steigen sicherheitshalber bei Gold-Long-Positionen aus, andere sehen das Gold fallen und steigen auch aus, Stop-Loss-Orders werden ausgelöst. Am Aktienmarkt sieht man all das und deckt Shortpositionen ein, manch einer geht Long, weil er nun den großen Ölcrash kommen sieht ... und so saust der Impuls durch alle Märkte und plötzlich - obwohl gar nicht gewollt - wird aus einem negativen Tag positiver, Analysten faseln beglückt vom „Intraday-Turnaround“ und Kurszielen im Dax von 7.200, 8.000 oder mehr und erklären, sie hätten es uns ja immer schon gesagt.

Es KANN heute so passiert sein. Vielleicht auch ein wenig anders. Aber immer dann, wenn die Begründungen am Abend dünner sind als die Kursveränderungen dick, sollte man überlegen, woher das Ganze möglicherweise kam ... und was es taugt. Heute, am Dienstag, war ein solcher Tag.

Morgen kann es genau anders herum laufen. Oder das selbe noch mal passieren. Das kommt darauf an, wem wo wann die Nerven durchgehen. Und das wird auch in nächster Zeit nicht anders. Die Börsen wurden in den letzten Wochen heftig durchgeschüttelt. Und überall haben kleine wie große Akteure Angst. Angst um ihr Geld, um die Performance, um ihren Job. Die einen haben Angst, ihre Short-Gewinne zu verlieren, die andern Angst, die Trendwende nach oben zu verpassen. Das sahen wir heute am Aktienmarkt. Morgen schon könnten andere Angst haben, nicht mehr rechtzeitig in Shortpositionen hinein zu kommen oder die letzte Chance, ihre Aktienbestände zu verringern, zu verpassen. Überall und in jedem Marktsegment kann jederzeit eine große Adresse nervös werden und mit dem Kauf oder Verkauf größerer Posten heftige Folgereaktionen auslösen.




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