Blut, Schweiß und Tränen
24.07.2008 | Ronald Gehrt
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Erinnern Sie sich?Klingt das weit hergeholt? Nun, wie wäre es damit: Führende Experten (Bernanke und Paulson, haha) haben am 15. Juli plötzlich festgestellt, dass die weltweite Konjunktur schrumpft und daher die Nachfrage nach Energie deutlich fallen wird ... und zwar binnen einer Woche um 15%.
Ach, das ist Blödsinn? Aber hieß es nicht bis zum 15. Juli, es gäbe massive Versorgungsprobleme bei Öl und Gas, die Nachfrage steige immer weiter und Öl würde kurzfristig 150, bis zum Jahresende 200 Dollar erreichen? Wurde das nicht von angeblichen Experten immer und immer wieder vorgekaut? Erinnern Sie sich?
Wenn das Blödsinn war, wieso waren so viele Long im Öl? Gut, ich habe das immer als Unsinn bezeichnet, aber ich alleine bewege ja schließlich die Ölpreise keinen müden Cent. Fakt ist, was die Mehrheit glaubt und wonach sie sich ausrichtet. Jetzt, 168 Stunden später, steht der Ölpreis statt bei 147 bei 128 Dollar und damit 13% tiefer ... und alles faselt von Kurszielen von 122, 115, 105. Und dass ja nun klar wäre, dass die Nachfrage sinkt. Aha. Haben wir ja alle schon immer gewusst, was?
Nein, wenn solche Kursveränderungen wirklich darauf basieren würden, was man uns im nachhinein als Begründung in Form angeblicher „Fakten“ an den Kopf wirft, würde die Welt sich verblüffend schnell ändern. Im Januar waren Subprime-Krise und Immobilienkrise noch kein Problem und die Inflation im Griff, im März hingegen haben ja alle schon immer das Gegenteil gesagt, um im April und Mai das absehbare Ende der Krisen zu betonen und im Juni festzustellen, dass wir vielleicht erst in 2009 eine Stabilisierung sehen könnten. Oft sind es die selben Leute, die alle paar Wochen genau das vorhersehen, was die momentane kurzfristige Kursbewegung begründet und in die Zukunft verlängert. Und sie kommen damit durch, weil so viele im permanenten Analyse-Dauerregen vergessen, wer wann was gesagt hat. Ich rate: Erinnern Sie sich!
Dichter Ameisen-Nebel
Ist es nicht ein wenig plausibler, Kursbewegungen als den Effekt der Handlungen all der Ameisen einzustufen ... und damit als die Verschiebung des so fragilen Gleichgewichts zwischen Käufern und Verkäufern? Ich finde schon. Aber:
Damit können Sie natürlich als wandelnde Börsenlegende keinen Staat machen. Wer Börsengurus und Analysten zu brauchen glaubt, will von denen wissen, was morgen, in einer Woche und bis Silvester passiert. Und man wird bedient. Doch wenn wir uns überlegen, wie leicht und plötzlich momentan die Kurse drehen können ... was sind dann Prognosen wert? Und wozu braucht man die eigentlich als vernünftiger Investor?
Es ist momentan definitiv nicht einzugrenzen, wie weit die momentan laufende Rallye führt. Letztlich soweit, bis die Zahl derer, die das Niveau für neue Baisse-Positionen oder Positionsverringerungen am Aktienmarkt als günstig ansehen die Zahl derer übersteigt, die nun auf die große Wende hoffen oder nervös ihre Shortpositionen eindecken. Für Gold und Öl gilt das selbe umgekehrt. Aber da wir alle den zahllosen Ameisen weltweit nicht in die Köpfe und gar unters Nervenkostüm blicken können, muss die Antwort laufen: Es ist nicht vorhersehbar. Es herrscht dichter Ameisen-Nebel. Aber:
Wer sich dieser Aspekte bewusst wird und genau deswegen eben nicht zu hoch pokert, muss dennoch nicht allabendlich Fortuna anrufen. Denn eines muss klar sein:
Drei Dinge braucht die erfolgreiche Ameise
Die völlige Unberechenbarkeit kurzfristiger Kursveränderungen reicht nicht in das mittelfristige Zeitfenster hinein. Und mittelfristig HABEN wir ein negatives Umfeld für Aktien - es sei denn, wir erleben bei den Energiepreisen eine nachhaltige Wende nach unten, was Ölpreise unter 100 Dollar hieße. Dadurch wird zwar nicht von eben auf gleich weiß, was vorher schwarz war. Aber eine solche Entwicklung wäre die Voraussetzung für eine konjunkturelle Stabilisierung - und damit Basis der Emotion "Hoffnung". Und auf die käme es dann an. Solange wir diese Wende nicht haben, solange die mittelfristigen Trends am Aktienmarkt nach unten und bei Edelmetallen nach oben weisen, sind die Warmduscher im evolutionären Vorteil, denn sie tun folgende drei Dinge:
- a) Nicht gegen den mittelfristigen Trend spekulieren,
- b) Keine zu riskanten Hebel einsetzen,
- c) Bewusst hohe Barbestände halten, solange die Kurse derart volatil sind und eine Gegenbewegung zum vorherrschenden Trend läuft.
Gerade jetzt, wo man das Gefühl bekommt, binnen Stunden mit zackigen Hebeln extrem viel verdienen zu können (wenn man nur wüsste, was die Kurse in einer Stunde machen), ist das einhalten solcher Regeln hartes Brot. Aber es ist besser, als sich nun mit dem kurzfristigen Wind zu drehen und wieder all denen zu glauben, die nun von einem Dax bei 8.000, einem Ölpreis von 80 und der großen Wende reden und noch vor einer Woche das Gegenteil behauptet hatten.
Es KANN der Beginn einer Bodenbildung sein, keine Frage. Aber die Welt verändert sich nicht binnen fünf Handelstagen. Wer nicht unbedingt versuchen will, die ersten und letzten Punkte einer Bewegung mitzunehmen ... was meist teuer zu stehen kommt ... kann sich viel Blut, Schweiß und Tränen sparen, indem er sich klar macht: WENN hier neue Trends entstehen sollten, sind sie nicht übermorgen bereits vorüber. Es gibt keinen guten Grund, von "vorsichtig" auf "waghalsig" überzuwechseln, nur, weil momentan anderen Akteuren die Nerven durchgehen.
Herzliche Grüße
© Ronald Gehrt
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