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Der Schatten des Jahres 1929

26.01.2004  |  Markus Mezger
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Eine expansive Geldpolitik finanziert die Börsenparty

Das Schmiermittel jedes Aktienbooms ist reichlich vorhandene Liquidität der Marktteilnehmer. Im Laufe einer wachsenden Kursblase muss allerdings ein immer größerer Teil der gesamtwirtschaftlichen Geldmenge für die Finanzierung der laufenden Börsenumsätze abgezweigt werden und steht somit für den Güterkonsum nicht mehr zur Verfügung. Dies erklärt auch die jeweils als "neu" gefeierte Kombination aus nahezu unveränderten Konsumgüterpreisen und explodierenden Preisen für Vermögenswerte (Asset Inflation), wie sie für die großen Spekulationsbewegungen der 20er und 90er Jahre kennzeichnend waren.

Die Geldumsätze an den Wertpapierbörsen Amerikas hatten während der goldenen 20er Jahre unglaubliche Höhen erreicht. Im Crashjahr 1929 wurde ein Dollar-Volumen in Höhe des 1,3fachen BSP umgesetzt. Von 1931 bis 1990 war es dann um die US-Börsen verhältnismäßig still geworden. Die Relation der Wertpapierumsätze pro Jahr zum BSP machte nicht einmal mehr 50%, in der Zeit von 1934 bis 1982 sogar weniger als 25% des BSP aus.

Ganz anders das Bild in den boomenden 90ern. Eine verbesserte technische Infrastruktur und elektronische Brokerhäuser erlauben auch dem privaten Anleger den zeitnahen An- und Verkauf von Wertpapieren innerhalb eines Tages (Intraday Trading). Die jährlichen Dollar-Umsätze haben 1999 rund 250% des BSP erreicht und in den ersten Monaten des Jahres 2000 wurde dieser fantastische Wert noch bei weitem übertroffen. Es scheint fast so, als beschäftige sich die ganze amerikanische Volkswirtschaft mit dem Aktienhandel.

Inwieweit die amerikanische Notenbank den finanziellen Nährboden für diese spekulativen Exzesse bereitet hat, entzweit Ökonomen damals wie heute. Unstrittig ist, dass die Anfangsphase beider Boombewegungen von einer Politik des lockeren Geldes begleitet war. Seit 1921, dem letzten Jahr der zur Bekämpfung der Nachkriegsinflation eingeleiteten restriktiven Geldpolitik, betrieb die amerikanische Notenbank eine akomodierende Geldpolitik, in der der Diskontsatz von 6% im Jahre 1921 bis Mitte 1927 auf 3,5% gesenkt wurde.

Für eine restriktivere Linie gab es nach dem traditionellen Inflationsbegriff damals auch keinen Fingerzeig. Die Steigerungsraten der Güterpreise lagen durchweg unter den kritischen Toleranzschwellen. Die Wachstumsraten der Geldmenge M1 entwickelten sich weitgehend parallel zum realen BSP, so dass die Gefahr eines aufgestauten Geldüberhangs, der kurzfristig auf den Güterkonsum gelenkt werden könnte, vergleichsweise gering war.

Die eigentliche Inflation und Kreditschöpfung spielte sich allerdings im Wertpapierbereich ab, aber die Überwachung der Kapitalmarktpreise gehörte nicht zu den expliziten Zielvariablen der amerikanischen Notenbank. Als es einigen Mitgliedern des amerikanischen Geldwesens dämmerte, dass die Verbindung von Wertpapierkrediten und Börsenboom Sprengkraft birgt, war es bereits zu spät, um das Spekulationskarussell zu stoppen.

Die Börsen nahmen gerade dann markant Fahrt auf, als sich die Notenbank entschlossen hatte, mit drei Diskontsatzerhöhungen um insgesamt 1,5% bis auf das Niveau von 5% im Sommer 1928 die spekulative Bewegung abzubremsen. Als der Aktienmarkt auch die Warnung des Notenbankpräsidenten Roy Young, dass Zentralbankgeld nicht für kreditfinanzierte Spekulation missbraucht werden darf, sondern nur für produktive Zwecke zur Verfügung stehe, über ein halbes Jahr ignorierte, wurde der Diskontsatz schließlich am 9. August 1929 noch einmal von 5% auf 6% angehoben. Der entscheidende Schlag, wie sich jedoch erst zwei Monate später herausstellen sollte.

Siebzig Jahre später scheint sich die Federal Reserve (Fed) in einem ähnlichen Dilemma zu befinden. Dabei hat die Politik des Notenbankpräsidenten Alan Greenspan bei vielen Beobachtern große Anerkennung gefunden. Wie die Wachstumsraten der Geldmenge M2 in (4) zeigen, hatte Alan Greenspan die Wirtschaft seit 1995 reichlich mit Liquidität versorgt, als sich die realen Wachstumspotenziale des Internetsektors abzuzeichnen begannen.

Das in den vergangenen beiden Jahren in Relation zum realen BSP überproportionale Geldmengenwachstum hat sich trotz der hohen Konsumneigung der amerikanischen Haushalte noch nicht in steigenden Güterpreisen niedergeschlagen. Dafür werden in der New Economy auch gute Gründe angeführt. Das Internet sorgt für eine deutlich höhere Markttransparenz und verringert die Preisspielräume für viele Anbieter. Der Personalbedarf im Zuge des stürmischen Wirtschaftswachstums konnte ohne bedeutende Lohnzugeständnisse aus dem amerikanischen Arbeitskräftereservoir und durch Immigration gedeckt werden. Die Arbeitslosenquote ist auf ein Rekordtief von 4,1% gesunken. Wie in den 20er Jahren hat damit die Notenbank den Auftrag der Wahrung von Preisniveaustabilität bei gleichzeitiger Förderung des Wirtschaftswachstums vordergründig mit Bravour erfüllt.

Die expansive Geldpolitik der letzten Jahre hat aber nicht nur die produktiven, sondern eben auch die spekulativen Kräfte der amerikanischen Volkswirtschaft geweckt. Die Notenbankpolitik der verbalen Interventionen (Moral Suasion) erwies sich, nicht zuletzt auf Grund ihres häufigen Gebrauchs durch Alan Greenspan, vorerst als wirkungslos.

Darüber hinaus klafften die Äußerungen und die Handlungen der amerikanischen Notenbank im Herbst 1998 weit auseinander. Angesichts der deflatorischen Wirkungen der Krisen in den Emerging Markets und des starken Kursrückgangs am amerikanischen Aktienmarkt im Herbst 1998 auf Grund des LTCM-Debakels rang sich die Fed zu drei Leitzinssenkungen durch. Vom 28. September bis zum 17. November 1998 wurde die Federal Funds Target Rate jeweils um ein Viertel Prozent von 5,5 auf 4,75% zurückgenommen.

Das war das Signal, auf das die Investoren gewartet hatten. Weil diese Bail Out-Aktion die Balance zwischen Risiko- und Ertragserwartungen der Anleger veränderte, ließen sich die Entfesselung der Spekulationskräfte und die furiose Entwicklung der Internetaktien auch durch den zwischenzeitlichen Übergang zu einer restriktiveren geldpolitischen Linie nicht mehr aufhalten. Die Erhöhung der Federal Funds Target Rate auf 6% bis zum 22. März 2000 zeigte allerdings an den Aktienmärkten bisher noch keine Wirkung.

Alan Greenspan hat sich mit seinem undogmatischen Krisenmanagement im Herbst 1998 in den Augen einiger Kritiker den fragwürdigen Ruf des Retters erworben, der auch in Zukunft nicht zulassen würde, dass die Kapitalmärkte drastisch unter ihr gegenwärtiges Niveau fallen würden. Damit könnten die Investoren eine implizite Bail Out-Garantie verbinden. Die amerikanische Notenbank war 1998 somit ungewollt in eine ähnliche Zwangssituation hineingeschlittert wie die japanische Notenbank im Jahre 1987.

In Japan waren die Geldmengenaggregate Mitte der achtziger Jahre weit schneller als das BSP gewachsen. Als die Pläne für eine Straffung der geldpolitischen Zügel bereits auf dem Tisch lagen, sah sich die Bank of Japan nach dem weltweiten Crash der Aktien im Oktober 1987 gezwungen, durch die Beibehaltung der monetären Expansion ihren Beitrag zur Stabilisierung der Weltfinanzmärkte zu leisten.

Während Wall Street und die Börsen in Europa längere Zeit für die Verdauung der Kursrückschläge benötigten, schwang sich der Nikkei schnell zu neuen Höhenflügen auf. Von Oktober 1987 bis Dezember 1989 konnte er noch einmal um 80% zulegen. Zu Beginn des Jahres 1990 platzte dann die Blase. Der Nikkei-Index büßte in den folgenden Jahren in der Spitze nahezu 70% des im Dezember 1989 erreichten Kursniveaus ein.

Die Rettungsaktionen und die Übertreibungen der jüngsten Vergangenheit haben erneut die Frage aufgeworfen, ob die Notenbanken auf die Entwicklung der Aktienpreise reagieren sollten. Unstrittig ist, dass Notenbanken Inflationsgefahren, die aus der Höherbewertung des Aktienvermögens und einem entsprechendem Mehrkonsum der privaten Haushalte resultieren, kontrollieren sollten.

Empirischen Schätzungen zufolge hat der Anstieg des S&P500 seit Anfang des Jahres 1995 die Konsumgüternachfrage der privaten Haushalte in den USA mehr als 4% nach oben getrieben. Die Fed hat mit dem jüngsten Übergang zu einer restriktiveren Politik den Märkten signalisiert, dass sie diese indirekte Bedrohung der Preisniveaustabilität nicht hinzunehmen bereit ist.

Aber sollte sie darüber hinaus versuchen, die Schwankungen und Übertreibungen der Aktienmärkte, deren Ursprung auch in der psychologischen Natur des Menschen zu suchen ist, in Richtung geeigneter Fundamentalfaktoren zu glätten? Die Beantwortung dieser Frage hängt wesentlich davon ab, welche langwierigen Folgen für eine Volkswirtschaft nach dem Platzen einer Bubble zu erwarten sind.


Die langfristigen Folgen einer geplatzten Spekulationsblase

"Wohin ist mein Geld verschwunden?" will der entsetzte Spekulant wissen, nachdem der Crash die Kursgewinne der Vergangenheit zunichte gemacht hat. "Ihr Geld ist nicht weg", versucht der Broker zu beruhigen, "es hat nur ein anderer". Mit diesem Bonmot ist die laufende Vermögensumverteilung durch die Kursbewegungen am Kapitalmarkt umschrieben. Während die Hausse die Fiktion erhält, alle Markteilnehmer würden laufend vermögender, zeigt der Kassensturz nach dem Crash deutlich, dass ein Teil des Vermögens der zu spät auf den Börsenzug Aufgesprungenen an die Aktionäre der ersten Stunde umverteilt wurde. Der unterschiedliche Markterfolg einzelner Investoren kann der Notenbank jedoch keinen hinreichenden Grund liefern, in die Marktprozesse mäßigend einzugreifen und eine Bubble zu verhindern.

Das wichtigste Argument für ein rechtzeitiges Handeln der Notenbank sind allerdings die langfristigen Folgen einer geplatzten Spekulationsblase für die Realwirtschaft. Als sich im Oktober 1929 die luftigen Börsengewinne wieder in Luft auflösten, sollte eigentlich nur eine Fiktion verloren gegangen sein. Doch wie alle Fiktionen konnten auch die damaligen Börsenfiktionen tief in das reale Wirtschaftsleben eingreifen.

Verbraucher, die bislang nicht die geringsten Bedenken hatten, ihre Haushaltsbudgets auf Monate hinaus in der Erwartung vorzubelasten, dass sie die fälligen Ratenzahlungen aus Börsengewinnen begleichen könnten, hatten nach dem Crash erhebliche Mühe ihren Verpflichtungen nachzukommen. Rund 60 % aller Automobile und 80 % aller Radios wurden damals auf Kredit gekauft und standen nun auf Abzahlung in den Garagen und Wohnungen der Kunden. Unter diesen Umständen war an neue Anschaffungen nicht zu denken.

Und Unternehmer, die auf der Grundlage ihres Effektenbesitzes Kredite zur weiteren Expansion ihrer Unternehmen aufgenommen hatten, verwandelten sich durch den Crash über Nacht in zweifelhafte Schuldner, denen die Bank die Kredite kündigt. Einmal in Gang gekommen, drehte sich der Teufelskreislauf zwischen Konsumzurückhaltung, Investitionsstopp, Produktionseinschränkung, Lohnverlusten, Stimmungsverschlechterung und erneuter Konsumeinschränkung immer schneller. Ehe man sich versah, war man in einer Depression epidemischen Ausmaßes.




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