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Der Tanz ums Goldene Kalb (2)

30.05.2000  |  Frank Müchler
Vom Tulpenwahn, dem Mississippi-Projekt und dem Südsee-Schwindel

Man schrieb das Jahr 1711. England und Frankreich standen seit Jahren in einem Krieg gegeneinander, der beide Länder an den Rand des Ruins brachte. So verbreiteten sich in Frankreich auf dem Lande Bauernunruhen, und in den Städten kam es aufgrund von Teuerungen zu Revolten, weil die Steuern mit der Schuldenspirale durch den Krieg immer weiter anstiegen. Auch in England ging es immer schlechter; während die Bevölkerung immer weiter verarmte und der Handel stetig sank, stiegen die Steuern unaufhörlich. Nur John Churchill, der Herzog von Marlborough, und seine venezianisch-holländischen Kreise verdienten kräftig am Krieg. Sie waren es auch gewesen, die die damals herrschende Königin Anne 1702 in den Krieg hineinmanipuliert hatten.

Diese Königin war vielleicht die tragischste Figur in diesem Spiel, denn sie stand im Zentrum der heftigsten Auseinandersetzungen zwischen den venezianisch-holländischen Finanzinteressen in England und ihren politischen Lakaien, wie z.B. John Churchill, und auf der anderen Seite den republikanisch gesinnten Kreisen um Jonathan Swift und Leibniz. Mit dem Herzen war sie eindeutig auf der republikanischen Seite, aber leider war sie unfähig, sich gegen die bösartigen Intrigen der Churchills politisch durchzusetzen und gab deren politischem und persönlichen Druck gerade auch in entscheidenden Situationen sehr zum Verhängnis des Landes nach.

Swift und Leibniz war bewußt, daß England und Frankreich große Territorien in Nordamerika kontrollierten, die für den Aufbau einer Republik dort von entscheidender Bedeutung waren. Sollten beide Monarchien unter die feste Kontrolle der venezianischen Finanzdiktatur geraten, würde dieses Potential wirtschaftlich und politisch vernichtet. Ziel der Strategie von Swift und Leibniz war es also, die Fraktion der Commonwealth-Partei in England zu stärken und in Frankreich die Tradition von Ludwig XI. und Mazarin, Richelieu und Colbert wiederzubeleben.

In jenem Jahr 1711, mitten im englisch-französischen Krieg, entlarvte der irische Freiheitskämpfer und bekannte Satiriker Jonathan Swift in seinem strategischen Papier The Conduct of the Allies (Die Absichten der Alliierten) das venezianische Vorhaben, die beiden Monarchien so lange in einen Krieg gegeneinander zu verstricken, bis beide Länder so weit zerstört waren, daß einer feindlichen Übernahme durch die venezianisch-holländische Finanzoligarchie nichts mehr im Wege stünde. Diese Schrift war eine schwere Attacke gegen die Netzwerke des unter venezianischem Einfluß stehenden Herzog von Marlborough (einem direkten Vorfahren Winston Churchills), der hartnäckig versuchte, Königin Anne zu einer Weiterführung des kostspieligen, aufreibenden und sinnlosen Krieges mit Frankreich zu bewegen. Indem Swift die perfide Strategie Venedigs aufdeckte und damit aufzeigte, daß es Churchill gar nicht darum ging, den Krieg zu gewinnen, sondern diesen nur in Gang zu halten und damit auch England völlig zu ruinieren, kämpfte er der Königin den Rücken frei und stärkte die Commonwealth-Fraktion.

Der Herzog von Marlborough erlitt dadurch eine schwere innenpolitische Niederlage und wurde zumindest für einige Zeit politisch isoliert. Denn Jonathan Swift besaß damals - sehr zum Ärger der sich gerade nach dem venezianischen Modell entwickelnden britischen Finanzoligarchie, die die Landaristokratie verdrängte - sehr großen Einfluß und fand viel Gehör. Alleine diese Schrift The Conduct of the Allies wurde in nur zwei Tagen tausendmal verkauft und erlebte in zehn Tagen bereits drei Auflagen. Die Kriegsgegner und auch die Königin wurden dadurch so weit gestärkt, daß 1713 im Frieden von Utrecht den Feindseligkeiten ein Ende gesetzt wurde.

Leider war Königin Anne sozusagen der Bill Clinton der damaligen Zeit: Sie war ein Mensch mit guten Absichten, gab aber aus Feigheit dem Druck der Finanzinteressen und ihrer schlechten Berater wider besseres Wissen nach. Als sie 1714 starb, hatte sie es nicht geschafft, der Commonwealth-Fraktion zum Durchbruch zu verhelfen. Erschwerend kam noch hinzu, daß die Kurfürstin Sophie von Hannover, die zum Netzwerk von Leibniz und Swift, also zur "amerikanischen" Commonwealth-Fraktion gehörte und 1701 vom englischen Parlament zur Thronerbin erklärt worden war, im gleichen Jahr verstarb. Ihr Sohn Georg bestieg als George I. den britischen Thron. Diesen mußte Churchill gar nicht erst manipulieren, er war längst dem Einfluß seiner Mutter entglitten und stand auf der falschen, der venezianischen Seite.

Auch in Frankreich entwickelte sich die politische Situation zum Schlechteren. Nach dem Tode Ludwigs XIV., der ohnehin eine "Heimsuchung" Frankreichs gewesen war, kam - nach einer ganz im Interesse Venedigs liegenden rätselhaften Mordserie unter den möglichen Thronerben - der völlig dekadente Herzog von Orleans an die Macht, weil der einzige überlebende Thronfolger noch zu jung war, um den Thron zu besteigen.

Mit dieser neuen politischen Kombination - Georg I. in England und dem Herzog von Orleans in Frankreich - versuchte die Finanzoligarchie jetzt noch einmal, was ihr durch den Krieg nicht gelungen war, nämlich die Commonwealth-Fraktion in England und die Tradition Ludwigs XI. in Frankreich zu zerstören. Um jeglichen Widerstand gegen eine venezianisch-holländische Finanzdiktatur zu beseitigen, erzeugte sie zwei völlig irrsinnige Spekulationsorgien: das Mississippi-Projekt in Frankreich und den Südseeschwindel in England. Dabei setzte sie zwei ihrer schlimmsten Agenten ein, John Law in Frankreich und John Blunt in England.

Das wäre nicht möglich gewesen, wenn nicht in beiden Ländern eine völlig dekadente Elite an der Macht gewesen wäre - während die Bevölkerung, statt die für sie verheerende Politik der Finanzoligarchie zu bekämpfen, lieber bis zum Umfallen mit ums Goldene Kalb tanzte. Als die Menschen aus ihrem Rausch erwachten, war es zu spät, und wieder waren es hauptsächlich die "kleinen Leute", die im Irrglauben an das "schnelle Geld" alles verloren hatten.

Aber sie hatten in beiden Ländern nicht nur ihr Geld verspielt, sondern auch die Chance auf politische Freiheit und langfristige wirtschaftliche Entwicklung, denn das "Amerikaprojekt", der Aufbau des ersten souveränen Nationalstaates, der die direkte Beteiligung des einzelnen an der Regierung ermöglichen und der Willkürherrschaft der Blaublüter ein Ende bereiten sollte, verzögerte sich durch diese politische Machenschaften erheblich - bis 1776.


John Law

John Law war allen Legenden zum Trotz nichts weiter als ein Zocker, der seiner Leidenschaft durch einige monetaristische Abhandlungen ein wissenschaftliches Ansehen verleihen wollte. Die Arbeit im Kontor seines Vaters, eines Goldschmieds und Bankiers in Edinburgh, wurde ihm schnell lästig, so daß er sie nach dessen Tod 1688 sofort aufgab und fortan von seinem Erbe lebte. Er war damals gerade 17 Jahre alt. Die Ausbildung für seinen späteren "Beruf" als Bankier und Finanzberater der französischen Regierung verschaffte er sich in den Spielhöllen Europas.

Seine Karriere begann er in London, wo er nach neun Jahren zum hoffnungslosen Spieler geworden war, der fast sein gesamtes, nicht unbeträchtliches Erbe durchgebracht hatte. Als er dann noch wegen einer Liebesaffäre einen Widersacher im Duell erschoß, wurde er unter Mordanklage gestellt und zum Tode verurteilt. Unter nie geklärten Umständen gelang ihm die Flucht aus der Haft, und er setzte sich aufs europäische Festland ab.

Er war mittlerweile 26 Jahre alt und hielt sich einige Zeit in Amsterdam auf. Tagsüber studierte er das Finanzsystem der holländischen Oligarchie, die Nächte verbrachte er in den Spielhöllen, um das Erlernte in die Praxis umzusetzen. 1700 kehrte er für kurze Zeit nach Schottland zurück und versuchte, das Parlament für die Errichtung einer Bodenkreditbank zu begeistern. Dieses vollkommen monetaristische Projekt einer "Landbank" fand glücklicherweise im Parlament keine Mehrheit, und der zeitgenössische Witz machte daraus eine "Sandbank", auf der das Staatsschiff sehr bald stranden werde.

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- John Law, der größte Zocker seiner Zeit -





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