Der Tanz ums Goldene Kalb (2)
30.05.2000 | Frank Müchler
- Seite 2 -
Auf diesen Fehlschlag folgte ein weiterer: Seine Bemühungen um Begnadigung in der Duellaffäre scheiterten. Zwangsläufig wechselte er wieder auf den Kontinent über und ging der einzigen Tätigkeit nach, die er beherrschte: Er spielte. 14 Jahre lang streifte er durch Europa und war in jeder namhaften Spielhölle bekannt.Offenbar bewegte er sich dabei oft hart am Rande der Legalität, denn mehrere Male wurde er aus den Städten, in denen er spielte, ausgewiesen. So auch in Paris, aber dieser Ausweisungsbefehl wurde nicht vollstreckt, weil Law zuvor in den Pariser Salons die Bekanntschaft einflußreicher Politiker gemacht hatte, darunter auch die mit dem Herzog Philipp von Orleans, die sich für Frankreich als verhängnisvoll erweisen sollte. Als nämlich Ludwig XIV. 1715 starb und der Thronerbe ein Kind von erst sieben Jahren war, wurde der Herzog von Orleans Regent.
Er übernahm einen Staat, dessen Finanzen durch Krieg und Korruption so zerrüttet waren, daß der sofort einberufene Staatsrat angesichts von drei Milliarden Livres Schulden mit dem Gedanken spielte, den Staatsbankrott zu erklären. Weil dann aber die Banken und anderen Finanzinstitute leer ausgegangen wären, verwarf man diese Idee als unredlich und ruinös. Auch die anderen Vorschläge zur Verbesserung der finanziellen Lage des Staates endeten im totalen Fiasko. Durch Umprägung z.B. wurde die Währung um ein Fünftel abgewertet, was aber alle Handelsvereinbarungen mit dem Ausland durcheinanderbrachte. Als nächste Verzweiflungstat wurde ein Staatsgerichtshof eingerichtet, der sich mit den Folgen der Korruption von Kreditvermittlern und Steuerpächtern beschäftigen sollte. Auf diese Weise kamen zwar 180 Mio. Livres zusammen, davon wurden aber nur 80 Mio. für den Schuldendienst verwendet, 100 Mio. versickerten in den Taschen der Höflinge.
Niemand kam in dieser Situation auf die Idee, die industrielle und landwirtschaftliche Produktion im Lande anzukurbeln und durch Infrastrukturprojekte Rahmenbedingungen für einen anhaltenden Wirtschaftsaufschwung zu schaffen. Das ganze Denken bewegte sich in monetaristischen Bahnen, und die Hauptanstrengung beschränkte sich auf die Bezahlung der Schulden um jeden Preis, ohne Rücksicht auf den Zustand der Volkswirtschaft und die Lebensbedingungen der Bevölkerung. Wer denkt da nicht an die regelmäßigen Treffen der Finanzminister der G-7-Staaten heute mit ihren fatalen Beschlüssen, die genau in die gleiche Richtung gehen?
Günstling des Hofes
In dieser chaotischen Situation betrat jetzt John Law die Szene und unterbreitete die Pläne, mit denen er früher in Schottland und in Italien gescheitert war. Er hatte nämlich auch noch 1708 versucht, sein Projekt einer Landbank dem Herzog Viktor Amadeus von Savoyen zu verkaufen, aber der hatte dankend mit der Bemerkung abgewinkt, er sei ein zu armer Potentat, um sich ruinieren zu lassen.
Beim Herzog von Orleans hingegen stieß er auf offene Ohren. Das lag schon daran, daß dieser seine Regierungspflichten verabscheute, weil er nicht einsah, warum er seine Bequemlichkeit und seine Vergnügungen den mühevollen Staatsgeschäften opfern sollte. Dankbar ergriff er deshalb die Vorschläge Laws, dessen einzige Qualifikation es war, daß er von den 45 Jahren seines Lebens 23 in Spielhöllen verbracht hatte. John Law schlug vor, zur Wiederherstellung des Vertrauens in die Finanzen eine Bank zu gründen, welche die Verwaltung der königlichen Einnahmen übernehmen und Banknoten herausgeben sollte, die einerseits durch die Steuereinnahmen und andererseits durch Grund und Boden gedeckt wären.
Gleichzeitig wurde eine Public-Relations-Kampagne in Gang gesetzt. Die Höflinge priesen ihn bei jeder Gelegenheit, und bald wurden große Dinge von ihm erwartet. Law selbst übersetzte seinen alten Essay über Geld und Handel (Produktion spielte natürlich keine Rolle) und versuchte sich so als seriöser Finanzfachmann zu verkaufen, was bei dem niedrigen geistigen Niveau am Hofe und beim Adel nicht sonderlich schwer war. Er war ein ebenso windiger Lebemann wie sie, und das genügte als Reputation.
Am 5. Mai 1716 erging ein königliches Edikt, das John Law zusammen mit seinem Bruder zur Gründung der Banque Generale bevollmächtigte, deren Banknoten auch zur Bezahlung von Steuern zugelassen wurden. Das Kapital der Bank betrug 6 Mio. Livres, aufgeteilt in 1200 Aktien zu 5000, die zu einem Viertel mit Hartgeld und zu drei Vierteln mit den billets d'etat (Staatspapieren, die die Regierung zur Absicherung der von Ludwig XIV. hinterlassenen Staatsschulden ausgab) erworben werden konnten. Die von seiner Bank ausgegebenen Noten waren zahlbar bei Sicht und gegen Hartgeld mit einem festgesetzten Silbergehalt konvertierbar.
Law erklärte öffentlich, daß jeder Bankier den Tod verdiene, wenn er Emissionen ohne ausreichende Deckung betreibe. Das war schon ganz schön dreist, bestand doch die Deckung seiner Banknoten zu drei Vierteln aus Staatsscheinen einer zahlungsunfähigen Regierung, die das Papier nicht wert waren, auf dem sie gedruckt waren. Zudem hatten sie nach einem Jahr offiziell nur noch 78,5% ihres Nominalwertes. Trotz alledem stieg der Wert der Bankaktien im gleichen Zeitraum um 15%.
Das Mississippi-Projekt
Dieser "Erfolg" ließ John Law jetzt das große Vorhaben in Angriff nehmen, mit dem sein Name bis heute verbunden ist: das Mississippi-Projekt. Er schlug dem Regenten die Gründung einer Aktiengesellschaft vor, die das ausschließliche Handelsmonopol am Mississippi und in Louisiana haben sollte, wo man große Edelmetallvorkommen vermutete.
Am 28. August 1717 wurde die Compagnie d'Occident gegründet, auch Mississippi-Kompanie genannt, mit der John Law die zu erwartenden Reichtümer Amerikas zu Geld machen wollte. Das zeigt das Perfide an dieser venezianischen Operation, daß sie nicht nur die Ökonomien Englands und Frankreichs zerstören wollte, sondern zugleich auch noch Nordamerika ausplündern wollte, um so den Aufbau einer freien Republik dort zu unterbinden. Aufgrund einer Konzession für die wirtschaftliche Ausbeutung Louisianas setzte Law das Kapital der Gesellschaft auf 100 Mio. Livres fest und gab 200000 Aktien zu dem niedrigen Nennwert von 500 Livres aus, um weite Teile der Bevölkerung in die Spekulation mit hineinziehen zu können.
Und tatsächlich wurde die Nation vom Spekulationsfieber ergriffen, obwohl die ganze Operation nur auf Versprechungen und Vermutungen gegründet war, denn wie es wirklich am Mississippi und in Louisiana aussah, wußte niemand so genau. Weil die Aktien nur gegen die Noten seiner Bank zu kaufen waren, stützte die Spekulation den Wert des Papiergeldes, so daß John Laws Finanzgebäude, das zwar auf Sand gebaut war, für den Augenblick Bestand zu haben schien.
Durch den großen "Erfolg" der ersten Spekulationswelle angespornt, kannten John Law und der Regent bald keine Grenzen mehr. Zuerst wandelte der Regent Laws Bank zur Königlichen Bank um. Als so aus der privaten eine staatliche Institution wurde, ließ der Regent Banknoten im Wert von einer Milliarde Livres drucken, die völlig ungedeckt waren. Das ist nur mit Vorgängen unserer Tage zu vergleichen: Heute wird Geld gedruckt, um die bereits existierende Spekulationsblase am Leben zu erhalten, damals druckte man das Geld, als die Blase erst im Entstehen war.
Aber der Wahnsinn ging noch weiter. Im Mai 1719 vereinigte Law die existierenden Kolonialgesellschaften Frankreichs in einer Art Megafusion zur Compagnie Perpetuelle des Indes. Diese Gesellschaft hatte jetzt das Handelsmonopol für Ostindien, China, Teile der Südsee und alle Besitzungen der von Colbert gegründeten Compagnie des Indes Orientales. Mit dem Hinweis auf diese "Wertsteigerung" wurden zunächst weitere 50000 neue Aktien ausgegeben. Sie waren sechsfach überzeichnet, und deshalb führte Law in kurzen Abständen noch weitere Emissionen durch, so daß insgesamt über 600000 Aktien im Wert von 300 Mio. Livres ausgegeben wurden.
Von der Aussicht auf schnellen Gewinn verblendet, rissen sich die Spekulanten die Papiere aus den Händen, und der Kurs einer 500er-Aktie stieg schließlich bis auf 18000. Da Paris keine offizielle Börse besaß, verwandelte sich die Rue Quincampoix, in der viele Bankiers, auch John Law, ihre Geschäfte hatten, in einen Tummelplatz der Spekulanten.
- Wie sich die Bilder ähneln: Spekulanten drängen sich in der Rue Quincampoix in Paris 1720,
um John Law Papiere aus der Hand zu reißen, die ihnen unendliche Reichtümer in Louisiana versprachen -
Mit jeder neuen Emission verwandelte sich Paris mehr in ein Tollhaus. Weil sein Haus Tag und Nacht belagert war, zog John Law an die Place Vendome um, doch auch dorthin folgte ihm die Meute der Spekulanten. Als die Situation dort, die immer mehr einem Jahrmarkt glich, unkontrollierbar wurde, führte Law Verhandlungen mit dem Prinzen von Carignan, der Besitzer des Hotel de Soissons war, eines herrschaftlichen Gebäudes mit einer mehrere Morgen großen Parkanlage. Law kaufte das Hotel, und der Prinz behielt den Garten als lukrative Einnahmequelle: Denn sobald Law das Gebäude bezogen hatte, erging ein Edikt, daß Aktien nur noch in den Gärten des Hotels de Soissons gehandelt werden dürften. Dort wurden 500 Zelte errichtet, in denen fortan die Spekulationsgeschäfte abgewickelt wurden. So verdiente sich Carignan noch eine goldene Nase an der Verblendung seiner Zeitgenossen, denn jedes Zelt brachte 500 Livres Pacht im Monat, was bei 500 Zelten monatliche Einnahmen von 250000 Livres bedeutete. Das dürfte aber auch die einzige Art von "Wirtschaftsaufschwung" gewesen sein, den diese Spekulationsorgie hervorbrachte.