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Der Tanz ums Goldene Kalb (2)

30.05.2000  |  Frank Müchler
- Seite 4 -
Der Südsee-Schwindel

Die Gründung der Südsee-Gesellschaft in England 1711 diente in erster Linie dazu, den Geldbedarf der Regierung zu decken, der durch den Krieg mit Frankreich enorm war, denn die Bevölkerung hatte sich den Schuldverschreibungen der Regierung gegenüber abweisend verhalten.

Jetzt sollten die koloniale Expansion und die angeblich mit ihr zu erwartenden unermeßlichen Reichtümer das Volk zum Aktienkauf verführen. Denn wer hatte nicht von den außergewöhnlich ertragreichen Gold- und Silberminen in Peru und Mexiko gehört? Anfangs dümpelte die Gesellschaft noch vor sich hin, weil der Friede von Utrecht 1713 nicht die erwartete Öffnung von spanischen Häfen in Südamerika gebracht hatte. Doch als die Gesellschaft 1720 anbot, fast 32 Mio. Pfund Staatsschulden gegen die Erlaubnis zu übernehmen, ihr Kapital unbegrenzt und zu jedem Kurs zu erhöhen, weil sie jetzt angeblich freie Fahrt nach Südamerika durch Verhandlungserfolge erreicht hatte, fiel das leichtgläubige Volk in Scharen über die Aktien der Südsee-Gesellschaft her. Daß sie eigentlich für dumm verkauft wurden und nur dazu ausgenutzt wurden, die Staatsschulden zu bezahlen, merkten sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Es war gerade die Zeit, als das Lawsche System in Frankreich auf dem Höhepunkt seiner Popularität angelangt war und die Menschen in rasender Begierde, sich zu ruinieren, zu Tausenden in die Gärten des Hotel de Soissons drängten - kurz vor dem Zusammenbruch des Wertes des Papiergeldes und der Mississippi-Gesellschaft.

Während der Beratungen im Parlament über den Vorschlag der Südsee-Gesellschaft, die Staatsschulden zu übernehmen, warnte nur der Abgeordnete Walpole vor diesen Finanzpraktiken. Sie würden die gefährliche Praxis der Spekulation fördern und den Geist der Nation von Handel und Industrie ablenken. Hier werde ein gefährlicher Köder ausgelegt, um die Unvorsichtigen in den Ruin zu locken; man wolle sie die Erträge ihrer Arbeit vergessen lassen um der Aussicht auf einen imaginären Reichtum willen. Das Hauptprinzip des Plans sei ein Übel ersten Ranges: Man treibe die Aktienkurse dadurch künstlich nach oben, daß man eine allgemeine Verblendung erzeuge und aufrechterhalte, indem man Dividenden aus Kapitalien verspreche, die gänzlich irreal seien.

Und genau das machte das Direktorium der Südsee-Gesellschaft und besonders ihr Vorsitzender Sir John Blunt. Sie setzten die wildesten Gerüchte in die Welt, z.B. daß es bald Verträge zwischen England und Spanien geben würde, auf deren Grundlage der Freihandel mit allen spanischen Kolonien garantiert wäre. Noch während der Debatte im Parlament stieg der Kurs der Aktie von 130 auf 300 Pfund.

Auch im Oberhaus wurde die Vorlage durchgepeitscht, das Spekulationsfieber hatte die Lords genauso gepackt wie das einfache Volk. Aber auch hier gab es warnende Stimmen wie beispielsweise die von Lord North and Grey, der die Vorlage von ihrem Wesen her ungerecht fand, weil sie darauf hinauslaufe, einige wenige zu bereichern und die Masse der Bevölkerung zu verarmen. Am 7. April 1720 erhielt die Vorlage die königliche Genehmigung und damit Gesetzeskraft.


Gerüchte und Verblendung

Als entgegen allen Erwartungen die Südseeaktien nach der königlichen Genehmigung fielen, wurde die Gerüchteküche erneut bemüht; man erzählte die unglaublichsten Lügen über mögliche Profite durch neue politische Verträge mit Spanien. Endlich zog der Kurs wieder an, und am 12. April emittierten die Direktoren eine Million neue Aktien zum Eröffnungskurs von 300 Pfund je 100-Pfund-Aktie. Die Kurse stiegen weiter, und um sie noch mehr in die Höhe zu treiben, beschloß das Direktorium, die Mittsommerdividende auf 10% festzulegen. In den Genuß dieser Dividende sollten auch die Neuzeichner der gerade aufgelegten Aktien kommen. Offenbar war jedes Mittel recht, um die Verblendung der geldgierigen Menschen noch weiter zu steigern. Die nächste Emission wurde schon zum Kurs von 400 pro 100-Pfund-Aktie aufgelegt, und in wenigen Stunden waren anderthalb Millionen Aktien gezeichnet.

Die Hysterie um die Aktien der Südsee-Gesellschaft führte dazu, daß plötzlich überall Aktiengesellschaften aus dem Boden schossen, die einzig zu dem Zweck gegründet wurden, das Geld der Bevölkerung abzuschöpfen, das für sie buchstäblich auf der Straße zu liegen schien. Es ist wirklich kaum zu glauben, worauf das Publikum bei diesem Spektakel hereinfiel. Eine Gesellschaft soll Leichtgläubige sogar mit der Ankündigung gelockt haben, sie werde den Gegenstand ihrer Geschäftstätigkeit erst später bekanntgeben. Eine andere versprach die Versorgung Londons mit Kohlen aus dem Meer, eine weitere den Handel mit Haar; es gab auch eine Gesellschaft für die Ausrichtung von Begräbnissen in allen Teilen Großbritanniens und natürlich auch eine zur Herstellung des Perpetuum Mobile. Was noch fehlte, waren Gesellschaften für den Export von Eseln nach Spanien und von Eulen nach Athen.

Im Volksmund hießen diese Neugründungen "bubbles", und in der Tat zerplatzten diese Seifenblasen meistens schon nach ein oder zwei Wochen, wenn sie nicht schon vorher verboten wurden. Aber es ist schon bezeichnend für die Verblendung der Bevölkerung, daß selbst die "Gesellschaft zur Durchführung eines überaus nützlichen Unternehmens, das aber noch niemand kennt" in sechs Stunden eintausend Aktien zeichnen konnte. Der Mann nahm zwei Pfund Anzahlung je 100-Pfund-Aktie und machte sich mit den 2000 Pfund aus dem Staub.

Am 29. April 1720 erreichte der Kurs der Aktie der Südsee-Gesellschaft die 500er-Marke, und fast zwei Drittel der Staatsrentner hatten die Sicherheiten des Staates gegen diese Aktien eingetauscht. Ende Mai lag der Kurs dann bei 890. Genau wie bei der Mississippi-Gesellschaft gab es bei der Südsee-Gesellschaft keinerlei Aktivitäten außer Aktienemissionen, weil es eben keine politischen Vereinbarungen mit Spanien gab, welche die Hoffnung auf unermeßliche Reichtümer rechtfertigen würden.

Als der Kurs nun bei 890 angekommen war, verkauften viele, weil sie meinten, der Bogen sei überspannt und mehr sei einfach nicht drin. Als das Gerücht auftauchte, selbst die Direktoren der Gesellschaft würden ihre Aktien verkaufen, fiel der Kurs auf 400. Trotz der Ausstreuung vieler Gerüchte und anderer unlauterer Anstrengungen, das Vertrauen in die Aktien der Südsee-Gesellschaft wiederherzustellen, sackte der Kurs immer weiter ab - bis auf 135.


Ein einzigartiges Schauspiel

Daß die Gesellschaft ein einziger Schwindel war, war spätestens ab September zumindest einigen Parlamentariern bekannt. In einem Brief des Unterhausabgeordneten Broderick an Lordkanzler Middleton vom 13. September heißt es: "Unterschiedlich sind die Vermutungen, warum die South-Sea-Direktoren es duldeten, daß der Nebel so früh zerriß. Ich habe keine Zweifel, daß sie es um ihres eigenen Vorteils willen taten. Sie haben das Vertrauen der Bevölkerung so weit überstrapaziert, daß das Währungssystem sich außerstande erweist, dies zu ertragen. Sie haben bedenkenlos Neuemissionen aufgelegt und sich dabei auf die Verluste der Verblendeten gestützt, deren Vernunft durch Geldgier und die Hoffnung, man könne aus Maulwurfshügeln Berge machen, ausgeschaltet wurde. Tausende von Familien werden an den Bettelstab kommen. Die Bestürzung ist unbeschreiblich, der Zorn riesengroß und die Lage so verzweifelt, daß ich keine Möglichkeit sehe, das Unglück abzuwenden. Ich habe keine Ahnung, was als nächstes zu tun wäre."

Charles Mackay schrieb über diese Zeit: "Während des Südseeschwindels bot England ein einzigartiges Schauspiel. Im öffentlichen Bewußtsein vollzog sich ein Prozeß ungesunder Gärung. Die Menschen waren nicht mehr zufrieden mit den langsamen, aber sicheren Erträgen bedachtsamen Fleißes. Die Hoffnung auf grenzenlosen Reichtum in unmittelbarer Zukunft machte sie achtlos und überheblich gegenüber dem Heute. Eine bis dahin unbekannte Prunksucht machte sich breit, verbunden mit auffallender moralischer Indifferenz."

In der Parlamentary History of England wurde folgendes festgehalten: "So konnte man binnen acht Monaten Aufstieg, Fortschritt und Niedergang dieses mächtigen Gebildes beobachten, das geheimnisvolle Kräfte zu einer wundervollen Höhe getrieben hatten, so daß die Augen und Erwartungen ganz Europas auf ihm ruhten, dessen Fundamente aber Betrug, Illusion, Leichtgläubigkeit und Verblendung hießen, so daß es zusammenfiel, als die hinterhältigen Transaktionen seines Direktoriums ans Licht kamen."

Wegen der beunruhigenden Situation kehrte König Georg im November früher als geplant von seinem Aufenthalt in Hannover zurück und berief das Parlament ein. Interessant ist, daß es bei den vielen öffentlichen Versammlungen in allen größeren Städten Englands, auf denen die Verfolgung und Bestrafung der Direktoren der Südsee-Gesellschaft lautstark gefordert wurde, keinen Platz für Selbstbesinnung und Selbstkritik der Betroffenen gab. Schließlich war es ihre Geldgier und die daraus resultierende Verblendung, die es den Betrügern so einfach gemacht hatte. Jetzt stellten sie sich selber als einfache, ehrlich und hart arbeitende Menschen dar, die von einer Räuberbande ausgeplündert worden waren. Daß sie selber aktiver Teilhaber an dieser Zockerei gewesen waren, das wollten sie nicht wahrhaben.

Einige der Direktoren flohen, andere wurden verurteilt, mit ihrem gesamten Vermögen zu haften. Es dauerte lange, bis das Vertrauen in den Finanzmarkt und die Wirtschaft wiederhergestellt war. Für beide Nationen, Frankreich wie England, bedeuteten diese Spekulationsorgien einen schweren Rückschlag, zumal sie durch den langen Krieg gegeneinander ohnehin schon stark geschwächt waren.

Wie werden die Verblendeten von heute reagieren, wenn der Aktienmarkt der "neuen Technologien", der genauso auf Sand gebaut ist und der auf dem jetzt schon bankrotten Modell der Informationsgesellschaft basiert, ins Bodenlose fällt?

Wer nicht gewillt ist, aus der Geschichte zu lernen, ist gezwungen, sie zu wiederholen. Da nützt kein Schreien und Wehklagen, da hilft nur eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der politischen Situation und der menschlichen Geschichte, wie Friedrich Schiller sie in seinem Vortrag über "Universalgeschichte" dargestellt hat. Wer die heutige Spekulationsorgie beenden will, sollte so schnell wie möglich dem Ad-hoc-Komitee für ein Neues Bretton-Woods beitreten und für das Wirtschaftsaufbauprogramm der BüSo kämpfen.



© Frank Müchler

Quelle: Zeitschrift "Neue Solidarität", Ausgabe 20/2000



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