Der Tanz ums Goldene Kalb (2)
30.05.2000 | Frank Müchler
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Privatisierung der StaatsfinanzenDer nächste Schritt, den Law und der Regent vollzogen, ist geradezu unglaublich: die Privatisierung der Staatsfinanzen. Auf die heutige Situation übertragen würde das bedeuten, daß unser Finanzminister das Recht, Steuern einzutreiben, sowie die Leitung der Bundesbank und den Außenhandel an z.B. die Deutsche Bank verkaufen würde. Diese Bank würde dann über eine riesige Geldmenge verfügen und mit den Staatsfinanzen herumspekulieren, wie das heute in den USA schon mit den Rentenfonds der Fall ist. Und genau das geschah damals. John Laws Riesenunternehmen erwarb die Pacht der indirekten Steuern, die Verwaltung sämtlicher direkter Steuern und die Vertretung der Kolonialinteressen. Damit waren die gesamten Staatsfinanzen in ein einziges Unternehmen eingebracht. 1720 fusionierte dann noch die Königliche Bank mit der Indienkompanie. Dieses Riesenunternehmen war in der Lage, die Staatsschulden, die sich auf 2,25 Mrd. Livres beliefen, zu übernehmen und mit der Konvertierung gegen Aktien zu beginnen.
Die "kleinen Leute", die sich wie wild auf diese billigen Aktien stürzten, begrifffen erst gar nicht, was sie da taten: Sie bezahlten letztendlich die Staatsschulden. Aber nicht jeder sah dieses "Lawsche System" als Erfolgsmodell. Im Parlament regte sich enormer Widerstand, weil mit jedem Kursanstieg der Aktien dieses Megaunternehmens auch mehr Banknoten gedruckt wurden. Und durch Produktion und Steuereinnahmen war diese wundersame Vermehrung der Geldmenge auch nicht abgedeckt, weil sich der "Wirtschaftsboom" nur auf die Befriedigung der Luxuswünsche der Reichen und Neureichen gründete und auch hauptsächlich auf Paris beschränkt war, das wie ein Magnet die Spekulationssüchtigen aus dem ganzen Lande anzog.
Als sich nun der Widerstand des Parlaments in der Verabschiedung von Dekreten gegen das Lawsche System manifestierte, eilte Law in den königlichen Palast und forderte vom Regenten, das Parlament zum Gehorsam zu zwingen. Als gutes Zureden nicht fruchtete, "disziplinierte" der Regent das Parlament, indem er kurzerhand den Parlamentspräsidenten und mehrere Räte verhaften und in entlegene Gefängnisse verschleppen ließ.
Aber das konnte den Niedergang auch nicht mehr aufhalten. Zuerst regten sich die Insider. Den reichen Berufsspekulanten und Geldmaklern war seit längerem klar, daß die Kurse nicht unendlich steigen konnten. Das durfte man natürlich nicht laut sagen, weil sonst auch die "kleinen Leute" aufgehört hätten, Geld in dieses System zu stecken. Nach außen hin verbreitete man Euphorie, heimlich tauschte man Banknoten gegen Hartgeld um und schaffte es zusammen mit Gold- und Silbergeschirr und Juwelen nach England und Holland.
Jetzt wurde das Hartgeld knapp, und Law reagierte panisch. Erst wurde es abgewertet, dann wurde die Auszahlung in Hartgeld stark eingeschränkt, und als das alles nichts half, weil die Transferierung der wertvollen Metalle ins Ausland dadurch nicht aufgehalten werden konnte, drehte Law durch und verbot das Hartgeld ganz, um damit den Kredit des Papiergeldes wiederherzustellen. Der Ankauf von Tafelsilber, Schmuck und Edelsteinen wurde auch verboten.
Der Absturz
Mit diesen Verzweiflungstaten schürten Law und der Regent die Ängste der Spekulanten erst richtig an und wurden in kürzester Zeit zu den meistgehaßten Männern im Lande. Langsam dämmerte es auch den Dümmsten, daß das System nicht funktionierte. Niemand wollte mehr Papiergeld nehmen, andererseits war der Besitz von Hartgeld über 500 Livres verboten. Man muß sich nur wundern, daß damals keine Revolution ausbrach.
Charles Pinot Duclos schrieb über diese Zeit in seinen Geheimen Memoiren: "Niemals gab es eine so unberechenbare Regierung; niemals lag soviel wahnwitzige Tyrannei in so schwachen Händen. Niemand, der die Schrecknisse dieser Zeit als Augenzeuge erlebte und später auf sie zurückblickte wie auf einen bösen Traum, kann verstehen, warum keine spontane Revolution ausbrach und beide, Law wie den Regenten, verschlang. Beide lösten nur noch Schrecken aus - aber die Franzosen begnügten sich mit Lamentieren. Sie zeigten lediglich eine düstere, ängstliche Verzweiflung, eine törichte Bestürzung und waren letztlich zu feige für ein mutiges Verbrechen."
Trotz alledem versuchte man den schönen Schein zu wahren. Obwohl ausgesandte Pioniere mit leeren Händen vom Mississippi und aus Louisiana zurückkehrten, was zum rapiden Fall der Aktien der Mississippi-Gesellschaft führte, veranstaltete man unter der ärmeren Bevölkerung in Paris eine Zwangsrekrutierung wie in Kriegszeiten und ließ über 6000 dieser armen Menschen tagelang mit Schippe und Hacke durch die Hauptstadt ziehen. Es wurde dann das Gerücht verbreitet, sie sollten nach Amerika verschifft werden, um dort in den angeblich so reichhaltigen Goldminen zu arbeiten.
Aber das half auch nichts mehr, es verlängerte nur den Untergangsprozeß. Man darf die Bekämpfung des Unheils eben nicht dessen Urhebern überlassen. Jetzt durften Zahlungen nur noch in Papiergeld vorgenommen werden; Anfang 1720 wurden noch einmal 1,5 Mrd. Livres in Banknoten gedruckt, doch nichts konnte das verschwundene Vertrauen in das Papiergeld wiederherstellen. Der Präsident des Parlaments Lambert drückte die allgemeine Stimmung aus, als er dem Regenten ins Gesicht sagte, er besitze lieber 100000 Livres in Gold und Silber als fünf Millionen in Banknoten der Königlichen Bank.
Die Volksseele begann zu kochen, das Parlament verweigerte die Umsetzung der Edikte, und als so politisch nichts mehr möglich war, entließ der Regent Law Ende Mai, dem er gleichzeitig alle Schuld an dem Desaster zuwies. Dann schloß er vorübergehend die Königliche Bank, und demonstrativ wurden große Mengen alter Banknoten vor dem Rathaus verbrannt.
Am 10. Juni 1720 wurde die Bank wiedereröffnet, damit das Papiergeld gegen Hartgeld umgetauscht werden konnte. Nun begann der Run auf die Bank; säckeweise wurden die Banknoten angeschleppt, aber der Wert war dermaßen abgesackt, daß man für einen ganzen Sack nur noch etwa 50 Livres erhielt. Die Volkswut war nur noch durch das Militär zu bremsen, und als es bei den Unruhen die ersten Toten gab, brachte die aufgebrachte Menge die Leichen vor das Palais Royal, damit der Regent das Unglück sehen konnte, das er und Law über das Land gebracht hatten.
Dem Regenten ging es jetzt aber nur noch um Schadensbegrenzung. Als erstes wollte er die Indienkompanie absichern, weil diese der Nation für eine Riesensumme zu bürgen hatte. Der Staatsrat wollte alles Erforderliche tun, um das Vertrauen in die Aktien dieser Gesellschaft zu stärken, damit sie ihren Verpflichtungen nachkommen konnte. Als er vorschlug, der Kompanie das vollständige Monopol für den Überseehandel zu übertragen und dieses durch ein Edikt festzuschreiben, mobilisierten die Unternehmen, die diesen Handel bisher betrieben und nun in den Ruin gestürzt wurden, das Parlament, das sich dann auch weigerte, dieses Edikt zu registrieren.
Daraufhin eskalierte die Situation bis hin zum Absurden. Der Regent verbannte das gesamte Parlament nach Pontoise. Und wie reagierte die "Volksvertretung"? Mit kämpferischem Geist und Mobilisierung des Widerstandes? Weit gefehlt! Um dem Regenten zu zeigen, wie unbeeindruckt sie von ihrer Verbannung seien, feierten sie mehrere Wochen lang ununterbrochen: Jeden Abend konnten sich die Damen beim Ball ergötzen, während sich die Räte beim Kartenspiel und anderen Vergnügungen die Zeit vertrieben.
Nichts konnte den Zusammenbruch des Riesenunternehmens aufhalten. Nur diejenigen, welche rechtzeitig verkauft hatten, waren reich geblieben. Die meisten allerdings verloren alles, was sie besaßen und hatten dazu noch beträchtliche Schulden gemacht. Die Staatsschulden wurden durch die Spekulationsorgie um 900 Mio. Livres verringert, natürlich zu Lasten der unglücklichen Verlierer, der breiten Masse der Bevölkerung, die man mit der Aussicht auf schnellen Spekulationsgewinn geködert hatte. Die Indienkompanie wurde saniert, was mehrere Jahre dauerte, allerdings wurden ihr die Verwaltung der Münze, die Steuereintreibung und andere Privilegien wieder abgenommen.
Unter den zahlreichen Karikaturen, die damals erschienen und die zeigten, daß das Land langsam aus dem Wahn erwachte, befand sich eine in den Memoires de la Regence von Piossens:
"Die ,Göttin der Aktien' fährt in ihrem Triumphwagen, den die Göttin der Torheit lenkt. Gezogen wird der Wagen von Personifikationen der Mississippi-Gesellschaft, der Südsee-Gesellschaft, der Bank von England, der Westsenegal-Gesellschaft und verschiedener Assekuranzen. Damit der Wagen nicht zu schnell rollt, sind die Agenten dieser Gesellschaften, die man an ihren langsamen Fuchsschwänzen und ihrem gerissenen Augenausdruck erkennt, um die Speichen der Räder gewunden, auf welchen wiederum die Namen verschiedener Aktienfonds verzeichnet sind, zusammen mit ihrem jeweiligen Kurs: hoch, wenn die Speiche oben - niedrig, wenn sie unten steht. Zermalmt unter den Rädern des Wagens liegen Waren, Kladden und Hauptbücher des ehrbaren Handels. Hinter dem Wagen läuft eine riesige Menge von Menschen jeden Alters, Geschlechtes und Standes, die laut nach Fortuna rufen und miteinander um die Aktien kämpfen, die die Göttin so überreichlich auf sie hinabwirft. In den Wolken sitzt ein Dämon und produziert Seifenblasen, die ebenfalls Objekte der Bewunderung und Begierde der Menge sind; einige sind auf den Rücken anderer gesprungen, um eine Seifenblase zu erhaschen, bevor sie platzt. Direkt auf dem Wege, den der Wagen nehmen muß, steht ein hohes Gebäude, das die Durchfahrt behindert. Es hat drei Türen, deren eine der Wagen passieren muß, wenn er seinen Weg fortsetzen will - und mit ihm die Menge. Über der ersten Tür steht: ,Irrenanstalt', über der zweiten ,Krankenhaus' und über der dritten ,Bettlerasyl'."
Eine andere Karikatur zeigte Law in einem großen Kessel sitzend, den die Flammen des Massenwahns am Kochen halten - auch er umgeben von einer gewaltigen Menschenmenge, die dabei ist, ihn mit Gold und Silber zu füllen und zugleich freudig und dankbar Papierschnipsel aufzufangen, die Law ihnen mit vollen Händen zuwirft.
Während Frankreich noch mit den Folgen seiner Spekulationsorgie zu kämpfen hatte, wurde England von einer ähnlichen erfaßt.