In den Abgrund starren (Teil II)
31.01.2012 | John Mauldin
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Meine Herren, wählen Sie Ihr DestasterMal schauen, ob es mir vor dem Hintergrund des oben Beschriebenen gelingt, die Optionen einzugrenzen, die Europa aktuell bleiben. Nehmen wir zuerst den Fall Griechenland, weil er lehrreich ist. Griechenland hat zwei Möglichkeiten. Die Griechen können sich für Desaster A entscheiden: Sie bleiben in der Eurozone, senken die Staatsausgaben und erhöhen die Steuern, damit sie erneut die Auflagen für ein Rettungspaket erfüllen. Sie handeln weitere Schuldenausfälle aus und rutschen weiter in ihrer Zahlungsbilanz.
Sie leiden weiter vor sich hin, während es ihnen an Medizin, Energie und anderen benötigten Gütern mangelt. Sie werden für die Dauer einer ganzen Generation in einer Depression gefangen sein. Die Demonstrationen werden größer und aggressiver, weil die Regierung immer mehr Einschnitte vornehmen muss, um die rückläufigen Einnahmen auszugleichen - denn jeden Monat verlassen auch 2,5% ihres BIP in Euro das Land. Wir hier passiert, ist ein Ansturm auf die griechischen Banken. Jeder griechische Bürger nimmt nach Möglichkeit sein Geld von der Bank.
Die griechischen Wähler werden jene politische Gruppe (ganz gleich welche), die sich für Desaster A entschieden hatte, für die Misere verantwortlich machen und diese schließlich abwählen, während die Opposition einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone fordert. Womit wir natürlich bei Desaster B wären.
Der Austritt aus dem Euro ist ein Alptraum biblischer Proportionen, so wie 7 der 10 Plagen, die Ägypten heimsuchten. Zuerst gibt es einen "banking holiday“, die Banken schließen und alle Konten werden in Drachmen konvertiert, alle staatlichen Zahlungen wie Renten und Löhne werden jetzt in Drachmen ausgezahlt. Was passiert aber mit den privaten Verträgen, die mit nicht-griechischen Unternehmen in Euro abgeschlossen wurden? Das gesamte elektronische Geld wie auch das Bargeld in den Banken zu konvertieren, ist nicht das große Problem. Wie bekommt man aber die Griechen dazu, ihre Euros gegen Drachmen einzutauschen? Immerhin könnten sie einfach über die Grenze fahren und Güter zu günstigeren Preisen kaufen, denn jedem Währungswechsel wird Inflation und/ oder direkte, offizielle Entwertung folgen. Das muss es auch. Das ist ja auch Sinn und Zweck der Sache.
Wie will man nun Sorbas und Deimos dazu bringen, ihr verbleibendes Euro-Bargeld freiwillig auszuhändigen? Man könnte die Grenzen schießen, dann würde aber ein Schwarzmarkt für Euros entstehen, und die Griechen schmuggeln seit Jahrhunderten durch die Berge. Wie schließt man griechische Fischerdörfer? Wie verhindert man, dass es zum Treffen mit dem Cousin aus Italien kommt - im Mittelmeer für einen kleinen Währungstausch? Was passiert mit den nicht-griechischen Unternehmen, die Häuser oder Eigentumswohnung errichteten und verkauften? Werden diese Unternehmen in der sich entwertenden Drachme bezahlt, während sie zu Hause ihre Kosten in Euro begleichen müssen? Ganz zu schweigen von der Frage, wie man an "harte“ Währung kommt, um Medizin, Energie, Nahrung, militärische Ausrüstung , etc. zu kaufen. Die Liste ist lang. Ein Traum für Rechtanwälte.
Es gibt eine dritte Möglichkeit: Desaster C wäre noch schlimmer als die ersten beiden. Griechenland kann in der Eurozone bleiben und all seine Staatsschulden ausfallen lassen, wodurch sie ein Zeit lang komplett vom Anleihemarkt abgeschnitten bleiben. Sie hätten dann keine andere Wahl, als die staatlichen Dienstleistungen und Zahlungen (Löhne, Renten, etc.) drastisch zu kürzen. Sie hätten dann unter einer gewaltigen, verhängnisvollen Depression zu leiden, weil sie ihre Handelsaußenstände über Nacht begleichen oder ohne Handel auskommen müssten. Dann werden sie sich auf jeden Fall lieber für Desaster B entscheiden.
Es bleiben also nur Desaster A oder Desaster B als wirkliche Optionen. Ob sie sich für die direkte Rückkehr zur Drachme (Desaster B) entscheiden werden, ist nur eine Frage der Zeit. Sie kommen noch früh genug an diesen Punkt.
Aber warum warten sie dann noch? Wozu noch diese Scheingefechte? Weil Europa ein ungeordnetes Desaster B fürchtet. Für den Rest Europas wäre das der Abgrund. Die große Hoffnung der Griechen ist, dass Europa (d.h. Deutschland) sie weiter durchfinanziert, um selbst nicht den Schritt in den Abgrund machen zu müssen.
Ein europäischer Diplomat formulierte es so: "Trotz der beherzten Anstrengungen Papademos´ erweckt es immer mehr den Eindruck, als ob das widerstrebende griechische Establishment die Zeit bis zu den nächsten Wahlen überbrücken möchte, in der Annahme, dass sie von der Welt auch weiterhin finanziell gerettet werden, ganz gleich, was auch passiert.“
Europa kommt dem Punkt immer näher, an dem es sich endgültig entscheiden muss, wie mit Griechenland zu verfahren ist. Theoretisch läuft die Frist für die Vergabe der nächsten Kredittranche am 29. März ab. Hier steht sehr viel auf dem Spiel und die Mitspieler meinen es todernst. Kann es sich Sarkozy mit Blick auf die im April anstehenden Wahlen erlauben, als schwach zu gelten, wenn er sich bezüglich Griechenland nachgiebig zeigt? Kann es sich Merkel mit Blick auf ihre unruhige Gefolgschaft erlauben, in der Griechenlandfrage als nachgiebig zu gelten? Bald danach stehen auch in Griechenland Wahlen an. Kann Papademos weiteren Haushaltskürzungen nachgeben und weitere Versprechen hinsichtlich zukünftiger Kredittranchen geben, die kaum zu halten und überaus unpopulär wären?
Die Märkte zeigen sich langsam erschöpft. Es wird keinen privaten Markt für griechische Schuldverschreibungen geben, zumindest nicht in einem Umfang, der die Überlebensfähigkeit längerfristig sichern würde. Gesetzt dem Fall, Griechenland bliebe in der Eurozone und der ungeordnete Ausfall träte nicht ein, so müsste das Land sehr lange auf der europäischen Intensivstation bleiben. Über das Jahrzehnt gerechnet würde das hunderte Milliarden Euro, Schuldenerlasse, etc. bedeuten. Es gibt keine guten Entscheidungen.
Zudem wird Europa noch früh genug mit Frage konfrontiert sein, was mit Portugal, das ebenfalls einen Schuldenschnitt für sich beanspruchen wird, passieren soll. Nicht zu vergessen Irland, das es sehr ernst damit meint, die von der Vorgängerregierung für die Rettung nationaler Banken aufgenommenen Schulden nicht zu zahlen, um britische, deutsche und französische Banken bezahlen zu können. Dieser Schuldenausfall ist schon vorprogrammiert. Meiner Meinung nach wartet das "höfliche“ Irland nur darauf, dass sein 60-Milliarden-Ausfall nur noch als Peanuts gilt. Und da Italien knapp 350 Milliarden € allein für die Umschuldung der laufenden Kredite aufbringen muss, wird auch Irland nicht mehr lange warten müssen. Den Hochrechnungen Italiens zufolge wird das Haushaltsdefizit auf 2% sinken, sollte Europa jedoch in die Rezession abrutschen, werden auch diese Prognosen über den Haufen geworfen.
Unterm Strich sieht es wohl so aus, dass Italien (höchstwahrscheinlich auch irgendwann Spanien) nicht die benötigten Kreditmengen zu erschwinglicher Verzinsung aufbringen kann, ohne dabei massiv auf die Unterstützung der Europäischen Zentralbank zurückzugreifen. Schon jetzt nähern sich die Renditen wieder der 7%-Marke an. Aus italienischer Perspektive ist das untragbar. Deutschland muss sich entschließen, der EZB eine enorme Ausweitung der Bilanzen zu gestatten, oder Italien wird es nicht ohne Schuldenschnitte schaffen.