In den Abgrund starren (Teil II)
31.01.2012 | John Mauldin
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Allein ein Schuldenschnitt von 10% für italienische Staatsanleihen würde alles, was in Griechenland geschieht, in den Schatten stellen - und kaum etwas für Italien bewirken. Wenn Italien sich für einen Haircut entscheidet, dann wird dieser viel größer ausfallen. Französische Banken halten 45% der italienischen Staatsschulden. Italien ist zu groß, als das Frankreich es retten könnte. Sie können nicht einmal ihre eigenen Banken ausreichend ausstatten und schützen, für den Fall, Italien sollte zum Solvenzrisiko werden. Sie können gar nicht so viel Geld locker machen, ohne ihre eigenen Bilanzen zu zerstören. Die jüngste Herabstufung ihres Schuldenratings war nur die erste von vielen. Wo wir gerade bei Herabstufungen sind: Das Ratingunternehmen Egan Jones senkte das Kreditrating Deutschlands von AA auf AA- und setzte das Land auf die Beobachtungsliste für eine weitere Herabstufung. Und das ist wichtig. Egan Jones ist meiner Meinung die glaubwürdigste Ratingagentur, und in 95% der Fälle folgen die "Big 3“ der Ratingagenturen (nach einer gewissen Zeit) ihren Entscheidungen. Die Herabstufung wird unter anderem mit der gewaltigen Schuldenmenge begründet, für die Deutschland garantiert. Sean Egan war einer der ersten seriösen Analysten, die auf einen Schuldenausfall Griechenlands hinwiesen. Schon vor langer Zeit sprach er davon, dass die Schulden Griechenlands letztendlich zu 95% ausfallen werden. (Ein sehr angenehmer Herr übrigens, aber vielleicht hatte er auch seine Darth-Vader-Maske zu Hause gelassen, als ich ihn traf.)
Europa wird sich in diesem Jahr entscheiden müssen. Entweder für eine viel straffere, beschränkte Fiskalunion mit einer Zentralbank, die in der Krise aggressiv Euros drucken kann, oder für ein Zerbrechen der Währungsunion, ob nun kontrolliert oder nicht. Ich glaube nicht, dass Europa die Entscheidung noch bis 2013 aufschieben kann, weil der Markt es einfach nicht zulassen würde. Entweder macht die EZB Ernst und entscheidet sich für echte Schuldenmonetisierung, wenn Italien und Spanien diese brauchen, oder der Laden fällt auseinander.
Da kommt einem das Zitat vom Anfang wieder in den Sinn: "Wenn alles so bleiben soll, wie es ist, muss sich alles ändern.”
Wie bei jeder langen Reise scheint die Fahrt (oder der Flug) ewig zu dauern, besonders wenn man sehr jung ist oder eben Anleger. Aber dann ist man plötzlich da. Die am Anfang schon erwähnte LTCM-Krise entwickelte sich über lange Zeit hinweg, aber dann endete sie mit einem Knall. Lehman Brothers oder Bear Stearns waren eben noch große Akteure und plötzlich sind sie weg. Ich denke, der Euro wird in diesem Jahr den Moment der Krise erreichen. Hoffentlich ist Europa vorbereitet.
Was Europa machen sollte
Wenn Europa am Rand des Abgrunds steht und nach unten blickt, kommt der Rest der Welt hinterher, um auch einen Blick hinein zu werfen. Es kann uns alle zum Abgrund ziehen und auch über den Rand hinaus. Als ich in Singapur und Hongkong war, wurde ich wieder daran erinnert, wie sehr wir alle Europa brauchen, um all das zu überstehen.
Europa hat Probleme, die struktureller Natur sind und sich nicht mit weiteren Verträgen, Abkommen oder vermehrter Liquidität beheben lassen. Und vor diesem Hintergrund sind meine folgenden Gedanken zu betrachten:
- 1. Die Europäische Union funktioniert - meist besser als schlechter. Die Freihandelszone sollte erhalten bleiben. Es gibt Länder, die nicht in der Eurozone sind und in denen es einfach gut funktioniert. Wir leben im Computerzeitalter. Devisenumtausch ist eine computerisierte Transaktion und relativ einfach. Europa sollte sich auch weiterhin mit dem Rest der Welt abstimmen. Und von den Vorteilen gemeinsamen Handelns profitieren. Uns allen geht es besser mit einem vereinten Europa. Solange es keine stabilen Arbeits- und Produktivitätsmärkte in der gesamten EU gibt, sollte nicht auf eine gemeinsame Währung gedrängt werden. Gemeinschaftswährungen sind kein Garant für Konfliktlosigkeit. Tatsächlich durchgesetzter Freihandel und offene Grenzen hingegen schon.
- 2. Europa sollte sich eingestehen, dass der Euro in einigen Ländern einfach nicht funktionieren kann; und dann sollten diese Länder auch die Eurozone verlassen dürfen (aber gleichzeitig in der Freihandelszone verbleiben, wie heute schon Dänemark und Schweden). Es sollte vorab dafür gesorgt werden, dass ein Land so geordnet wie möglich zu seiner alten Währung zurückkehren kann. Ja, es wird in jedem Fall sehr große Verluste geben. Wenn dies aber kontrolliert geschieht, werden die Verluste weitaus geringer ausfallen als ohne Kontrolle. Man könnte ein dualistisches System einführen, so wie es bei der Einführung des Euros noch bestand. Man sollte eine Reihe von Gesetzen verabschieden, damit in den nächsten zwei Jahrzehnten nicht jeder jeden verklagt. Die europäischen Nationen sollten wie Erwachsene verhalten, die Freunde bleiben möchten und nicht Feinde auf Lebenszeit. Wenn Regeln und Gesetze nötig sind, so sollen diese geschaffen werden. Das jedoch schnell. Je länger es dauert, desto teurer wird es für Europa (und die Welt).
- 3. Griechenland muss eine Absage erteilt werden. Keine weiteren Kredite. Keine weiteren Drohungen. Wenn sie dabei bleiben wollen, dann soll sich der Markt mit ihnen auseinandersetzen. Ich bezweifle, dass alles ruhig und freundlich geschehen wird, aber sie müssen für sich selbst Verantwortung übernehmen. Niemand hat Griechenland gezwungen, so viele Schulden aufzunehmen. Jetzt ist die Zeit, Schadensbegrenzung zu betreiben. Das Geld sollte benutzt werden, um die eigenen Banken zu retten. Sobald sich Griechenland für den Austritt entscheidet (und das ist keine Frage des "ob"), sollte dem Land mit humanitären Leistungen geholfen werden (Medizin und Energielieferungen), aber neue Schuldenberge, die Griechenland nicht zurückzahlen kann, müssen verhindert werden. Man sollte sich auf Bedingungen einigen, die es dem Land erlauben, wieder auf die Beine zu kommen und weiterzuleben. Griechenland soll der Verbleib in der in Freihandelszone gewährt werden. Und auch alle anderen müssen ihre Lektion lernen: Man muss genau darauf achten, wem man sein Geld leiht!
- 4. Leider gilt dasselbe auch für Portugal, obgleich das Land mit einem angemessenen und sehr gesunden Schuldenschnitt in der Eurozone bleiben könnte.
- 5. Irland wird diese Bankenschulden nicht bezahlen. Man muss sich damit abfinden. Soll doch die EZB diese Kröte schlucken. Anschließend wird Irland den Rest seiner Staatsschulden abzahlen. Und dann kann es sich durch eigenes Wachstum von seinen Problemen befreien. Irland hat eine positive Handelsbilanz. Und wer mag die Iren nicht?
- 6. Italien und Spanien sind Problemfälle. Wenn sie in der Eurozone bleiben, werden sie hinsichtlich der Anleihezinsen umfangreiche EZB-Hilfen in Anspruch nehmen müssen, während sie ihre Defizite unter Kontrolle bringen. Europa sollte sich dafür oder dagegen entscheiden, es sollte die Welt aber nicht im Ungewissen lassen. Deutschland muss eine Entscheidung treffen und zwar ausdrücklich und in aller Öffentlichkeit.
- 7. Ich weiß nicht, was ich Frankreich empfehlen könnte. Das ist die schwierigste Frage. Sie verlieren gegenüber Deutschland und anderen Ländern ihre Wettbewerbsfähigkeit am Arbeitsmarkt, und sie haben schon jetzt ein Steuerniveau, das nicht weiter erhöht werden kann, zudem hohe Haushaltsdefizite, schlechte demographische Werte und gewaltige unfundierte, zukünftige Verpflichtungen aus der Krankenversicherungs- und Rentensystem. Sie haben Zeit, die Dinge in den Griff zu bekommen, wenn sie diese nur nutzen (wie auch die USA). Die Welt hofft zumindest, dass dies geschieht. Die Sorge um den Zustand der französischen Banken wurde überall in Hongkong geäußert. Die französischen Banken haben wesentliche Bedeutung für den Welthandel, die US-Banken (und andere) bei Weiten nicht haben. Sie verfügen nun einmal über die nötige Erfahrung und die Infrastruktur, um diese Art von Krediten zu vergeben. So etwas lässt sich nicht in kürzester Zeit aus dem Boden stampfen. Leiden die französischen Banken, leidet auch das Wachstum der Welt, das sich schon abschwächt.
Ich weiß, dass die Märkte gerade ein glückliches Ende der Eurokrise diskontieren. In meinen Augen besteht aber ein erhebliches Risiko schwerer Verwerfungen - auch wenn diese immer noch als eher unwahrscheinlich eingestuft werden. Sie sollten sich darauf einrichten. Wenn die großen Pensionsfonds und Stiftungen Glück haben, werden sie das Jahr mit plus minus Null abschließen. Kleinere Investoren sollten ihre Risikotoleranz dahingehend ausrichten, dass Europa seine Probleme nicht meistern wird.
Nächste Woche sind die USA dran. Wer denkt, Europa hätte Probleme, …
© John Mauldin
Dieser Artikel wurde am 23. Januar 2012 auf www.financialsense.com veröffentlicht und exklusiv für GoldSeiten übersetzt.