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Schweiz bindet CHF and Euro bei mindestens 1.20 - Karlsruhe im Fokus!

07.09.2011  |  Folker Hellmeyer
Der Euro eröffnet heute Morgen (07.15 Uhr) bei 1.4055, nachdem im US-Geschäft Tiefstkurse der letzten 24 Handelsstunden bei 1.3973 markiert wurden. Der USD stellt sich gegenüber dem JPY auf 77.20. In der Folge notiert EUR-JPY bei 108.55, während EUR-CHF bei 1.2040 oszilliert.

Die Schweizer Nationalbank hat eine Untergrenze für den EUR-Wechselkurs bei 1.20 verfügt, um die sachlich nicht gebotene Stärke des CHF zu neutralisieren. Sie ist damit bereit, unlimitiert zu intervenieren.

Die SNB greift auf die Ordnungspolitik zurück. Der „Spielplatz“ EUR-CHF wird dem Markt entzogen, um realwirtschaftlich absurde Bewertungen mit Folgen für die gesamte Volkswirtschaft zu verhindern. Das ist nicht nur spektakulär, da es eine offizielle Abwendung von dem Credo des freien Marktes ist, sondern es ist bezüglich der Motive ehrenvoll und es ist sachlich angemessen.

Das ist jedoch nur eine Seite der Medaille. Es bedeutet unlimitiert zu liefern. Es impliziert, dass der Umlauf an CHF unter Umständen aggressiv erhöht wird. Das kann mittel- und langfristig zu inflationären Tendenzen führen. Es ist aber auch ein Glaubensbekenntnis für die Integrität der Eurozone. Zerfällt die Eurozone, beispielsweise durch einen Ausschluss Griechenlands (freiwilliger Austritt könnte gemilderte Konsequenzen mit sich bringen) mit voraussichtlich nachgeordneten spekulativen Attacken gegen Irland bis Italien oder sogar Frankreich losgelöst von der tatsächlichen Faktenlage, ergäbe sich ein Chaos für die SNB in der Bewertung der Reserven und damit nachgeordnet ein systemisches Risiko für die Schweiz.

Die Entscheidung der SNB verdeutlicht, dass diese Risiken in Kauf genommen werden. Hinsichtlich der aktuellen Inflationslage ist das fraglos vertretbar. Hinsichtlich der politischen Lage in Deutschland enthalte ich mich bewusst einer Bewertung. Wenn die europäischen Dominosteine fallen, fällt übrigens auch Deutschland und es fällt tiefer als 2009! Ob dann noch Kurzarbeitergeld und die Sanierung von Straßen und Schulen helfen, sei dahingestellt.

Der Schritt der SNB ist aber auch als Versuch zu interpretieren, deregulierten Finanzmärkten nicht dauerhaft zu gestatten, ganze Volkswirtschaften und Gesellschaften in den Ruin zu stürzen. Das zeichnet die SNB aus! Ob sich die SNB schlussendlich mit dieser Politik durchsetzt, ist offen.

Die spekulativen Attacken gegen die Eurozone ohne Ansehen der Reformerfolge, beispielsweise der Einhaltung der Reformziele Portugals, Irlands und Spaniens oder der Reduktion der Handelsbilanzdefizite in einem Umfang von mehr als 50% gegenüber 2007 bieten eine vergleichbare Konstellation (GR -65%) zu der Zwangslage der Schweiz.

Griechenland wollen wir nicht ausblenden. Der Markt ist maßgeblich fokussiert auf die Einhaltung der Defizitreduktion Griechenlands, die in der Tendenz, aber nicht im nominalen Ziel gegeben ist. Die Tatsache, dass bei einer Kontraktion der Wirtschaftsleistung um mehr als 9% in der Phase 2009/2011 und einem Einbruch der Bruttoanlageinvestitionen um circa 44% trotzdem eine Reduzierung der Neuverschuldung von 15,6% des BIP auf voraussichtlich weniger als 9% des BIP per 2011 erfolgte, ist Ausdruck des Erfolgs der Strukturreformen. Fraglos ist das Defizitniveau zu hoch. Aber der Reformprozess ist ablesbar. Das ist übrigens der Unterschied zu den USA.

Sofern es zu Wachstum in Griechenland kommt, wird die fiskalische Traktion erheblicher sein, als derzeit vom Konsensus unterstellt.

Dafür darf man Griechenland aber nicht alle drei Monate durch den Wolf des Finanzmarkts drehen, sondern muss eine Abschirmung liefern, die Kapitalzuflüsse ermöglicht. Die Reformen im Rahmen der Veränderung des griechischen Geschäftsmodells schaffen derzeit die besten Bedingungen seit Jahrzehnten.

Der deregulierte Markt der CDS ist bei der Staatsdefizitkrise der Eurozone der "Primärspielplatz". Die Nutzung des scharfen Schwerts des "unfundierten Gerüchts" kommt sportlich hinzu. Die Ratingagenturen, die willfährig den Reformprozess durch Herabstufungen unterminieren, nehmen gleichfalls eine prominente Rolle ein. Das hat schon einen politischen Beigeschmack …

Kann man diesen CDS-Markt und die dahinterstehenden Kräfte nach der Steilvorlage der SNB bei der Behandlung des Themas EUR-CHF weiter obwalten lassen? Ist eine vollständige Abschirmung der Eurozone (u. U. ESFSF/ESM mit Banklizenz, Entlastung der EZB) nicht das geeignete Mittel, den CDS-Markt zu entmündigen?

Es stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, die Eurozone als Paradepferd der Stabilität im Vergleich zu USA, Japan und UK in der Neuverschuldung seit 2009 (Eurozone NVS 2009 6,3% des BIP, 2010 6,0% des BIP, 2011 4,3% des BIP) und der Reformpolitik auf dem Altar der unangemessenen Spekulation zu opfern.

Abschirmung ist hier sachlich geboten. Jeder Tag, der verstreicht, erhöht die Kosten der Abschirmung. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Deutschland läuft Gefahr mit seinem Geschäftsmodell das größte Opfer einer möglichen Desintegration der Eurozone zu werden.

Vor diesem Hintergrund war die Definition in der gestrigen Budgetdebatte im Bundestag, dass die Garantievolumina das größte budgetäre Risiko für den Haushalt 2012 darstellen würden, sachlich nicht richtig (GR-Risiko für D bei 45 Mrd. Euro als "Worst Case", 20 Mrd. Zinsvorteil bereits realisiert). Das größte Risiko ist die Desintegration mit den Folgen einer größeren Bankenkrise als nach Lehman und in der Folge einer Rezession/Depression der Weltwirtschaft, die Deutschland mit am härtesten treffen würde.

Italien hat sich besonnen gezeigt. Das Kabinett wird die goldene Regel zu ausgeglichenen Haushalten als Verfassungsänderung beschließen. Einkommen über 500.000 Euro sollen mit einer Sondersteuer von 3% belegt werden. Die Mehrwertsteuer wird von 20% auf 21% angehoben. Rentenänderungen bei Frauen im Privatsektor sollen ab 2014 greifen.

Voraussichtlich werden diese Fakten die "Profis" in London und New York nicht beeindrucken. Wären das US-Beschlüsse, wäre das wohl anders. Wer daraus einen politischen Zungenschlag ableiten will, dem sei das gestattet.

Andererseits muss gefragt werden, was wir an internationalem Respekt vor den Reformleistungen erwarten dürfen, wenn wir nicht einmal selber Respekt zeigen? Selten wurden Reformerfolge so ignoriert oder zerredet wie derzeit in Europa und vor allen Dingen in Deutschland!

Heute steht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich der europäischen Bruder- und Schwesterhilfe und der Beteiligung des Parlaments auf der Agenda. Die Bundesregierung hat mit dem aktuellen Entwurf bereits vorgearbeitet. Restrisiken bleiben. Auf hoher See und vor Gericht sind Überraschungen immer möglich. Unter Umständen sieht Europa nach dem Urteil anders aus als zuvor - wir gehen davon jedoch nicht aus.


Wenden wir uns kurz den Daten zu:

Man könnte den Eindruck nach dem gestrigen Datenpotpourri gewinnen, dass die US-Wirtschaft die Weltkonjunktur aus der aktuellen Schwächephase zieht.

Der ISM-Dienstleistungsindex legte vollkommen unerwartet per Berichtsmonat August von 52,7 auf 53,3 Punkte zu. Die Konsensusprognose war bei 51,1 Zählern angesiedelt. Die Weltwirtschaft hat einen "Blues", der US-Arbeitsmarkt hat einen "Blues", Die US-Verbraucher sind depressiver denn je, systemische Risiken nehmen zu und der ISM-Dienstleistungsindex steigt. Wir nehmen das zur Kenntnis und freuen uns ob dieser unerwarteten Entwicklung, ohne weiter über die Aussagekraft zu diskutieren.

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Der deutsche Auftragseingang per Juli passt dann schon besser ins Bild. Hier ergab sich ein ernüchternder Rückgang um -2,8% im Monatsvergleich nach zuvor +1,8%. Analysten hatten einen Anstieg um 0,5% unterstellt. Bei einer Fortsetzung des europäischen Dramas wird der Schaden an dem Konjunkturzyklus noch sehr viel deutlicher ausfallen. „Food for thought!“

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Zusammenfassend ergibt sich ein Szenario, das den Euro favorisiert. Ein Unterschreiten der Tiefstkurse 1.3835 neutralisiert den positiven Bias.

Viel Erfolg!


© Folker Hellmeyer
Chefanalyst der Bremer Landesbank





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