Von geheimer Geldpolitik bis zum programmierten Skandal
13.12.2015 | Manfred Gburek
Dieser Skandal hat uns gerade noch gefehlt: Da bringt die FAZ einen dicken Stein ins rollen, indem sie auf bis dato geheime Anleihenkäufe aufmerksam macht (vor allem durch die Banque de France und die Banca d'Italia), und schon ist der Teufel los.
Es geht um Anfa (Agreement on net-financial assets), ein Abkommen des Eurosystems darüber, ob und wie weit nationale Notenbanken die Geldpolitik auf Anleihenkäufe außerhalb ihres offiziellen Mandats ausdehnen dürfen. Im Klartext: Die Grenze zwischen erlaubten und nicht erlaubten Anleihenkäufen ist ins Schwimmen geraten. Dazu die FAZ: "Vergangene Woche wurde EZB-Chef Mario Draghi in der Pressekonferenz von dieser Zeitung direkt auf Anfa und die hohen Wertpapierkäufe angesprochen. Er reagierte ausgesprochen gereizt. Die Kaufstrategien der nationalen Notenbanken seien 'schwer zu verstehen', gab er zu. Doch könne er 'ausschließen, dass es sich um monetäre (Staats-)Finanzierung handelt".
Das klingt zunächst verwirrend. Deshalb nochmals im Klartext: Draghi scheint nicht genau gewusst zu haben, welches Spiel die nationalen Notenbanken da eingegangen sind. Das Spiel ist ernst, denn es handelt sich um Hunderte von Milliarden Euro. Wer kontrolliert noch wen, wenn möglicherweise sogar der oberste Geld-Zampano den Durchblick vermissen lässt? Bislang galt Draghi als unumschränkter Herrscher über die EZB-Geldpolitik.
Wenn jedoch zwei große Länder der Eurozone ein Abkommen schamlos zu ihren Gunsten ausnutzen, um sich mehr oder weniger heimlich Geld zu beschaffen, ist er verpflichtet, über den EZB-Rat hart durchzugreifen. Etwas bleibt jedenfalls an ihm haften: Wusste er nichts von den Aktivitäten der Franzosen und Italiener, drängt sich die Frage auf, ob er sein eigenes Mandat noch im Griff hat. Wusste er dagegen etwas oder alles, umso schlimmer, dann ist seine Glaubwürdigkeit mehr als angekratzt.
Mittlerweile haben sich auch viele Politiker zu Wort gemeldet und den EZB-Chef überwiegend beschimpft. Ihre Stimmen sollte man jetzt nicht mehr allzu ernst nehmen. Denn sie hatten ja vorher genug Gelegenheit, die geheimen Aktionen der Franzosen und Italiener zu hinterfragen, ohne dass sie diese Gelegenheit allerdings wahrnahmen. Dagegen ist die verzögerte Reaktion der EZB vom 10. Dezember ernst zu nehmen. Es handelt sich um reine Defensive, formuliert in Finanz-Prosa mit Sätzen wie: "Anfa selbst ist ein internes technisches Dokument, das keine Angaben zu Portfolios enthält." Oder: "Der EZB-Rat legt den Rahmen für alle Anlagen der nationalen Zentralbanken fest." Zahlen, um Näheres zu erfahren? Fehlanzeige.
Was man ernst nehmen sollte, ist das deutsch-französische Verhältnis. Frankreich geht es wirtschaftlich und finanziell schlecht; ein Umschwung zum Guten ist nicht absehbar. Wie wäre es dann mit geheimen Anleihenkäufen zur Staatsfinanzierung? Dieser Gedanke liegt auf jeden Fall nahe. Zumal so eine Finanzierung den französischen Staatshaushalt entlastet und damit indirekt dafür sorgt, dass Ratingagenturen die Bonität des Landes nicht weiter abstufen. Auch der folgende Gedanke drängt sich auf: Frankreich ist gegen den sogenannten Islamischen Staat in den Krieg gezogen und hat Deutschland gebeten mitzumachen. Unter anderem deshalb stellt die Bundeswehr eine Fregatte und ein paar Tornados zur Verfügung - eine äußerst gefährliche Mission.
Vor einigen Wochen habe ich mir vorgenommen, das Thema EZB nicht ständig zu bearbeiten, sondern nur in Ausnahmefällen. Wie Sie meinen bisherigen Ausführungen entnehmen können, wird daraus natürlich nichts, dafür sind die Geldpolitik und die Politik in Berlin, Paris, Rom und so weiter schon viel zu sehr miteinander verwoben. Und die aktuellen Ereignisse überschlagen sich derart, dass sie laufender Kommentare bedürfen.
Das Schlimme: Sie werden Konsequenzen haben, deren Ausmaß gewaltig zu werden droht. Das liegt daran, dass die EZB mit hohem Einsatz spielt. Ihre große amerikanische Schwester Fed ebenfalls. Ganz zu schweigen von Japans Notenbank, die sich mit ihrer Geldpolitik am weitesten nach vorn wagt. Auch die anderen Notenbanken machen mit, die britische, die schweizerische, die chinesische etc.
Wir haben es also nicht allein mit einem europäischen, sondern auch mit einem internationalen Phänomen zu tun, unberechenbar und im Hinblick auf EZB und Fed gegenläufig: Hüben werden die Finanzmärkte expansiv mit unvorstellbaren Beträgen befeuert, drüben - so jedenfalls die gängige Meinung - soll der Leitzins restriktiv angehoben werden, Ankündigung am 16. Dezember. Beides passt nicht zusammen.
Wenden wir uns nun noch einem brisanten EZB-Spezialfall zu. Bekanntlich unternimmt der CSU-Politiker Peter Gauweiler mit seiner neuerlichen Verfassungsbeschwerde gerade einen zweiten Anlauf, indem er der EZB vorwirft, sie verstoße gegen bestehende Regelungen. Zwei seiner Kernsätze: „Sie mag aus pragmatischen Gründen befugt sein, eine Inflation von 2 Prozent zu tolerieren, wie es ihr selbsterklärtes Ziel ist. Sie darf aber nicht eine solche Inflation, die bereits zu einer Halbierung des Geldwertes nach rund 20 Jahren führt, durch massive geldpolitische Interventionen aktiv anstreben.“ Man beachte die juristisch fein abgewogene Begründung: Toleranz ist nicht gleich Ziel. Gut gemacht, Herr Gauweiler!
Bei zwei weiteren Kernsätzen muss ich an das erneute Schuldentheater denken, das uns gerade wieder aus Griechenland droht. Gauweiler: "Mit den riesigen Milliardenbeträgen ermöglicht die EZB es den bereits völlig überschuldeten Staaten, sich weiter mit Krediten zu finanzieren und ihre Staatsverschuldung auszudehnen, statt ihre Haushalte zu sanieren. Vor allem verstoßen die Staatsanleihen-Käufe gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung - und zwar auch dann, wenn man die laxen Kriterien anwendet, die der Europäische Gerichtshof (EuGH) formuliert hat."
Mit dem EuGH hat Gauweiler noch ein Hühnchen zu rupfen. Denn dieses Gericht ließ ihn mit seiner ersten Verfassungsbeschwerde abblitzen - obwohl ihm das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich recht gegeben hatte. Damals ging es um das Anleihen-Kaufprogramm OMT (Outright Monetary Transactions), jetzt geht es um QE (Quantitative Easing). Alles Wortklauberei, im Prinzip besteht zwischen beiden kein nennenswerter Unterschied. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird sich der EuGH, falls der Vorstoß Gauweilers bis zu ihm durchdringt, auch dieses Mal auf die Seite der EZB stellen. Ganz nach dem Motto: Europa muss zusammenhalten, hoch lebe die monetäre Staatsfinanzierung! Ein programmierter Skandal.
Es würde an ein Wunder grenzen, wenn die Zustände um Anfa und die monetäre Staatsfinanzierung, die ominösen Anleihenkäufe der französischen und der italienischen Notenbank, die Rolle der EZB und das deutsch-französische Verhältnis ohne Konsequenzen für die Finanzmärkte blieben. Die Frage ist indes: wann und in welchem Ausmaß? Die Vorboten waren jedenfalls schon in der abgelaufenen Woche zu beobachten, etwa in wild schwankenden Aktienkursen und in einer gewissen Stabilisierung des Goldpreises, der auf Unruhen an den Finanzmärkte in der Regel positiv reagiert.
© Manfred Gburek
www.gburek.eu
Herr Gburek ist Fachjournalist und Buchautor. Seine letzten Werke waren: Außer diversen Börsenbüchern schrieb er: "Das Goldbuch", das Wörterbuch "Geld und Gold klipp und klar von A bis Z", "Die 382 dümmsten Sprüche der Banker" und zuletzt das Ebook "Ach du liebes Geld!".
Es geht um Anfa (Agreement on net-financial assets), ein Abkommen des Eurosystems darüber, ob und wie weit nationale Notenbanken die Geldpolitik auf Anleihenkäufe außerhalb ihres offiziellen Mandats ausdehnen dürfen. Im Klartext: Die Grenze zwischen erlaubten und nicht erlaubten Anleihenkäufen ist ins Schwimmen geraten. Dazu die FAZ: "Vergangene Woche wurde EZB-Chef Mario Draghi in der Pressekonferenz von dieser Zeitung direkt auf Anfa und die hohen Wertpapierkäufe angesprochen. Er reagierte ausgesprochen gereizt. Die Kaufstrategien der nationalen Notenbanken seien 'schwer zu verstehen', gab er zu. Doch könne er 'ausschließen, dass es sich um monetäre (Staats-)Finanzierung handelt".
Das klingt zunächst verwirrend. Deshalb nochmals im Klartext: Draghi scheint nicht genau gewusst zu haben, welches Spiel die nationalen Notenbanken da eingegangen sind. Das Spiel ist ernst, denn es handelt sich um Hunderte von Milliarden Euro. Wer kontrolliert noch wen, wenn möglicherweise sogar der oberste Geld-Zampano den Durchblick vermissen lässt? Bislang galt Draghi als unumschränkter Herrscher über die EZB-Geldpolitik.
Wenn jedoch zwei große Länder der Eurozone ein Abkommen schamlos zu ihren Gunsten ausnutzen, um sich mehr oder weniger heimlich Geld zu beschaffen, ist er verpflichtet, über den EZB-Rat hart durchzugreifen. Etwas bleibt jedenfalls an ihm haften: Wusste er nichts von den Aktivitäten der Franzosen und Italiener, drängt sich die Frage auf, ob er sein eigenes Mandat noch im Griff hat. Wusste er dagegen etwas oder alles, umso schlimmer, dann ist seine Glaubwürdigkeit mehr als angekratzt.
Mittlerweile haben sich auch viele Politiker zu Wort gemeldet und den EZB-Chef überwiegend beschimpft. Ihre Stimmen sollte man jetzt nicht mehr allzu ernst nehmen. Denn sie hatten ja vorher genug Gelegenheit, die geheimen Aktionen der Franzosen und Italiener zu hinterfragen, ohne dass sie diese Gelegenheit allerdings wahrnahmen. Dagegen ist die verzögerte Reaktion der EZB vom 10. Dezember ernst zu nehmen. Es handelt sich um reine Defensive, formuliert in Finanz-Prosa mit Sätzen wie: "Anfa selbst ist ein internes technisches Dokument, das keine Angaben zu Portfolios enthält." Oder: "Der EZB-Rat legt den Rahmen für alle Anlagen der nationalen Zentralbanken fest." Zahlen, um Näheres zu erfahren? Fehlanzeige.
Was man ernst nehmen sollte, ist das deutsch-französische Verhältnis. Frankreich geht es wirtschaftlich und finanziell schlecht; ein Umschwung zum Guten ist nicht absehbar. Wie wäre es dann mit geheimen Anleihenkäufen zur Staatsfinanzierung? Dieser Gedanke liegt auf jeden Fall nahe. Zumal so eine Finanzierung den französischen Staatshaushalt entlastet und damit indirekt dafür sorgt, dass Ratingagenturen die Bonität des Landes nicht weiter abstufen. Auch der folgende Gedanke drängt sich auf: Frankreich ist gegen den sogenannten Islamischen Staat in den Krieg gezogen und hat Deutschland gebeten mitzumachen. Unter anderem deshalb stellt die Bundeswehr eine Fregatte und ein paar Tornados zur Verfügung - eine äußerst gefährliche Mission.
Vor einigen Wochen habe ich mir vorgenommen, das Thema EZB nicht ständig zu bearbeiten, sondern nur in Ausnahmefällen. Wie Sie meinen bisherigen Ausführungen entnehmen können, wird daraus natürlich nichts, dafür sind die Geldpolitik und die Politik in Berlin, Paris, Rom und so weiter schon viel zu sehr miteinander verwoben. Und die aktuellen Ereignisse überschlagen sich derart, dass sie laufender Kommentare bedürfen.
Das Schlimme: Sie werden Konsequenzen haben, deren Ausmaß gewaltig zu werden droht. Das liegt daran, dass die EZB mit hohem Einsatz spielt. Ihre große amerikanische Schwester Fed ebenfalls. Ganz zu schweigen von Japans Notenbank, die sich mit ihrer Geldpolitik am weitesten nach vorn wagt. Auch die anderen Notenbanken machen mit, die britische, die schweizerische, die chinesische etc.
Wir haben es also nicht allein mit einem europäischen, sondern auch mit einem internationalen Phänomen zu tun, unberechenbar und im Hinblick auf EZB und Fed gegenläufig: Hüben werden die Finanzmärkte expansiv mit unvorstellbaren Beträgen befeuert, drüben - so jedenfalls die gängige Meinung - soll der Leitzins restriktiv angehoben werden, Ankündigung am 16. Dezember. Beides passt nicht zusammen.
Wenden wir uns nun noch einem brisanten EZB-Spezialfall zu. Bekanntlich unternimmt der CSU-Politiker Peter Gauweiler mit seiner neuerlichen Verfassungsbeschwerde gerade einen zweiten Anlauf, indem er der EZB vorwirft, sie verstoße gegen bestehende Regelungen. Zwei seiner Kernsätze: „Sie mag aus pragmatischen Gründen befugt sein, eine Inflation von 2 Prozent zu tolerieren, wie es ihr selbsterklärtes Ziel ist. Sie darf aber nicht eine solche Inflation, die bereits zu einer Halbierung des Geldwertes nach rund 20 Jahren führt, durch massive geldpolitische Interventionen aktiv anstreben.“ Man beachte die juristisch fein abgewogene Begründung: Toleranz ist nicht gleich Ziel. Gut gemacht, Herr Gauweiler!
Bei zwei weiteren Kernsätzen muss ich an das erneute Schuldentheater denken, das uns gerade wieder aus Griechenland droht. Gauweiler: "Mit den riesigen Milliardenbeträgen ermöglicht die EZB es den bereits völlig überschuldeten Staaten, sich weiter mit Krediten zu finanzieren und ihre Staatsverschuldung auszudehnen, statt ihre Haushalte zu sanieren. Vor allem verstoßen die Staatsanleihen-Käufe gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung - und zwar auch dann, wenn man die laxen Kriterien anwendet, die der Europäische Gerichtshof (EuGH) formuliert hat."
Mit dem EuGH hat Gauweiler noch ein Hühnchen zu rupfen. Denn dieses Gericht ließ ihn mit seiner ersten Verfassungsbeschwerde abblitzen - obwohl ihm das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich recht gegeben hatte. Damals ging es um das Anleihen-Kaufprogramm OMT (Outright Monetary Transactions), jetzt geht es um QE (Quantitative Easing). Alles Wortklauberei, im Prinzip besteht zwischen beiden kein nennenswerter Unterschied. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird sich der EuGH, falls der Vorstoß Gauweilers bis zu ihm durchdringt, auch dieses Mal auf die Seite der EZB stellen. Ganz nach dem Motto: Europa muss zusammenhalten, hoch lebe die monetäre Staatsfinanzierung! Ein programmierter Skandal.
Es würde an ein Wunder grenzen, wenn die Zustände um Anfa und die monetäre Staatsfinanzierung, die ominösen Anleihenkäufe der französischen und der italienischen Notenbank, die Rolle der EZB und das deutsch-französische Verhältnis ohne Konsequenzen für die Finanzmärkte blieben. Die Frage ist indes: wann und in welchem Ausmaß? Die Vorboten waren jedenfalls schon in der abgelaufenen Woche zu beobachten, etwa in wild schwankenden Aktienkursen und in einer gewissen Stabilisierung des Goldpreises, der auf Unruhen an den Finanzmärkte in der Regel positiv reagiert.
© Manfred Gburek
www.gburek.eu
Herr Gburek ist Fachjournalist und Buchautor. Seine letzten Werke waren: Außer diversen Börsenbüchern schrieb er: "Das Goldbuch", das Wörterbuch "Geld und Gold klipp und klar von A bis Z", "Die 382 dümmsten Sprüche der Banker" und zuletzt das Ebook "Ach du liebes Geld!".