Bis uns der Euro um die Ohren fliegt
03.01.2016 | Manfred Gburek
Die Älteren unter Ihnen erinnern sich bestimmt noch an die erste Ölkrise von 1973, der ein Jahr darauf eine internationale Wirtschaftskrise folgte. Damals schoss der Ölpreis zum ersten Mal nach Jahrzehnten derart in die Höhe, dass die Bundesregierung sich genötigt sah, einen autofreien Sonntag zu verordnen. Diese Entscheidung war zwar vor allem psychologisch motiviert, aber sie trug auch dazu bei, dass die Autoindustrie sich an die Arbeit machte, um spritsparende Autos zu konstruieren.
Sechs Jahre später, 1979, wiederholte sich das Ölspektakel, allerdings ohne autofreien Sonntag. Die anschließende Wirtschaftskrise war nicht mehr so schlimm wie die vorangegangene; stattdessen drohten allerdings die Preise dramatisch davonzulaufen, mit der Folge, dass die Zinsen zur Bekämpfung der Inflation auf zweistellige Werte in die Höhe schossen. Die Aktion mit den Kampfzinsen gelang.
Und heute? Verkehrte Welt: Der Preis des Erdöls liegt am Boden, als bräuchten wir es nicht; das wird sich bald rächen. Weder eine Wirtschaftskrise noch eine nachhaltige Zinserhöhung ist in Sicht. Ja, man kann die Zeiten nach 1973 und nach 1979 noch so oft Punkt für Punkt Revue passieren lassen, irgendwelche Parallelen zur aktuellen Entwicklung lassen sich schwerlich finden.
An ihrer Stelle haben wir es außer mit den schon genannten Phänomenen auch noch mit solchen zu tun, an die seinerzeit niemand im Entfernten gedacht hätte: mit Geld nur so um sich werfende Notenbanken, die davon mehr Wirtschaftswachstum erwarten, Herbeisehnen der Inflation einschließlich eines Inflationsziels von 2 Prozent, eine Gemeinschaftswährung namens Euro und eine Völkerwanderung, die noch größere Dimensionen erreichen dürfte als die in den 90er Jahren aus Anlass von Glasnost, Perestroika und deren Folgen.
Die verkehrte Welt erfordert neue Instrumente, um sie zu beherrschen. Aber welche? Wirtschaftswissenschaftler und Bankvolkswirte haben zwar jede Menge an Ideen, aber mit der Umsetzung in die Praxis hapert es. Denn die meisten Politiker verstehen wirtschaftliche Zusammenhänge nicht und lassen deshalb die Finger davon. Außerdem schrecken sie vor unpopulären Maßnahmen zurück, weil ihnen dann Wählerstimmen verloren gehen würden. Eine weitere Maßnahme wie die Agenda 2010 unter der Schröder-Regierung ist jedenfalls weit und breit nicht in Sicht.
In das dadurch entstandene Vakuum ist EZB-Präsident Mario Draghi vorgestoßen. Also der charmante Italiener, der aber fuchsteufelswild reagieren kann, wenn ihm etwas nicht passt. Er nutzt jede Gelegenheit aus, um der Politik innerhalb der Eurozone seinen Stempel aufzudrücken - auch der deutschen Politik, deren Fokus derzeit voll auf die Lösung des Flüchtlingsproblems gerichtet ist. Das volkswirtschaftliche Modell, das die EZB ihrer Geldpolitik zugrunde legt, erscheint zunächst einfach und plausibel: Niedrige Zinsen führen zu höheren Krediten, woraus mehr Investitionen entstehen, sodass am Ende viele Arbeitsplätze geschaffen werden.
Als wenn das so einfach wäre. Ist es aber nicht. Denn niedrige Zinsen allein bringen nicht automatisch höhere Kredite und dadurch mehr Investitionen mit sich. Vielmehr müssten Unternehmen, wenn sie denn Spaß am Investieren haben sollen, daraus höhere Renditen erwarten. Das mag auf deutsche Unternehmen zutreffen; doch in den meisten anderen Euroländern sind die Firmenchefs erst dabei, sich von der Finanz- und Wirtschaftskrise zu erholen und ihre Überkapazitäten abzubauen.
Was folgt daraus? Claus Döring, Chefredakteur der Börsen-Zeitung, hat die weitere Entwicklung in einem Kommentar am 12. Dezember besonders deutlich beschrieben: Auf die europäische Währungsunion komme "spätestens in zwei, drei Jahren eine wirkliche Belastungsprobe zu, die Euroland zerreißen kann und vielleicht auch wird. Denn da geht es dann nicht wie im Frühjahr um ein wirtschaftliches Leichtgewicht wie Griechenland, dem mit einigen Milliarden geholfen werden kann.
Die Solidarität der Haftungsunion werden dann Ankerländer der Eurozone wie Frankreich und Italien einfordern. Mario Draghi, der den Euro bekanntlich erhalten will, was immer es kostet, wird dann mit seinem Latein am Ende sein - und mit seiner Amtszeit. Dann folgt die Quittung für Draghis Politik des Zeitkaufens, mit der die EZB zum willfährigen Instrument reformunfähiger Politiker wurde."
Aus dem letzten Satz ergibt sich der Knackpunkt: Zu Draghis Geldpolitik existiert keine Alternative. Das muss man sich mal einhämmern: Da haben 19 Länder der Eurozone die Chance, die europäische Konjunktur auf Vordermann zu bringen, ja zu gestalten, aber sie tun nichts Entscheidendes dafür. Stattdessen macht ihnen der Zampano im EZB-Doppelturm an der Sonnemannstraße 20 in Frankfurt etwas vor, dessen Folgen am Ende alle Länder der Eurozone zu spüren bekommen werden, speziell Deutschland als oberster Zahlmeister für die anderen. Ich könnte mich schütteln.
Ob denn wohl die Euro-Zerreißprobe noch zwei bis drei Jahre auf sich warten lässt, wie von Döring erwähnt? Immerhin fügt er das Wort „spätestens“ hinzu. Es könnte also schneller gehen, bis uns der Euro um die Ohren fliegt. Bis dahin mag er im Vergleich zu anderen Währungen, auch zum Dollar, zeitweise sogar stark erscheinen, weil alle großen Währungen der Welt massiv auf Schulden basieren, was sie jederzeit gegen externe Schocks anfällig macht. Doch bei solch einer Art von relativer Stärke dürfte es jeweils nur für kurze Zeit bleiben. Dies auch noch aus einem anderen Grund: Der Euro-Anteil an internationalen Transfers und an den Reservewährungen weltweit nimmt seit Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise ab.
Was die denkbaren Folgen eines Euro-Auseinanderbrechens angeht, sind zunächst der Phantasie keine Grenzen gesetzt. Ob Euro Nord und Euro Süd, der autonome Austritt Deutschlands aus der Eurozone einschließlich Rückkehr zur Mark, Grexit, Spexit oder sonst noch was, theoretisch ist alles möglich. Betrachtet man das Szenario dagegen von der praktischen Seite, denke ich an einen Spruch von Kanzlerin Angela Merkel: "Scheitert der Euro, scheitert Europa." Daraus folgt: Zahlmeister Deutschland ist bereit, alles zu unternehmen, um den Euro zu bewahren - mit der Umverteilung von sehr viel Geld zulasten Deutschlands und zugunsten der meisten anderen Euroländer unter Führung von Frankreich und Italien.
Zum Schluss sei nur noch erwähnt, dass jede Art von Unruhen um den Euro, aber auch um andere große Währungen Turbulenzen weltweit nach sich ziehen wird. Es erscheint also sinnvoll, als Schutzmaßnahme verschiedene Währungen vorzuhalten - und mit einem hohen Anteil erst recht die Währung aller Währungen: Gold, ergänzt um dessen kleinen Bruder Silber.
© Manfred Gburek
www.gburek.eu
Herr Gburek ist Fachjournalist und Buchautor. Seine letzten Werke waren: Außer diversen Börsenbüchern schrieb er: "Das Goldbuch", das Wörterbuch "Geld und Gold klipp und klar von A bis Z", "Die 382 dümmsten Sprüche der Banker" und zuletzt das Ebook "Ach du liebes Geld!".
Sechs Jahre später, 1979, wiederholte sich das Ölspektakel, allerdings ohne autofreien Sonntag. Die anschließende Wirtschaftskrise war nicht mehr so schlimm wie die vorangegangene; stattdessen drohten allerdings die Preise dramatisch davonzulaufen, mit der Folge, dass die Zinsen zur Bekämpfung der Inflation auf zweistellige Werte in die Höhe schossen. Die Aktion mit den Kampfzinsen gelang.
Und heute? Verkehrte Welt: Der Preis des Erdöls liegt am Boden, als bräuchten wir es nicht; das wird sich bald rächen. Weder eine Wirtschaftskrise noch eine nachhaltige Zinserhöhung ist in Sicht. Ja, man kann die Zeiten nach 1973 und nach 1979 noch so oft Punkt für Punkt Revue passieren lassen, irgendwelche Parallelen zur aktuellen Entwicklung lassen sich schwerlich finden.
An ihrer Stelle haben wir es außer mit den schon genannten Phänomenen auch noch mit solchen zu tun, an die seinerzeit niemand im Entfernten gedacht hätte: mit Geld nur so um sich werfende Notenbanken, die davon mehr Wirtschaftswachstum erwarten, Herbeisehnen der Inflation einschließlich eines Inflationsziels von 2 Prozent, eine Gemeinschaftswährung namens Euro und eine Völkerwanderung, die noch größere Dimensionen erreichen dürfte als die in den 90er Jahren aus Anlass von Glasnost, Perestroika und deren Folgen.
Die verkehrte Welt erfordert neue Instrumente, um sie zu beherrschen. Aber welche? Wirtschaftswissenschaftler und Bankvolkswirte haben zwar jede Menge an Ideen, aber mit der Umsetzung in die Praxis hapert es. Denn die meisten Politiker verstehen wirtschaftliche Zusammenhänge nicht und lassen deshalb die Finger davon. Außerdem schrecken sie vor unpopulären Maßnahmen zurück, weil ihnen dann Wählerstimmen verloren gehen würden. Eine weitere Maßnahme wie die Agenda 2010 unter der Schröder-Regierung ist jedenfalls weit und breit nicht in Sicht.
In das dadurch entstandene Vakuum ist EZB-Präsident Mario Draghi vorgestoßen. Also der charmante Italiener, der aber fuchsteufelswild reagieren kann, wenn ihm etwas nicht passt. Er nutzt jede Gelegenheit aus, um der Politik innerhalb der Eurozone seinen Stempel aufzudrücken - auch der deutschen Politik, deren Fokus derzeit voll auf die Lösung des Flüchtlingsproblems gerichtet ist. Das volkswirtschaftliche Modell, das die EZB ihrer Geldpolitik zugrunde legt, erscheint zunächst einfach und plausibel: Niedrige Zinsen führen zu höheren Krediten, woraus mehr Investitionen entstehen, sodass am Ende viele Arbeitsplätze geschaffen werden.
Als wenn das so einfach wäre. Ist es aber nicht. Denn niedrige Zinsen allein bringen nicht automatisch höhere Kredite und dadurch mehr Investitionen mit sich. Vielmehr müssten Unternehmen, wenn sie denn Spaß am Investieren haben sollen, daraus höhere Renditen erwarten. Das mag auf deutsche Unternehmen zutreffen; doch in den meisten anderen Euroländern sind die Firmenchefs erst dabei, sich von der Finanz- und Wirtschaftskrise zu erholen und ihre Überkapazitäten abzubauen.
Was folgt daraus? Claus Döring, Chefredakteur der Börsen-Zeitung, hat die weitere Entwicklung in einem Kommentar am 12. Dezember besonders deutlich beschrieben: Auf die europäische Währungsunion komme "spätestens in zwei, drei Jahren eine wirkliche Belastungsprobe zu, die Euroland zerreißen kann und vielleicht auch wird. Denn da geht es dann nicht wie im Frühjahr um ein wirtschaftliches Leichtgewicht wie Griechenland, dem mit einigen Milliarden geholfen werden kann.
Die Solidarität der Haftungsunion werden dann Ankerländer der Eurozone wie Frankreich und Italien einfordern. Mario Draghi, der den Euro bekanntlich erhalten will, was immer es kostet, wird dann mit seinem Latein am Ende sein - und mit seiner Amtszeit. Dann folgt die Quittung für Draghis Politik des Zeitkaufens, mit der die EZB zum willfährigen Instrument reformunfähiger Politiker wurde."
Aus dem letzten Satz ergibt sich der Knackpunkt: Zu Draghis Geldpolitik existiert keine Alternative. Das muss man sich mal einhämmern: Da haben 19 Länder der Eurozone die Chance, die europäische Konjunktur auf Vordermann zu bringen, ja zu gestalten, aber sie tun nichts Entscheidendes dafür. Stattdessen macht ihnen der Zampano im EZB-Doppelturm an der Sonnemannstraße 20 in Frankfurt etwas vor, dessen Folgen am Ende alle Länder der Eurozone zu spüren bekommen werden, speziell Deutschland als oberster Zahlmeister für die anderen. Ich könnte mich schütteln.
Ob denn wohl die Euro-Zerreißprobe noch zwei bis drei Jahre auf sich warten lässt, wie von Döring erwähnt? Immerhin fügt er das Wort „spätestens“ hinzu. Es könnte also schneller gehen, bis uns der Euro um die Ohren fliegt. Bis dahin mag er im Vergleich zu anderen Währungen, auch zum Dollar, zeitweise sogar stark erscheinen, weil alle großen Währungen der Welt massiv auf Schulden basieren, was sie jederzeit gegen externe Schocks anfällig macht. Doch bei solch einer Art von relativer Stärke dürfte es jeweils nur für kurze Zeit bleiben. Dies auch noch aus einem anderen Grund: Der Euro-Anteil an internationalen Transfers und an den Reservewährungen weltweit nimmt seit Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise ab.
Was die denkbaren Folgen eines Euro-Auseinanderbrechens angeht, sind zunächst der Phantasie keine Grenzen gesetzt. Ob Euro Nord und Euro Süd, der autonome Austritt Deutschlands aus der Eurozone einschließlich Rückkehr zur Mark, Grexit, Spexit oder sonst noch was, theoretisch ist alles möglich. Betrachtet man das Szenario dagegen von der praktischen Seite, denke ich an einen Spruch von Kanzlerin Angela Merkel: "Scheitert der Euro, scheitert Europa." Daraus folgt: Zahlmeister Deutschland ist bereit, alles zu unternehmen, um den Euro zu bewahren - mit der Umverteilung von sehr viel Geld zulasten Deutschlands und zugunsten der meisten anderen Euroländer unter Führung von Frankreich und Italien.
Zum Schluss sei nur noch erwähnt, dass jede Art von Unruhen um den Euro, aber auch um andere große Währungen Turbulenzen weltweit nach sich ziehen wird. Es erscheint also sinnvoll, als Schutzmaßnahme verschiedene Währungen vorzuhalten - und mit einem hohen Anteil erst recht die Währung aller Währungen: Gold, ergänzt um dessen kleinen Bruder Silber.
© Manfred Gburek
www.gburek.eu
Herr Gburek ist Fachjournalist und Buchautor. Seine letzten Werke waren: Außer diversen Börsenbüchern schrieb er: "Das Goldbuch", das Wörterbuch "Geld und Gold klipp und klar von A bis Z", "Die 382 dümmsten Sprüche der Banker" und zuletzt das Ebook "Ach du liebes Geld!".