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EZB und Fed in der Zinsfalle

24.01.2016  |  Manfred Gburek
Wenn EZB-Präsident Mario Draghi den Börsenspielern noch mehr Geld verspricht (wie am Donnerstag geschehen), wenn tags darauf an der Börse in Tokio wegen hochschnellender Aktienkurse die Champagnerkorken knallen und wenn die Erholung des Ölpreises zum Anlass für einen weiteren Kursschub genommen wird, darf die Frage erlaubt sein: Sind die Börsianer verrückt geworden? Ja, sie sind. Um das zu beweisen, haben sie auch gleich die europäischen Aktienkurse in die Höhe schießen lassen.

Draghi sorgt sich um die Konjunktur in Europa. Jedenfalls schiebt er dieses Argument vor, um zu rechtfertigen, warum im März die nächste Geldschwemme kommen soll. Er wird zum Getriebenen seiner eigenen Worte - und niemand kann ihn halten, schon gar nicht die europäischen Politiker, die noch Monate, ja Jahre lang mit dem Flüchtlingsproblem beschäftigt sein werden. Geld ist nicht ihre Sache. Da lassen sie zu, wie Draghi sich als (Geld-) Herrscher über Europa gebärdet.

Es geht um Spielgeld - mit dem Nebeneffekt, dass der Euro vorübergehend einen Schwächeanfall erleidet. Es geht auch um Währungspolitik, damit der Euro nachhaltig schwächelt, um die Exportwirtschaft bald in Frankreich, Italien, Spanien und sonst wo im Euroraum dahin zu bringen, wo sie sich in Deutschland bereits befindet, also ziemlich weit oben. Wer die Währungspolitik unter diesem Aspekt bei Draghi zu hinterfragen wagt, dürfte von ihm allerdings eine schroffe Antwort erhalten - als Reaktion auf die darin zum Ausdruck kommende Majestätsbeleidigung.

Spielgeld gehorcht eigenen Gesetzmäßigkeiten, bestens erkennbar an den Zuckungen der Aktienkurse während der vergangenen Monate, Volatilität genannt. Für volatile Börsen gibt es inzwischen so viele Softwareprogramme (auch für private Börsenspieler), dass man leicht den Eindruck gewinnen kann, die ganze Welt sei ein einziges Spielkasino. Ist sie derzeit tatsächlich.

Der Beweis lässt sich leicht erbringen: Kaum ein Tag vergeht, an dem Nachtrichten vom Vortag nicht wieder konterkariert werden. Hier nur drei Beispiele: China zieht die Weltwirtschaft runter/Chinas neue Rolle als Konjunkturlokomotive bleibt bestehen. Der gefallene Ölpreis zwingt ein Förderland nach dem anderen in die Rezession/Billiges Öl ist wie ein Konjunkturprogramm zugunsten des Konsums. Die nächste Finanzkrise steht vor der Tür/Die Notenbanken werden es schon richten. Und so weiter.

Ich schlage vor, Sie machen sich spaßeshalber ein paar Tage lang entsprechende Notizen. Die beste Fundgrube für Widersprüche und Irritationen sind die gängigen Börsenkommentare im Internet und vor allem im Fernsehen: Dax rauf, weil.....Dax runter, weil....., und das Ganze wieder von vorn. Was dabei herauskommt, ist so gut wie immer verbaler Mist. Denn jede Kursbewegung ist das Ergebnis mehrerer kurz-, mittel- und langfristig wirkender Einflussfaktoren, und die sind nur in mühevoller Kleinarbeit zu ergründen.

Die Geldpolitik der Notenbanken vereint gleich alle drei Faktoren: Kurzfristig genügt ein leises Räuspern von EZB-Präsident Draghi einschließlich Hinweis auf stimulierende Maßnahmen im März (wie am vergangenen Donnerstag), und schon steigen nicht allein die Aktien-, sondern nochmals sogar die Anleihenkurse. Mittelfristig zählt beispielhaft das, was ein Thinktank der EZB kürzlich errechnet hat: Würde die EZB keine Anleihenkäufe im bisherigen Umfang tätigen (mittlerweile gut und gern 1,5 Billionen Euro), dürfte die Wirtschaftsleistung im Euroraum von 2015 bis 2017 um 1 Prozent niedriger ausfallen als mithilfe solcher Käufe.

Und langfristig? Geht man nicht von Jahrzehnten, sondern nur von fünf bis zehn Jahren aus, ist bereits in dieser Zeitspanne damit zu rechnen, dass die Wirkung der exzessiven Geldpolitik nachlassen wird. Vorausgesetzt, dass damit bis dahin die Wirtschaftsleistung nur noch stagniert oder sogar abnimmt und die Inflation zunimmt - Draghi will sie ja um jeden Preis herbeizwingen -, ergeben sich seit geraumer Zeit zum Beispiel günstige Einstiegschancen in Gold. Denn das Edelmetall würde dann seiner Rolle als sicherer Hafen und als Schutz vor Inflation gerecht. Die Spekulation darauf ist in Anbetracht der ökonomischen Daten gewiss nicht die schlechteste.

Natürlich spielt bei diesen Überlegungen auch die Geldpolitik der anderen großen Notenbanken eine entscheidende Rolle, zuvorderst die der amerikanischen Fed. Aber was heißt das schon, schöpft die nicht auch viel Geld aus dem Nichts? Das tut sie, nur mit einem kleinen Unterschied zur EZB, identifizierbar anhand der leichten Zinserhöhung im Dezember: EZB und Fed gestalten ihre Geldpolitik derzeit nicht synchron.

Das heißt, während die EZB wie verrückt Anleihen kauft, wollte die Fed mit ihrer Zinserhöhung signalisieren: Den Amerikanern geht es gut, also können sie eine weniger lockere Geldpolitik verkraften. Die Daten zur amerikanischen Wirtschaft widersprechen dieser These jedoch massiv. Daraus folgt: Weiter steigende US-Zinsen sind von relativ kurzer Dauer. Und: Eine synchrone Geldpolitik von EZB und Fed ist nur noch eine Frage der Zeit.

Beide sind in eine selbst gestellte Falle geraten: War die Konjunktur schwach, senkten sie den Leitzins viel zu schnell und massiv. Dagegen ließen sie sich mit Leitzinserhöhungen zu viel Zeit, obwohl die Konjunktur schon zu brummen begann. Das rächt sich jetzt, denn der Spielraum für eine Zinssenkung ist sowohl im Euroraum als auch in den USA verschwindend gering. Das wirft mehrere Fragen auf:

Verlieren die Zinsen bald ihre Signalfunktion für ganze Volkswirtschaften? Müssen wir demnächst auch nominal mit negativen Zinsen rechnen (real ist es ja schon so weit)? Welche Instrumente stehen den Notenbanken überhaupt noch zur Verfügung? Wie lange können angeschlagene Banken, nun auch die Deutsche, im Zuge verschwindend geringer Margen beim Kreditgeschäft ohne fremde Hilfe (etwa vonseiten der Notenbanken) überleben?Welche Gefahren kommen auf das ganze Finanzsystem zu, wenn sie sich im zyklischen Investmentbanking verspekulieren oder wenn Schattenbanken, etwa Hedgefonds, das ganze Spielgeld ihrer Kunden verlieren? Und wie verkaufen Versicherer ihren Anlegern die unfrohe Botschaft, dass ein großer Teil der Altersvorsorge wegen anhaltender Niedrigzinsen platzt?

Niemand kann diese Fragen beantworten. Dabei wären Antworten so wichtig. Doch Draghi & Co. sind so sehr mit der Rettung von maroden Banken und ganzen Ländern beschäftigt, dass sie wichtige Fragen einfach im Raum stehen lassen. Die Zeit werde es schon richten, hoffen sie. Und Politiker, ökonomisch ohnehin überwiegend unbeschlagen oder desinteressiert, sind vollends damit beschäftigt, die Flüchtlingskrise zu bewältigen. Notenbanker wie auch Politiker haben Neuland betreten und sich darin verirrt. Dazu gehört - immer noch - auch der Euro. Dessen Zukunft ist nur insoweit sicher, als Politiker im Euroraum sich offenbar darin einig sind, ihn um jeden Preis zu verteidigen. Ob ihnen das auf Dauer gelingen wird, bleibt zweifelhaft.

Alles nur apokalyptische Visionen? Ganz bestimmt nicht, sondern eher Anregungen, auch über derzeit öffentlich weniger diskutierte Themen nachzudenken. Sie alle werden während der nächsten Jahre in abwechselnder Folge immer wieder aufs öffentliche Tapet kommen und die bereits erwähnten Schwankungen an den Börsen auslösen. Und nachdem die Zinsen ihre Signalfunktion weitgehend eingebüßt haben, empfehle ich Ihnen, diese Funktion auch in Bezug auf den Goldpreis zu beachten: Sobald er nennenswert steigt, nimmt er den Schlamassel vorweg, den ich heute - wenn auch nur ansatzweise - beschrieben habe. Diese Empfehlung schließt ein, dass es sinnvoll ist, in Gold engagiert zu sein.


© Manfred Gburek
www.gburek.eu

Herr Gburek ist Fachjournalist und Buchautor. Seine letzten Werke waren: Außer diversen Börsenbüchern schrieb er: "Das Goldbuch", das Wörterbuch "Geld und Gold klipp und klar von A bis Z", "Die 382 dümmsten Sprüche der Banker" und zuletzt das Ebook "Ach du liebes Geld!".



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