Die nächste Schuldenorgie droht im Juni
24.04.2016 | Manfred Gburek
Oberflächlich betrachtet, lassen sich die Schlagzeilen zum Auftritt von Mario Draghi am vergangenen Donnerstag etwa so zusammenfassen: Wolfgang Schäuble greift den EZB-Präsidenten wegen dessen ultralockerer Geldpolitik mit Negativzins-Effekt an, Angela Merkel dagegen nimmt den Herrscher über den Euro in Schutz. Doch Schlagzeilen sind nicht alles.
Zweifellos konzediert die Kanzlerin dem Mann an der Spitze der EZB, dass er Teile der Aufgaben, die eigentlich von Politikern erledigt werden müssten, selbst in die Hand genommen hat und weiter nimmt. Denn die meisten Politiker aus der Eurozone sind mit ihrem Konjunktur-Latein am Ende. Insofern ist die Reaktion der Kanzlerin verständlich. Draghi als eine Art verkappter Eurozonen-Präsident? Ja bitte, sagt sich Merkel, dann brauche ich nicht selbst Franzosen, Italiener, Spanier und andere ständig zu ermahnen, mit den Deutschen konjunkturell und strukturell gleichzuziehen.
Aber was treibt Schäuble dazu, an Draghi herumzumäkeln und ihm obendrein womöglich auch noch die bisherigen Wahlerfolge der AfD anzulasten, wie es in Medien heißt? Sorgt denn nicht gerade der von Draghi beherrschte EZB-Rat für Null- bis Negativzinsen? Und lädt dieses Zinsniveau den deutschen Finanzminister nicht geradezu ein, sich für Jahrzehnte supergünstig zu verschulden? Gemach, ganz so einfach ist es nicht. Das liegt an den komplizierten Mechanismen der Geldpolitik des Quantitative Easing (QE), also des Aufkaufs von Anleihen durch die EZB. Dazu soll im Juni ein neues Programm aufgelegt werden, und das hat es in sich.
Worum geht es? Um nichts weniger als um die nächste Schuldenorgie. Ausgangspunkt: Es gibt nicht genug Anleihen höherer Bonität, die für QE infrage kommen. Das heißt, der Markt für solche Anleihen - egal, ob Staaten oder Unternehmen sie ausgegeben haben – ist zum Teil bereits ausgetrocknet. Unternehmensanleihen sollen von Juni an zum QE-Grundgerüst gehören. Doch woher nehmen? Klare Ansage: Die Schatzmeister so manches Unternehmens machen derzeit ganze Nachtschichten, um Anleiheprogramme möglichst noch bis Juni auflegen zu können.
So weit, so klar. Der entscheidende Knackpunkt ist indes die Bonität. Lässt die schon bei so mancher Staatsanleihe zu wünschen übrig, wird es bei Unternehmensanleihen nicht anders sein – es sei denn, auf einmal hagelt es AAA-Anleihen mit Topbewertung. Doch was die Bonität betrifft, gilt es Grenzen zu beachten. Und die werden nun mal von Ratingagenturen bestimmt, die es sich nicht leisten können, nach dem Rating-Desaster aus Anlass der Finanzkrise 2008/09 ein weiteres Mal am Pranger zu stehen.
Zwischenfazit: Entweder gibt es nicht genug Anleihen mit guten bis sehr guten Ratings, dann steht der EZB zu wenig QE-Masse zur Verfügung. Oder die EZB ist bereit, auch Anleihen minderer Bonität für ihr neues QE-Programm zu akzeptieren, also höhere Risiken in Kauf zu nehmen. Nicht auszudenken, wie die Kapitalmärkte verrückt spielen würden, falls eine von solchen Anleihen nicht mehr durch ihren Emittenten bedient werden könnte. Es sind wohl in erster Linie diese Überlegungen, die Schäuble bewogen haben, die aktuelle EZB-Geldpolitik zu kritisieren. Denn einen verrückten Kapitalmarkt mit unabsehbaren Folgen kann kein Finanzminister der Welt gebrauchen, allein schon aus Eigeninteresse mit Blick auf die zukünftige Ausgabe von Staatsanleihen.
Schäuble liegt im Großen und Ganzen auf einer Linie mit Bundesbank-Präsident und EZB-Ratsmitglied Jens Weidmann. Insofern ist dessen Ansicht zur Geldpolitik der Marke Draghi besonders aufschlussreich. Und siehe da, er warnt vor ihr, wann immer er kann. Dann ist von unbekanntem Terrain und von der Vereinnahmung der Geld- durch die Fiskalpolitik die Rede, ja sogar von deren gefährlicher Vermengung, von Bedenken gegen den Kauf von Staatsanleihen im Allgemeinen sowie von Risiken für die Stabilität des Finanzsystems und von wachsenden Blasen an den Finanzmärkten im Besonderen.
Noch deutlicher geht es wahrlich nicht. Oder doch? Dazu der Originalton Weidmann: "Finanzmärkte sind von Natur aus krisenanfällig, denn sie neigen zu Übertreibungen." In einem Anlagesegment wurde schon bisher total übertrieben: bei Anleihen, deren Renditen in den negativen Bereich gerutscht sind, sodass der Renditebegriff hier eigentlich deplatziert erscheint. Sofern es sich um Anleihen von halbwegs akzeptabler Bonität handelt, verharren ihre Renditen weiter im Minus. Und wenn die Bonität nicht mehr akzeptabel ist, springt dann die EZB mit QE ein? Das wäre jedenfalls eine konsequente Reaktion auf die Krisenanfälligkeit der Finanzmärkte - allerdings mit offenem Ausgang, sprich: mit erhöhter Anfälligkeit.
Wie steht es um die Übertreibung bei Aktien, deren Kurse in Deutschland bekanntlich vor Jahresfrist ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht hatten? Hier scheiden sich die Geister. Die einen verweisen auf die zum Teil immer noch sprudelnden Unternehmensgewinne und auf die Dividendenschwemme, während die anderen vor allem die Risiken im Auge haben, etwa die Brexit-Gefahr, benannt nach dem möglichen Ausscheiden der Briten aus der EU, oder die anhaltend niedrigen Zinsen.
Aber wie das, ausgerechnet niedrige Zinsen sollen gefährlich sein? Sind es nicht gerade sie, die Investitionen rentabel machen, weil Fremdkapital preiswert zu haben ist? Hier schließt sich der Kreis zu den eingangs angestellten Überlegungen, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen verführt das derzeit extrem niedrige Zinsniveau zu Investitionen, die mit hohen Risiken verbunden sind.
Zum anderen wirkt sich das niedrige Zinsniveau verheerend auf die Entwicklung von Schulden deutscher Unternehmen aus. Denn zu deren Schulden gehören auch Pensionsverpflichtungen, und die wachsen umso mehr an, je länger das Zinsniveau und damit der Pensions-Abzinsungsfaktor unten verharrt. Über diesen - zugegeben komplizierten - Zusammenhang aus Anlass der Entwicklung von Aktienkursen zu diskutieren, sprengt in der Regel das Verständnis der meisten Börsianer. Dabei ist er so wichtig, dass er bald wahrscheinlich auch während der EZB-Ratssitzungen zur Sprache kommen wird.
Und die Erkenntnis aus allem? Erstens: Die EZB-Geldpolitik bleibt umstritten und damit ein Unsicherheitsfaktor, die Geldpolitik der anderen großen Notenbanken ebenfalls, wenn auch zum Teil aus anderen Gründen. Zweitens: EZB-Chef Draghi läuft Gefahr, Anleihen minderer Qualität aufzukaufen. Drittens: Wir haben es mit krisenanfälligen Finanzmärkten zu tun, die eine Gefahr für Anleihen und Aktien darstellen. Viertens: Es empfiehlt sich, die Preise von Gold intensiv zu verfolgen, weil sie zu den wichtigsten Krisenindikatoren gehören. Ihr seit vier Monaten bestehender Aufschwung mit nur kleinen Unterbrechungen spricht für die Lebensweisheit: Wo Rauch ist, ist auch Feuer.
© Manfred Gburek
www.gburek.eu
Manfred Gburek ist neben seiner Funktion als Kolumnist privater Investor und Buchautor.
Zweifellos konzediert die Kanzlerin dem Mann an der Spitze der EZB, dass er Teile der Aufgaben, die eigentlich von Politikern erledigt werden müssten, selbst in die Hand genommen hat und weiter nimmt. Denn die meisten Politiker aus der Eurozone sind mit ihrem Konjunktur-Latein am Ende. Insofern ist die Reaktion der Kanzlerin verständlich. Draghi als eine Art verkappter Eurozonen-Präsident? Ja bitte, sagt sich Merkel, dann brauche ich nicht selbst Franzosen, Italiener, Spanier und andere ständig zu ermahnen, mit den Deutschen konjunkturell und strukturell gleichzuziehen.
Aber was treibt Schäuble dazu, an Draghi herumzumäkeln und ihm obendrein womöglich auch noch die bisherigen Wahlerfolge der AfD anzulasten, wie es in Medien heißt? Sorgt denn nicht gerade der von Draghi beherrschte EZB-Rat für Null- bis Negativzinsen? Und lädt dieses Zinsniveau den deutschen Finanzminister nicht geradezu ein, sich für Jahrzehnte supergünstig zu verschulden? Gemach, ganz so einfach ist es nicht. Das liegt an den komplizierten Mechanismen der Geldpolitik des Quantitative Easing (QE), also des Aufkaufs von Anleihen durch die EZB. Dazu soll im Juni ein neues Programm aufgelegt werden, und das hat es in sich.
Worum geht es? Um nichts weniger als um die nächste Schuldenorgie. Ausgangspunkt: Es gibt nicht genug Anleihen höherer Bonität, die für QE infrage kommen. Das heißt, der Markt für solche Anleihen - egal, ob Staaten oder Unternehmen sie ausgegeben haben – ist zum Teil bereits ausgetrocknet. Unternehmensanleihen sollen von Juni an zum QE-Grundgerüst gehören. Doch woher nehmen? Klare Ansage: Die Schatzmeister so manches Unternehmens machen derzeit ganze Nachtschichten, um Anleiheprogramme möglichst noch bis Juni auflegen zu können.
So weit, so klar. Der entscheidende Knackpunkt ist indes die Bonität. Lässt die schon bei so mancher Staatsanleihe zu wünschen übrig, wird es bei Unternehmensanleihen nicht anders sein – es sei denn, auf einmal hagelt es AAA-Anleihen mit Topbewertung. Doch was die Bonität betrifft, gilt es Grenzen zu beachten. Und die werden nun mal von Ratingagenturen bestimmt, die es sich nicht leisten können, nach dem Rating-Desaster aus Anlass der Finanzkrise 2008/09 ein weiteres Mal am Pranger zu stehen.
Zwischenfazit: Entweder gibt es nicht genug Anleihen mit guten bis sehr guten Ratings, dann steht der EZB zu wenig QE-Masse zur Verfügung. Oder die EZB ist bereit, auch Anleihen minderer Bonität für ihr neues QE-Programm zu akzeptieren, also höhere Risiken in Kauf zu nehmen. Nicht auszudenken, wie die Kapitalmärkte verrückt spielen würden, falls eine von solchen Anleihen nicht mehr durch ihren Emittenten bedient werden könnte. Es sind wohl in erster Linie diese Überlegungen, die Schäuble bewogen haben, die aktuelle EZB-Geldpolitik zu kritisieren. Denn einen verrückten Kapitalmarkt mit unabsehbaren Folgen kann kein Finanzminister der Welt gebrauchen, allein schon aus Eigeninteresse mit Blick auf die zukünftige Ausgabe von Staatsanleihen.
Schäuble liegt im Großen und Ganzen auf einer Linie mit Bundesbank-Präsident und EZB-Ratsmitglied Jens Weidmann. Insofern ist dessen Ansicht zur Geldpolitik der Marke Draghi besonders aufschlussreich. Und siehe da, er warnt vor ihr, wann immer er kann. Dann ist von unbekanntem Terrain und von der Vereinnahmung der Geld- durch die Fiskalpolitik die Rede, ja sogar von deren gefährlicher Vermengung, von Bedenken gegen den Kauf von Staatsanleihen im Allgemeinen sowie von Risiken für die Stabilität des Finanzsystems und von wachsenden Blasen an den Finanzmärkten im Besonderen.
Noch deutlicher geht es wahrlich nicht. Oder doch? Dazu der Originalton Weidmann: "Finanzmärkte sind von Natur aus krisenanfällig, denn sie neigen zu Übertreibungen." In einem Anlagesegment wurde schon bisher total übertrieben: bei Anleihen, deren Renditen in den negativen Bereich gerutscht sind, sodass der Renditebegriff hier eigentlich deplatziert erscheint. Sofern es sich um Anleihen von halbwegs akzeptabler Bonität handelt, verharren ihre Renditen weiter im Minus. Und wenn die Bonität nicht mehr akzeptabel ist, springt dann die EZB mit QE ein? Das wäre jedenfalls eine konsequente Reaktion auf die Krisenanfälligkeit der Finanzmärkte - allerdings mit offenem Ausgang, sprich: mit erhöhter Anfälligkeit.
Wie steht es um die Übertreibung bei Aktien, deren Kurse in Deutschland bekanntlich vor Jahresfrist ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht hatten? Hier scheiden sich die Geister. Die einen verweisen auf die zum Teil immer noch sprudelnden Unternehmensgewinne und auf die Dividendenschwemme, während die anderen vor allem die Risiken im Auge haben, etwa die Brexit-Gefahr, benannt nach dem möglichen Ausscheiden der Briten aus der EU, oder die anhaltend niedrigen Zinsen.
Aber wie das, ausgerechnet niedrige Zinsen sollen gefährlich sein? Sind es nicht gerade sie, die Investitionen rentabel machen, weil Fremdkapital preiswert zu haben ist? Hier schließt sich der Kreis zu den eingangs angestellten Überlegungen, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen verführt das derzeit extrem niedrige Zinsniveau zu Investitionen, die mit hohen Risiken verbunden sind.
Zum anderen wirkt sich das niedrige Zinsniveau verheerend auf die Entwicklung von Schulden deutscher Unternehmen aus. Denn zu deren Schulden gehören auch Pensionsverpflichtungen, und die wachsen umso mehr an, je länger das Zinsniveau und damit der Pensions-Abzinsungsfaktor unten verharrt. Über diesen - zugegeben komplizierten - Zusammenhang aus Anlass der Entwicklung von Aktienkursen zu diskutieren, sprengt in der Regel das Verständnis der meisten Börsianer. Dabei ist er so wichtig, dass er bald wahrscheinlich auch während der EZB-Ratssitzungen zur Sprache kommen wird.
Und die Erkenntnis aus allem? Erstens: Die EZB-Geldpolitik bleibt umstritten und damit ein Unsicherheitsfaktor, die Geldpolitik der anderen großen Notenbanken ebenfalls, wenn auch zum Teil aus anderen Gründen. Zweitens: EZB-Chef Draghi läuft Gefahr, Anleihen minderer Qualität aufzukaufen. Drittens: Wir haben es mit krisenanfälligen Finanzmärkten zu tun, die eine Gefahr für Anleihen und Aktien darstellen. Viertens: Es empfiehlt sich, die Preise von Gold intensiv zu verfolgen, weil sie zu den wichtigsten Krisenindikatoren gehören. Ihr seit vier Monaten bestehender Aufschwung mit nur kleinen Unterbrechungen spricht für die Lebensweisheit: Wo Rauch ist, ist auch Feuer.
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Manfred Gburek ist neben seiner Funktion als Kolumnist privater Investor und Buchautor.