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Auf dem Weg zum finanziellen Urknall

28.08.2016  |  Manfred Gburek
Jackson Hole, Wyoming, Freitagabend: Notenbanker räkeln sich auf ihren Sitzen, als Janet Yellen, Chefin der amerikanischen Notenbank Fed, zur angeblich mit Spannung - jedenfalls aus Sicht der Börsenspieler - erwarteten Rede zur Zinspolitik ansetzt. Was hat uns die mächtigste Frau der Welt nach Monaten quälender Unsicherheit überhaupt noch mitzuteilen? Das fragt sich die ganze Finanzwelt - und wird prompt ein Mal mehr enttäuscht, denn Yellens Kernsatz lautet lapidar:

Bessere Verhältnisse am amerikanischen Arbeitsmarkt und die Erwartung eines moderaten Wirtschaftswachstums haben die Chance auf eine Zinserhöhung verstärkt. Dieser Aussage folgt der Hinweis darauf, dass die Zinstermingeschäfte ein solches Szenario schon seit geraumer Zeit bestätigt haben. Also wie hier vor einer Woche vorausgesagt: "nichts als heiße Luft".

Der Fed-Chefin sei immerhin zugestanden, dass sie die riesigen Müllhalden an "fiat money", wie man Geld aus dem Nichts nennt, managen muss, die ihre Vorgänger Alan Greenspan und Ben Bernanke aufgehäuft haben, das Ganze bei einem aktuellen amerikanischen Leitzins von 0,25 bis 0,50 Prozent. Belässt Yellen ihn auf diesem Niveau, ist sie nach außen hin zwangsläufig zum weiteren Produzieren von heißer Luft gezwungen; doch so etwas mögen Börsianer überhaupt nicht, weil dann allgemeine Unsicherheit um sich greifen dürfte.

Senkt sie ihn, könnte dies als Kapitulation gewertet werden. Erhöht sie ihn dagegen, wäre bald auch der geringe Rest an Wirtschaftswachstum dahin (im zweiten Quartal 2016 schlappe 1,1 Prozent). Wohin die Reise geht, wird bereits am kommenden Freitag zu beobachten sein, weil dann der nächste Arbeitsmarktbericht ansteht, und der dürfte alles andere als rosig ausfallen.

Börsenphasen wie die aktuelle haben einige Besonderheiten mit vielen Tücken: Yellen und ihre Mitstreiter aus den anderen Notenbanken versuchen ganz nebenbei die Börsianer mit optimistischen Durchhalteparolen wortreich zu beschwichtigen; konservative Großanleger nehmen äußerst selektiv Gewinne mit; spekulative Groß- und Kleinanleger reizen das in Einzelfällen vorhandene, auf viel zu überzogenen Erwartungen beruhende Kurspotenzial von Aktien und Anleihen aus; der von hoher Liquidität getriebene Kursaufschwung dieser beiden Anleiheklassen lässt den fundamentalen Schub vermissen, zuletzt abzulesen am ifo-Stimmungsbarometer; und wer stark in Gold und Silber investiert hat, wartet im Zweifel lieber auf den nächsten Kursschub nach oben, statt die - vor allem in Edelmetallaktien üppigen - Kursgewinne mitzunehmen.

Glättet man die Kurskurven, ergibt sich bei so mancher Anlageklasse eine Seitwärtsbewegung, auch Konsolidierung genannt. Sie erfordert von Börsianern viel Geduld. So weit die dazu an dieser Stelle bereits mehrfach vertretene These. Und was nun? Ich habe nochmals in meinem Archiv nachgeforscht und bin auf ein vielsagendes Wirtschaftswoche-Interview vom 1. Juli dieses Jahres mit William White gestoßen, früher Chefvolkswirt der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (Bank der Notenbanken) und nach dieser Zeit frei in seinen öffentlichen Äußerungen. Hier ist die entscheidende Passage:

"Bereinigungsprozesse sind etwas Gutes, denn mit schöpferischer Zerstörung lenken sie die im Boom fehlgeleiteten Ressourcen in neue Verwendungen, wo sie mehr Wachstum erzeugen. Ist die Geldpolitik erst einmal auf dem falschen Pfad und stemmt sie sich gegen die Bereinigungskrisen, werden die Ungleichgewichte immer größer. Kommt es dann zum Crash, ist er nicht mehr kontrollierbar."

Dieses Zitat soll keine Crash-Prognose sein, denn ein Crash lässt sich zumindest in puncto Timing allein schon wegen seiner in der entscheidenden Phase emotionalen Momente nicht vorhersagen - auch wenn es immer wieder Leute gibt, die sich damit brüsten, von den vergangenen drei Börsenkrächen fünf vorhergesagt zu haben, wie es etwas spaßig heißt. Der interviewte William White wollte einfach nur zum Ausdruck bringen: Erstens, jede Boomkorrektur hat ihr Gutes; zweitens, die Geldpolitik verschleppt sie; drittens, genau dadurch gerät alles außer Kontrolle.

Das entscheidende, von den Notenbanken zu verantwortende Ungleichgewicht besteht darin, dass sie zu viel Geld dorthin fließen lassen, wo es nur schmale oder sogar negative Renditen abwirft, etwa in Immobilien oder - noch schlimmer - in Anleihen minderer Qualität. Zum Ungleichgewicht tragen indes auch Aktien bei. Denn ihre Kurse sind derzeit vor allem von hoher Liquidität, weniger von fundamentalen Daten getrieben; und sie lassen sich mit allerlei Zahlenzauber zu Dividendenrenditen, wachsenden Unternehmensgewinnen, prognonstizierten Kurs-Gewinn-Verhältnissen, Ebit-Margen und sonstigem Teufelszeug aus den Laboren von Sell side-Analysten auf dem aktuellen Niveau halten - noch, sei ausdrücklich hinzugefügt.

Der Begriff von der schöpferischen Zerstörung geht auf den 1950 verstorbenen österreichischen Nationalökonomen Joseph Alois Schumpeter zurück. Eine seiner Kernthesen lautet: Dank dynamischer Unternehmer, die durch Innovationen die Konjunktur in Schwung bringen, überlebt das kapitalistische Wirtschaftssystem. Schumpeter, wahrlich kein Kind von Traurigkeit, sondern europaweit eher als Schwerenöter bekannt, war allerdings alles andere als ein erfolgreicher Unternehmer. Immerhin, mit der schöpferischen Zerstörung hat er uns eine Metapher geliefert, die sich nahtlos auf das aktuelle finanzielle Umfeld anwenden lässt.

Ein wichtiges Charakteristikum dieses Umfelds ist der Überhang am bereits erwähnten "fiat money", Geld aus dem Nichts, im Vergleich zu realen Werten, wie Gold, Silber, eingeschränkt auch Aktien und Immobilien, sofern sie nicht schon total überteuert sind. Das Geld aus dem Nichts hinterlässt seine Spuren, indem es die realen Werte aufbläht. Das nennt man Asset Inflation, also Inflation der Anlagen. Sie begünstigt sogar die Kurse von Anleihen, die genaugenommen zum Geld aus dem Nichts gehören - eine geradezu perverse Entwicklung. Aus ihr braut sich etwas zusammen, was man derzeit zwar nicht im Detail, wohl aber im großen Ganzen schlussfolgern kann: ein finanzieller Urknall.

So gesehen bleibt Janet Yellen nichts anderes übrig, als auch weiterhin die Gemüter mit heißer Luft zu beschwichtigen, das nächste Mal bei der entscheidende Fed-Sitzung im September. Ihren Mitstreitern in den übrigen Notenbanken, wie etwa EZB-Chef Mario Draghi, ergeht es nicht anders. Sie alle betreiben keine wirkliche Zinspolitik mehr, weil sie den Zins als Preis für Geld vorübergehend und mit offenem Ausgang außer Kraft gesetzt haben. Nun wissen sie nicht mehr, wie sie weiter mit ihm umgehen sollen - für sie ein Armutszeugnis, für Börsianer dagegen ein willkommener Anlass, die Spekulation mit Geld aus dem Nichts mal in die eine, mal in den andere Richtung zu überreizen.

Dies war am Freitag gut zu beobachten. Denn bereits während und erst recht nach Yellens Rede spielten sie mit allem, was einen Bezug zu Zinsen und Wirtschaftswachstum haben könnte, vor allem mit Gold und Dollar: Nachdem sie den Goldpreis kurzfristig über 1340 Dollar je Unze gehievt hatten, besannen sie sich anders und schickten ihn auf 1320 Dollar runter. Mit dem Dollar spielten sie umgekehrt. Lassen Sie sich, wenn Sie hoch in Gold, Silber und Edelmetallaktien investiert haben, von so einem Techtelmechtel nicht beeindrucken. Denn mit großer Wahrscheinlichkeit werden im nächsten Finanzakt Edelmetallanlagen reüssieren, und sei es allein deshalb, weil den Notenbankern nichts mehr einfällt, um den Urknall abzuwenden.


© Manfred Gburek
www.gburek.eu


Manfred Gburek ist neben seiner Funktion als Kolumnist privater Investor und Buchautor.



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