Angebliche und wirkliche sichere Häfen
02.10.2016 | Manfred Gburek
Wo Rauch ist, ist auch Feuer. Auf die Lage der Nation bezogen: Deutschland befindet sich politisch im größten Umbruch seit der Wende. Und wirtschaftlich seit der Finanzkrise 2008/09, die genaugenommen bereits 2007 ihren Anfang nahm. Den Umbruch kann man überall spüren.
Um nur drei markante Beispiele zu nennen: 1. In der FAZ, wo Finanzminister Wolfgang Schäuble mit einem schier endlos scheinenden Gastbeitrag auf die Folgen der Flüchtlingskrise eingegangen ist. 2. In Berlin, wo EZB-Chef Mario Draghi dem Europa-Ausschuss des Bundestags einen Besuch mit allerlei Forderungen im Gepäck abgestattet hat, aus denen noch mehr Gegenforderungen vonseiten der Abgeordneten erwachsen sind. 3. In den Frankfurter Türmen der Deutschen Bank und der Commerzbank, wo - nebst Rettung der einst stolzen Nummer eins des deutschen Bankgewerbes - wieder mal Entlassungen anstehen.
In den angelsächsischen Medien heißt es dazu, die "German Angst" sei wieder zurück. Und die Börsen-Zeitung, deren Redaktion oft vor anderen deutschen Medien das Gras wachsen hört, wartet mit der Schlagzeile auf: "Sorgen um deutsche Großbanken treiben Anleger in sichere Häfen." Sind damit etwa Gold, Immobilien oder der Dollar gemeint? Keineswegs, sondern Bundesanleihen und sogar finnische Staatsanleihen mit negativen "Renditen". Ohne Frage erfährt der Begriff von den sicheren Häfen hier eine originelle Interpretation.
Ein Grund, darüber zu spotten? Auf keinen Fall! Denn negative "Renditen" bedeuten auch negative oder um Null pendelnde Zinsen, und die machen die Geschäftsmodelle von Banken und Sparkassen kaputt. Deren Missmanagement - nicht allein bei den beiden Großbanken - tut ein Übriges dazu. Dafür allein Draghi verantwortlich zu machen, ist falsch, weil es vor einigen Jahren ja die Politiker waren, die ihm die Rettung vor den Konsequenzen aus der Finanzkrise überließen.
Seitdem ist die Atmosphäre zwischen Politikern und EZB-Bankern unter Führung von Draghi vergiftet. Die Tatsache, dass der EZB-Chef sich in der vergangenen Woche dem Europa-Ausschuss des Bundestags gestellt hat, spricht Bände. Sie zeugt von dem Ernst der Lage, in die sich sowohl Politiker als auch die Führungsriege der EZB manövriert haben.
Wo ist der Ausweg aus diesem Dilemma? Es gibt nicht den einen großen Ausweg, sondern - wenn überhaupt - viele kleine Auswege, bestehend aus Verhandlungen ohne Ende und ganz viel Diplomatie. Das alles wird seine Zeit brauchen, Zeit, die weder die EZB noch die Deutsche Bank oder die Commerzbank haben, weder die Große Koalition mit ihrer verunglückten Flüchtlingspolitik noch speziell die CDU/CSU, die befürchten muss, dass die AfD auch noch im nächsten Jahr zweistellige Wahl-Prozente zulasten der beiden christdemokratischen Parteien einfahren wird.
Es mag zunächst verwundern, warum die deutschen Aktienkurse bei all dem Streit zwischen Politikern und der EZB und dem daraus entstehenden Drohpotenzial nicht schon viel tiefer gefallen sind als ansatzweise in der vergangenen Woche. Doch darauf gibt es eine einfache Antwort: Die Aktienkurse sind primär durch die hohe Liquidität von Draghis Gnaden getrieben. Daraus folgt, dass Groß- und Kleinanleger sich immer weniger um traditionelle Bewertungsmaßstäbe scheren, wie Kurs-Gewinn-Verhältnis und Dividendenrendite, Eigenkapitalquote und freier Cash-flow, sondern lieber im extrem liquiden Mainstream mitschwimmen - eine ungesunde Entwicklung, die durch Störmanöver aller Art aus Wirtschaft und Politik schnell kippen kann.
Das betrifft allerdings nur Anleger, die einen gewissen Hang zu Aktien verspüren, also eine Minderheit, wie das Deutsche Aktieninstitut Jahr für Jahr ausrechnet. Derweil konzentriert sich die Mehrheit auf sogenannte Geldwerte, in Deutschland primär auf Tages- und Festgeld, Anleihen und Lebensversicherungen. Das war seit Beginn der 80er Jahre aus Sicht konservativer Anleger drei Jahrzehnte lang in Ordnung, doch nun geht es zur Sache: Tages- und Festgeld werfen nur noch Minizinsen ab, Anleihen besserer Schuldner wie Deutschland oder Finnland - siehe oben - bringen negative "Renditen", und Lebensversicherungen rentieren so niedrig, dass die Altersversorgung für viele Langfristsparer zum Desaster wird.
Geldwerte sind Schulden. Anleger laufen mit ihnen erfahrungsgemäß Gefahr, dass die Schulden eines Tages nichts mehr wert sein werden. So ist es seit Jahrhunderten, und so wird es auch in Zukunft sein. Dankenswerterweise hat das Institute of International Finance gerade ausgerechnet, dass die Schulden weltweit und über alle Schuldner hinweg allein im ersten Halbjahr um mehr als 10 Billionen Dollar gestiegen sind und mittlerweile 216 Billionen Dollar ausmachen.
Für sich allein mag diese Zahl nicht viel aussagen, im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt indes, also zur Wirtschaftsleistung, spricht sie Bände: 327 Prozent weltweit, in den Industrieländern sogar fast 400 Prozent. Das heißt, über kurz oder lang ist aufgrund von Jahrhunderte alten Erfahrungen ein Schuldenschnitt fällig. Wann, ist leider nicht vorhersehbar. Er kann in fünf oder in zehn Jahren kommen - oder bereits morgen, falls es plötzlich eine allgemeine Krise des Vertrauens in das Währungssystem und damit in die Rückzahlbarkeit der Schulden gibt.
Wie war das noch mal mit den vermeintlich sicheren Häfen, in die Anleger aus Sorge um das Wohl und Wehe der Großbanken getrieben wurden? Vor dem hier zitierten Schulden-Hintergrund muss man wohl eher davon ausgehen, dass solche Anleger in Häfen gelandet sind, die eines Tages total überflutet sein werden. Das Tragische daran: Dann dürften auch die derzeit - noch - von überschießender Liquidität getriebenen Aktienkurse nach unten in Mitleidenschaft gezogen werden.
Solche Geschichten wiederholen sich im Lauf der Jahrzehnte immer wieder. Dieses Mal droht es für die Inhaber von Anleihen (Ausnahme: inflationsindexierte Anleihen) und zunächst mittelbar auch für Aktionäre besonders hart zu werden, weil die genannten Schuldenquoten das Währungssystem anfällig machen. Insofern kann man zum Schutz vor dem Tag x nicht oft genug die Anlage in Gold empfehlen, sei es als Münzen, sei es als Barren. Denn wie auch immer die Schuldenkrise bewältigt wird, ob mittels Schuldenschnitt, Inflation oder sonst wie, am Ende werden Gold und - allerdings erst nach einem größeren Kursrückgang - auch ein gut zusammengestelltes Paket von fünf bis zehn Aktien die eigentlichen sicheren Häfen sein.
© Manfred Gburek
www.gburek.eu
Manfred Gburek ist neben seiner Funktion als Kolumnist privater Investor und Buchautor.
Um nur drei markante Beispiele zu nennen: 1. In der FAZ, wo Finanzminister Wolfgang Schäuble mit einem schier endlos scheinenden Gastbeitrag auf die Folgen der Flüchtlingskrise eingegangen ist. 2. In Berlin, wo EZB-Chef Mario Draghi dem Europa-Ausschuss des Bundestags einen Besuch mit allerlei Forderungen im Gepäck abgestattet hat, aus denen noch mehr Gegenforderungen vonseiten der Abgeordneten erwachsen sind. 3. In den Frankfurter Türmen der Deutschen Bank und der Commerzbank, wo - nebst Rettung der einst stolzen Nummer eins des deutschen Bankgewerbes - wieder mal Entlassungen anstehen.
In den angelsächsischen Medien heißt es dazu, die "German Angst" sei wieder zurück. Und die Börsen-Zeitung, deren Redaktion oft vor anderen deutschen Medien das Gras wachsen hört, wartet mit der Schlagzeile auf: "Sorgen um deutsche Großbanken treiben Anleger in sichere Häfen." Sind damit etwa Gold, Immobilien oder der Dollar gemeint? Keineswegs, sondern Bundesanleihen und sogar finnische Staatsanleihen mit negativen "Renditen". Ohne Frage erfährt der Begriff von den sicheren Häfen hier eine originelle Interpretation.
Ein Grund, darüber zu spotten? Auf keinen Fall! Denn negative "Renditen" bedeuten auch negative oder um Null pendelnde Zinsen, und die machen die Geschäftsmodelle von Banken und Sparkassen kaputt. Deren Missmanagement - nicht allein bei den beiden Großbanken - tut ein Übriges dazu. Dafür allein Draghi verantwortlich zu machen, ist falsch, weil es vor einigen Jahren ja die Politiker waren, die ihm die Rettung vor den Konsequenzen aus der Finanzkrise überließen.
Seitdem ist die Atmosphäre zwischen Politikern und EZB-Bankern unter Führung von Draghi vergiftet. Die Tatsache, dass der EZB-Chef sich in der vergangenen Woche dem Europa-Ausschuss des Bundestags gestellt hat, spricht Bände. Sie zeugt von dem Ernst der Lage, in die sich sowohl Politiker als auch die Führungsriege der EZB manövriert haben.
Wo ist der Ausweg aus diesem Dilemma? Es gibt nicht den einen großen Ausweg, sondern - wenn überhaupt - viele kleine Auswege, bestehend aus Verhandlungen ohne Ende und ganz viel Diplomatie. Das alles wird seine Zeit brauchen, Zeit, die weder die EZB noch die Deutsche Bank oder die Commerzbank haben, weder die Große Koalition mit ihrer verunglückten Flüchtlingspolitik noch speziell die CDU/CSU, die befürchten muss, dass die AfD auch noch im nächsten Jahr zweistellige Wahl-Prozente zulasten der beiden christdemokratischen Parteien einfahren wird.
Es mag zunächst verwundern, warum die deutschen Aktienkurse bei all dem Streit zwischen Politikern und der EZB und dem daraus entstehenden Drohpotenzial nicht schon viel tiefer gefallen sind als ansatzweise in der vergangenen Woche. Doch darauf gibt es eine einfache Antwort: Die Aktienkurse sind primär durch die hohe Liquidität von Draghis Gnaden getrieben. Daraus folgt, dass Groß- und Kleinanleger sich immer weniger um traditionelle Bewertungsmaßstäbe scheren, wie Kurs-Gewinn-Verhältnis und Dividendenrendite, Eigenkapitalquote und freier Cash-flow, sondern lieber im extrem liquiden Mainstream mitschwimmen - eine ungesunde Entwicklung, die durch Störmanöver aller Art aus Wirtschaft und Politik schnell kippen kann.
Das betrifft allerdings nur Anleger, die einen gewissen Hang zu Aktien verspüren, also eine Minderheit, wie das Deutsche Aktieninstitut Jahr für Jahr ausrechnet. Derweil konzentriert sich die Mehrheit auf sogenannte Geldwerte, in Deutschland primär auf Tages- und Festgeld, Anleihen und Lebensversicherungen. Das war seit Beginn der 80er Jahre aus Sicht konservativer Anleger drei Jahrzehnte lang in Ordnung, doch nun geht es zur Sache: Tages- und Festgeld werfen nur noch Minizinsen ab, Anleihen besserer Schuldner wie Deutschland oder Finnland - siehe oben - bringen negative "Renditen", und Lebensversicherungen rentieren so niedrig, dass die Altersversorgung für viele Langfristsparer zum Desaster wird.
Geldwerte sind Schulden. Anleger laufen mit ihnen erfahrungsgemäß Gefahr, dass die Schulden eines Tages nichts mehr wert sein werden. So ist es seit Jahrhunderten, und so wird es auch in Zukunft sein. Dankenswerterweise hat das Institute of International Finance gerade ausgerechnet, dass die Schulden weltweit und über alle Schuldner hinweg allein im ersten Halbjahr um mehr als 10 Billionen Dollar gestiegen sind und mittlerweile 216 Billionen Dollar ausmachen.
Für sich allein mag diese Zahl nicht viel aussagen, im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt indes, also zur Wirtschaftsleistung, spricht sie Bände: 327 Prozent weltweit, in den Industrieländern sogar fast 400 Prozent. Das heißt, über kurz oder lang ist aufgrund von Jahrhunderte alten Erfahrungen ein Schuldenschnitt fällig. Wann, ist leider nicht vorhersehbar. Er kann in fünf oder in zehn Jahren kommen - oder bereits morgen, falls es plötzlich eine allgemeine Krise des Vertrauens in das Währungssystem und damit in die Rückzahlbarkeit der Schulden gibt.
Wie war das noch mal mit den vermeintlich sicheren Häfen, in die Anleger aus Sorge um das Wohl und Wehe der Großbanken getrieben wurden? Vor dem hier zitierten Schulden-Hintergrund muss man wohl eher davon ausgehen, dass solche Anleger in Häfen gelandet sind, die eines Tages total überflutet sein werden. Das Tragische daran: Dann dürften auch die derzeit - noch - von überschießender Liquidität getriebenen Aktienkurse nach unten in Mitleidenschaft gezogen werden.
Solche Geschichten wiederholen sich im Lauf der Jahrzehnte immer wieder. Dieses Mal droht es für die Inhaber von Anleihen (Ausnahme: inflationsindexierte Anleihen) und zunächst mittelbar auch für Aktionäre besonders hart zu werden, weil die genannten Schuldenquoten das Währungssystem anfällig machen. Insofern kann man zum Schutz vor dem Tag x nicht oft genug die Anlage in Gold empfehlen, sei es als Münzen, sei es als Barren. Denn wie auch immer die Schuldenkrise bewältigt wird, ob mittels Schuldenschnitt, Inflation oder sonst wie, am Ende werden Gold und - allerdings erst nach einem größeren Kursrückgang - auch ein gut zusammengestelltes Paket von fünf bis zehn Aktien die eigentlichen sicheren Häfen sein.
© Manfred Gburek
www.gburek.eu
Manfred Gburek ist neben seiner Funktion als Kolumnist privater Investor und Buchautor.