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Die post-reale Wirtschaft

20.04.2017  |  John Mauldin
"Ein zu großer Teil der heutigen 'mathematischen' Wirtschaftswissenschaft ist bloße Erfindung, so unpräzise wie die Annahmen, auf denen sie basiert. Dadurch kann es geschehen, dass der Autor in seinem Labyrinth aus prätentiösen und nutzlosen Symbolen die Komplexität und die Wechselwirkungen der realen Welt aus den Augen verliert." - John Maynard Keynes

"Einfachheit ist nicht der Vorgänger der Komplexität, sondern ihn Nachfolger." - Alan Perlis


Open in new windowEines der wichtigsten Konzepte, das meine ökonomischen, philosophischen und politischen Mentoren mit eingeimpft haben, ist diese simple Aussage: Ideen haben Konsequenzen. Schlechte Ideen haben logischerweise negative Konsequenzen. Dem würde ich noch hinzufügen, dass schlechte Ideen oft die Oberhand über gute Ideen gewinnen, wenn sie von Staatsbediensteten angewendet werden, und dass sie auch dann noch lange in akademischen Kreisen und Bürokratien weiterleben können, wenn der Markt sie längst verworfen hat.

Lassen Sie mich eine etwas kontroverse These aufstellen: Im Kern der Wirtschaftswissenschaften tummeln sich zahlreiche schlechte Ideen. Viele davon wurden als richtige Interpretation der Funktionsweise der Wirtschaft akzeptiert und sind damit zur Grundlage der Wirtschaftspolitik geworden.

Es überrascht daher kaum, dass die Ökonomie, wie so viele andere rückwärtsgewandte Institutionen heutzutage, eine Vertrauenskrise erlebt. Die Theorien, die von ihren angeblich talentiertesten Vertretern entwickelt wurden, haben sich ein ums andere Mal als falsch erwiesen, wenn sie auf die reale Welt angewendet wurden. Doch statt diese Theorien zu verwerfen, bastelt das Wirtschaftsestablishment weiter an ihnen herum und nimmt kosmetische Anpassungen vor.

Das ist bei Weitem nicht die erste Krise der Wirtschaftswissenschaften. In der Vergangenheit begeisterten sich die Ökonomen unter anderem für den Merkantilismus, den Malthusianismus (einen besonders bösartigen Zweig der Ökonomie), den Marxismus, den Kommunismus, den Sozialismus, den Faschismus, die österreichische Wirtschaftslehre, den Kapitalismus, den Goldstandard, den Bimetallismus, den Monetarismus, den Protektionismus und eine ganze Reihe von damit in Zusammenhang stehenden Konzepten wie den rationalen Erwartungen, der Hypothese vom effizienten Markt und den dynamischen stochastischen allgemeinen Gleichgewichtsmodellen.

Aktuell erfreuen sich die Modern Monetary Theory und ihre Variationen wachsender Beliebtheit. Diese Liste ist keineswegs vollständig, aber doch etwas ermüdend zu lesen. Ein Teil dieser theoretischen Konstrukte wurde bereits demontiert, aber andere behindern noch immer den akademischen Diskurs und die politische Entscheidungsfindung.

Ich habe in früheren Artikeln recht vernichtende Urteile über die Ökonomen gesprochen, die sich auf Modelle verlassen, die konstant falsche Ergebnisse liefern. Ich habe die Keynesianer und die Theorien der rationalen Erwartungen und der effizienten Märkte scharf kritisiert, aber abgesehen von einer Herangehensweise, die sich mehr auf die Ansichten von Friedrich August von Hayek stützt und hier und da bei Adam Smith, Frédéric Bastiat und den anderen klassischen Ökonomen borgt, keine Alternative angeboten. Dieser vielseitige Mix ist allerdings keine geeignete Basis für künftige Wirtschaftspolitik. Dass ich bislang keine spezifischeren Ideen vorgebracht habe, liegt daran, dass ich noch immer auf der Suche nach einem besseren Denkansatz bin.

Der vorliegende Newsletter wird sich mit dem aktuellen Stand der Wirtschaftswissenschaften befassen und zeigen, warum es diesen nicht gelingt die Realität zu beschreiben. Zudem möchte ich meinen Lesern eine Richtung weisen, die eine bessere Erklärung der tatsächlichen Funktionsweise der Wirtschaft bieten kann. Ich möchte noch anmerken, dass ein großer Teil der Wirtschaftsforschung recht nützlich ist und unser Verständnis der Welt verbessert. Nur bestimmte Zweige des gesamten Fachbereichs sind problematisch, und das sind leider die, von denen die Regierungen und die aktuelle Geldpolitik am stärksten beeinflusst werden.

Die Ökonomie hat im Allgemeinen das Problem, dass sie als echte Wissenschaft anerkannt werden und den gleichen Status wie die Physik, die Biologie oder die Chemie haben möchte, statt mit Geisteswissenschaften wie Soziologie oder Geschichte in einen Topf geworfen zu werden. Die Volkswirtschaftslehre untersucht Adam Smith zufolge den "Wohlstand der Nationen" in seiner Natur und seinen Ursachen. Insbesondere handelt es sich laut Smith um eine Wissenschaft für Politiker oder Gesetzgeber, deren Ziel darin besteht, dem Volk ein reichliches Einkommen oder einen Lebensunterhalt zu sichern und dem Staat ein ausreichendes Einkommen zur Finanzierung öffentlicher Dienstleistungen zu verschaffen.

Das ist noch immer eine gute Definition dessen, was Wirtschaftslehre sein sollte. Viele Experten versuchen jedoch, aus ihrem Fachgebiet einen Zweig der Mathematik zu machen.

Naturwissenschaften haben Gesetze, die nicht gebrochen werden können. Schwerkraft ist beispielsweise eine sehr spezifische physikalische Erscheinung, die mathematisch dargestellt werden kann. Die Ökonomen wollen uns nun glauben machen, dass ihre eigenen Theorien und Modelle ähnlich zuverlässig sind.

Bei gewissenhafter Anwendung werden sie uns wirtschaftliche Glückseligkeit bringen: einen Gleichgewichtszustand, in dem alle Faktoren in Heiliger Balance existieren. Das Schöne an dieser Idee ist, dass ein System, welches sich im Gleichgewicht befindet, eventuell tatsächlich mit mathematischen Mitteln beschrieben werden kann, sodass die ursprünglich philosophische Ökonomie, die nur Möglichkeiten aufzeigen kann, über die bloßen Geisteswissenschaften erhoben wird.

Ich möchte die Geistes- und Sozialwissenschaften damit übrigens in keiner Weise diffamieren. Sie leisten einen unschätzbaren Beitrag zur Erforschung der Komplexität des menschlichen Verstandes und unserer Gesellschaft. Nur weil etwas nicht auf Mathematik beruht, ist es deswegen noch lange nicht nutzlos. Das spiegelt auch meine Sicht auf die Wirtschaftswissenschaften wider, die äußerst hilfreich für jeden sind, der versucht Unternehmen, Investitionen und Wirtschaftspolitik zu verstehen. Allerdings sollten die Ökonomen sich der Grenzen ihres Fachgebiets bewusst sein.

Die Idee einer Wirtschaft im Gleichgewicht ist schlicht und ergreifend akademischer Humbug. Gleichgewicht ist eine Chimäre, die nur innerhalb der auf falschen Annahmen beruhenden Gleichungen existieren kann. Die reale Welt ist ein dynamisches, komplexes Chaos, das sich in keine Schublade pressen lässt. All die Theorien und Gleichungen funktionieren nur, wenn man sich die reale Welt wegdenkt. Ist es also ein Wunder, dass die Modelle uns Ergebnisse liefern, die mit der Wirklichkeit wenig gemein haben?


Ökonomen und Wahnsinnige

Eines meiner Lieblingszitate von Keynes ist: "Erfahrene Männer, die sich frei von intellektuellen Beeinflussungen wähnen, sind üblicherweise die Sklaven eines längst verstorbenen Ökonomen. Verrückte Amtsinhaber, die Stimmen aus dem Nichts hören, leiten ihren Wahnsinn von dem ab, was irgendein akademischer Schreiberling vor Jahren produziert hat."


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