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Die post-reale Wirtschaft

20.04.2017  |  John Mauldin
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Das Problem ist, dass nicht nur die Ökonomen selbst, sondern auch die Politiker und die Menschheit im Allgemeinen die Wirtschaftsmodelle und die Akademiker, die sie erstellen, zu ernst nehmen. Immerhin zählen die Leute, die diese Theorien begründen, zu den besten und intelligentesten von uns. Sie verliehen sich gegenseitig akademische Grade und gehen zu Konferenzen, auf denen sie sich ihre Brillianz bestätigen. Leider sind sie oft das, was Nassim Taleb als "intellektuelle Idioten" bezeichnet. Wie soll man auch mit einem Professor der Ökonomie streiten, insbesondere, wenn er einen Nobelpreis hat, der seine Argumente stützt? Er sieht in Ihnen ein naives Kind, das nicht über das gleiche Verständnis verfügt wie ein vernünftiger Erwachsener.

Warum also sind die Leute, die behaupten die Wirtschaft zu verstehen, so schlecht darin, ihre Entwicklung vorherzusagen und zu managen? Kurz gesagt, weil die Realwirtschaft viel komplizierter ist, als sie zugeben wollen. Ich kann mir vorstellen, dass es schwer ist, sich diese Tatsache einzugestehen, wenn man jahrelang versucht hat, ein unendlich komplexes System mit Hilfe von Computermodellen zu simulieren, die zwangsläufig durch die eingegebenen Daten, Variablen und Algorithmen begrenzt sind. Aber wenn das Modell uns kaum Aufschlüsse über die Realität gibt, wozu taugt es dann?

Glücklicherweise sind diese Beschränkungen einigen Ökonomen bewusst und sie suchen nach besseren Wegen zum Verständnis. Leider wird diese Gruppe zahlenmäßig jedoch bei Weitem von den Wirtschaftsexperten der alten Schule übertroffen, die in den Regierungen, Zentralbanken, internationalen Institutionen, Unternehmen und Universitäten nach wie vor den Ton angeben. Sie sind überall und sie finden Gehör bei denen, die wichtige Entscheidungen treffen, mit deren Folgen wir alle leben müssen.


Die fatale Grundannahme

So sehr ich Keynes auch mag (von ihm stammen die besten Zitate der Wirtschaftslehre) - seine Grundthese ist meiner Ansicht nach der fundamentale Fehler des aktuellen makroökonomischen Denkansatzes. Ich zitiere aus der englischen Wikipedia:

"In den 1930er Jahren hat Keynes eine Revolution im Wirtschaftsdenken angeführt, indem er die Ideen der neoklassischen Ökonomie in Frage stellte, die besagten, dass die freie Marktwirtschaft kurz- bis mittelfristig automatisch zu Vollbeschäftigung führen würde, da die Arbeitenden bei ihren Gehaltsforderungen flexibel seien.

Er argumentierte stattdessen, dass die Gesamtnachfrage das allgemeine Niveau der Wirtschaftsleistung bestimme, und dass eine unangemessene Gesamtnachfrage zu längeren Perioden mit hoher Arbeitslosigkeit führen könne. Der keynesianischen Wirtschaftstheorie zufolge sind staatliche Eingriffe nötig, um die Konjunkturzyklen der Wirtschaft abzumildern. Keynes befürwortete den Einsatz von Geld- und Währungspolitik, um die negativen Auswirkungen von Rezessionen und Depressionen abzuschwächen."


Da liegt der Hund begraben. Die fatale Grundannahme ist, dass die Gesamtnachfrage der wichtigste Wirtschaftsfaktor sei, und dass die Regierungen Haushaltsdefizite in Kauf nehmen müssten, um diese Nachfrage bei Bedarf zu stimulieren. Das stimmte natürlich alle Befürworter staatlicher Einmischungen froh und sie schossen sich voller Freude auf Keynes Theorie ein. Diese wurde seitdem zu einem ganzen Haufen von interventionistischem, neo-keynesianischen Unsinn verdreht.

Im Grunde genommen betrachten Keynesianer jeglicher Couleur die Erholung nach einer Rezession als Folge der höheren Staatsausgaben, die zur Rettung der Wirtschaft beschlossen wurden. Schaut, sagen sie, so ist es jedes Mal. Ihnen entgeht dabei, dass die Leistungen einzelner Geschäftsleute sowie das Eigeninteresse von Millionen Einzelpersonen die wahre Triebkraft hinter dem Wiederaufschwung ist.

Folglich verschreiben sie unklugerweise immer höhere Ausgaben als Heilmittel gegen die Rezessionen, vergessen dabei jedoch Keynes Anweisung, dass die Schulden in guten Zeiten abbezahlt werden müssen. Sie weigern sich, den offensichtlichen Zusammenhang zwischen den absurden Schuldenständen und dem mangelnden Wirtschaftswachstum wahrzunehmen - ein Zusammenhang, der auf der ganzen Welt wieder und wieder demonstriert wurde. Ja, auch schlechte Politik kann das Wachstum hemmen, aber ein einem gewissen Punkt werden auch die Schulden selbst zum Hindernis.

Worauf ich hinaus will: Das Einkommen ist in Wirklichkeit der wichtigste Wirtschaftsfaktor.

Als der Keynesianismus begann, breiten Zuspruch in Regierungskreisen zu finden, entschied sich Franklin D. Roosevelt aus offensichtlichen politischen Gründen, die Aktivitäten der Regierung in die Modelle zu integrieren, die verwendet wurden, um das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zu berechnen. Die Regierungsausgaben haben einen Einfluss auf die Wirtschaft, aber dieser beruht zum größten Teil auf buchhalterischer Kreativität.

Wir nehmen das Geld der Steuerzahler und geben es anderen Menschen. Oft wird dieses Geld sinnvoll verwendet, z. B. um Straßen zu bauen, Polizeikräfte zu bezahlen oder Bildung zu garantieren. Verbesserungen der Infrastruktur können langfristig die Produktivität einer Volkswirtschaft steigern, doch die dafür notwendigen Ausgaben erhöhen die Wirtschaftsleistung nicht zwangsläufig. Das Gleiche gilt für Sozialleistungen und andere Transferzahlungen von einem Segment der (hoffentlich) steuerzahlenden Bevölkerung in ein anderes. Diese Regelungen können fair und sinnvoll sein, aber die Produktivität wird dadurch nicht direkt erhöht.

Mit ist bewusst, dass das eine strittige Aussage ist. Die große Mehrheit der Ökonomen wurde darauf trainiert, Konsum und Regierungsausgaben als hauptsächliche Antriebskräfte der Wirtschaft anzusehen. In meinen Augen sind diese Faktoren nur sekundär, während produktives Verhalten in der Privatwirtschaft die primäre Treibkraft darstellt. Der Regierung kommt eine dringend notwendige, gesellschaftliche Funktion zu und ich möchte an dieser Stelle nicht für eine bestimmte Größe des Staatsapparates argumentieren, sondern stattdessen aufzeigen, was die Basis für politische Entscheidungen sein sollte. Und diese Basis sollte nicht der von der Regierung begünstigte und unterstützte Konsum sein.


Falsches Modellverhalten

Kommen wir zum Konzept des allgemeinen Gleichgewichts. Fast alle Ökonomen akzeptieren eine wie auch immer geartete Vorstellung von einem wirtschaftlichen Gleichgewicht. Ich bin mittlerweile allerdings an einem Punkt, an dem ich diesen Gedanken komplett ablehne - er ist völlig falsch. Es gibt keinerlei allgemeinen Gleichgewichtszustand.

Wissenschaftler arbeiten äußerst erfolgreich unter Laborbedingungen. Sie stellen eine genau kontrollierte Ausgangssituation her, testen Variablen und beobachten, wie jede einzelne davon die Ergebnisse des Experiments beeinflusst. Beim Studium der Chemie oder der Physik funktioniert das hervorragend. Ob sich auf diese Weise auch der Zustand einer Volkswirtschaft analysieren, geschweige denn vorhersagen lässt, ist aber äußerst fraglich. Das hält die Ökonomen allerdings nicht davon ab, es zu versuchen.


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