Drei Schwarze Schwäne
10.08.2017 | John Mauldin
"Die Welt, in der wir leben, weist immer mehr Rückkopplungsschleifen auf, in denen Ereignisse weitere Ereignisse nach sich ziehen (z. B. kaufen Leute ein Buch, weil andere Leute dieses Buch ebenfalls gekauft haben). Auf diese Weise entstehen Schneeballeffekte und arbiträre, unvorhersehbare, weltumspannende Folgen nach dem Prinzip 'the winner takes it all'."
Nassim Nicholas Taleb, The Black Swan
Nassim Nicholas Taleb, The Black Swan
"Und was machen Sie?" ist eine typische Frage, die Amerikaner stellen, wenn sie jemanden zum ersten Mal treffen. Personen, die nicht aus den USA stammen, finden das manchmal unhöflich - als würden unsere Jobs definieren, wer wir sind. Natürlich ist das nicht so, aber wir fühlen uns dennoch verpflichtet, die Frage zu beantworten. Meine Arbeit umfasst so viele verschiedene Bereiche, dass sie sich gar nicht so leicht beschreiben lässt. Meine übliche, schnelle Antwort ist, dass ich Schriftsteller bin.
Meine Leser würden vielleicht sagen, dass ich davor warne, was alles schiefgehen kann. Ich selbst würde mich ja eher als Optimisten bezeichnen und ich schreibe auch oft über meine im Allgemeinen optimistische Sicht auf die Zukunft, aber diese erstreckt sich meist nicht auf die Leistungen der Regierungen und Zentralbanken. Wenn wir ehrlich sind, sehen wir uns alle mit ökonomischen und finanziellen Risiken konfrontiert und wir müssen uns alle darauf vorbereiten. Die Risiken zu kennen ist der erste Schritt in die richtige Richtung.
Vor genau zehn Jahren trennten uns nur wenige Monate von einer welterschütternden Finanzkrise. Ende 2006 hatten wir eine inverse Zinsstrukturkurve, die steil und langlebig genug war, um mit hoher Wahrscheinlichkeit eine bevorstehende Rezession anzuzeigen. Ende 2006 schrieb ich also darüber, dass es 2007 zu einem Abschwung kommen könnte. Ich kommentierte auch die enorme Verschuldung innerhalb des Bankensystems, das absurde Angebot an hochverzinslichen Anlageprodukten, die Bedingungen und möglichen Verwerfungen an den Banken- und Anleihemärkten, sowie die Krise, die sich am Hypothekenmarkt zusammenbraute.
Ich wünschte, ich hätte damals so viel Geld gehabt wie einige meiner Freunde, um eine massiv gehebelte Short-Position am Subprime-Markt zu eröffnen. Aufgrund meiner Schätzungen ging ich davon aus, dass sich die Verluste auf mindestens 400 Milliarden $ belaufen würden, woraufhin mir zahlreiche Leser und einige andere Analysten sagten, ich sei einfach viel zu bearish.
Wie sich später herausstellen sollte, erreichten die Verluste eine Gesamthöhe von weit über 2 Billionen $ und lösten die Finanzkrise und die Große Rezession aus. Aufgrund der damaligen Lage an den Finanzmärkten reichte ein Funke der Hypothekenkrise aus, um einen weltweiten Feuersturm zu entfachen. Viele Dinge hatten anscheinend nur darauf gewartet, schiefzugehen, und dann taten sie es offenbar alle zur gleichen Zeit.
Die Regierungen und die Zentralbanken bemühten sich in aller Eile, das Inferno einzudämmen. Rückblickend wünschte ich, sie hätten damals einiges anders gemacht, aber inmitten des Chaos war es schwierig, einen philosophisch reinen Kurs zu halten. Zudem sahen sich die Entscheidungsträger damals mit einer für sie gänzlich neuen Situation konfrontiert, in der jeden Tag neue Probleme hinzukamen.
(Anmerkung: Meiner Meinung nach bestanden die eigentlichen Fehler der Federal Reserve in der zweiten und dritten Runde der quantitativen Lockerungen und darin, dass die Notenbanker 2013 ihre Chance verpassten, die Zinsen zu erhöhen. Zu diesem Zeitpunkt hatten sie genügend Zeit gehabt, ihre Entscheidungen genau abzuwägen.)
Aktuell beobachten wir keine Inversion der Zinsstrukturkurve, d. h. der einzige zuverlässige Frühindikator für Rezessionen in den USA sendet keine Warnsignale. Doch wenn die Zentralbank die kurzfristigen Zinssätze künstlich auf einem niedrigen Niveau hält, ist es für die Zinskurve auch äußerst schwierig bis unmöglich, sich umzukehren.
Wir haben sozusagen den Alarm ausgeschaltet, aber ich behalte die Faktoren, die eine globale Rezession und infolgedessen auch eine weitere globale Finanzkrise auslösen könnten, ganz genau im Auge. An den Märkten liegt einiges im Argen. Ja, die wichtigen Aktienindices steigen auf immer neue Hochs und die Anleiherendite bewegen sich in der Nähe von Rekordtiefs. Die Inflationsdaten sind stabil. Die Erwerbslosenquote ist niedrig und sinkt weiter.
Das Wirtschaftswachstum ist äußerst verhalten, aber zumindest wächst die Wirtschaft noch. All das sagt uns, dass wir uns keine Sorgen machen müssen. Absurderweise sind es aber genau diese beruhigenden Anzeichen, die uns beunruhigen sollten.
Das ist ein klassischer Moment der Wirtschaftstheorie nach Minsky: Stabilität führt zu Instabilität.
Ich kenne die bullischen Argumente für die Ansicht, dass es keine neue Krise geben kann. Die Banken sind besser kapitalisiert. Die Regulatoren sehen genauer hin. Die Anleihebesitzer wissen, dass sie keine weiteren Bail-outs zu erwarten haben. Das stimmt alles.
Auf der anderen Seite sind aber die globalen Megabanken heute viel größer und viel stärker verzahnt als sie es noch 2008 waren. Die meisten US-Bürger - die 80%, die ich als die "Schutzlosen" bezeichne - lecken noch immer ihre Wunden von der letzten Schlacht. Vielen geht es heute schlechter als 2008. Unsere Reserven zur Bewältigung einer weiteren Krise sind gering. Die europäischen Banken sind nach wie vor hoch verschuldet.
Das Schattenbankensystem in China hat beängstigende Ausmaße angenommen. Auch die Globalisierung ist sei 2008 in unvermindertem Tempo vorangeschritten und die Welt ist heute noch enger vernetzt. Probleme an weit entfernten Märkten können ganz schnell zu unseren Problemen werden. All diese Risiken bestehen selbst dann, wenn es nicht zu einem globalen Handelskrieg kommt.