Das Goldpreismanagement in Zeiten der Finanzrepression (Teil1/3)
24.08.2017 | Lars Schall
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Aus dem besonderen Stock-to-Flow-Verhältnis ergibt sich auch das Konzept einer Warenpreisregel für die Geldpolitik, die mit Gold verbunden ist. David P. Goldman, in der Vergangenheit der globale Leiter für die Research-Abteilung festverzinslicher Wertpapiere bei der Bank of America (2002-2005) und der globale Leiter für Kredit-Strategie bei Credit Suisse (1998-2002), verriet mir dazu in einem Interview, dass es sich um eine Idee handele, die in unserer Zeit von Robert Mundell vorangetrieben worden sei, aber eigentlich ginge sie bis hin zu David Ricardos Idee des Goldstandards zurück.David P. Goldman: Robert Mundell ist natürlich der Vater des Euro und der Vater der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik, er ist ein Nobelpreisträger, und er war der prominenteste Ökonom, der an der Weiterentwicklung dieser Idee gearbeitet hat; er hat darüber ungefähr die letzten 30 bis 40 Jahre gesprochen. Die Idee ist ganz einfach: die Schaffung einer Art objektiven, auf den Markt beruhenden Regel, die die Fähigkeit der Zentralbanken, Geld zu schaffen und ihre Währungen zu entwerten, eingrenzen würde - oder auf der anderen Seite, um als eine Bremse gegen die Deflation handeln zu können. In anderen Worten: die Benutzung von Marktbeobachtungen der Auktionspreise, die die Erwartungen des allgemeinen Preisniveaus reflektieren, um die Fehler der Zentralbanken zu korrigieren.
Es hat seit Jahrhunderten eine enorme Debatte darüber gegeben, was die Kriterien für die Schaffung von Zentralbankgeld sein sollten und wie wichtig das ist. Mundells Argument ist, dass die Menge des Geldes viel weniger wichtig ist als die Art und Weise, wie der Markt auf den Anstieg des Zentralbankengelds oder der Bankreserven reagiert, und wie sich das auf die Erwartungen des Preisniveaus auswirkt. Zentralbanken sollten also viel mehr auf den Markt hören.
Und Gold gibt einem unter allen Rohstoffen wahrscheinlich das reinste Signal über künftige Preisentwicklungserwartungen. Es gibt einen ganz simplen Grund dafür: die Menge an Gold, die sich in Lagerreserve befindet, beträgt ein Vielfaches (…) des Jahresverbrauchs. Eine Änderung des Wunsches, Gold als Investment zu halten, ist also ein viel wichtigerer Faktor für den Goldpreis als Änderungen beim Minenangebot oder Veränderungen des gegenwärtigen Verbrauchs von Schmuck oder industriellen Anwendungen. Wenn Sie Kupfer oder Platin oder Bauxit oder andere Rohstoffe verwenden, sind die Lagerbestände extrem niedrig relativ zur aktuellen Nutzung.
Und es könnte auch einen technologischen Wandel oder einen Konjunktureinbruch oder eine große Zunahme der Nachfrage geben, was die Preise drastisch beeinflussen würde. Drum ist es viel schwieriger, Preissignale von Industriegütern als Indiz für die Erwartungen des zukünftigen Preisniveaus zu interpretieren. Gold gibt Ihnen viel bessere Informationen. So es hat sicherlich einen Ehrenplatz unter allen Waren als Indikator für die Erwartungen über das Preisniveau und als Leitfaden für die Zentralbankaktivität inne.
Diese Idee eines Rohstoff-Standards, um Vertrauen in den Markt zu schaffen und die Zentralbank-Fehler zu korrigieren, ist der Kern des Konzepts von Mundell. Ich denke, es ist eine sehr gute Idee, und ich glaube fest daran, dass das monetäre Management im Allgemeinen viel besser gewesen wäre, wenn wir Mundells Sicht und nicht dem Rätselraten der Zentralbanker gefolgt wären.
Sicherlich haben Fehler, die von der Federal Reserve in der Geldpolitik begangen wurden, zur Entwicklung der Finanzblase in den 2000er Jahren beigetragen. Im Jahr 2003 lockerte, wie Sie sich erinnern, die Federal Reserve die Geldpolitik, weil sie Angst vor Deflation hatten - es gab einen großen Rückgang bei der Rendite von Staatsanleihen, und sie sahen das als ein deflationäres Signal. Zu diesem Zeitpunkt erarbeitete meine Abteilung bei der Bank of America umfangreiche Forschungen, und zwar mit dem Argument, dass dies kein deflationäres Signal darstellte, dass sich die Federal Reserve im Irrtum befand, und dass die Lockerung der Federal Reserve falsch war.
Deshalb kann ich an eine Reihe von Fällen zurückdenken, wo die Federal Reserve viel besser daran getan hätte, den Goldpreis zu beobachten, anstatt Anleiherenditen oder Verbraucher-Preisindizes oder die andere Dinge, die sie sich angesehen haben.
Lars Schall: Halten Sie es für sich als lohnenswert, den Goldmarkt zu verfolgen?
David P. Goldman: Oh, absolut! Gold gibt einem extrem wichtige Signale. Die Frage, die sich Finanzanalysten stellen sollten, ist nicht einfach die, was der Markt erwartet, sondern was das Spektrum der Möglichkeiten ist, die der Markt erwartet, und welche Wahrscheinlichkeiten ihnen zugeordnet sind. Mit anderen Worten, die Erwartungen sollten nicht als ein Punkt in der Zukunft gedacht werden - ich glaube, dass der Aktienmarkt um 7,38 Prozent im nächsten Jahr hochgehen wird, das ist meine Erwartung. Stattdessen sollte die Erwartung als Wahrscheinlichkeitsverteilung gedacht werden. Zum Beispiel, wenn Sie rausgehen, um eine Bank auszurauben, haben Sie eine sehr verkorkste Verteilung - auf der einen Seite kommen Sie mit € 50,000 davon, auf der anderen Seite werden Sie erschossen werden. Wenn Sie in Staatsanleihen investieren, erhalten Sie dort eine viel enger gefasste Verteilung.
Die Bereitschaft des Marktes, für Absicherungen gegen extreme Ergebnisse zu zahlen - und Gold ist zu diesem Zeitpunkt eine Absicherung gegen extreme Ergebnisse -, ist also ein sehr wichtiger Hinweis auf das Denken des Markts. Ein interessanter Vergleich besteht zwischen Gold und inflationsfolgenden Wertpapieren (inflation tracking securities) wie TIPS (Treasury Inflation-Protected Securities) in den Vereinigten Staaten. In den letzten fünf Jahren gibt es eine sehr enge Beziehung zwischen dem Goldpreis und den Inflation-Trackers, auf die ich viele Male in der Vergangenheit in meiner Forschung für Kunden hingewiesen habe. Beide sind Absicherungen gegen extreme Ergebnisse.
Derzeitig, wenn Sie einen Inflation-Tracker in den Vereinigten Staaten oder einem der besseren Qualitätsländer kaufen, haben Sie einen negativen Zinssatz - das heißt, Sie investieren 100 €, und wenn nichts Unvorhergesehenes passiert, erhalten Sie in zehn Jahren 99 € zurück. Warum sollte jemand eine negative Rendite akzeptieren? Weil, wenn Sie eine andere extreme Inflation oder extreme Deflation haben werden, dann wird TIPS andere Anleihen und wahrscheinlich auch andere Aktien übertreffen. Die Tatsache, dass Gold und TIPS einander extrem eng folgen, ist ein Indiz dafür, dass diese beiden Instrumente Absicherungen gegen extreme Ergebnisse sind.
Der Goldmarkt ist also ein extrem wichtiges Signal, er muss aber sorgfältig interpretiert werden. (21)
Zur sorgfältigen Interpretation gehört es, auch den Haken am Stock-to-Flow-Verhältnis aufzuzeigen, der elementar für den Goldpreis ist: "Geringe Teile des Bestandes würden reichen, um den Bedarf zu decken! Umgekehrt würde man viele Jahresproduktionen benötigen, um den Bestand nennenswert zu erhöhen. Sähe man Gold nur als Ware - was es physikalisch unzweifelhaft ist, nicht aber ökonomisch -, würde man sich bei fundamentalen Betrachtungen zum Preis auf Produktion und Verbrauch fokussieren. Was aber für Rohöl oder Weizen gilt, ist bei Gold bestenfalls sekundär."
Von primärer Bedeutung für den Goldpreis ist vielmehr, dass dieser fällt, "wenn aus dem Bestand etwas Gold abgegeben wird, und er steigt, wenn es für den Bestand als Wertaufbewahrungsmittel nachgefragt wird." Und "nur weil sein Bestand so groß und Gold Wertaufbewahrungsmittel ist, kann langjährig von den Finanzinstitutionen erfolgreich auf den Goldpreis Einfluss genommen werden." Die Stärke, die Gold aus dem Stock-to-Flow-Verhältnis bezieht, wird zur Schwäche, denn über den Hebel des Bestandes können die Finanzhäuser die "Nachfrage bedienen, und sie können (potentielle) Anleger zu Bestandsänderungen veranlassen.
Keine Regierung kann langjährig den Benzinpreis halbieren, ohne laufend die Differenz zum Weltmarktpreis aus anderen Quellen bezahlen zu müssen. Sie hat kein Öl für den Verbrauch vieler Jahre in ihren Lagerstätten. Bei Gold hat sie es! Und keine Regierung kann die Autofahrer ohne weiteres motivieren, halb so viel Benzin zu verbrauchen. Sie kann sie nur mühsam über den Preis und schon gar nicht über 'Alternativen zu Benzin-Anlagen' zu Verhaltensänderungen beeinflussen. Bei Gold kann sie es!" (22)
Überdies hat das Terminbörsen-Papiersystem ein imaginäres und elastisches, letztlich aber nie lieferbares Gold-Angebot hervorgebracht, wiewohl ja die Annahme von Goldkäufern gerade dahingeht, dass die Angebotsseite beim Gold - im Gegensatz zum Papiergeld der Banken - nicht elastisch ist, sondern sich auf die gesamte Goldherstellung der Vergangenheit plus die jährliche Minenproduktion beschränkt. Dieser Kernvorzug, den Anleger beim Gold erkennen, namentlich dass es nicht weginflationiert werden kann, wird durch eine Art umgekehrte Alchemie ausgehebelt.