Börsenbeben und Klartext zum Dax
04.02.2018 | Manfred Gburek
Am vergangenen Freitag hat sich an den Börsen eine Geschichte wiederholt, die typisch für die amerikanische Anlegermentalität ist: Da meldet die Regierung, in den USA seien 200.000 neue Jobs entstanden, und schon heißt es, das werde die Notenbank Fed veranlassen, den Leitzins noch schneller zu erhöhen als allgemein erwartet. Daraufhin fallen nicht nur die Kurse der Aktien und Anleihen, sondern auch die Preise von Gold, Silber und Industrierohstoffen.
Warum, lässt sich bestenfalls mit möglicherweise weiter steigenden Zinsen begründen - jedoch nicht gerade stichhaltig angesichts der mit 200.000 überwiegend auf Minijobs basierenden neuen Arbeitsplätzen. Das Ganze ist gedanklich konstruiert, um nicht zu sagen manipuliert. Die Folge: Broker freuen sich über gestiegene Einnahmen aufgrund der ausgelösten Hektik, und die Börsen werden vom Montag an zur Tagesordnung überleiten, die von weiter fallenden Aktienkursen und von der allmählichen Erholung des Gold- und des Silberpreises geprägt sein dürfte.
Auch die deutsche Börse ist stark betroffen - und da lohnt es sich, ins Detail zu gehen, weil hier Anlegern wirklich Gefahren drohen. Was bewegt den Dax, warum fällt er auf einmal, wie geht es mit den deutschen Aktienkursen weiter? Diese und ähnliche Fragen werden inzwischen nicht nur in Profikreisen heiß diskutiert, sondern verstärkt auch in den Massenmedien, sogar - oh Wunder - bei ARD und ZDF. Antworten gibt es meistens gleich dazu. Hier ist eine kleine Auswahl:
Angelsächsische und andere Investoren außerhalb des Euroraums nehmen ihre durch die Euro-Aufwertung zusätzlich angetriebenen Kursgewinne mit, die Zinsen steigen, die EZB beendet ihre Anleihekäufe früher als allgemein erwartet, die IG Metall streikt, die GroKo kommt nicht zu Potte, der Brexit wird deutsche Unternehmen viel Geld kosten, die Vergemeinschaftung der Schulden im Euroraum ist nur noch eine Frage der Zeit, wegen der unbewältigten Schuldenprobleme in Italien (Wahl am 4. März), in Portugal, Griechenland und Zypern kann es jederzeit zu einer neuen Eurokrise kommen - und so weiter, der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.
Von diesen Argumenten trifft allein das erste unmittelbar zu, während alle anderen, falls überhaupt, nur mittelbar etwas mit den Aktienkursen zu tun haben. Wobei der an zweiter Stelle genannte Zinsanstieg eine Sonderrolle spielt, weil man seine Auswirkung halbwegs in Zahlen fassen kann. Nach dem Motto: Steigen die Zinsen in Gestalt der Anleiherenditen (zwischenzeitlich über 0,7 Prozent für zehnjährige Bundesanleihen), erscheinen Anleihen im Vergleich zu Aktien attraktiver. Darüber lässt sich allerdings trefflich streiten. Denn mit jedem Renditeanstieg fallen die Kurse der Anleihen. Außerdem verkörpern Aktien Substanz (sofern sie von soliden Unternehmen stammen), während Anleihen nur Schulden sind.
Alles in allem wird deutlich, dass die übliche Ursachenforschung in Sachen Aktienkurse uns nicht wirklich weiter bringt, schon gar nicht, wenn sie nur rückwärts gerichtet ist und sich primär auf den Dax konzentriert, also einen Mischmasch aus 30 Aktien mit unterschiedlicher Gewichtung im Index. Aber was bringt uns weiter?
Bleiben wir in Deutschland und nehmen wir uns wichtige Trends vor, die in Zukunft auf verschiedene Lebensbereiche und damit auch auf die Aktienkurse viel stärker durchschlagen werden, als den meisten Anlegern bewusst ist: demografischer Wandel, schleichende Übernahme von bislang nationalen Aufgaben durch die EU, Digitalisierung, anhaltender Drang in die Städte, die Armen werden immer ärmer und die Reichen immer reicher, Integration der Flüchtlinge, innere Unruhen, Inflation.
Die Demografie ist ein ganz heißes Eisen, doch dieses Thema eignet sich vorerst kaum für Schlagzeilen - nicht griffig genug, zu komplex und deshalb für Wahlkämpfe ungeeignet. Hinzuzufügen wäre allerdings: Noch, aber das wird sich ändern, eindeutig und unabdingbar. Umso schmerzlicher droht es uns schon in zwei Jahren und darüber hinaus ohne Vorwarnung einzuholen. Denn ab 2020 wird der Altenquotient immer weiter steigen.
Das heißt, innerhalb von gut einem Jahrzehnt wird sich das Verhältnis von derzeit einem Rentner je zwei Beschäftigte auf einen Rentner je Beschäftigten verändern. Das heißt auch: Die Zeiten mit relativ hohem Wirtschaftswachstum gehen zu Ende, wovon neben den Aktienkursen auch die staatlichen Kassen betroffen sein werden: wegen sinkender Steuereinnahmen. Das wird den Staat zu höherer Verschuldung zwingen.
Das zweite ganz heiße Thema ist die Übertragung von Aufgaben, die bisher in Deutschland geregelt werden, auf die EU. Hierbei geht es aktuell besonders um die Einlagensicherung. Peter Altmaier, zurzeit geschäftsführender Bundesfinanzminister, hält sie offenbar für reformbedürftig und schlägt deshalb vor, sie in Schritten zu vergemeinschaften. Eine solche Vorleistung zugunsten der Brüsseler Bürokraten kann im Endeffekt darauf hinauslaufen, dass der über die gesetzliche Einlagensicherung hinaus auf drei Sicherungssystemen beruhende Schutz deutscher Sparer durchlöchert oder sogar ganz aufgehoben wird.
Von den weiteren erwähnten Trends verlangen vor allem die Digitalisierung und die Inflation mehr Aufmerksamkeit vonseiten der Anleger. Die Digitalisierung, weil sie unterm Strich mehr Arbeitsplätze in der Industrie vernichten als schaffen wird. Und die Inflation, weil sie aufgrund der Erfahrungen aus der Vergangenheit immer zur Verarmung breiter Bevölkerungskreise beiträgt. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann nennt die derzeit - noch - vorhandene Verbindung von niedriger Inflation und geringer Arbeitslosigkeit "eine Art wirtschaftliches Dilemma". Recht hat er. Also wehe, wenn beide Trends umkehren. Dann wird der Dax weiter einknicken.
Das Dax-Abwärtspotenzial zu schätzen, ist unmöglich. Dass Banker und andere mit Aktien beschäftigte Börsianer es trotzdem immer wieder versuchen, liegt in erster Linie am Wunsch vieler Anleger, exakte Zahlen serviert zu bekommen. Was für ein Unsinn: Da springen die Kurse von 30 Aktien munter mal nach oben, mal nach unten, und das Ergebnis soll sich in einer einzigen Zahl oder zumindest in einer Kurs-Bandbreite festhalten lassen? Nie und nimmer.
Fazit: Das internationale Börsenbeben hat begonnen, seine Intensität und seine Dauer sind nicht abschätzbar. Von nun an werden Anleger erst mal auf Nummer sicher gehen. Aus diesem Grund werden sie schon bald Gold und wahrscheinlich auch Silber wiederentdecken.
© Manfred Gburek
www.gburek.eu
Manfred Gburek ist neben seiner Funktion als Kolumnist privater Investor und Buchautor.
Neu bei gburek.eu: Die spannende Zukunft des Bankgeschäfts
Warum, lässt sich bestenfalls mit möglicherweise weiter steigenden Zinsen begründen - jedoch nicht gerade stichhaltig angesichts der mit 200.000 überwiegend auf Minijobs basierenden neuen Arbeitsplätzen. Das Ganze ist gedanklich konstruiert, um nicht zu sagen manipuliert. Die Folge: Broker freuen sich über gestiegene Einnahmen aufgrund der ausgelösten Hektik, und die Börsen werden vom Montag an zur Tagesordnung überleiten, die von weiter fallenden Aktienkursen und von der allmählichen Erholung des Gold- und des Silberpreises geprägt sein dürfte.
Auch die deutsche Börse ist stark betroffen - und da lohnt es sich, ins Detail zu gehen, weil hier Anlegern wirklich Gefahren drohen. Was bewegt den Dax, warum fällt er auf einmal, wie geht es mit den deutschen Aktienkursen weiter? Diese und ähnliche Fragen werden inzwischen nicht nur in Profikreisen heiß diskutiert, sondern verstärkt auch in den Massenmedien, sogar - oh Wunder - bei ARD und ZDF. Antworten gibt es meistens gleich dazu. Hier ist eine kleine Auswahl:
Angelsächsische und andere Investoren außerhalb des Euroraums nehmen ihre durch die Euro-Aufwertung zusätzlich angetriebenen Kursgewinne mit, die Zinsen steigen, die EZB beendet ihre Anleihekäufe früher als allgemein erwartet, die IG Metall streikt, die GroKo kommt nicht zu Potte, der Brexit wird deutsche Unternehmen viel Geld kosten, die Vergemeinschaftung der Schulden im Euroraum ist nur noch eine Frage der Zeit, wegen der unbewältigten Schuldenprobleme in Italien (Wahl am 4. März), in Portugal, Griechenland und Zypern kann es jederzeit zu einer neuen Eurokrise kommen - und so weiter, der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.
Von diesen Argumenten trifft allein das erste unmittelbar zu, während alle anderen, falls überhaupt, nur mittelbar etwas mit den Aktienkursen zu tun haben. Wobei der an zweiter Stelle genannte Zinsanstieg eine Sonderrolle spielt, weil man seine Auswirkung halbwegs in Zahlen fassen kann. Nach dem Motto: Steigen die Zinsen in Gestalt der Anleiherenditen (zwischenzeitlich über 0,7 Prozent für zehnjährige Bundesanleihen), erscheinen Anleihen im Vergleich zu Aktien attraktiver. Darüber lässt sich allerdings trefflich streiten. Denn mit jedem Renditeanstieg fallen die Kurse der Anleihen. Außerdem verkörpern Aktien Substanz (sofern sie von soliden Unternehmen stammen), während Anleihen nur Schulden sind.
Alles in allem wird deutlich, dass die übliche Ursachenforschung in Sachen Aktienkurse uns nicht wirklich weiter bringt, schon gar nicht, wenn sie nur rückwärts gerichtet ist und sich primär auf den Dax konzentriert, also einen Mischmasch aus 30 Aktien mit unterschiedlicher Gewichtung im Index. Aber was bringt uns weiter?
Bleiben wir in Deutschland und nehmen wir uns wichtige Trends vor, die in Zukunft auf verschiedene Lebensbereiche und damit auch auf die Aktienkurse viel stärker durchschlagen werden, als den meisten Anlegern bewusst ist: demografischer Wandel, schleichende Übernahme von bislang nationalen Aufgaben durch die EU, Digitalisierung, anhaltender Drang in die Städte, die Armen werden immer ärmer und die Reichen immer reicher, Integration der Flüchtlinge, innere Unruhen, Inflation.
Die Demografie ist ein ganz heißes Eisen, doch dieses Thema eignet sich vorerst kaum für Schlagzeilen - nicht griffig genug, zu komplex und deshalb für Wahlkämpfe ungeeignet. Hinzuzufügen wäre allerdings: Noch, aber das wird sich ändern, eindeutig und unabdingbar. Umso schmerzlicher droht es uns schon in zwei Jahren und darüber hinaus ohne Vorwarnung einzuholen. Denn ab 2020 wird der Altenquotient immer weiter steigen.
Das heißt, innerhalb von gut einem Jahrzehnt wird sich das Verhältnis von derzeit einem Rentner je zwei Beschäftigte auf einen Rentner je Beschäftigten verändern. Das heißt auch: Die Zeiten mit relativ hohem Wirtschaftswachstum gehen zu Ende, wovon neben den Aktienkursen auch die staatlichen Kassen betroffen sein werden: wegen sinkender Steuereinnahmen. Das wird den Staat zu höherer Verschuldung zwingen.
Das zweite ganz heiße Thema ist die Übertragung von Aufgaben, die bisher in Deutschland geregelt werden, auf die EU. Hierbei geht es aktuell besonders um die Einlagensicherung. Peter Altmaier, zurzeit geschäftsführender Bundesfinanzminister, hält sie offenbar für reformbedürftig und schlägt deshalb vor, sie in Schritten zu vergemeinschaften. Eine solche Vorleistung zugunsten der Brüsseler Bürokraten kann im Endeffekt darauf hinauslaufen, dass der über die gesetzliche Einlagensicherung hinaus auf drei Sicherungssystemen beruhende Schutz deutscher Sparer durchlöchert oder sogar ganz aufgehoben wird.
Von den weiteren erwähnten Trends verlangen vor allem die Digitalisierung und die Inflation mehr Aufmerksamkeit vonseiten der Anleger. Die Digitalisierung, weil sie unterm Strich mehr Arbeitsplätze in der Industrie vernichten als schaffen wird. Und die Inflation, weil sie aufgrund der Erfahrungen aus der Vergangenheit immer zur Verarmung breiter Bevölkerungskreise beiträgt. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann nennt die derzeit - noch - vorhandene Verbindung von niedriger Inflation und geringer Arbeitslosigkeit "eine Art wirtschaftliches Dilemma". Recht hat er. Also wehe, wenn beide Trends umkehren. Dann wird der Dax weiter einknicken.
Das Dax-Abwärtspotenzial zu schätzen, ist unmöglich. Dass Banker und andere mit Aktien beschäftigte Börsianer es trotzdem immer wieder versuchen, liegt in erster Linie am Wunsch vieler Anleger, exakte Zahlen serviert zu bekommen. Was für ein Unsinn: Da springen die Kurse von 30 Aktien munter mal nach oben, mal nach unten, und das Ergebnis soll sich in einer einzigen Zahl oder zumindest in einer Kurs-Bandbreite festhalten lassen? Nie und nimmer.
Fazit: Das internationale Börsenbeben hat begonnen, seine Intensität und seine Dauer sind nicht abschätzbar. Von nun an werden Anleger erst mal auf Nummer sicher gehen. Aus diesem Grund werden sie schon bald Gold und wahrscheinlich auch Silber wiederentdecken.
© Manfred Gburek
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Manfred Gburek ist neben seiner Funktion als Kolumnist privater Investor und Buchautor.
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