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Was haben die Fußballspieler Özil und Gündogan mit der Masseneinwanderung zu tun?

20.05.2018  |  Manfred Gburek
Der Eklat um die beiden auf einem Bild neben dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan posierenden Fußballspieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan wurde von Bundestrainer Joachim Löw und den Mainstream-Medien einfach heruntergespielt - als handelte es sich nur um einen Dumme-Jungen-Streich. Fakt ist: Löw hatte keine Wahl, denn ihm muss bekannt gewesen sein, dass in der Türkei etwa drei Millionen Flüchtlinge festsitzen, die Erdogan von heute auf morgen in Richtung Westen losschicken könnte, falls es im deutsch-türkischen Verhältnis noch mehr Ärger gäbe als ohnehin schon. Da gebärdet man sich halt gern diplomatisch.

Fakt ist auch - und nun wird es ganz brisant -, dass dahinter nicht nur das Flüchtlingsdilemma steckt, sondern auch ein paneuropäisches Politikum: Erstens, weil die Türkei hoch verschuldet ist und ihre Währung Lira sich wieder mal im Sturzflug befindet. Zweitens, weil vor allem verschiedene französische und italienische Gläubigerbanken zu hohe Kredite an türkische Schuldner vergeben haben. Drittens, weil letztlich die EZB einspringen müsste, falls diese Banken in Schwierigkeiten gerieten. Und viertens, weil in der Türkei am 24. Juni Wahlen anstehen, also in nur gut einem Monat.

Damit nicht genug der Brisanz, es kommt noch dicker. Denn Italien hat bereits am 4. März gewählt. Herausgesprungen ist ein Sieg der Lega-Partei von Matteo Salvini und der Fünf-Sterne-Bewegung von Luigi di Maio. Die beiden haben sich trotz so mancher Meinungsverschiedenheit kurzerhand zusammengesetzt, und siehe da: Sie sind sich nicht nur darin einig, dass Flüchtlinge radikal abgeschoben werden sollen, sondern auch darin, dass die EU-Verträge neu verhandelt und höhere Schulden zugelassen werden müssen.

Im Gespräch sind neue Staatsausgaben bis 120 Milliarden Euro - und das bei einem bereits vorhandenen Schuldenstand in Höhe von annähernd 132 Prozent, bezogen auf die Wirtschaftsleistung. In dieser Beziehung ist Italien nach Griechenland das am zweithöchsten verschuldete Land des Euroraums.

Dass Italien - wie auch andere hoch verschuldete Euroländer - locker damit leben kann, verdankt das Land nicht zuletzt dem EZB-Präsidenten Mario Draghi. Denn der hat die EZB spätestens vor knapp sechs Jahren, als er während einer Rede in London die bedingungslose Geldvermehrung versprach, zu einer Institution umgestaltet, die seitdem auf ihn zugeschnitten ist: Er will nicht bloß Geldpolitiker sein, sondern - mangels einer Europa-Regierung - auch tief in die sonstige Politik jedes Eurolandes eingreifen. Das gelingt ihm nicht zuletzt deshalb, weil die Regierungschefs der meisten Euroländer ihn einfach gewähren lassen.

Und was ist mit Jean-Claude Juncker, dem Chef der EU-Kommission? Kann er Draghi nicht bremsen? Ob er kann, sei dahingestellt, er tut es einfach nicht. Mehr noch, Juncker lässt seine Kommission ebenfalls an der Geldvermehrung teilhaben. Jüngstes Beispiel: Trotz Brexit, der dazu führt, dass Großbritannien als zweitgrößter Nettozahler der EU ausfallen wird, soll der von 2021 bis 2027 geltende EU-Haushalt von derzeit knapp 1,1 auf fast 1,3 Billionen Euro aufgestockt werden.

Juncker ist um keine noch so hanebüchene Begründung verlegen: neue Prioritäten, mehr Sicherheit, Verteidigung, Umweltschutz und Finanzierung der Masseneinwanderung - was die Frage aufwirft, ob der Kommissionschef womöglich damit rechnet, dass ein Teil der in der Türkei festsitzenden Flüchtlinge demnächst gen Westen zieht.

Wie auch immer, der nimmermüde vor der Masseneinwanderung warnende Ökonom Hans-Werner Sinn bringt das Dilemma in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift "Tichys Einblick" wie folgt auf den Punkt: "Die EU definiert im Hinblick auf die Migration im Wesentlichen drei Ziele. Sie will innerhalb ihrer Grenzen die freie Wohnsitzwahl für alle EU-Bürger erlauben, also die Freizügigkeit gewährleisten. Sie will, dass die EU-Länder Sozialstaaten sind. Und sie will EU-Migranten rasch in das Sozialsystem des Gastlandes integrieren, wie es durch das sogenannte Inklusionsprinzip im Lissabon-Vertrag festgelegt ist. Diese drei Ziele bilden ein unlösbares Trilemma."

Daran scheint Juncker sich kaum zu stören. Und Draghi? Erst recht nicht. Warum? Weil die Euroländer ihm Freiheiten gewähren, die er weidlich für seine Ziele nutzt. Zum Beispiel, indem er den Leitzins trotz guter Euroraum-Konjunktur auf niedrigem Niveau belässt. Wobei er stets geradezu gebetsmühlenartig behauptet, erst müsse er sein Inflationsziel von etwas unter 2 Prozent erreichen, bevor er den Leitzins erhöht. Derweil verschulden sich die Euroländer rund ums Mittelmeer zu Niedrigstzinsen, als gäbe es kein Morgen.

Der Ökonom Thomas Mayer hat sich dazu die folgenden Gedanken gemacht: "Obwohl der Aufschwung alt ist, sind die Zinsen deutlich niedriger und die Schulden der Staaten wesentlich höher als gegen Ende des vorherigen Aufschwungs. Bisher lässt die Inflation auf sich warten, sodass niedrige Zinsen dem konjunkturellen Umfeld angemessen erscheinen. Wenn die Inflation schließlich aber doch noch anzieht, haben wir ein Problem. Die Zinsen können nur begrenzt steigen, denn sonst droht vielen Staaten die Zahlungsunfähigkeit."

Fazit: Europa ist ein extrem komplexes Gebilde. Allein die in diesem Beitrag beschriebenen Zusammenhänge lassen ahnen, dass es für die Lösung seiner Probleme kein Patentrezept gibt: Da demonstriert der türkische Präsident mithilfe von nur zwei Fußballspielern symbolisch, wie mächtig er sein kann. Zwei italienische Politiker wollen durchsetzen, dass ihr Land trotz Überschuldung bald in noch mehr Schulden schwelgt.

Der EZB-Präsident hat einen Teil der Macht, die Politikern vorbehalten sein sollte, längst an sich gerissen. Sein Inflationsziel entbehrt jeglicher Substanz. Auch der EU-Kommission fällt nichts Besseres ein, als auf der Schuldenwelle mitzureiten. Ihr Plan, die Masseneinwanderung zu stoppen, erweist sich als naiv. Ein stärkerer Zinsanstieg würde in Staatspleiten münden. Alles in allem: Für genug Spannung ist gesorgt.

Leider ist ein Großteil von ihr besonders in Deutschland hausgemacht, und das hat entscheidend mit der "Wir schaffen das“-Kanzlerin zu tun. Deshalb sei hier mit einem Kommentar des Ökonomen Roland Tichy eine weitere Stimme zum Thema Masseneinwanderung zitiert: "Wenn ich in den Nachrichten verfolge, dass Asylbewerber Polizisten in die Flucht schlagen, dass sie Strafrabatt erhalten, wenn es gar nicht mehr anders geht, als sie doch zu verurteilen, dann mag ich es kaum glauben.

Wenn ich höre, dass dieses Land zum Zufluchtsort für Kriminelle wird, weil sie hier als Flüchtling gelten und nicht abgeschoben werden können - denn im Urlaubsland Tunesien sind die Gefängnisse weniger komfortable Orte als hier -, dann ärgere ich mich. Auch weil ich über meinen Steuerbescheid gezwungen bin, ihr Leben in der sozialen Hängematte zu finanzieren.

Mit der Ausgestaltung des Asylrechts haben wir einen Automatismus geschaffen: Jeder darf rein, wirklich jeder, aber raus müssen nur die Allerwenigsten. Es sei denn, zum Urlaub in dem Land, in dem sie angeblich verfolgt werden. Und für jeden, der hierherkommt, gibt es ein sofortiges, bedingungsloses Grundeinkommen. Garantiert bis zum Lebensende und auch für 'nachziehende Familienangehörige".


© Manfred Gburek
www.gburek.eu



Manfred Gburek ist neben seiner Funktion als Kolumnist privater Investor und Buchautor.

Neu bei gburek.eu: Aktien und Mittelstand, eine gelungene Kombination


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