DSGVO & Co. - Was Bürokraten uns antun
27.05.2018 | Manfred Gburek
Vor einem Vierteljahr schrieb ich einen Beitrag über die umstrittene Datenschutz-Grundverordnung, kurz DSGVO, besonders über ihre schlimmen Folgen für den Mittelstand. Als keiner von meinen Medienkunden größeres Interesse an der Veröffentlichung des Beitrags zeigte, gab ich ihm eine Chance auf meiner eigenen Internetseite.
Szenenwechsel: Am vergangenen Donnerstag besuchte ich meinen Zahnarzt - und traf zunächst auf dessen Assistentin, die mir in ihrer ganzen DSGVO-Verzweiflung beschrieb, mit welchem zusätzlichen Arbeitsaufwand sie nun rechnen müsse. Leider kein Einzelfall, sondern als Debakel repräsentativ für Millionen Deutsche und andere Europäer, angezettelt von Bürokraten in Brüssel und Berlin.
Die am vergangenen Freitag in Kraft getretene DSGVO regelt, wie Unternehmen, Behörden, Vereine und weitere Institutionen mit Daten umgehen sollen. Die Vorschriften sind im Einzelnen so allgemein formuliert, dass sich Spielräume für ihre juristische Interpretation öffnen. Das ist nicht ihr einziger Makel. Darüber hinaus ist zu befürchten, dass auf Abmahnungen spezialisierte Anwälte die Spielräume nutzen und dadurch ihre Opfer erpressen können. Ein Beispiel: Vermieter haben von nun an Schutz-, Dokumentations-, Auskunfts- und Löschungspflichten. Da können sich solche Anwälte wahrlich tummeln, denn vor allem viele private Vermieter sind ihnen juristisch nicht gewachsen.
Bereits am Donnerstag veröffentlichte Spiegel Online ein Interview mit Justizministerin Katarina Barley, die auf die Frage "Was ist da schief gelaufen?" eiskalt mit der flapsigen Bemerkung antwortete: "Etwas Neues bringt am Anfang immer Unsicherheiten mit sich. Das ist ganz normal. Doch im Fall der europäischen Datenschutzgrundverordnung ist vieles davon unbegründet. Das sieht auch der für das Thema zuständige Bundesinnenminister so."
Zack, und schon ist eine klare Antwort auf die Spiegel Online-Frage umgangen. Weitere Zitate aus diesem Interview erspare ich Ihnen - bis auf eines: Das neue Recht sei "ein gewaltiger Fortschritt für die Selbstbestimmung und Privatsphäre von Millionen Europäern", meint Barley.
Wie ein solcher "Fortschritt" in einem praxisnahen Einzelfall wirklich aussieht, beschreibt "Der Verwalter-Brief", ein Spezialdienst aus der Immobilienbranche, wie folgt: Die Führung von Verzeichnissen sei jetzt Sache der Hausverwalter. Sie müssen ein sogenanntes Verarbeitungsverzeichnis führen. Es enthält unter anderem: Kommunikationssoftware, ein Hausverwaltungsprogramm, die Buchhaltung, ein Webportal, das Dokumenten-Managementsystem, die Termin- und Kontaktverwaltung sowie Zeiterfassungs- und Zutrittskontrollsysteme.
Der Mikrokosmos der Immobilienbranche oder der meines Zahnarztes, das sind zwei Beispiele von Millionen. Man stelle sich nur vor, was auf so unterschiedliche Zielgruppen zukommt wie Bäcker und Internetdienste, Kirchen und Fotografen, Krankenhäuser und Blogger, Architekten und Steuerberater - die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Die meisten von ihnen sind auf die DSGVO noch gar nicht richtig vorbereitet.
Daran mögen sie zwar zum Teil selbst schuld sein; aber ebenso steht fest, dass die Kommunikation zwischen Brüssel und Berlin einerseits und dem Mittelstand andererseits versagt hat. Ob das auch auf Konzerne zutrifft, wird sich in den kommenden Monaten zeigen. Jedenfalls haben sie im Gegensatz zum Mittelstand genug Rechtsexperten, die mit der Interpretation der juristischen Spielräume und Spitzfindigkeiten keine Probleme haben dürften.
Wieder mal hat sich gezeigt, dass der Mittelstand über keine schlagkräftige Lobby verfügt, weder in Deutschland noch im übrigen Europa. Die Folgen sind absehbar: Jetzt müssen sich etwa Spezialisten für die Entwicklung neuer Produkte oder mit allen finanziellen Finessen vertraute Bilanzbuchhalter auf das zeitraubende Einhalten von Vorschriften konzentrieren, die Bürokraten ersonnen haben, deren geistiger Horizont nicht über ihre Amtsstuben hinaus reicht. Fatal daran ist, dass es zwangsläufig umso mehr von solchen Bürokraten geben muss, je umfangreicher der Kontrollaufwand anfällt.
Ganz schlimm könnte es Blogger erwischen. Sie stehen vielfach für Meinungsfreiheit. Werden sie mit bürokratischen Vorschriften überhäuft, bleibt ihnen nur noch die Wahl zwischen deren umständlichem Erfüllen und dem Aufgeben ihrer Bloggertätigkeit. Und so ist es dann oft aus mit dem Meinungsfreiheit. Hat Brüssel, hat Berlin das gewollt? Spontan möchte man behaupten: Ja, weil Meinungsfreiheit aus Sicht vieler Bürokraten und erst recht der etablierten Parteien offenbar nur ein lästiges Übel ist.
Wie geht es weiter? Dazu fällt mir ein Vergleich ein, und zwar mit Steuerformularen: Sie beginnen seit Jahr und Tag mit dem Mantelbogen. Ihm schließt sich seit geraumer Zeit die Anlage S an (für selbständige Tätigkeit). Das war nicht immer so, denn früher hatte es die Anlage GSE gegeben, von der S kurzerhand abgespalten wurde - und schon hatten neben Steuerberatern auch die fleißigen Bearbeiter von Steuererklärungen in den Finanzämtern so viel an Mehrarbeit zu bewältigen, dass sie zwangsläufig neue Kolleg(in)en bekamen.
Noch zur Zeit der Regierung Schröder folgte die Anlage EÜR, eine Ergänzung zu S, mitsamt ihrem Anhängsel namens AVEÜR. Damit schließt sich der Kreis zum Kontrollmechanismus - nicht ohne dass nochmals Hundertschaften von neuen Beamten und Hilfskräften eingestellt werden mussten, um den höheren Aufwand zu bewältigen.
Da drängen sich Vergleiche mit der DSGVO geradezu auf. Aber nicht nur das, man fragt sich auch, wie es mit der Bürokratisierung im insgesamt weitergehen soll und welche Folgen sie haben wird. Greifen wir deshalb zur Abwechslung wieder ein paneuropäisches Beispiel auf:
Die Aufsichtsbehörden für Banken (EBA), Versicherer (EIOPA) und Wertpapierhandel (ESMA) greifen nach der Macht. Sie haben sich im Lauf der Jahre mit Zuspruch von der EU-Kommission zu Monstern entwickelt. Einer, der zwangsläufig etwas dagegen haben muss, ist Felix Hufeld, Präsident der deutschen Finanzaufsicht BaFin. Er argumentiert, es gebe keinen sachlichen Grund, europäische Behörden zu Aufsehern nationaler Aufseher umzugestalten. Und neben der EZB als originärer europäischer Bankenaufsicht zusätzlich die EBA zu etablieren, sei eine "ausgemachte Schnapsidee".
Bei alldem spielt die EU-Kommission eine unrühmliche Rolle. Denn sie hat im vergangenen September ein Papier mit brisantem Inhalt vorgelegt. Darin steht, dass dem Aufsichtsbehörden-Trio zusätzliche Kompetenzen übertragen werden sollen; das ginge zulasten der BaFin. Dass Hufeld dagegen wettert, ist nur allzu verständlich. Wobei er sich das sicherlich auch deshalb erlaubt, weil Finanzminister Olaf Scholz als sein oberster Dienstherr offensichtlich nichts dagegen hat - womit der nächste paneuropäische EU-Knatsch so gut wie programmiert ist.
© Manfred Gburek
www.gburek.eu
Manfred Gburek ist neben seiner Funktion als Kolumnist privater Investor und Buchautor.
Neu bei gburek.eu: Sicherheit beginnt im Kopf
Szenenwechsel: Am vergangenen Donnerstag besuchte ich meinen Zahnarzt - und traf zunächst auf dessen Assistentin, die mir in ihrer ganzen DSGVO-Verzweiflung beschrieb, mit welchem zusätzlichen Arbeitsaufwand sie nun rechnen müsse. Leider kein Einzelfall, sondern als Debakel repräsentativ für Millionen Deutsche und andere Europäer, angezettelt von Bürokraten in Brüssel und Berlin.
Die am vergangenen Freitag in Kraft getretene DSGVO regelt, wie Unternehmen, Behörden, Vereine und weitere Institutionen mit Daten umgehen sollen. Die Vorschriften sind im Einzelnen so allgemein formuliert, dass sich Spielräume für ihre juristische Interpretation öffnen. Das ist nicht ihr einziger Makel. Darüber hinaus ist zu befürchten, dass auf Abmahnungen spezialisierte Anwälte die Spielräume nutzen und dadurch ihre Opfer erpressen können. Ein Beispiel: Vermieter haben von nun an Schutz-, Dokumentations-, Auskunfts- und Löschungspflichten. Da können sich solche Anwälte wahrlich tummeln, denn vor allem viele private Vermieter sind ihnen juristisch nicht gewachsen.
Bereits am Donnerstag veröffentlichte Spiegel Online ein Interview mit Justizministerin Katarina Barley, die auf die Frage "Was ist da schief gelaufen?" eiskalt mit der flapsigen Bemerkung antwortete: "Etwas Neues bringt am Anfang immer Unsicherheiten mit sich. Das ist ganz normal. Doch im Fall der europäischen Datenschutzgrundverordnung ist vieles davon unbegründet. Das sieht auch der für das Thema zuständige Bundesinnenminister so."
Zack, und schon ist eine klare Antwort auf die Spiegel Online-Frage umgangen. Weitere Zitate aus diesem Interview erspare ich Ihnen - bis auf eines: Das neue Recht sei "ein gewaltiger Fortschritt für die Selbstbestimmung und Privatsphäre von Millionen Europäern", meint Barley.
Wie ein solcher "Fortschritt" in einem praxisnahen Einzelfall wirklich aussieht, beschreibt "Der Verwalter-Brief", ein Spezialdienst aus der Immobilienbranche, wie folgt: Die Führung von Verzeichnissen sei jetzt Sache der Hausverwalter. Sie müssen ein sogenanntes Verarbeitungsverzeichnis führen. Es enthält unter anderem: Kommunikationssoftware, ein Hausverwaltungsprogramm, die Buchhaltung, ein Webportal, das Dokumenten-Managementsystem, die Termin- und Kontaktverwaltung sowie Zeiterfassungs- und Zutrittskontrollsysteme.
Der Mikrokosmos der Immobilienbranche oder der meines Zahnarztes, das sind zwei Beispiele von Millionen. Man stelle sich nur vor, was auf so unterschiedliche Zielgruppen zukommt wie Bäcker und Internetdienste, Kirchen und Fotografen, Krankenhäuser und Blogger, Architekten und Steuerberater - die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Die meisten von ihnen sind auf die DSGVO noch gar nicht richtig vorbereitet.
Daran mögen sie zwar zum Teil selbst schuld sein; aber ebenso steht fest, dass die Kommunikation zwischen Brüssel und Berlin einerseits und dem Mittelstand andererseits versagt hat. Ob das auch auf Konzerne zutrifft, wird sich in den kommenden Monaten zeigen. Jedenfalls haben sie im Gegensatz zum Mittelstand genug Rechtsexperten, die mit der Interpretation der juristischen Spielräume und Spitzfindigkeiten keine Probleme haben dürften.
Wieder mal hat sich gezeigt, dass der Mittelstand über keine schlagkräftige Lobby verfügt, weder in Deutschland noch im übrigen Europa. Die Folgen sind absehbar: Jetzt müssen sich etwa Spezialisten für die Entwicklung neuer Produkte oder mit allen finanziellen Finessen vertraute Bilanzbuchhalter auf das zeitraubende Einhalten von Vorschriften konzentrieren, die Bürokraten ersonnen haben, deren geistiger Horizont nicht über ihre Amtsstuben hinaus reicht. Fatal daran ist, dass es zwangsläufig umso mehr von solchen Bürokraten geben muss, je umfangreicher der Kontrollaufwand anfällt.
Ganz schlimm könnte es Blogger erwischen. Sie stehen vielfach für Meinungsfreiheit. Werden sie mit bürokratischen Vorschriften überhäuft, bleibt ihnen nur noch die Wahl zwischen deren umständlichem Erfüllen und dem Aufgeben ihrer Bloggertätigkeit. Und so ist es dann oft aus mit dem Meinungsfreiheit. Hat Brüssel, hat Berlin das gewollt? Spontan möchte man behaupten: Ja, weil Meinungsfreiheit aus Sicht vieler Bürokraten und erst recht der etablierten Parteien offenbar nur ein lästiges Übel ist.
Wie geht es weiter? Dazu fällt mir ein Vergleich ein, und zwar mit Steuerformularen: Sie beginnen seit Jahr und Tag mit dem Mantelbogen. Ihm schließt sich seit geraumer Zeit die Anlage S an (für selbständige Tätigkeit). Das war nicht immer so, denn früher hatte es die Anlage GSE gegeben, von der S kurzerhand abgespalten wurde - und schon hatten neben Steuerberatern auch die fleißigen Bearbeiter von Steuererklärungen in den Finanzämtern so viel an Mehrarbeit zu bewältigen, dass sie zwangsläufig neue Kolleg(in)en bekamen.
Noch zur Zeit der Regierung Schröder folgte die Anlage EÜR, eine Ergänzung zu S, mitsamt ihrem Anhängsel namens AVEÜR. Damit schließt sich der Kreis zum Kontrollmechanismus - nicht ohne dass nochmals Hundertschaften von neuen Beamten und Hilfskräften eingestellt werden mussten, um den höheren Aufwand zu bewältigen.
Da drängen sich Vergleiche mit der DSGVO geradezu auf. Aber nicht nur das, man fragt sich auch, wie es mit der Bürokratisierung im insgesamt weitergehen soll und welche Folgen sie haben wird. Greifen wir deshalb zur Abwechslung wieder ein paneuropäisches Beispiel auf:
Die Aufsichtsbehörden für Banken (EBA), Versicherer (EIOPA) und Wertpapierhandel (ESMA) greifen nach der Macht. Sie haben sich im Lauf der Jahre mit Zuspruch von der EU-Kommission zu Monstern entwickelt. Einer, der zwangsläufig etwas dagegen haben muss, ist Felix Hufeld, Präsident der deutschen Finanzaufsicht BaFin. Er argumentiert, es gebe keinen sachlichen Grund, europäische Behörden zu Aufsehern nationaler Aufseher umzugestalten. Und neben der EZB als originärer europäischer Bankenaufsicht zusätzlich die EBA zu etablieren, sei eine "ausgemachte Schnapsidee".
Bei alldem spielt die EU-Kommission eine unrühmliche Rolle. Denn sie hat im vergangenen September ein Papier mit brisantem Inhalt vorgelegt. Darin steht, dass dem Aufsichtsbehörden-Trio zusätzliche Kompetenzen übertragen werden sollen; das ginge zulasten der BaFin. Dass Hufeld dagegen wettert, ist nur allzu verständlich. Wobei er sich das sicherlich auch deshalb erlaubt, weil Finanzminister Olaf Scholz als sein oberster Dienstherr offensichtlich nichts dagegen hat - womit der nächste paneuropäische EU-Knatsch so gut wie programmiert ist.
© Manfred Gburek
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Manfred Gburek ist neben seiner Funktion als Kolumnist privater Investor und Buchautor.
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