Ein Blick hinter die Börsenkulissen
08.07.2018 | Manfred Gburek
An den Börsen braut sich etwas zusammen, wovon man zunächst nur ahnen kann, was dahintersteckt: Die Verwalter von Milliardenvermögen beginnen damit, ihr Geld in größerem Umfang aus Aktien abzuziehen. Als ausschlaggebend wird zwar der Handelskrieg genannt, aber die eigentlichen Ursachen liegen tiefer. Das geht aus dem jüngsten Protokoll der amerikanischen Notenbank Fed hervor. Darin heißt es zum ersten Mal seit längerer Zeit, die ursprünglich vorgesehenen weiteren Zinssenkungen seien womöglich doch nicht mehr angebracht.
Begründung: Die Zinskurve signalisiere bereits eine Rezession, kurz- und langfristige Zinsen würden sich also nähern. Und falls die Rezession besonders schlimm zu werden drohe, sei sogar mit einer inversen Zinsstruktur zu rechnen. Das heißt, die kurzfristigen Zinsen wären dann höher als die langfristigen.
Das alles steht im Gegensatz zu den positiven Konjunkturdaten aus Amerika, wie zuletzt am vergangenen Freitag, als die überaus positive Jobstatistik veröffentlicht wurde. Man muss schon Jahrzehnte zurückgehen, um auf eine ähnlich hohe Vollbeschäftigung und eine dementsprechend niedrige Arbeitslosenquote zu stoßen. Gut, die amerikanische Statistik wird anders errechnet als die deutsche. Dennoch zeigt auch sie einen Trend auf, und der ist positiv. Aber: Einerseits die drohende Rezession anhand der Zinskurve, andererseits so viele Jobs wie lange nicht mehr, wie reimt sich das zusammen? Grund genug, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen.
Warum reagieren die Börsen derzeit noch nicht auf das eine oder andere hier beschriebene Szenario? Dazu gibt es eine ganze Reihe von Antworten. Picken wir uns einige heraus: Weil die wenigsten Anleger Fed-Protokolle lesen. Weil die Konjunktur - besonders die amerikanische - einen stabilen Eindruck vermittelt. Weil Anleger davon ausgehen, dass Donald Trump sich - wie schon in anderen Fällen - nach anfänglichem Gepolter wieder beruhigen werde. Weil fundamentale Daten und charttechnische Signale keinen Kurseinbruch signalisieren. Weil die Generation der jungen Vermögensverwalter noch keinen größeren Kurseinbruch erlebt hat und schlechte Nachrichten einfach ignoriert. Weil die Hoffnung zuletzt stirbt.
Es gibt kein allgemein gültiges Muster, nach dem Aktienkurse fallen, steigen, wieder fallen und so weiter. Kursstürze können abrupt kommen und nach nur einem Tag wieder vorbei sein, wie am 19. Oktober 1987. Sie können aber auch über drei Jahre andauern, wie vom ersten Quartal 2000 bis zum ersten Quartal 2003, vorübergehend zusätzlich durch die Anschläge vom 11. September 2001 in die Tiefe gerissen. Oder sie können innerhalb Jahresfrist mit voller Wucht auf eine globale Wirtschafts- und Finanzkrise reagieren, wie im Jahr 2008.
Kursverläufe sind nie linear, sie werden im Lauf der Jahre immer wieder unterbrochen. Und wann ein Trend beginnt oder aufhört, können nur Anleger mit langjähriger Erfahrung abschätzen.
Als klassischer Indikator haben sich die Zinsen erwiesen. Das war in der Vergangenheit so: Stiegen sie, fielen die Aktienkurse mit einer Verzögerung von meistens sechs bis zwölf Monaten; fielen sie, ging es mit den Aktienkursen entsprechend abwärts. Aber vor etwa drei Jahren schien sich daran etwas geändert zu haben: Da konnte die Fed die Zinsen erst mit Worten und danach mit Entscheidungen noch so überzeugend senken - bis auf eine Unterbrechung des Aufwärtstrends und einen Flash Crash reagierten die Aktionäre eher gelassen.
Um wieder auf die Gegenwart zurück zu kommen: Jetzt verheißt das Fed-Protokoll auch noch das nahende Ende der Zinserhöhungen. Bedeutet das etwa, dass die Party an den Aktienmärkten bald in eine weitere Runde geht?
Nein, ganz so einfach ist das nicht. Gewiss, die Zinsen spielen als Indikator weiterhin eine große Rolle, doch es gibt auch noch andere Indikatoren, und die sind nicht ohne. Neben dem Handelskrieg mit ungewissem Verlauf und Ausgang gehören dazu auch die hohen Bewertungen der Aktien (besonders der amerikanischen) aufgrund von Kennzahlen wie Kurs-Gewinn- oder Kurs-Buchwert-Verhältnis, Dividendenrendite und Cashflow (Finanzüberschuss), dazu Gewinnmitnahmen aufgrund des hohen Kursniveaus und nicht zuletzt die sogenannte Disruption (Verdrängung alter durch neue Technik, am besten veranschaulicht an einem aktuellen Beispiel: Ablösung von Autos mit Verbrennungsmotor durch Elektromobile.
Ich habe mich hier weitgehend auf die amerikanische Börse konzentriert, weil sie international den Ton angibt, also auch für die deutsche Börse Maßstäbe setzt. Dabei ist mir Folgendes aufgefallen: In den vergangenen fünf Jahren hat der aus 30 Standardwerten zusammengesetzte Dow Jones-Index (richtigerweise: Kursdurchschnitt) um gut 60 Prozent zugelegt, der ebenfalls aus 30 Standardwerten bestehende Deutsche Aktienindex Dax nur um gut 50 Prozent.
Der Knackpunkt ist allerdings nicht so sehr die eher bescheidene Differenz von zehn Prozentpunkten, sondern der Unterschied zwischen dem einschließlich der Dividenden berechneten gängigen Dax und dem Kurs-Dax, in dem keine Dividenden enthalten sind: Während der Dax einschließlich der Dividenden aktuell bei 12.500 Punkten liegt, kommt der Kurs-Dax ohne Dividenden nur auf 5.756 Punkte, also auf nicht mal die Hälfte.
Aus dieser Konstellation heraus haben insbesondere in Dollar abrechnende Fonds (international die Mehrheit) wie folgt fette Beute gemacht: Sie haben jahrelang hohe deutsche Dividenden kassiert und seit Anfang 2017, als der Euro sich nach dem vorangegangenen Absturz wieder erholte, obendrein Währungsgewinne eingesteckt. Diese Phase läuft allmählich aus, am besten daran zu erkennen, dass keiner der hier unter die Lupe genommenen drei Indizes sich seit Anfang 2018 wieder nachhaltig erholen konnte. Jetzt taucht vor allem der Kurs-Dax mit dem Auslaufen der Dividendensaison merklich ab. Das verheißt für die deutsche Börse in den kommenden Monaten nichts Gutes.
Dahinter steckt, abgesehen vom Handelskrieg, auch die unsystematische Geldpolitik der EZB. Sie ist in die Sackgasse geraten: Bleibt der Leitzins bei Null, hat die EZB nichts zuzusetzen, falls die Konjunktur kippt. Wird der Leitzins dagegen erhöht, besteht die Gefahr, dass damit der Abschwung der Konjunktur beschleunigt wird. Fazit: Die Aktienkurse befinden sich weltweit auf der Kippe, Käufe sollte man auf später verschieben.
© Manfred Gburek
www.gburek.eu
Manfred Gburek ist neben seiner Funktion als Kolumnist privater Investor und Buchautor.
Neu bei gburek.eu: Streuung und Timing, die ungleichen Brüder
Begründung: Die Zinskurve signalisiere bereits eine Rezession, kurz- und langfristige Zinsen würden sich also nähern. Und falls die Rezession besonders schlimm zu werden drohe, sei sogar mit einer inversen Zinsstruktur zu rechnen. Das heißt, die kurzfristigen Zinsen wären dann höher als die langfristigen.
Das alles steht im Gegensatz zu den positiven Konjunkturdaten aus Amerika, wie zuletzt am vergangenen Freitag, als die überaus positive Jobstatistik veröffentlicht wurde. Man muss schon Jahrzehnte zurückgehen, um auf eine ähnlich hohe Vollbeschäftigung und eine dementsprechend niedrige Arbeitslosenquote zu stoßen. Gut, die amerikanische Statistik wird anders errechnet als die deutsche. Dennoch zeigt auch sie einen Trend auf, und der ist positiv. Aber: Einerseits die drohende Rezession anhand der Zinskurve, andererseits so viele Jobs wie lange nicht mehr, wie reimt sich das zusammen? Grund genug, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen.
Warum reagieren die Börsen derzeit noch nicht auf das eine oder andere hier beschriebene Szenario? Dazu gibt es eine ganze Reihe von Antworten. Picken wir uns einige heraus: Weil die wenigsten Anleger Fed-Protokolle lesen. Weil die Konjunktur - besonders die amerikanische - einen stabilen Eindruck vermittelt. Weil Anleger davon ausgehen, dass Donald Trump sich - wie schon in anderen Fällen - nach anfänglichem Gepolter wieder beruhigen werde. Weil fundamentale Daten und charttechnische Signale keinen Kurseinbruch signalisieren. Weil die Generation der jungen Vermögensverwalter noch keinen größeren Kurseinbruch erlebt hat und schlechte Nachrichten einfach ignoriert. Weil die Hoffnung zuletzt stirbt.
Es gibt kein allgemein gültiges Muster, nach dem Aktienkurse fallen, steigen, wieder fallen und so weiter. Kursstürze können abrupt kommen und nach nur einem Tag wieder vorbei sein, wie am 19. Oktober 1987. Sie können aber auch über drei Jahre andauern, wie vom ersten Quartal 2000 bis zum ersten Quartal 2003, vorübergehend zusätzlich durch die Anschläge vom 11. September 2001 in die Tiefe gerissen. Oder sie können innerhalb Jahresfrist mit voller Wucht auf eine globale Wirtschafts- und Finanzkrise reagieren, wie im Jahr 2008.
Kursverläufe sind nie linear, sie werden im Lauf der Jahre immer wieder unterbrochen. Und wann ein Trend beginnt oder aufhört, können nur Anleger mit langjähriger Erfahrung abschätzen.
Als klassischer Indikator haben sich die Zinsen erwiesen. Das war in der Vergangenheit so: Stiegen sie, fielen die Aktienkurse mit einer Verzögerung von meistens sechs bis zwölf Monaten; fielen sie, ging es mit den Aktienkursen entsprechend abwärts. Aber vor etwa drei Jahren schien sich daran etwas geändert zu haben: Da konnte die Fed die Zinsen erst mit Worten und danach mit Entscheidungen noch so überzeugend senken - bis auf eine Unterbrechung des Aufwärtstrends und einen Flash Crash reagierten die Aktionäre eher gelassen.
Um wieder auf die Gegenwart zurück zu kommen: Jetzt verheißt das Fed-Protokoll auch noch das nahende Ende der Zinserhöhungen. Bedeutet das etwa, dass die Party an den Aktienmärkten bald in eine weitere Runde geht?
Nein, ganz so einfach ist das nicht. Gewiss, die Zinsen spielen als Indikator weiterhin eine große Rolle, doch es gibt auch noch andere Indikatoren, und die sind nicht ohne. Neben dem Handelskrieg mit ungewissem Verlauf und Ausgang gehören dazu auch die hohen Bewertungen der Aktien (besonders der amerikanischen) aufgrund von Kennzahlen wie Kurs-Gewinn- oder Kurs-Buchwert-Verhältnis, Dividendenrendite und Cashflow (Finanzüberschuss), dazu Gewinnmitnahmen aufgrund des hohen Kursniveaus und nicht zuletzt die sogenannte Disruption (Verdrängung alter durch neue Technik, am besten veranschaulicht an einem aktuellen Beispiel: Ablösung von Autos mit Verbrennungsmotor durch Elektromobile.
Ich habe mich hier weitgehend auf die amerikanische Börse konzentriert, weil sie international den Ton angibt, also auch für die deutsche Börse Maßstäbe setzt. Dabei ist mir Folgendes aufgefallen: In den vergangenen fünf Jahren hat der aus 30 Standardwerten zusammengesetzte Dow Jones-Index (richtigerweise: Kursdurchschnitt) um gut 60 Prozent zugelegt, der ebenfalls aus 30 Standardwerten bestehende Deutsche Aktienindex Dax nur um gut 50 Prozent.
Der Knackpunkt ist allerdings nicht so sehr die eher bescheidene Differenz von zehn Prozentpunkten, sondern der Unterschied zwischen dem einschließlich der Dividenden berechneten gängigen Dax und dem Kurs-Dax, in dem keine Dividenden enthalten sind: Während der Dax einschließlich der Dividenden aktuell bei 12.500 Punkten liegt, kommt der Kurs-Dax ohne Dividenden nur auf 5.756 Punkte, also auf nicht mal die Hälfte.
Aus dieser Konstellation heraus haben insbesondere in Dollar abrechnende Fonds (international die Mehrheit) wie folgt fette Beute gemacht: Sie haben jahrelang hohe deutsche Dividenden kassiert und seit Anfang 2017, als der Euro sich nach dem vorangegangenen Absturz wieder erholte, obendrein Währungsgewinne eingesteckt. Diese Phase läuft allmählich aus, am besten daran zu erkennen, dass keiner der hier unter die Lupe genommenen drei Indizes sich seit Anfang 2018 wieder nachhaltig erholen konnte. Jetzt taucht vor allem der Kurs-Dax mit dem Auslaufen der Dividendensaison merklich ab. Das verheißt für die deutsche Börse in den kommenden Monaten nichts Gutes.
Dahinter steckt, abgesehen vom Handelskrieg, auch die unsystematische Geldpolitik der EZB. Sie ist in die Sackgasse geraten: Bleibt der Leitzins bei Null, hat die EZB nichts zuzusetzen, falls die Konjunktur kippt. Wird der Leitzins dagegen erhöht, besteht die Gefahr, dass damit der Abschwung der Konjunktur beschleunigt wird. Fazit: Die Aktienkurse befinden sich weltweit auf der Kippe, Käufe sollte man auf später verschieben.
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Manfred Gburek ist neben seiner Funktion als Kolumnist privater Investor und Buchautor.
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