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K.W.F.-Reihe: Scheinwachstum und nachhaltigem Wachstum (6/6)

31.01.2007  |  Mag. Gregor Hochreiter
Zur Unterscheidung von Scheinwachstum und nachhaltigem Wachstum

Im Zeitalter der ökonomischen Illusionen und Konjunkturzyklen kann man in der Analyse der langfristigen Wachstumsaussichten einer Gesellschaft sehr leicht auf das Glatteis geführt werden. So protzten einige Länder mit einer steilen Einkommensentwicklung, um nur nach wenigen Jahren in eine tiefe Rezession zu schlittern. Andere Ländern lassen seit Jahren mit hohen Wachstumsraten aufhorchen; doch woher sollte man wissen, ob diesem Boom nicht bald ein Crash folgt? Diese Frage ist nicht nur von akademischem Interesse, sondern wirkt sich nachhaltig auf die Lebensrealität von Investoren und Kleinanlegern ebenso aus wie auf Auswanderer und Jobsuchende. Dieser Artikel soll dem Leser dabei helfen, Scheinwachstum von echtem Wachstum zu unterscheiden: Spiegeln die vermeldeten Wachstumszahlen eine nachhaltige Aufwärtsentwicklung wider oder berichten sie bloß von einer rauschenden Ballnacht, deren Einladung zwar verlockend ist, aber einem langfristigen Vermögensaufbau zuwiderläuft?

Wir wollen in diesem Artikel nicht nur die ökonomischen Hintergründe dieser konträren Phänomene beleuchten, sondern uns insbesondere mit den unterschiedlichen Symbolismen des Wachstums und Scheinwachstums auseinandersetzen. Diese Symbole geben einen guten Hinweis auf den Nachhaltigkeitsgrad der aktuellen Wirtschaftsentwicklung und stellen ein unverzichtbares Werkzeug für die Beurteilung des Status Quo dar. Das geschulte Auge nimmt die unzähligen Symbole und Zeichen bewußt wahr und kann sie dementsprechend richtig deuten. Selbst ohne tiefgreifende ökonomische Analyse erhält man mit diesen Hilfsmitteln ein realitätsnahes Abbild der Wirklichkeit, auf dessen Basis eine profunde Einschätzung der Lage vorgenommen werden kann.


The Way to Grow Poor - The Way to Grow Rich

Betrachten wir als Einstieg zu diesem Thema ein Bild aus dem Jahre 1875 mit dem Titel "The Way to Grow Poor - The Way to Grow Rich" von Currier und Ives. Die beiden Künstler erfassen in dieser gelungenen Gegenüberstellung den Kern des vorliegenden Themas mit beneidenswerter Scharfsichtigkeit.

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Beginnen wir unsere Analyse mit der rechten Bildhälfte. Wir erkennen eine auf die Schaffung von neuen Werten konzentrierte Gesellschaft. Jeder im Bild festgehaltene Akteur schafft mit seinen eigenen Händen reale Werte. Die Schneiderin näht neue Kleider, der Tischler fertigt einen Tisch an (Wo gehobelt wird, da fallen auch Späne!), im Hintergrund bestellt ein Bauer den Acker und ein Botenjunge überbringt die Post. Der Blick der Menschen richtet sich auf die Arbeit. Sie stehen mit beiden Beinen in der Realität und lassen sich nicht von Scheinversprechen verführen. Ihnen ist bewußt: "Von Nichts kommt auch Nichts."

Der rauchende Schlot der linken Fabrik versinnbildlicht wie alle anderen Werkzeuge den Umsetzungswillen der Arbeiter, die mit der Herstellung von neuen und innovativen Gütern die Realisierung der Ziele und Wünsche ihrer Mitbürger erleichtern. Die emsige Bautätigkeit an einer weiteren Manufaktur symbolisiert die Zukunftsorientierung der Menschen. Für die Investoren spielt der heutige Konsum eine untergeordnete Rolle, sonst wäre das Geld nicht in den Aufbau einer zusätzlichen Produktionsstätte gesteckt worden.

Die direkte Zusammenarbeit der Menschen kommt in der rechten Bildhälfte nur ansatzweise zum Vorschein, so bearbeitet beispielsweise der Schmied mit Hilfe seines Gesellen einen glühenden Rohling. Implizit ist in einer arbeitsteiligen Gesellschaft die Zusammenarbeit der Menschen jedoch die Regel. Jeder Marktteilnehmer bietet seine eigenen Produkte am Markt an, um sie gegen andere, aus seiner Sicht höherwertige, Produkte einzutauschen. Die individuelle Spezialisierung steigert die Produktivität jeder einzelnen Arbeitskraft und fragt die Kooperation mit anderen Menschen zur Umsetzung eines Projekts nach. Daher gehen in einer auf die Schaffung von nachhaltigen Werten ausgerichteten Gesellschaft höhere Produktivität, Arbeitsteilung und Kooperation Hand in Hand.

Scharf fällt der Kontrast zur linken Bildhälfte aus. Auch diese Gesellschaft ist für die 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts recht wohlhabend. Doch Ihr tägliches Brot erarbeiten sie sich nicht mehr im Schweiße ihres Angesichts, sondern sie beten lieber (Illusions-)Blasen als neue materielle Heilsbringer an. Dies verdeutlichen die auf die aufsteigenden Blasen ausgerichteten Hände auf eindrucksvolle Weise. Weit und breit sucht man vergebens nach echten Werten, seien es Konsumgüter oder Kapitalgüter wie Werkzeuge oder Fabriken.

Zudem entbrennt unter einigen Individuen ein Kampf Mann gegen Mann. Jeder versucht für sich allein, eine das Paradies auf Erden versprechende Blase zu erheischen. Das Gesetz des Dschungels - des einen Gewinn ist des anderen Verlust - macht sich im Denken der Menschen breit und der Respekt vor der körperlichen Unversehrtheit des Nachbarn geht verloren. Der nicht zu verleugnende religiöse Einschlag dieser Lithographie mindert die Aussagekraft der Darstellung in keinster Weise. Der Teufel fungiert als der Verführer der Massen, der mit hämischem Blick eine Blase nach der anderen in die Welt setzt. Die Hauptakteure in dieser Darstellung sind aber die Menschen, die sich verführen lassen und vom schnellen Geld und ein Leben in passiver Faulheit träumen.

Die von den beiden Lithographen als Unheil stiftende Blasen des Scheinwachstums identifizierten Illusionen lassen sich fast eins zu eins auf die heutige Zeit übertragen: Inflation, Glücksspiele, Papiergeld (!), das Kreditsystem, Spekulation, Lotterien, Pyramidenspiele, Jobs im öffentlichen Dienst (!), … Sie alle sind Symbole eines kurzfristigen Strohfeuers, das die nach Wärme suchenden Menschen sehr schnell wieder in der Kälte der Nacht frieren läßt.

Der Vollständigkeit halber möchte ich erwähnen, daß es grundfalsch wäre, den Genuß an sich zu verteufeln. Das Leben besteht schließlich aus deutlich mehr als nur aus schweißtreibender Arbeit. Wer hin und wieder ins Casino geht, oder wer Woche für Woche einen Lottoschein ausfüllt, wer Genußmittel in Maßen genießt, der soll dies auch weiterhin tun. Für die Schaffung von nachhaltigen Werten wird dieses Verhalten erst dann problematisch, wenn im Konsum nicht mehr die wohlverdiente Frucht der Arbeit gesehen wird, sondern die Konsumation in den Lebensmittelpunkt der Menschen rückt; wenn eine Person das Vergnügen zur Regel erhebt, die produktive Tätigkeit hingegen zur Ausnahme degradiert; wenn die Menschen ehrlich davon überzeugt sind, daß das wöchentliche Ankreuzen von Kasterln nachhaltige Werte schafft.




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