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K.W.F.-Reihe: Scheinwachstum und nachhaltigem Wachstum (6/6)

31.01.2007  |  Mag. Gregor Hochreiter
- Seite 3 -
Symbole des nachhaltigen Wachstums

Folgende gesellschaftlichen Phänomene symbolisieren eine relativ niedrige Zeitpräferenz:
  • Gesellschaftliche Betonung von:
    - Schaffung von materiellen wie immateriellen Werten
    - Prinzipientreue
    - Schrittweise Problemlösung durch Evolution
    - Traditionsbewußtsein
    - Vertragstreue - Pacta sunt servanda
    - Kooperation (Win - Win)
    - Wohlstand durch Fleiß
    - Privateigentum
    - (Selbst-)Verantwortung
  • stabile Beziehungen (Freundschaften, Ehe,...)
  • langfristige Investitionen (Hausbau, Gründung einer Familie,...)
  • Investition va. aus dem Cash-Flow
  • langsame Veränderung der gesellschaftlichen Strukturen
  • umfassende Lebensziele (Familie, Karriere, Freunde)
  • Sprossenleiterkarriere - Schritt für Schritt


In der empfehlenswerten Autobiographie "Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers" schildert Stefan Zweig seine Beobachtungen einer Gesellschaft, die auf Stabilität gegründet, die langfristige wirtschaftliche und persönliche Entfaltung der Menschen gestattet:

Wenn ich versuche, für die Zeit vor dem Ersten Weltkriege, in der ich aufgewachsen bin, eine handliche Formel zu finden, so hoffe ich am prägnantesten zu sein, wenn ich sage: es war das goldene Zeitalter der Sicherheit. Alles in unserer fast tausendjährigen österreichischen Monarchie schien auf Dauer gegründet und der Staat selbst der oberste Garant dieser Beständigkeit. (...) Unsere Währung, die österreichischen Krone, lief in blanken Goldstücken und verbürgte damit ihre Unwandelbarkeit. Jeder wußte, wie viel er besaß oder wie viel ihm zukam, was erlaubt und was verboten war. Alles hatte seine Norm, sein bestimmtes Maß und Gewicht. Wer ein Vermögen besaß, konnte genau errechnen, wie viel an Zinsen es alljährlich zubrachte, der Beamte, der Offizier wiederum fand im Kalender verläßlich das Jahr, in dem er avancieren werde und in dem er in Pension gehen würde. Jede Familie hatte ihr bestimmtes Budget, sie wußte, wie viel sie zu verbrauchen hatte für Wohnen und Essen, für Sommerreise und Repräsentation (...).

Wer ein Haus besaß, betrachtete es als sichere Heimstatt für Kinder und Enkel, Hof und Geschäft vererbte sich von Geschlecht zu Geschlecht; während ein Säugling noch in der Wiege lag, legte man in der Sparbüchse oder der Sparkasse bereits einen ersten Obolus für den Lebensweg zurecht, eine kleine Reserve für die Zukunft. Alles stand in diesem weiten Reiche fest und unverrückbar an seiner Stelle und an der höchsten der greise Kaiser; aber sollte er sterben, so wußte man (...), würde ein anderer kommen und nichts sich ändern in der wohlberechneten Ordnung. Niemand glaubte an Kriege, an Revolutionen und Umstürze. Alles Radikale, alles Gewaltsame schien bereits unmöglich in einem Zeitalter der Vernunft. Dieses Gefühl der Sicherheit war der erstrebenswerteste Besitz von Millionen, das gemeinsame Lebensideal. (...) Immer weitere Kreise begehrten ihren Teil an diesem kostbaren Gut. Erst waren es nur die Besitzenden, die sich dieses Vorzugs erfreuten, allmählich aber drängten die breiten Massen heran; das Jahrhundert der Sicherheit wurde das goldene Zeitalter des Versicherungswesens. Man assekurierte sein Haus gegen Feuer und Einbruch, sein Feld gegen Hagel und Wetterschaden, seinen Körper gegen Unfall und Krankheit.



Zeitpräferenz und Scheinwachstum

Das Phänomen des Scheinwachstums findet seine ökonomische Erklärung in der ersten Phase des Konjunkturzyklus, dem Boom. Analog zum vorherigen Fall, ist ein Absinken des Zinssatzes zu beobachten, der aber im Unterschied zum nachhaltigen Wachstum nicht eine gesunke Zeitpräferenzrate der Bevölkerung widerspiegelt, sondern durch einen externen Einfluß verursacht wurde. Dieser externe Faktor ist die Zentralbank mit ihrer Ausweitung der ungedeckten Geldmenge.

Graphisch läßt sich dieser etwas kompliziert scheinende Ablauf wie folgt darstellen:

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Entscheidend ist dabei, daß der Zins niedriger ist als er es ohne den Eingriff der Zentralbank gewesen wäre. Die relative Absenkung des Zinses unter das Niveau des "natürlichen Zinses" löst das Scheinwachstum aus. In der Graphik entspricht die dickgezogene Linie der künstlichen Absenkung des Zinses, die mit zwei Punkten unterbrochene Linie das Sinken des "natürlichen Zinses".

Die künstliche Zinssenkung verleitet die Konsumenten zu einer relativen Übergewichtung des heutigen Konsums, da aufgrund der niedrigeren Zinsen die Kompensation für den temporären Konsumverzicht zu gering ist. Einfacher formuliert; wenn der Sparer zu wenig Zinsen erhält, bevorzugt er den sofortigen Konsum seines Einkommens. Übervolle Shoppingcenter und eine zunehmend auf den kurzfristigen Genuß fixierte Lebensweise sind die Folge. So kann man in den Boomphasen des Scheinwachstums beispielsweise eine Häufung der Krankheitsfälle beobachten.

Das Ausbrechen aus der Abwärtsdynamik des Scheinwachstums fällt schwer, da die für eine nachhaltige Aufwärtsentwicklung unerläßliche Wertebasis erodiert. Die im Zuge des Scheinwachstums übernommenen falschen Vorstellungen über die wahren Gründe für Wohlstand und Armut, die häufig aufgetretenen gesellschaftlichen Verwerfungen und das plötzliche Platzen der Illusionsblasen können eine Gesellschaft auf lange Zeit aus der Bahn werfen. Der Mensch fällt in der evolutionären Entwicklung wieder auf die Stufe eines instinktgetriebenen Tieres, mit all seinen negativen Begleiterscheinungen, zurück.




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