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Bullen werden ermordet

23.09.2018  |  Manfred Gburek
Der Handelskrieg zwischen den USA und China nimmt inzwischen Dimensionen an, die befürchten lassen, dass er über kurz oder lang aus dem Ruder laufen wird. Dafür gibt es handfeste Indizien. Um nur eine von vielen ernst zu nehmenden Stimmen zu zitieren: Jack Ma, Chef des auch an der amerikanischen Börse gelisteten chinesischen Internetkonzerns Alibaba, warnt davor, dass die Spannungen zwischen beiden Ländern noch zwei Jahrzehnte lang nachwirken könnten.

Die Stimme von Jack Ma wiegt besonders schwer, weil er den US-Präsidenten Donald Trump aus persönlichen Gesprächen sehr gut kennt. Und wie reagieren die amerikanischen Anleger auf den Handelskrieg? Sie jubeln die Aktienkurse auf neue Rekorde hoch, denn sie sind offenbar fest davon überzeugt, dass die USA diesen Krieg gewinnen werden.

Doch das könnte sich als folgenschwerer Irrtum erweisen. Lassen wir dazu nur mal die bisherigen Etappen der Angriffe und Gegenangriffe seit Anfang dieses Jahres chronologisch Revue passieren: Die USA erheben Zölle auf Waschmaschinen, Solarpaneele, Aluminium und Stahl. China kontert mit Zöllen auf landwirtschaftliche Produkte. - Die USA fahren mit Restriktionen in der Technologie fort. China antwortet wieder mit landwirtschaftlichen Produkten. - Die USA holen die Keule raus und wollen vom kommenden Jahr an fast die Hälfte der Einfuhren aus China verzollen. China verzollt Fleisch, Weizen und weitere Konsumgüter.

Alles in allem sind derzeit beidseitig mindestens 5000 Produkte betroffen. Die genaue Zahl werden wir wahrscheinlich nie erfahren. Sie dürfte, falls es wie bisher weiter geht, im fünfstelligen Bereich liegen. Dadurch besteht die Gefahr, dass niemand mehr den Überblick behält. Trump geht davon aus, dass er den Handelskrieg gewinnen wird. Die jüngste Aufwärtsentwicklung der - überwiegend allerdings schon zu hoch bewerteten - amerikanischen Aktien scheint ihm recht zu geben. Chinesische Aktien, gemessen am repräsentativen Shanghai Composite Index, können da längst nicht mehr mithalten, ganz im Gegenteil, seit Jahresbeginn haben sie rund ein Viertel an Wert eingebüßt.

Angenommen, Trump setzt sich gegen die Chinesen durch. Dann würden Börsenprofis so argumentieren: Die Aktienkurse haben seinen Sieg vorweggenommen, jetzt dürften sie erst mal konsolidieren - so heißt es an der Börse, wenn niemand eine klare Meinung hat. Aber angenommen, die Chinesen obsiegen. Dann dürften die Aktienkurse nur so purzeln, und zwar unter Führung der amerikanischen weltweit, weil sie sich erfahrungsgemäß gegenseitig anstecken.

Ernst Konrad, Manager der Vermögensverwaltung Eyb & Wallwitz, hat dazu laut Börsen-Zeitung diese Metapher verwendet: Bullenmärkte sterben nicht an Altersschwäche, sondern sie werden ermordet. Soll heißen: Üblicherweise fallen Aktienkurse nach einem längeren Aufwärtstrend nicht sukzessive, sondern abrupt.

Dafür den genauen Zeitpunkt vorherzusagen, ist nicht möglich. Allerdings lassen sich bestimmte Warnsignale wahrnehmen, die in ihrer Häufung für das baldige Ende der inzwischen sehr langen Aktienhausse sprechen. Weitere Beispiele zusätzlich zum alles dominierenden Handelskrieg: Aktienrückkäufe, weil Konzernchefs nicht mehr genug Wachstumschancen sehen.

Das Auslaufen der positiven Effekte von Trumps Steuergeschenken. Preistreibende Hochkonjunktur und damit verbunden die Befürchtung, dass die Zentralbank Fed die Zinsen stärker erhöht als allgemein erwartet. Und nicht zuletzt Gewinnmitnahmen durch führende Vermögensverwalter bzw. Fonds, die jetzt ihre jahrelang reichlich mit Pluszeichen versehene Performance absichern wollen.

Es gibt noch ein Indiz jenseits dieser Warnsignale, das Sie unbedingt im Auge behalten sollten. Das ist die allmähliche Erholung des Goldpreises, immer nur kurzfristig und nicht mehr nachhaltig unterbrochen durch das eine oder andere Störmanöver, wie zuletzt am vergangenen Freitag. Diese Entwicklung hält zwar noch nicht lange an, aber es lohnt sich, sie in nächster Zeit laufend zu verfolgen.

Am wahrscheinlichsten ist, dass einige mit viel Liquidität ausgestattete Anlageprofis sich gesagt haben: Angesichts des Handelskriegs mit seinen unabsehbaren Folgen für die Aktienkurse und den Dollar erscheint Gold unterbewertet. Und dann gibt es ja noch dieses triftige Argument, das für Gold spricht: Die weltweite Verschuldung, auch Papiergeld genannt, beläuft sich nach Berechnungen des Institute of International Finance mittlerweile auf 318 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung.

Wie geht es mit dem Handelskrieg weiter? Wenn nicht alle Stricke reißen, wird Trump ihn unter verschärften Bedingungen fortführen, und zwar mindestens bis zur amerikanischen Zwischenwahl am 6. November. Dann dürfte er seinen Landsleuten und der ganzen Welt zurufen: Seht her, was für ein toller Kerl ich bin, wie ich für eine Superkonjunktur gesorgt und wie ich die Chinesen in die Knie gezwungen habe. Allerdings spricht fast alles dafür, dass bis dahin schlimme Kollateralschäden auftreten werden, etwa ein nicht mehr beherrschbares Durcheinander bei den Zöllen, die massive Unterbrechung von Lieferketten in Industrie und Handel, ein angeschlagener Dollar und weltweit mehr Inflation.

In den vergangenen Wochen habe ich mehrere Veranstaltungen besucht, bei denen es um Digitalisierung und Künstliche Intelligenz, um Fintechs, also elektronische Banken, und um die Anlageberatung durch Roboter ging. Ich habe dort mit Experten gesprochen, die vorgaben, in diesen Themen mehr oder weniger firm zu sein – leider mit dem Ergebnis, dass ich daraus nicht viel schlauer geworden bin.

Immerhin erfuhr ich als Senior zum Trost, dass das Verständnis für alles, was mit der Digitalisierung zu tun hat, bereits bei Dreißig- bis Vierzigjährigen nachlässt. Wir haben es zweifellos mit einer Disruption zu tun. Unter Dutzenden von Definitionen dieses Begriffs kommt wohl diese der Wahrheit besonders nahe: totaler technologischer und gesellschaftlicher Umbruch. Wohin er führen wird, bleibt bis auf Weiteres offen.

Das sollte man sich nicht allein im Zusammenhang mit der kommenden Ablösung von Benzin- und Dieselautos durch Elektroautos oder mit dem massenhaften Auftreten von Fintechs vorstellen, sondern auch - jawohl, und zwar erst recht - mit dem Handelskrieg und seinem Initiator Donald Trump. Die meisten Medien haben diesen Aspekt bislang erst wenig berücksichtigt. Dabei ist er nicht nur technologisch und gesellschaftlich entscheidend, sondern auch politisch brisant. Das dürfte sich schon bald an der Wall Street und an den anderen Börsen herumsprechen. Auf die Reaktion der Aktienkurse darf man gespannt sein. Womöglich wird dann sogar schon der Bulle ermordet.


© Manfred Gburek
www.gburek.eu



Manfred Gburek ist neben seiner Funktion als Kolumnist privater Investor und Buchautor.

Neu bei gburek.eu: Der Zipfel vom Wohngipfel


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