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Geschenke für Italien

18.11.2018  |  Manfred Gburek
Eine scheinbar bedeutungslose Zeitverschiebung, aber eine mit viel Symbolik: Italien schickte den - nur geringfügig geänderten - Haushaltsplan in der vergangenen Woche so in Richtung Brüssel, dass er dort erst nach Mitternacht und damit entgegen der Aufforderung der EU-Bürokraten verspätet ankam. Ganz nach dem Motto: Wir zeigen euch schon, wer der Stärkere ist. Das erinnert an den in Finanzkreisen grassierenden Spruch: Schuldet jemand seiner Bank 100.000 Euro, ohne den Betrag zurückzahlen zu können, hat er ein Problem. Schuldet er dagegen seiner Bank 100 Millionen Euro, ohne sie zu besitzen, hat die Bank ein Problem.

So paradox es zunächst scheinen mag: Italien ist im Vergleich zur EU taktisch tatsächlich in der stärkeren Position - und untermauert dies nicht allein mit fiskalischen Kabinettstücken, sondern noch viel mehr mit gezielten Hinweisen auf die zuletzt erlittenen Unwetterschäden, auf den Einsturz der Autobahnbrücke in Genua und auf den Wiederaufbau der von Erdbeben zerstörten Regionen. Würde die EU starr auf ihren Forderungen beharren, könnte die populistische Regierung Italiens also prompt mit dem Argument kommen, ein solches Verhalten sei unsozial.

Wie brisant das Ganze offenkundig ist, ergibt sich nicht zuletzt aus einer weiteren Zeitverschiebung, beschlossen von der EU-Kommission: Diese will, statt direkt nach dem Empfang des italienischen Haushaltsplans, erst am kommenden Mittwoch Detailfragen klären. Dabei wird es auch zu einer heißen Diskussion um weitreichende Initiativen Italiens gehen, wie die Herabsetzung des Rentenalters auf 62 Jahre und die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens. Wie sollen solche einschneidenden Maßnahmen finanziert werden? Durch Wirtschaftswachstum, höhere Schulden und Privatisierung von Staatsvermögen, behauptet Italiens Regierung.

Erinnern Sie sich noch an Schlagzeilen aus dem Jahr 2010, als die Griechenland-Pleite ihren ersten Höhepunkt erreichte? Damals hieß es zur Besänftigung aufgeregter Gemüter: "Portugal ist nicht Griechenland", "Spanien ist nicht Griechenland", "Irland ist nicht Griechenland" und so weiter, natürlich auch "Italien ist nicht Griechenland". Aus aktueller Sicht bleibt nur noch hinzuzufügen, dass der letzte Satz tatsächlich stimmt - aber mit einem bitterbösen Inhalt: Das italienische Problem mit den Finanzen ist unlösbar. Folglich wird die EU versuchen, es auf ihre Weise doch noch zu lösen: durch eine paneuropäische Umverteilung.

Deren Details verschwinden - bis auf die Tatsache, dass sie nicht mehr zu verhindern sein wird - zunächst im Nebel. Immerhin kann man den mit ein wenig Phantasie etwas lichten. Denkbar ist zum Beispiel die Aufteilung in einen Nord- und einen Süd-Euro. Dass allein Italien den Euro verlässt, ist bis auf Weiteres unwahrscheinlich, auch wenn es immer wieder entsprechende Drohungen gibt. Dass andere Euroländer es tun, ebenfalls.

Als Alternative bietet sich ein Euro-Austritt Deutschlands an, wie im neuen Buch "Dexit" von Bruno Bandulet beschrieben. Eine gravierende Folge wäre dann allerdings, außer einem größeren Crash an den Finanz- und Immobilienmärkten, eine deutsche Wirtschaftskrise von ungeheuren Ausmaßen.

Bereits diese überschlägigen Gedanken sprechen dafür, dass die EU-Kommission, die EZB und die Regierungen der Euro-Mitgliedsländer sich gemeinsam für einen Kompromiss entscheiden werden. Dessen mögliche Bandbreite dürfte dann von der Lastenverteilung nach einem noch auszuhandelnden Schlüssel innerhalb des Euroraums bis zu dessen Erweiterung um die jetzt noch nicht zum Euro gehörenden EU-Länder reichen. Ließe sich keine von den hier genannten Alternativen realisieren, käme es doch noch zu einer Aufspaltung der Euroländer mit einem für den Euro unbekanntem Ausgang.

Wer den Konflikt um Italien und den Euro verstehen will, ist gut beraten, sich Gedanken über die unterschiedlichen Kulturen der Euroländer und die Gewohnheiten ihrer Bewohner zu machen. Robert Rethfeld vom Börsendienst wellenreiter-invest.de hat dazu in der vergangenen Woche Überlegungen angestellt, die zitierenswert sind. Sie beziehen sich auf die durchschnittliche Lebenserwartung in verschiedenen Ländern Europas.

Die ist im Nicht-Euroland Schweiz mit 83,7 Jahren am höchsten, gefolgt von Spanien mit 83,5 und - siehe da! - Italien mit 83,4 Jahren. Deutschland folgt abgeschlagen mit 81 Jahren, sogar hinter Großbritannien (trotz bekanntermaßen gewöhnungsbedürftiger britischer Küche).

Rethfeld spekuliert über die möglichen Ursachen der unterschiedlichen Lebenserwartung: in erster Linie die vielen Herz-Kreislauf-Todesfälle in Deutschland, ein jeweils anderer Umgang mit den Faktoren Zeit und Perfektion, das mildere Klima, höhere Wohneigentumsquoten im Mittelmeerraum und das durchschnittliche Privatvermögen, das in Italien höher ist als in Deutschland. Fazit: "Schimpfkanonaden in Richtung Italien fabrizieren Stress bei denjenigen, die sich aufregen. Die Italiener ficht das nicht an."

Jetzt verstehe ich noch besser, warum die Kellner in meiner Pizzeria und in sonstigen italienischen Restaurants mich grundsätzlich erst auf Italienisch begrüßen, bevor sie zur deutschen Sprache übergehen. Da klingt ein gewisser Stolz mit. Gegen den ist kein Kraut gewachsen, weder das eventuell anstehende Defizitverfahren noch die jetzige scheinheilige Brüsseler Propaganda, von der man sich fragen muss, warum sie nicht schon vor Jahren einsetzte, als es hieß: "Italien ist nicht Griechenland."

Ich bin weit davon entfernt, die italienische Schuldenwirtschaft zu rechtfertigen. Aber genaugenommen ist sie im Vergleich zur Brüsseler Bürokratie das kleinere Übel. Denn deren Beamte waren zu lange passiv und haben so dafür gesorgt, dass Italien sich immer weiter verschulden konnte. Jetzt muss schnell eine Lösung her. Doch die Schnelligkeit verträgt sich nicht mit der Gründlichkeit, die nötig wäre. Ein Ende mit Schrecken ist unwahrscheinlich, weil dazu ein einheitlicher Wille zumindest unter den großen Euroländern vorherrschen müsste. Also wird es zum Schrecken ohne Ende kommen.


© Manfred Gburek
www.gburek.eu



Manfred Gburek ist neben seiner Funktion als Kolumnist privater Investor und Buchautor.

Neu bei gburek.eu: Vorsicht, Schönrechner!


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