Wehe der Strom fällt aus!
17.02.2019 | Manfred Gburek
Schon vor acht Jahren erschien eine Studie des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag, in der von einem hochentwickelten und eng verflochtenen Netzwerk "kritischer Infrastruktur" die Rede ist, von Netzen der Informationstechnik, Telekommunikation, und Energieversorgung, des Transports, Verkehrs, und Gesundheitswesens. "Diese sind aufgrund ihrer internen Komplexität sowie der großen Abhängigkeit voneinander hochgradig verletzbar", warnten die Autoren. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Eine mögliche Folge: Stromausfall.
Daraus ergeben sich diese Fragen: Welcher Anteil der Vermittlungsstellen (Festnetz, Mobilnetz) ist für welchen Zeitraum notstromversorgt? Welche Redundanz gibt es bei den Vermittlungsstellen? Gibt es Schätzungen über den Anteil der durch den Ausfall von Vermittlungsstellen betroffenen Kunden im Zeitablauf? Welche Kapazitäten an Not- und Ersatznetzen stehen bei wem zur Verfügung? Welche absehbaren technischen Innovationen und Trends verschärfen die Folgen eines Stromausfalls in der kritischen Informationstechnik und Telekommunikation, welche mildern sie? Welcher Forschungs- und Entwicklungsbedarf ist erkennbar, um die Stromabhängigkeit von Informationstechnik und Telekommunikation zu verringern?
Es sind nicht zuletzt die noch ausstehenden Antworten auf solche offenen Fragen, die einen Blackout als großes reales Risiko erscheinen lassen. In den vergangenen Wochen waren Stromausfälle überwiegend lokal oder regional begrenzt, von den Medien nur knapp erwähnt oder erst gar nicht wahrgenommen. Ursachen: mal dies, mal das, insgesamt kaum aufregend. Und weil es in den genannten Fällen keine größeren Schäden aus der Vernetzung gab, hielt sich der Ärger in Grenzen.
Blickt man allerdings Jahre zurück und berücksichtigt man dabei neben den Dramen von Tschernobyl und Fukushima auch weitere Stromausfälle außerhalb Deutschlands, sieht alles schon gefährlicher aus. August 2003: In Nordamerika fällt der Strom bis zu drei Tagen aus; betroffen sind 50 Millionen Menschen. September 2003: In Italien fällt der Strom bis zu 18 Stunden aus; betroffen sind 57 Millionen Menschen. November 2005: Im Münsterland fällt der Strom bis zu sieben Tagen aus; betroffen sind 250.000 Menschen.
Die Komplexität und damit die Verletzbarkeit der Stromversorgung geht aus den folgenden Beispielen besonders deutlich hervor: Wenn es brennt, ist die Feuerwehr (verschiedene private Einrichtungen) zur Stelle. Wenn darüber hinaus Rettung erforderlich wird, springen neben dem Deutschen Roten Kreuz auch Malteser, Johanniter und weitere Hilfsorganisationen ein (ebenfalls privat).
Größere Schäden werden vom Technischen Hilfswerk behoben (eine Bundesanstalt). Und wenn es zum überregionalen oder sogar zum nationalen Blackout kommt? Dann muss irgendwie die Zusammenarbeit von Bund (speziell Bundespolizei und Bundeswehr), Ländern, Kreisen, Kommunen und Hilfsorganisationen klappen. Wobei der Bundeswehr noch das Zentrum Zivil-Militärische Zusammenarbeit angegliedert ist, eine international ausgerichtete Organisation.
Aber wer koordiniert das Ganze? Als 1962 Hamburg überflutet wurde, riss Helmut Schmidt, damals Innensenator des Stadtstaats und später Bundeskanzler, die Regie des ganzen Rettungsdienstes einfach an sich. So konnte er noch Schlimmeres verhindern. Heute steht das Notfall- und Krisenmanagement vor einer unlösbar erscheinenden komplexen Aufgabe. Dazu gehört neben der Zusammenarbeit der zuständigen Behörden und Hilfsorganisationen auch die Einbeziehung von Energieversorgern wie RWE und EnWB, von Informationstechnik-Konzernen wie SAP und Secunet, von Wasserkraftwerken, Lebensmittelhändlern, Logistikunternehmen und Sicherheitsfirmen.
Schon frühzeitig warnte das eingangs zitierte Bundestagsbüro in Bezug auf die zu koordinierenden Mitstreiter: "Deren Vielzahl und Heterogenität erschweren diese Aufgabe erheblich. So muss man sich vergegenwärtigen, dass es beispielsweise im Sektor Wasser 5200 Versorger und 5900 Entsorger oder im Sektor Informationstechnik und Telekommunikation 3000 Anbieter von Dienstleistungen gibt. Diese operieren teils lokal, teils überregional und weisen ganz unterschiedliche Kompetenzen und Kapazitäten bezüglich des Krisenmanagements auf."
In Zukunft wird es noch komplizierter: Weder die Brexit-Folgen noch die Konsequenzen aus der Neuverteilung der Kompetenzen innerhalb der Nato sind absehbar. Was Letztere betrifft, ist gerade in jüngster Zeit viel Unsicherheit entstanden. Denn US-Präsident Donald Trump hat beschlossen, dass die Last der Ausgaben innerhalb der Nato neu verteilt werden soll - und mit ihr die Finanzierung von Raketen, Flugzeugen, Panzern und sonstigem Gerät. Die deutschen Steuerzahler werden sich wundern. Damit ist jedoch längst noch nicht darüber entschieden, wer bei einem Blackout an oberster Stelle das Sagen haben wird.
Und dann gibt es ja noch die EU, die versuchen wird, möglichst viele Kompetenzen an sich zu reißen. Bis sie damit Erfolg hat, dürfte es allerdings noch ein paar Jahre dauern. Das geht aus einem sogenannten Weißbuch hervor, in dem es heißt: "Zur Stärkung der Reaktions- und Einsatzfähigkeit der EU im zivilen und militärischen Bereich wird national mittelfristig ein ständiges zivil-militärisches operatives Hauptquartier und damit eine zivil-militärische Planungs- und Führungsfähigkeit angestrebt, die in dieser Weise noch nicht in den EU-Mitgliedstaaten vorhanden ist."
Also große Worte, ehrgeizige Pläne - und sonst? Nur mal angenommen, der Strom fiele während des Feierabendverkehrs in Frankfurt oder in Berlin aus. Dann könnte in kürzester Zeit der gesamte S- und U-Bahn-Verkehr lahmgelegt sein, mit steckenbleibenden Arbeitern und Angestellten, die schnell panisch reagieren dürften. Und wer in einem der Frankfurter Wolkenkratzer der Arbeit nachgeht, liefe eventuell sogar Gefahr, im Fahrstuhl eingeschlossen zu werden. Es sei denn, Notstromaggregate würden sofort ihre Arbeit aufnehmen – doch wie viele müssten es sein, damit alle Insassen in Fahrstühlen, in S- und U-Bahn-Waggons befreit werden könnten? Niemand kennt die Antwort.
Das liegt daran, dass Arbeit und Freizeit mittlerweile vollständig von elektrisch betriebenen Anlagen und Geräten durchdrungen sind. So etwas wirkt sich auf das Verhalten der Menschen aus: Ihr Bewusstsein für Risiken, die daraus erwachsen, tendiert gegen Null. Und das im Zuge einer extrem teuren Energiewende, deren Ausgang offen ist. Wer ihren Sinn anzweifelt, gilt unter vielen Politikern wie auch in breiten Bevölkerungskreisen fast schon als Staatsfeind. In so einer Atmosphäre kann die Quittung nicht mehr lange auf sich warten lassen: Höhere Strompreise, die vor allem zulasten der Bezieher unterer und mittlerer Einkommen gehen werden.
Ein Blackout kann verschiedene Ursachen haben: Versagen der Technik, Kriminalität bis hin zu terroristischen Attacken, menschliche Fehler, extreme Wetterlagen, Naturkatastrophen oder Epidemien - um nur die wichtigsten zu nennen. Treffen zwei zusammen, wie 1986 in Tschernobyl und 2012 in Fukushima, entsteht ein GAU (Größter Anzunehmender Unfall).
Von alldem ist Deutschland bislang weitgehend verschont geblieben. Das schwächt das Risikobewusstsein zusätzlich. Und so mangelt es in Deutschland immer noch an einer allgemein durchsetzungsfähigen Strategie, die in der Lage wäre, der Bevölkerung zumindest eine minimale Vorsorge für den Ernstfall bieten. Grund genug, privat vorzusorgen: Wasservorrat und haltbare Lebensmittel für drei bis vier Tage anlegen, wichtige Dokumente an sicherer Stelle aufbewahren, Erste Hilfe-Kurs absolvieren und so weiter - Tipps dazu gibt es im Internet zuhauf.
© Manfred Gburek
www.gburek.eu
Manfred Gburek ist neben seiner Funktion als Kolumnist privater Investor und Buchautor.
Neu bei gburek.eu: Die Aktienphobie der Deutschen
Daraus ergeben sich diese Fragen: Welcher Anteil der Vermittlungsstellen (Festnetz, Mobilnetz) ist für welchen Zeitraum notstromversorgt? Welche Redundanz gibt es bei den Vermittlungsstellen? Gibt es Schätzungen über den Anteil der durch den Ausfall von Vermittlungsstellen betroffenen Kunden im Zeitablauf? Welche Kapazitäten an Not- und Ersatznetzen stehen bei wem zur Verfügung? Welche absehbaren technischen Innovationen und Trends verschärfen die Folgen eines Stromausfalls in der kritischen Informationstechnik und Telekommunikation, welche mildern sie? Welcher Forschungs- und Entwicklungsbedarf ist erkennbar, um die Stromabhängigkeit von Informationstechnik und Telekommunikation zu verringern?
Es sind nicht zuletzt die noch ausstehenden Antworten auf solche offenen Fragen, die einen Blackout als großes reales Risiko erscheinen lassen. In den vergangenen Wochen waren Stromausfälle überwiegend lokal oder regional begrenzt, von den Medien nur knapp erwähnt oder erst gar nicht wahrgenommen. Ursachen: mal dies, mal das, insgesamt kaum aufregend. Und weil es in den genannten Fällen keine größeren Schäden aus der Vernetzung gab, hielt sich der Ärger in Grenzen.
Blickt man allerdings Jahre zurück und berücksichtigt man dabei neben den Dramen von Tschernobyl und Fukushima auch weitere Stromausfälle außerhalb Deutschlands, sieht alles schon gefährlicher aus. August 2003: In Nordamerika fällt der Strom bis zu drei Tagen aus; betroffen sind 50 Millionen Menschen. September 2003: In Italien fällt der Strom bis zu 18 Stunden aus; betroffen sind 57 Millionen Menschen. November 2005: Im Münsterland fällt der Strom bis zu sieben Tagen aus; betroffen sind 250.000 Menschen.
Die Komplexität und damit die Verletzbarkeit der Stromversorgung geht aus den folgenden Beispielen besonders deutlich hervor: Wenn es brennt, ist die Feuerwehr (verschiedene private Einrichtungen) zur Stelle. Wenn darüber hinaus Rettung erforderlich wird, springen neben dem Deutschen Roten Kreuz auch Malteser, Johanniter und weitere Hilfsorganisationen ein (ebenfalls privat).
Größere Schäden werden vom Technischen Hilfswerk behoben (eine Bundesanstalt). Und wenn es zum überregionalen oder sogar zum nationalen Blackout kommt? Dann muss irgendwie die Zusammenarbeit von Bund (speziell Bundespolizei und Bundeswehr), Ländern, Kreisen, Kommunen und Hilfsorganisationen klappen. Wobei der Bundeswehr noch das Zentrum Zivil-Militärische Zusammenarbeit angegliedert ist, eine international ausgerichtete Organisation.
Aber wer koordiniert das Ganze? Als 1962 Hamburg überflutet wurde, riss Helmut Schmidt, damals Innensenator des Stadtstaats und später Bundeskanzler, die Regie des ganzen Rettungsdienstes einfach an sich. So konnte er noch Schlimmeres verhindern. Heute steht das Notfall- und Krisenmanagement vor einer unlösbar erscheinenden komplexen Aufgabe. Dazu gehört neben der Zusammenarbeit der zuständigen Behörden und Hilfsorganisationen auch die Einbeziehung von Energieversorgern wie RWE und EnWB, von Informationstechnik-Konzernen wie SAP und Secunet, von Wasserkraftwerken, Lebensmittelhändlern, Logistikunternehmen und Sicherheitsfirmen.
Schon frühzeitig warnte das eingangs zitierte Bundestagsbüro in Bezug auf die zu koordinierenden Mitstreiter: "Deren Vielzahl und Heterogenität erschweren diese Aufgabe erheblich. So muss man sich vergegenwärtigen, dass es beispielsweise im Sektor Wasser 5200 Versorger und 5900 Entsorger oder im Sektor Informationstechnik und Telekommunikation 3000 Anbieter von Dienstleistungen gibt. Diese operieren teils lokal, teils überregional und weisen ganz unterschiedliche Kompetenzen und Kapazitäten bezüglich des Krisenmanagements auf."
In Zukunft wird es noch komplizierter: Weder die Brexit-Folgen noch die Konsequenzen aus der Neuverteilung der Kompetenzen innerhalb der Nato sind absehbar. Was Letztere betrifft, ist gerade in jüngster Zeit viel Unsicherheit entstanden. Denn US-Präsident Donald Trump hat beschlossen, dass die Last der Ausgaben innerhalb der Nato neu verteilt werden soll - und mit ihr die Finanzierung von Raketen, Flugzeugen, Panzern und sonstigem Gerät. Die deutschen Steuerzahler werden sich wundern. Damit ist jedoch längst noch nicht darüber entschieden, wer bei einem Blackout an oberster Stelle das Sagen haben wird.
Und dann gibt es ja noch die EU, die versuchen wird, möglichst viele Kompetenzen an sich zu reißen. Bis sie damit Erfolg hat, dürfte es allerdings noch ein paar Jahre dauern. Das geht aus einem sogenannten Weißbuch hervor, in dem es heißt: "Zur Stärkung der Reaktions- und Einsatzfähigkeit der EU im zivilen und militärischen Bereich wird national mittelfristig ein ständiges zivil-militärisches operatives Hauptquartier und damit eine zivil-militärische Planungs- und Führungsfähigkeit angestrebt, die in dieser Weise noch nicht in den EU-Mitgliedstaaten vorhanden ist."
Also große Worte, ehrgeizige Pläne - und sonst? Nur mal angenommen, der Strom fiele während des Feierabendverkehrs in Frankfurt oder in Berlin aus. Dann könnte in kürzester Zeit der gesamte S- und U-Bahn-Verkehr lahmgelegt sein, mit steckenbleibenden Arbeitern und Angestellten, die schnell panisch reagieren dürften. Und wer in einem der Frankfurter Wolkenkratzer der Arbeit nachgeht, liefe eventuell sogar Gefahr, im Fahrstuhl eingeschlossen zu werden. Es sei denn, Notstromaggregate würden sofort ihre Arbeit aufnehmen – doch wie viele müssten es sein, damit alle Insassen in Fahrstühlen, in S- und U-Bahn-Waggons befreit werden könnten? Niemand kennt die Antwort.
Das liegt daran, dass Arbeit und Freizeit mittlerweile vollständig von elektrisch betriebenen Anlagen und Geräten durchdrungen sind. So etwas wirkt sich auf das Verhalten der Menschen aus: Ihr Bewusstsein für Risiken, die daraus erwachsen, tendiert gegen Null. Und das im Zuge einer extrem teuren Energiewende, deren Ausgang offen ist. Wer ihren Sinn anzweifelt, gilt unter vielen Politikern wie auch in breiten Bevölkerungskreisen fast schon als Staatsfeind. In so einer Atmosphäre kann die Quittung nicht mehr lange auf sich warten lassen: Höhere Strompreise, die vor allem zulasten der Bezieher unterer und mittlerer Einkommen gehen werden.
Ein Blackout kann verschiedene Ursachen haben: Versagen der Technik, Kriminalität bis hin zu terroristischen Attacken, menschliche Fehler, extreme Wetterlagen, Naturkatastrophen oder Epidemien - um nur die wichtigsten zu nennen. Treffen zwei zusammen, wie 1986 in Tschernobyl und 2012 in Fukushima, entsteht ein GAU (Größter Anzunehmender Unfall).
Von alldem ist Deutschland bislang weitgehend verschont geblieben. Das schwächt das Risikobewusstsein zusätzlich. Und so mangelt es in Deutschland immer noch an einer allgemein durchsetzungsfähigen Strategie, die in der Lage wäre, der Bevölkerung zumindest eine minimale Vorsorge für den Ernstfall bieten. Grund genug, privat vorzusorgen: Wasservorrat und haltbare Lebensmittel für drei bis vier Tage anlegen, wichtige Dokumente an sicherer Stelle aufbewahren, Erste Hilfe-Kurs absolvieren und so weiter - Tipps dazu gibt es im Internet zuhauf.
© Manfred Gburek
www.gburek.eu
Manfred Gburek ist neben seiner Funktion als Kolumnist privater Investor und Buchautor.
Neu bei gburek.eu: Die Aktienphobie der Deutschen