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Die kurzen Beine der Lügner-Kredite

23.03.2007  |  Claus Vogt
- Seite 4 -
Wes’ Brot ich ess’, des’ Lied ich sing’

Wer kennt es nicht, das ach so wahre Sprichwort, das ich an dieser Stelle - wieder einmal - als Zwischenüberschrift gewählt habe. Dennoch halte ich es für hilfreich und wichtig, sich seine Aussage immer wieder bewusst zu machen, um die Äußerungen diverser "Mitesser" richtig einordnen zu können - insbesondere im von Demagogie und Propagandageschwätz beherrschten politischen Bereich.

Bei einer Anhörung im US-Kongress gab der US-Notenbankpräsident Bernanke folgende Prognose ab: "We are looking for moderate growth in the economy going forward. There is a reasonable chance we will see some strengthening in the economy by the middle of the year." (Wir erwarten weiterhin moderates Wirtschaftswachstum. Es gibt eine vernünftige Chance für ein Erstarken der Wirtschaft zur Jahresmitte.)

Wie Sie wissen, beziffere ich die Wahrscheinlichkeit einer im laufenden Jahr beginnenden Rezession in den USA aufgrund der inversen Zinsstruktur, der ökonomischen Frühindikatoren und der Immobilienblase auf 90%. Ob die verbleibenden 10% im Sinne Bernankes als "eine vernünftige Chance" bezeichnet werden sollten? Oder vielleicht doch eher als Außenseiterchance?

Wie auch immer, Sie sehen hier den amtierenden Chefcheerleader der US-Bürokratie in seiner üblichen Pose, also wild mit seinen verbalen Puscheln fuchtelnd und um gute Stimmung bemüht. Insofern natürlich nichts Neues, er zeigt sich erwartungsgemäß als würdiger Nachfolger Alan Greenspans.

Ganz anders hingegen gebärdet dieser sich jetzt. Der unsägliche Opportunist Greenspan legte mit seinem Eintritt in den Staatsdienst bekanntlich nicht nur seine radikal-liberalen Überzeugungen ab wie einen alten Anzug. Er revolutionierte während seiner langen Amtszeit bei der US-Notenbank auch das Image eines Notenbankers und machte es zu dem, was es heute ist: Chefcheerleader der Gelddruckmaschine.

Vor der Ära Greenspan galten Notenbanker noch als hartherzige und langweilige, aber relativ unerbittliche Verfechter einer halbwegs seriösen Geld- und Fiskalpolitik. Sie waren die Spaßbremsen inflationärer Partystimmung, die lediglich eine kurzfristige große Sause auf Kosten langfristiger ökonomischer Gesundheit ermöglicht. Dank Greenspan und dem von ihm systematisch gepflegten "moral harzard" - einer Art Vollkaskoversicherung für Großspekulanten - haben sich das Image und die Rolle der Notenbanker also dramatisch gewandelt, um nicht zu sagen in ihr Gegenteil verkehrt.

Jetzt, im Ruhestand, spricht ebendieser Greenspan plötzlich wieder Dinge aus, deren Erwähnung er während seiner Amtszeit stets vermissen ließ - und das auch noch in einer sprachlichen Klarheit, die sich drastisch von seinem in der Presse als "Greenspeak" verballhornten Kauderwelsch unterscheidet, mit dem er seine Zuhörer und Leser fast 20 Jahre lang quälte: "Yes, it is possible we can get a recession in the latter months of 2007." (Ja, es ist möglich, dass wir gegen Ende des Jahres 2007 eine Rezession bekommen.)

Der amtierende Chefcheerleader sieht eine wirtschaftliche Erholung, der ehemalige Chefcheerleader hingegen eine Rezession. Beide haben natürlich dieselbe Datenbasis. Wes’ Brot ich ess’, des’ Lied ich sing’.


US-Wirtschaftswachstum nach unten revidiert

Ende Januar wurde die erste offizielle Schätzung des Wachstums des US-Bruttoinlandsprodukts mit 3,5% bekannt gegeben. Diese Zahl lag deutlich über den damaligen Erwartungen und sorgte für überaus gute Stimmung nicht nur an den Finanzmärkten.

Einen Monat später folgte die übliche Revision, die allerdings ungewöhnlich heftig ausgefallen ist. Nach derzeitigem amtlichem Kenntnisstand betrug das Wirtschaftswachstum im dritten Quartal nur 2,2%. Diese Zahl passt natürlich sehr viel besser mit dem von den Frühindikatoren signalisierten Rezessionsszenario zusammen als die überraschend stark ausgefallene erste.

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US-Bruttoinlandsprodukt, prozentuale Veränderung, 2001 bis 2006. Quelle: Northern Trust
Die erste Schätzung des US-BIP des 4. Quartals 2006 wurde jetzt deutlich nach unten revidiert.


Insgesamt nimmt die Zahl der negativen Überraschungen bei den makroökonomischen Veröffentlichungen deutlich zu. Auch das ist ein typisches Zeichen einer Wirtschaft auf dem Weg nach unten, die aber beharrlich schöngeredet wird.


US-Frühindikatoren signalisieren Rezession

In der Januar/Februar-Ausgabe der Performance habe ich für Sie den - neben der Zinsstrukturkurve wichtigsten - Frühindikator der US-Wirtschaftsentwicklung bereits näher beleuchtet, den "Index of Leading Economic Indicators" (LEI). Dieser Indikator gab im Januar ein weiteres deutliches Rezessionssignal, indem er im Jahresvergleich mit minus 0,14% negativ geworden ist. Es handelt sich um den ersten negativen Eintrag des LEI seit er im Januar 2002 nach der damaligen Rezession wieder positive Werte angenommen hatte.

Wie Sie der Grafik entnehmen können, gab es in den vergangenen 50 Jahren nur ein einziges Mal keine Rezession, nachdem der LEI in den negativen Bereich gefallen war. Es bleibt also dabei: Die Wahrscheinlichkeit einer bald beginnenden Rezession in den USA ist außerordentlich hoch.

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LEI und US-BIP, jährliche prozentuale Veränderung, 1959 bis 2007. Quelle: www.financialsense.com
Der Index der Frühindikatoren war bei der Prognose von Rezessionen bisher sehr erfolgreich.


Dass die zahlreichen Indikatoren, auf denen sich diese Aussage stützt, trotz der allgemeinen Bekanntheit dieser Indikatoren weitgehend ignoriert bzw. schöngeredet werden, ist angesichts ihrer historischen Ergebnisse - um es milde auszudrücken - einigermaßen erstaunlich. Oder muss der mündige Bürger und Bankkunde vor der Wahrheit geschützt werden - nur um dann völlig überrascht und unvorbereitet den Folgen einer Rezession ausgesetzt zu sein?


US-Wertpapierkredite brechen den Rekord des Jahres 2000

Wie Sie sicherlich wissen, ist es möglich und durchaus üblich, Aktien auf Kredit zu kaufen. Dabei liefern bestehende Aktienpositionen die notwendige Sicherheit für den Kredit. Der Umfang der Inanspruchnahme von Wertpapierkrediten ist ebenso zyklisch wie die Börse. In Haussezeiten nimmt das Spekulieren auf Pumpzu, in Baissezeiten hingegen ab. Die Entwicklung von Wertpapierkrediten gilt deshalb als mittel- oder langfristiger Sentimentindikator.

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S&P 500 und Wertpapierkredite in Mrd. Dollar, 1997 bis 2007. Quelle: www.crosscurrents.com
Im Januar 2007 gab es mehr kreditfinanzierte Aktienspekulationen als im März 2000.


Im zweiten Halbjahr 1999 nahmen die US-Wertpapierkredite sprunghaft zu. Im März 2000, am absoluten Höhepunkt der großen Aktienblase, erreichten sie ihr Hoch und beliefen sich auf 300 Mrd. Dollar. Das entsprach knapp 1,7% der gesamten Aktienmarktkapitalisierung. Dieser spektakuläre Rekord wurde im Dezember 2006 gebrochen. In jenem denkwürdigen Monat betrugen die Wertpapierkredite 303 Mrd. Dollar, gut 1,7% der Aktienmarktkapitalisierung. Die Zahl für Januar 2007 liegt mir noch nicht vor. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist sie jedoch höher als die Dezemberzahl.

Nach fast vier Jahren Hausse an der Wall Street ist das hoch riskante Spekulieren auf Kredit also wieder fest etabliert und weit verbreitet. In Zusammenhang mit der extrem niedrigen Cashquote amerikanischer Investmentfonds sehe ich in dieser Entwicklung ein weiteres wichtiges Zeichen für die sehr hohen Risiken, welche die Aktienmärkte auf dem aktuellen Niveau beinhalten.

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US-Zinsstrukturkurve. Quelle: Bloomberg.
Die Grafik zeigt die Höhe der Zinsen in Abhängigkeit von der Restlaufzeit. Die horizontale Achse beginnt bei 3 Monaten und
endet bei 10 Jahren. Die obere Linie zeigt die Zinsstruktur vom 2. März 2007, die untere die vom 2. März 2006.
In der Vergangenheit signalisierte eine inverse Zinsstrukturkurve verlässlich eine bevorstehende Rezession.





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