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Ramsch statt Rendite

28.07.2019  |  Manfred Gburek
Die meisten Sparer glaubten noch bis zuletzt, ihre Bank oder Sparkasse werde nicht wagen, von ihnen Negativzinsen auf private Einlagen zu verlangen. Wenn sie sich da nicht getäuscht haben! Bisher gelang es den Instituten, ihre privaten Kunden weitgehend vor Negativzinsen zu bewahren, indem sie die eigenen Kosten senkten und zum Ausgleich für das immer uninteressanter werdende Zinsgeschäft Provisionen und Gebühren erhoben. Doch diese Phase neigt sich dem Ende entgegen, von nun an geht es bei den Zinsen ans Eingemachte: Wer spart, wird bestraft - um nicht zu sagen enteignet.

Dafür steht zuallererst der Ende Oktober aus dem Amt als EZB-Präsident scheidende Mario Draghi. Denn was er am vergangenen Donnerstag verkündete, lässt sich am besten wie folgt interpretieren: Volles Rohr zum Abschuss bereit, um das Inflationsziel von nahe, aber unter 2 Prozent zu erreichen, verpackt in so umständliche wie fragwürdige Maßnahmen, etwa Zinssenkung für den Depositensatz oder Neuauflage des Anleihen-Kaufprogramms. Dieser zweifelhafte Versuch erinnert fatal an Draghis Spruch vor gut sieben Jahren, mit dem er die ganze Finanzwelt überrascht hat: "whatever it takes", interpretiert als Absichtserklärung für eine noch nie dagewesenen Geldschwemme.

An Vorschlägen, wie Sparer dem Dilemma, negative Zinsen schlucken zu müssen, entgehen können, herrscht kein Mangel. Zum Beispiel durch Aktien oder zumindest Aktienfonds, speziell ETFs, durch Zertifikate, mit denen man auf alles Mögliche wetten kann, sogar auf weiter fallende Zinsen, oder durch die Neuordnung des ganzen Bankgeschäfts.

Eine Zäsur größeren Ausmaßes bietet sich allein schon deshalb an, weil traditionelle Banken und Sparkassen Angriffen von verschiedenen Seiten ausgesetzt sind, bereits seit Jahren vom breit aufgestellten Finanzkonzern ING, zuletzt vor allem von Digitalbanken wie Fintech Group und N26, oder wie schon länger von Datenkonzernen wie Amazon oder Facebook, die den Zahlungsverkehr revolutionieren. Dem haben heimische Institute kaum etwas entgegenzusetzen.

Aktien und Aktienfonds als Alternative zu Spar- und Festgeldkonten, kann das gut gehen? Also wild schwankende Kurse anstelle von dahinplätschernden Einlagen mit der Null vor dem Komma und immer häufiger mit dem Minuszeichen davor. Nein, das kann in der Regel nicht gut gehen, sieht man von der Minderheit solcher Anleger ab, die systematisch und diszipliniert über Jahre hinweg mit Aktien ihr Vermögen aufbauen. Wobei zwischen Direktaktionären und Aktienfondsanlegern zu unterscheiden ist: Die einen kümmern sich selbst um Aktienauswahl und Timing und kommen dank Direktbank mit geringen Nebenkosten davon, die anderen vertrauen sich Fondsmanagern an und werden dafür zur Kasse gebeten.

Das richtige Timing, also zu niedrigen Kursen kaufen und zu hohen Kursen verkaufen, ist den traditionellen Sparern nicht gerade in die Wiege gelegt. Es entscheidet mit über den Erfolg jeder Aktienanlage. Trotzdem raten Banken, Sparkassen und Vermögensverwalter ausgerechnet jetzt zum Kauf von Aktienfonds, da die Aktienkurse, gemessen an Indizes wie Dax und erst recht Dow Jones, relativ hoch notieren.

Ihr Argument: Die Dividendenrendite gängiger Standardaktien beträgt etwa 2 Prozent; das sei mehr als der aktuelle Nullzins und erst recht mehr als der kommende Negativzins - eine Milchmädchenrechnung allein schon deshalb, weil nicht die aktuelle, sondern die zukünftige Dividende ausschlaggebend für den Anlageerfolg ist, und die steht erst zum Ende eines Geschäftsjahrs fest.

Worin besteht die Alternative? Wahrscheinlich ist es besser, zunächst mit Aktienkäufen - abgesehen von Sondersituationen - zu warten und die Entwicklung an den Finanzmärkten intensiv zu verfolgen. Diese Entwicklung verspricht nämlich Brisanz, wie wir sie noch nie erlebt haben, mit offenem Ausgang und über die Vorstellungskraft der meisten Anleger hinaus.

Dazu erst mal eine Zahl einschließlich Interpretation, zuletzt von Feri Investment Research so kommentiert: Das globale Volumen an negativ verzinslichen Anleihen guter Bonität hat zuletzt mit rund 11,9 Billionen Euro ein Allzeithoch erreicht. Das entspricht ungefähr dem Sechsfachen der aktuellen deutschen Staatsschulden und dem Gesamtwert aller Waren und Dienstleistungen, die im vergangenen Jahr in der Eurozone erwirtschaftet wurden.

Jetzt kommt der Clou: Zunehmend verzinsen sich auch Unternehmensanleihen negativ, Schwerpunkt Eurozone und Schweiz. Mit guter Bonität bewertete 30 Prozent von ihnen rentieren negativ. Sogar Junk Bonds (Ramschanleihen) gehören schon dazu. Und die werden von Tag zu Tag mehr. Warum, ergibt sich aus ihrer rasenden Verbreitung in den vergangenen Jahren. Bislang konnten hoch verschuldete Unternehmen die Zinslast der Anleihen stemmen, wenngleich oft nur mit Ach und Krach. Doch je mehr die Konjunktur Anzeichen von Schwäche zeigt, desto weniger gelingt ihnen das.

Derzeit ist also sehr viel Spekulation im Spiel. Denn wer Anleihen mit negativer "Rendite" kauft, tut das nicht, um sie jahrelang zu behalten, sondern um einen schnellen Kursgewinn zu erzielen. Besonders interessant ist, dass die Kurse langlaufender inflationsindexierter Bundesanleihen in den vergangenen Wochen ebenfalls kräftig zugelegt haben, obwohl die Inflation wie auch die Inflationserwartungen immer noch auf niedrigem Niveau verharren. Das liegt sicher nicht allein an den gesunkenen Zinsen. Die EZB peilt für die Inflation das Niveau etwas unter 2 Prozent an, bisher allerdings ohne Erfolg.

Geht man den Dingen auf den Grund, ist es nur allzu verständlich, dass die Peilmarke bleibt. Denn der neue EZB-Chefvolkswirt Philip Lane, dem viel Durchsetzungskraft nachgesagt wird, hat mit der Inflation eine Menge vor. Dazu gehöre seiner Meinung nach auch, dass negative Zinsen der sicherste Weg seien, um dafür zu sorgen, „dass die Inflation auf das von der EZB vorgegebene Ziel steigt".

Und Olli Rehn, Finnlands Vertreter in der EZB, deutet in einem Interview mit der Börsen-Zeitung an, um das Inflationsziel zu erreichen, verfüge man über "eine Reihe von Instrumenten, die sehr effektiv sind und die als Paket sogar stärkere Effekte haben als isoliert“. Dieses Zitat hat Rehn natürlich mit Draghi abgestimmt. Da kommt also einiges an Inflation auf uns zu.


© Manfred Gburek
www.gburek.eu



Manfred Gburek ist neben seiner Funktion als Kolumnist privater Investor und Buchautor.

Neu bei gburek.eu: Dem Risiko ein Schnippchen schlagen


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