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Die EZB schafft sich ab

15.09.2019  |  Manfred Gburek
Die EZB unterwirft sich immer mehr der Politik. Genauer gesagt: Einer Politik unter der Kuratel Frankreichs - dazu nachher mehr. Wer am vergangenen Donnerstag den Zwischentönen ihres scheidenden Präsidenten Mario Draghi lauschte, muss zwangsläufig zu diesem Ergebnis kommen. Denn der ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass es ihm - ebenso wie seiner Nachfolgerin Christine Lagarde - vor allem um die Belebung der europäischen Konjunktur geht.

So sollen Banken, die Geld bei der EZB parken, über Strafzinsen in Höhe von 0,5 (bisher 0,4) Prozent bewegt werden, mehr Kredite an Unternehmen und Verbraucher zu vergeben. Und ab November sollen monatlich 20 Milliarden Euro über Anleihenkäufe in die Wirtschaft gepumpt werden. Hinter alldem steckt ein ausgetüftelter Plan, der damit enden dürfte, dass die EZB sich selbst abschafft, indem sie immer mehr Aufgaben an die EU-Bürokratie und ihre dort dominanten Franzosen überträgt.

Der Reihe nach: Wer die EZB für sich allein betrachtet, wird der ausschweifenden EU-Bürokratie nicht gerecht. Zum Beispiel verfügt die EU-Kommission über gut 32.000 Mitarbeiter, etwa acht Mal so viele wie die EZB. So gesehen, hat die designierte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zweifellos sehr viel Macht. Doch was macht sie daraus, noch bevor sie inthronisiert ist?

Sie entscheidet sich wie folgt: Für Recht und Ordnung soll eine Rumänin zuständig werden, für den EU-Haushalt ein Italiener und für das Agrarwesen ein Pole. Ob das wohl gut geht? Jedenfalls gibt die Vergangenheit aller drei - um es dezent auszudrücken - genug Anlass zum kritischen Hinterfragen. Doch in der Anfangseuphorie ist Kritik unerwünscht.

Das gilt auch im Hinblick auf die Französin Sylvie Goulard. Sie soll demnächst für ein breites Spektrum an Aufgaben verantwortlich sein, von der Industriepolitik bis zur Verteidigung. Insofern kommen auf ihr Resssort gravierende Entscheidungen zu. Sie dürfte mit ihren Aufgaben gut klarkommen. Aber nicht etwa nur deshalb, weil sie als frühere Kurzzeit-Verteidigungsministerin unter Präsident Emmanuel Macron sozusagen vom Fach ist, sondern weil sie die Riege der französischen Interessenvertreter in der EU an einer entscheidenden Stelle verstärkt.

Die Gefahr, die von daher auf Deutschland zukommt, ist nicht zu unterschätzen. Wobei die politische und wirtschaftliche Gewichtsverschiebung zugunsten Frankreichs und zulasten Deutschlands nach einem möglichen Austritt der Briten aus der EU erschwerend hinzukommt - ein Aspekt, der in der öffentlichen Debatte aus unerfindlichen Gründen erst gar nicht vorkommt. Dann würde die Dominanz der Franzosen in Europa enorm zunehmen. Und Deutschland bliebe nichts anderes übrig, als vor den Franzosen zu kuschen, könnten diese in einem solchen Fall doch umso souveräner von der EZB bis zu den wichtigen EU-Ressorts ihre Macht ausüben.

Was wird aus der EZB unter Christine Lagarde? Eine Institution zur Überwachung der Euro-Stabilität? Lächerlich. Die Feuerwehr, die eingreift, wenn der Euro attackiert wird? Ja, aber nur unter dem Vorbehalt, den Lagarde 2010 einst im Gefolge der Griechenland-Krise aussprach: "Wir brachen alle Regeln, denn wir wollten die Eurozone retten." Eine Wächterin über Inflation und Deflation? Das ist bisher gründlich daneben gegangen; also spricht nichts dafür, dass es in Zukunft gelingen könnte. Ein verlängerter Arm der Politik? Ja, ohne Wenn und Aber!

Nanu, wird uns denn nicht immer eingetrichtert, die EZB sei selbständig, sie entziehe sich jedem politischen Einfluss? Selten so gelacht. Dies umso mehr, wenn offiziell betont wird, die Bundesbank sei das Vorbild der EZB. Dieses Argument hat sich längst selbst ad absurdum geführt, zuletzt vor allem durch den massiven Kauf von Staatsanleihen, der jetzt fortgesetzt werden soll.

Was diesen Punkt betrifft, befindet sich die EZB in Gesellschaft der anderen großen Zentralbanken, die auf die eine oder andere Weise dem Einfluss der Politik ausgesetzt sind, sei es über die politisch motivierte Geldschwemme vonseiten der Bank of Japan, sei es über den Druck, den US-Präsident Donald Trump auf die Fed ausübt.

Der aktuelle Währungskrieg zwischen China und den USA offenbart, wie sehr Zentralbanken bereits zu ausführenden Organen der Regierungen geworden sind. So etwas ist jederzeit auch zwischen Europa und den USA möglich. Dass Christine Lagarde dann auf die Unabhängigkeit der EZB pochen und so tun würde, als sei das für sie kein Thema, geht völlig an der Realität vorbei. Viel wahrscheinlicher ist, dass sie sich in Ermangelung eines EU-Präsidenten bei Frankreichs Präsident Emmanuel Macron - und vorsichtshalber auch bei EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen - Schützenhilfe besorgen dürfte. So käme Frankreich der Herrschaft über die EU einen weiteren Schritt näher.

Dazu hat es an vorbereitenden Maßnahmen während der beiden vergangenen Jahrzehnte nicht gerade gefehlt. Bekanntlich haben die Franzosen ja ihren Kandidaten Jean-Claude Trichet als EZB-Präsidenten gegen deutsche Interessen durchgesetzt. Ihm ist der Italiener Mario Draghi gefolgt, der den französischen Vorstellungen von Geldpolitik in vielerlei Hinsicht näher steht als den deutschen. Und nun Christine Lagarde. Bei ihrer Befragung neulich im Europaparlament ließ sie nicht daran zweifeln, wes Geistes sie ist: Würde es an den Finanzmärkten wieder mal ernst, müssten die Euroländer eingreifen, sagte sie - womit klar wäre, dass die EZB bei jeglicher Rettungsaktion mitziehen müsste.

Als bisherige Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) bringt Lagarde natürlich viel Know-how mit, das sie in ihrem neuen Job bei der EZB einsetzen kann. Lässt man die IWF-Geschichte seit den 80er Jahren Revue passieren, fällt eines besonders auf: die französische Dominanz. So waren in dieser Zeit von insgesamt sechs IWF-Chefs (einschließlich Lagarde) nicht weniger als vier Franzosen.

Der weitere Weg der EZB ist längst vorgezeichnet: Der eingangs erwähnte Plan sieht vor, dass ihre Geldpolitik immer mehr zur Fiskalpolitik umgewandelt wird. Der Anfang ist ja längst mittelbar auf dem Umweg über Staatsanleihenkäufe gemacht. Das Ende ist nicht absehbar, weil es sich um ein gewaltiges, in der Wirtschaftsgeschichte einmaliges Experiment handelt. Umso wichtiger wird in nächster Zeit sein, vor allem die Aktienkurse und Edelmetallpreise als Vorboten der kommenden Entwicklung laufend zu verfolgen.


© Manfred Gburek
www.gburek.eu



Manfred Gburek ist neben seiner Funktion als Kolumnist privater Investor und Buchautor.

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