Draghis gefährliches Erbe
03.11.2019 | Manfred Gburek
Es war ein Bild voller Symbolik, das sich am vergangenen Freitag rund um den EZB-Turm im Frankfurter Ostend bot: Polizei und Protestdemonstrationen, wohin man blickte, zu Lande und sogar zu Wasser den Main entlang, wo Polizeiboote kreuzten. Symbolik, weil der ganze Aufwand aus gegebenem Anlass - Übergabe des EZB-Chefpostens von Mario Draghi an Christine Lagarde - besonders einem Ziel dienen sollte: Aller Welt zu demonstrieren, dass hier eine Macht am Werk ist, die fest zum Euro steht und sich durch nichts erschüttern lässt. Aber ist die EZB wirklich eine Macht? Die folgenden Überlegungen werfen so manchen Zweifel auf.
Christine Lagarde, seit dem vergangenen Freitag EZB-Chefin, wurde schon vor ihrem Amtsantritt mit Lob überhäuft. Etwa zu Recht, bloß weil sie als kompetent, kompromissfähig und eloquent gilt?
Die Frage ist falsch gestellt. Denn was nützen ihr solche Eigenschaften, während ganz andere gefragt sind? Symbolisch formuliert, andere wie etwa diese: Kann es Lagarde gelingen, Ketchup in eine entleerte Tube zurück zu quetschen? Sprich, das viele im Auftrag ihres Vorgängers Mario Draghi aus dem Nichts geschaffene Geld von den Spieltischen der internationalen Hedgefonds-Manager und sonstigen Finanz-Hazardeure wieder dorthin zu befördern, wo es nach seiner ursprünglichen Bestimmung hingehört, nämlich in den Kreislauf der Realwirtschaft? Klare Antwort: Nein.
Worin besteht die Alternative? Auf den Punkt gebracht: In nimmermüden Versuchen, dem Spielgeld Einhalt zu gebieten. Das könnte unter besonders günstigen Umständen, begleitet von professioneller Kommunikation, mit viel Glück gelingen. Aber die Mitspieler, an vorderster Front die Finanzminister der Euroländer, werden sich mit aller Macht dagegen wehren. Ihr Faustpfand besteht darin, dass Draghi ihnen während seiner letzten Tage als EZB-Präsident wieder Anleihekäufe versprochen hat. Solche Käufe sind im Kern nichts anderes als das Umfunktionieren der Geldpolitik zu einer expansiven Fiskalpolitik.
Damit bewegt sich die Geldpolitik immer mehr in Richtung Neuland. Soll sie doch, solange auf diese Weise die Konjunktur vor einem Einbruch bewahrt werden kann, argumentieren ihre Befürworter. Aber kann die Geldpolitik das überhaupt? Ein Beispiel: Mit griechischen Aktien und Staatsanleihen konnte man in den vergangenen Monaten viel Geld verdienen. Der griechische Aktienindex schnitt im internationalen Vergleich zeitweise sogar am besten ab, während zum Beispiel der Dax nur im Mittelfeld landete. Belebung der griechischen Konjunktur? Nur marginal. Geld fließt also eher an die Börse als in die griechische Wirtschaft. Das gilt analog für Italien, Spanien und weitere Euroländer.
Diese Feststellung muss indes noch um eine zusätzliche ergänzt werden: Der Geldfluss in die Wirtschaft macht seit geraumer Zeit sogar nicht vor maroden Unternehmen Halt, vor sogenannten Zombies, also Untoten. Deren Geschäftsmodell ist einfach zu erklären: Man nehme einen günstigen Kredit zu minimalen Zinsen auf - sagen wir, zu 2 Prozent - und finanziere damit Investitionen, die 4 Prozent Rendite versprechen. Alternative: die Finanzierung eines Hauses.
Angenommen, das geht in beiden Fällen eine ganze Weile gut, dann ist daran nichts auszusetzen. Doch es kommt nun mal vor, dass sich Investitionen im Zuge einer rückläufigen Konjunktur nicht mehr rechnen oder dass eine Baufinanzierung die Familienkasse sprengt. Dass Unternehmen Kurzarbeit einführen oder Bauträger pleite gehen. Dann rächen sich die zu knapp bemessenen Finanzen in vielen Fällen. So gesehen erscheinen auch die zuletzt bekannt gewordenen Pläne von Konzernen wie Bosch oder Continental, Personalkosten einzusparen, in einem neuen Licht.
Eines steht schon heute fest: Draghis gefährliches Erbe wird unliebsame Konsequenzen nach sich ziehen. Denken wir nur an die Null- und Negativzinsen, also das Herzstück der jetzigen EZB-Geldpolitik. Zinsen gelten seit eh und je als entscheidend für den effizienten Einsatz von Kapital.
Doch auf dem aktuellen Niveau haben sie diese Funktion verloren. Daraus erwächst ein Risiko, das niemand abschätzen kann, weil es in der ganzen Wirtschaftsgeschichte so noch nie vorgekommen ist. Das Dilemma: Ändert sich daran nichts, müssen wir täglich mit irgendwelchen Überraschungen rechnen, die wir bestenfalls erahnen können. Steigen die Zinsen jedoch, käme es zu einem Crash, der alle Geldanlagen außer Gold und solide Währungen erfassen dürfte. Dann würden erst nach Kursverlusten der Aktien von 20 bis 30 Prozent die sogenannten starken Hände zugreifen.
Viel mehr als diese differenzierte Betrachtungsweise erscheint derzeit im Zusammenhang mit der EZB-Geldpolitik nicht opportun.
Nur noch eines: Solange das jetzige Zinsniveau bestehen bleibt, werden Sparer und potenzielle Rentner, die Ansprüche auf die private Altersvorsorge über Lebensversicherungen, Pensionsfonds und dergleichen haben, real und zunehmend auch nominal jeden Tag ein wenig ärmer. Und da streiten sich die Großkoalitionäre wie die Kesselflicker gerade um Details zur Grundrente, ohne das große Ganze - alles, was zur Altersvorsorge gehört - in Angriff zu nehmen. Ihnen sind die Stimmen bei den kommenden Wahlen offenbar wichtiger als eine durchgreifende Reform der gesetzlichen und der privaten Rente.
Dieses Politikum hat noch eine nicht zu unterschätzende soziologische Komponente, in Kurzform: Jung gegen Alt oder je nach Sichtweise umgekehrt Alt gegen Jung. Das ist nicht nur Stoff für Fernsehspiele, sondern auch für harte Auseinandersetzungen im täglichen Leben, die uns in den kommenden Jahren drohen.
Die Jungen ärgern sich über das geringe Verständnis der Alten für den Klimaschutz und darüber, dass sie die Renten der Alten finanzieren und womöglich auch noch für deren teure Unterbringung im Altenheim aufkommen müssen. Derweil kritisieren die Alten die Jungen wegen deren hoher Ausgaben für den Konsum, etwa für das jeweils neueste iPhone oder für teure modische Klamotten, außerdem für mangelnde Toleranz und schlechtes Benehmen.
Das alles läuft unter dem brisanten Oberthema: Spaltung der Gesellschaft. Dazu gehören auch Themen wie Ost gegen West, Frauen gegen Männer und Arm gegen Reich. Indes dürfte schon bald ein weiteres Thema in den Vordergrund treten: die anderen Euroländer gegen Deutschland. Da kommt wieder Christine Lagarde ins Spiel, bisher Chefin des Internationalen Währungsfonds. Noch in dieser Funktion hat sie sich vor Kurzem in deutsche Angelegenheiten eingemischt und mehr Investitionen gefordert. Sie wird dabei bleiben - und damit Draghis Geldpolitik um eine Variante erweitern - zulasten Deutschlands.
© Manfred Gburek
www.gburek.eu
Manfred Gburek ist neben seiner Funktion als Kolumnist privater Investor und Buchautor.
Neu bei gburek.eu: Vom gläsernen Bürger zur Bau-Bürokratie
Christine Lagarde, seit dem vergangenen Freitag EZB-Chefin, wurde schon vor ihrem Amtsantritt mit Lob überhäuft. Etwa zu Recht, bloß weil sie als kompetent, kompromissfähig und eloquent gilt?
Die Frage ist falsch gestellt. Denn was nützen ihr solche Eigenschaften, während ganz andere gefragt sind? Symbolisch formuliert, andere wie etwa diese: Kann es Lagarde gelingen, Ketchup in eine entleerte Tube zurück zu quetschen? Sprich, das viele im Auftrag ihres Vorgängers Mario Draghi aus dem Nichts geschaffene Geld von den Spieltischen der internationalen Hedgefonds-Manager und sonstigen Finanz-Hazardeure wieder dorthin zu befördern, wo es nach seiner ursprünglichen Bestimmung hingehört, nämlich in den Kreislauf der Realwirtschaft? Klare Antwort: Nein.
Worin besteht die Alternative? Auf den Punkt gebracht: In nimmermüden Versuchen, dem Spielgeld Einhalt zu gebieten. Das könnte unter besonders günstigen Umständen, begleitet von professioneller Kommunikation, mit viel Glück gelingen. Aber die Mitspieler, an vorderster Front die Finanzminister der Euroländer, werden sich mit aller Macht dagegen wehren. Ihr Faustpfand besteht darin, dass Draghi ihnen während seiner letzten Tage als EZB-Präsident wieder Anleihekäufe versprochen hat. Solche Käufe sind im Kern nichts anderes als das Umfunktionieren der Geldpolitik zu einer expansiven Fiskalpolitik.
Damit bewegt sich die Geldpolitik immer mehr in Richtung Neuland. Soll sie doch, solange auf diese Weise die Konjunktur vor einem Einbruch bewahrt werden kann, argumentieren ihre Befürworter. Aber kann die Geldpolitik das überhaupt? Ein Beispiel: Mit griechischen Aktien und Staatsanleihen konnte man in den vergangenen Monaten viel Geld verdienen. Der griechische Aktienindex schnitt im internationalen Vergleich zeitweise sogar am besten ab, während zum Beispiel der Dax nur im Mittelfeld landete. Belebung der griechischen Konjunktur? Nur marginal. Geld fließt also eher an die Börse als in die griechische Wirtschaft. Das gilt analog für Italien, Spanien und weitere Euroländer.
Diese Feststellung muss indes noch um eine zusätzliche ergänzt werden: Der Geldfluss in die Wirtschaft macht seit geraumer Zeit sogar nicht vor maroden Unternehmen Halt, vor sogenannten Zombies, also Untoten. Deren Geschäftsmodell ist einfach zu erklären: Man nehme einen günstigen Kredit zu minimalen Zinsen auf - sagen wir, zu 2 Prozent - und finanziere damit Investitionen, die 4 Prozent Rendite versprechen. Alternative: die Finanzierung eines Hauses.
Angenommen, das geht in beiden Fällen eine ganze Weile gut, dann ist daran nichts auszusetzen. Doch es kommt nun mal vor, dass sich Investitionen im Zuge einer rückläufigen Konjunktur nicht mehr rechnen oder dass eine Baufinanzierung die Familienkasse sprengt. Dass Unternehmen Kurzarbeit einführen oder Bauträger pleite gehen. Dann rächen sich die zu knapp bemessenen Finanzen in vielen Fällen. So gesehen erscheinen auch die zuletzt bekannt gewordenen Pläne von Konzernen wie Bosch oder Continental, Personalkosten einzusparen, in einem neuen Licht.
Eines steht schon heute fest: Draghis gefährliches Erbe wird unliebsame Konsequenzen nach sich ziehen. Denken wir nur an die Null- und Negativzinsen, also das Herzstück der jetzigen EZB-Geldpolitik. Zinsen gelten seit eh und je als entscheidend für den effizienten Einsatz von Kapital.
Doch auf dem aktuellen Niveau haben sie diese Funktion verloren. Daraus erwächst ein Risiko, das niemand abschätzen kann, weil es in der ganzen Wirtschaftsgeschichte so noch nie vorgekommen ist. Das Dilemma: Ändert sich daran nichts, müssen wir täglich mit irgendwelchen Überraschungen rechnen, die wir bestenfalls erahnen können. Steigen die Zinsen jedoch, käme es zu einem Crash, der alle Geldanlagen außer Gold und solide Währungen erfassen dürfte. Dann würden erst nach Kursverlusten der Aktien von 20 bis 30 Prozent die sogenannten starken Hände zugreifen.
Viel mehr als diese differenzierte Betrachtungsweise erscheint derzeit im Zusammenhang mit der EZB-Geldpolitik nicht opportun.
Nur noch eines: Solange das jetzige Zinsniveau bestehen bleibt, werden Sparer und potenzielle Rentner, die Ansprüche auf die private Altersvorsorge über Lebensversicherungen, Pensionsfonds und dergleichen haben, real und zunehmend auch nominal jeden Tag ein wenig ärmer. Und da streiten sich die Großkoalitionäre wie die Kesselflicker gerade um Details zur Grundrente, ohne das große Ganze - alles, was zur Altersvorsorge gehört - in Angriff zu nehmen. Ihnen sind die Stimmen bei den kommenden Wahlen offenbar wichtiger als eine durchgreifende Reform der gesetzlichen und der privaten Rente.
Dieses Politikum hat noch eine nicht zu unterschätzende soziologische Komponente, in Kurzform: Jung gegen Alt oder je nach Sichtweise umgekehrt Alt gegen Jung. Das ist nicht nur Stoff für Fernsehspiele, sondern auch für harte Auseinandersetzungen im täglichen Leben, die uns in den kommenden Jahren drohen.
Die Jungen ärgern sich über das geringe Verständnis der Alten für den Klimaschutz und darüber, dass sie die Renten der Alten finanzieren und womöglich auch noch für deren teure Unterbringung im Altenheim aufkommen müssen. Derweil kritisieren die Alten die Jungen wegen deren hoher Ausgaben für den Konsum, etwa für das jeweils neueste iPhone oder für teure modische Klamotten, außerdem für mangelnde Toleranz und schlechtes Benehmen.
Das alles läuft unter dem brisanten Oberthema: Spaltung der Gesellschaft. Dazu gehören auch Themen wie Ost gegen West, Frauen gegen Männer und Arm gegen Reich. Indes dürfte schon bald ein weiteres Thema in den Vordergrund treten: die anderen Euroländer gegen Deutschland. Da kommt wieder Christine Lagarde ins Spiel, bisher Chefin des Internationalen Währungsfonds. Noch in dieser Funktion hat sie sich vor Kurzem in deutsche Angelegenheiten eingemischt und mehr Investitionen gefordert. Sie wird dabei bleiben - und damit Draghis Geldpolitik um eine Variante erweitern - zulasten Deutschlands.
© Manfred Gburek
www.gburek.eu
Manfred Gburek ist neben seiner Funktion als Kolumnist privater Investor und Buchautor.
Neu bei gburek.eu: Vom gläsernen Bürger zur Bau-Bürokratie