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Die grüne Welle rollt

10.11.2019  |  Manfred Gburek
Am vergangenen Monatsultimo wartete die sonst eher nüchtern argumentierende Börsen-Zeitung mit einem für sie geradezu euphorischen Kommentar auf, der so begann: "Es ist ein Triumphzug, den Green und Sustainable Finance an den Finanzmärkten feiert." Dazu der Hinweis, der weltweite Markt für sogenannte grüne Anleihen habe nach Angaben der Climate Bonds Initiative kurz zuvor die Marke von 200 Milliarden Dollar übertroffen.

Die Erfolgsgeschichte von solchen Anleihen hat offenbar erst begonnen. Wobei sich zwar das, was man als grün bezeichnet, und das, was sustainable (nachhaltig) ist, nicht eindeutig definieren lässt. Aber Schwamm drüber, die grüne Welle am Kapitalmarkt kann offenbar niemand mehr aufhalten.

Kein Geringerer als Bundesbank-Präsident Jens Weidmann hat die brisanteste Ursache beim Namen genannt: "Mittlerweile versucht die Politik in etlichen Ländern immer stärker die Geldpolitik zu beeinflussen und für andere Zwecke als die Sicherung der Preisstabilität einzuspannen, zum Beispiel, indem explizit gefordert wird, Investitionen zum ökologischen Umbau der Wirtschaft über die Geldpolitik zu finanzieren."

Die Beeinflussung der Geldpolitik ist bereits in vollem Gang: Indem die EZB - noch unter der Herrschaft von Mario Draghi - beschlossen hat, den massiven Kauf von Anleihen wieder aufzunehmen, sorgt sie dafür, dass die Geld- zur Fiskalpolitik umgewandelt wird. Bis zu dem von Weidmann kritisierten ökologischen Umbau der Wirtschaft ist es dann nur noch ein kurzer Weg. Dabei handelt es sich um eine weitere Variante dessen, was hier in der vergangenen Woche mit der Überschrift "Draghis gefährliches Erbe" das zentrale Thema war. Daran lassen sich viele Fragen knüpfen, zum Beispiel diese:

Aufgrund welcher Kriterien ist eine Anleihe oder eine sonstige Anlage grün? Welchen von langer Hand geplanten Einfluss hat die "Fridays for Future-Bewegung" mit ihrer Ikone Greta Thunberg auf den jetzt in Gang gekommenen ökologischen Umbau? Wird dieser zum Selbstgänger? Falls ja: Welche Konsequenzen hat das für konkurrierende, weniger oder gar nicht grüne Geldanlagen?

Wie entstehen und wie rechnen sich grüne Renditen? Ist mit einem allgemeinen "Green washing" zu rechnen, also mit der offiziellen Umbenennung nicht grüner in grüne Geldanlagen? Und um nochmals die Aussage von Weidmann aufzugreifen: Besteht nicht die Gefahr, dass die Geldpolitik im Zuge des ökologischen Umbaus auf dem Umweg über grüne Anleihen immer mehr auf die Fiskalpolitik übergeht?

Ja, diese Gefahr besteht. Und noch viel mehr: Da nicht genau definiert ist, was als nachhaltig gilt und was nicht, legt sich jedes Land nach Belieben seine eigene Taxonomie zurecht. Was ist das denn schon wieder? Nun, zumindest die folgende aus dem Griechischen abgeleitete Definition scheint klar zu sein: ein einheitliches Klassifizierungsschema, mit dem Objekte (oder sonst was) nach bestimmten Kriterien eingeteilt werden. Ein aktuelles Beispiel, das für ein solches Schema zu sprechen scheint, jedoch weit davon entfernt ist: In Deutschland gelten Atomkraftwerke spätestens nach der Energiewende als Teufelszeug, dagegen in Frankreich als grün.

Geht's noch? Ja, nach dem Motto: Wenn jemand nicht mehr weiter weiß, gründet er einen Arbeitskreis. So soll zum Beispiel die EU-Kommission beauftragt werden, ein Klassifizierungsschema nach einheitlichen Kriterien zu erarbeiten. Und die Atomkraftwerke? Die wandern erst mal in den Stapel mit der Aufschrift Wiedervorlage. Denn ein Kompromiss ist in diesem Punkt nicht zu erwarten. Wie denn auch? Etwa, indem Frankreich die Hälfte seiner Atomkraftwerke stilllegt, mit der Folge, dass Deutschland weniger billigen Atomstrom aus dem Nachbarland zugeteilt bekommt und mit einem Blackout rechnen muss?

Es sind solche quälenden Fragen, die einer klaren Taxonomie entgegenstehen. Trotzdem ist bereits die nächste Initiative geplant: Die Regierungen der EU-Länder sollen sich mit dem EU-Parlament abstimmen. Dieses hatte allerdings schon im März kategorisch ausgeschlossen, dass Investitionen in Atom-, Kohle- und Gaskraftwerke als nachhaltig gelten könnten. Klar, dass da der nächste Arbeitskreis fällig wird: Das EU-Parlament soll sich irgendwie mit EU-Kommission und -Rat einigen.

So weit die Kritikpunkte. Werden also aufgrund dessen die erwähnten Initiativen verpuffen? Auch wenn es zunächst paradox erscheint: Nein, sie dürften weiter gehen. Denn man wird sich zumindest innerhalb der EU irgendwie einigen, und zwar auf der Grundlage eines Aktionsplans in zehn Stufen. Unter anderem hat dazu die deutsche Finanzaufsicht BaFin nach jahrelanger Vorarbeit eine 33 Seiten umfassende Studie vorgelegt, deren Ergebnisse bereits jetzt in die Anlagestrategie von Großanlegern einzufließen beginnen.

Wie kann es dazu kommen, ist derzeit doch weder mit Anleihen - wegen des extrem niedrigen Zinsniveaus - noch mit Aktien - wegen deren hoher Bewertung - sonderlich viel Geld zu verdienen? Die passende Antwort fällt pragmatisch aus: Im vergangenen Jahr hat Luxemburg als wichtige Kapitaldrehscheibe ein eigens auf grüne Anleihen abgestimmtes Gesetz erlassen und damit die sogenannte Monopolrendite abgeschöpft.

Allein schon von daher gesehen nimmt es nicht wunder, dass bislang gemäß der eingangs erwähnten globalen Climate Bonds Initiative über 200 Milliarden Dollar in grüne Anleihen geflossen sind; zudem wird 2019 diesbezüglich ein Rekordjahr.

Es gibt indes noch eine weitere Antwort. Sie lässt tief blicken: Steinreiche Konzernchefs wie Jeff Bezos oder Richard Brenson machen sich für den Klimaschutz und damit indirekt auch für grüne Anleihen stark.

Zweifellos zeichnet sich bei Anleihen und zum Teil auch bei Aktien ein Trend ab, der erst am Anfang steht. Sein Knackpunkt wird in den kommenden Jahren darin bestehen, dass grüne Anlagen gemäß Taxonomie - wie auch immer man sich auf sie einigt - mit einem Bonus und nicht grüne mit einem Risikomalus versehen werden. Den Rest, also die Kursentwicklung bzw. die Rendite, dürfte dann vor allem die Börse übernehmen. Fazit: Egal, auf welch verschlungenen Wegen - erst über die Geldpolitik, danach über die Fiskalpolitik und schließlich über allseitig grüne Anlagen - das Geld dem neuen Trend folgen wird, dieses kommende Szenario ist alternativlos.


© Manfred Gburek
www.gburek.eu



Manfred Gburek ist neben seiner Funktion als Kolumnist privater Investor und Buchautor.

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