Migration: Die ganze Wahrheit
23.08.2020 | Manfred Gburek
Der Umgang der Politiker mit dem heißen Thema Migration steckt in der Sackgasse. Jetzt bringt ein 43-seitiges Dokument der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) Schwung in die allzu oft irrational und emotional geführte Debatte. Eine wichtige Erkenntnis daraus liest sich wie das Beweismaterial zu einer Anklageschrift:
"Die mediale Berichterstattung ist voll von Appellen an Moral und Emotion. Die deutsche Rückkehrpolitik steckt tief in der Krise. Scheiternde Abschiebungen, überhöhte Erwartungen an die freiwillige Rückkehr, komplexe Strukturen und eine vergiftete und emotionale Diskussionskultur - all diese Probleme muss Deutschland angehen, um seine Rückkehrpolitik effektiver, menschlicher und ehrlicher zu machen."
Doch was geschieht stattdessen? Die meisten Politiker, vom Mitglied der Bundesregierung bis zum Bürgermeister einer Kleinstadt, ducken sich lieber weg - was man ihnen nicht mal verübeln kann, weil es an einem übergelagerten Konzept mangelt. "Eine Viertelmillion Menschen lebt heute ohne legalen Aufenthaltsstatus in Deutschland, doppelt so viele wie vor sieben Jahren. Es ist das erklärte Ziel der Regierung, dass Ausreisepflichtige Deutschland verlassen, doch nur wenige tun es. Die Rückkehrpolitik ist ein föderaler Flickenteppich, in dem Hunderte von staatlichen Akteuren uneinheitlich vorgehen."
Zum föderalen Flickenteppich gesellt sich ein weiterer, und der hat es in sich: Er besteht unter anderem aus der Europäischen Kommission, Frontex, aus Wohlfahrtsverbänden, Grenz- und Küstenwachen, Ausländerbehörden, Organisationen, Stiftungen, Think Tanks und einigen mehr. Sie alle sind natürlich daran interessiert, ihre Bedeutung medial herauszustellen.
Daraus folgt: Kaum haben Kameraleute zum Beispiel ein überlastetes Elendscamp in Griechenland oder ein mit Menschen überbordendes Schiff auf dem Mittelmeer entdeckt, wird gefilmt, was das Zeug hält - und landet nicht selten als Mahnmal in sensationsheischenden Medien, sei es im Fernsehen einschließlich Mediathek, sei es in Internetforen oder in der Boulevardpresse.
Eines muss man den beiden Autorinnen des DGAP-Dokuments, Victoria Rietig und Mona Lou Günnewig, hoch anrechnen: Sie haben besonders gründlich recherchiert; das ist ihnen in puncto Migrations-Terminologie sogar auf humorvolle Weise gelungen, indem sie das amtliche Vokabular in Sachen Differenzierung wie folgt auseinandergenommen haben: freiwillige geförderte Rückkehr, unfreiwillige Rückkehr, Abschiebung, Rückführung, Zurückweisung, Zurückschiebung, selbständige eigenständige Ausreise, Ausweisung, Ausreisepflicht, Duldung, Dublin-Überstellung.
Da steigt niemand mehr durch. Nehmen wir nur das aufschlussreiche Dublin-Beispiel: "Bei einer Dublin-Überstellung bringt die Bundespolizei eine Person, für deren Asylantrag ein anderer EU-Mitgliedstaat zuständig ist, zurück in das nach dem Dublin-Verfahren zuständige Land. Eine Dublin-Überstellung findet also nicht statt, weil das BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) eine inhaltliche Entscheidung über einen Asylantrag getroffen hat, sondern weil ein anderes EU-Land für die Prüfung des Asylantrags der Person zuständig ist."
Wenden wir uns wieder einigen brisanten Fakten zu. Zum Beispiel hat sich die Zahl der Ausreisepflichtigen von 2013 bis 2019 von zirka 120.000 auf 250.000 fast verdoppelt. Dabei ist die Zahl der Ausreisepflichtigen ohne Duldung von zirka 30.000 auf 50.000 gestiegen, die der mit Duldung von unter 100.000 auf mehr als 200.000. Solche Zahlen suggerieren auf den ersten Blick Klarheit. Doch weit gefehlt, wie die folgenden Fakten belegen:
"Mehr als vier von fünf Ausreisepflichtigen sind in Deutschland im Besitz einer Duldung, die ihnen bescheinigt, dass sie zwar theoretisch ausreisepflichtig sind, doch der Staat zurzeit darauf verzichtet, diese Pflicht mit Zwang zu vollziehen. Die Situation mutet paradox an: Es gibt zwar immer mehr Ausreisepflichtige, aber die Bedeutung dieser Pflicht ist verwischt. Teilen der Bevölkerung ist es schwer zu vermitteln, dass eine Ausreisepflicht für Migranten nicht automatisch eine Verpflichtung darstellt, tatsächlich das Land zu verlassen.
Die Gründe vieler Duldungen sind unklar. Bekannt ist, dass vier von zehn Personen wegen fehlender Reisedokumente geduldet werden. Bei weiteren vier von zehn sind jedoch nur 'sonstige Gründe' bekannt. Der medial zitierte Abschiebestopp und die medizinischen Gründe treffen nur auf jeweils zwei Prozent der Geduldeten zu."
Was unternimmt die Bundesregierung angesichts der hier beschriebenen unhaltbaren Zustände dagegen, dass ihr die Entwicklung noch mehr als bisher aus dem Ruder zu laufen droht? Nachdem sie vor drei Jahren mit einem Gesetz zur Ausreisepflicht endlich beschlossen hatte, mehr Härte als zuvor zu demonstrieren, ließ sie mit dem Geordnete-Rückkehr-Gesetz vor einem Jahr Vorschriften folgen, die etwas strenger ausfielen, beispielsweise zur Klärung der Identität oder zur Haft von Ausreisepflichtigen.
Zu diesen gesetzlichen Verschärfungen gesellten sich viele, auch innerhalb der EU abgestimmte Vorschriften. Fast schon so etwas wie ein Meilenstein ist das von Bund und Ländern beschlossene Gemeinsame Zentrum zur Unterstützung der Rückkehr. Es wird ergänzt um Kooperationen verschiedener Bundesländer und um 15 sogenannte Anker-Einrichtungen, von denen sich sieben in Bayern befinden, wo sie entstanden sind.
Bei aller Kritik, die in dem DGAP-Dokument zu Recht steckt - es fordert Politiker auch mit zehn konstruktiven Empfehlungen auf, endlich die Initiative zu ergreifen, damit Migranten aller Art sich nicht einfach über deutsche Gesetze erheben und weiterhin finanzielle Vorteile erheischen. Das wird nicht nur zu verbalen Auseinandersetzungen in Parlamenten und im sonstigen politischen Raum führen, sondern auch zu körperlichen Auseinandersetzungen auf der Straße, wie unlängst in Stuttgart und Frankfurt und ständig in Berlin.
Hier sind die Empfehlungen: "Verantwortlichkeiten bündeln, mehr Datentransparenz ermöglichen, Anzahl und Dauer von Duldungen reduzieren, verbindliche Standards und Ausbildung für Rückkehrberater festlegen, Monitoring-System für Abschiebungen ausbauen, Rückkehrkooperationen strategisch aufbauen, Rückkehr- und Reintegrationshilfen nachhaltiger gestalten, Kosten und Nutzen neuer Abschiebehaftplätze berechnen, Anker-Konzept kritisch prüfen, rhetorisch abrüsten."
Hinter jeder von diesen Empfehlungen steckt auch eine Drohung. Politiker, die sie nicht hinreichend wahrnehmen, werden nach der kommenden Bundestagswahl alt aussehen. Oder um der Wahrheit konkret die Ehre zu geben: Jeder Politiker, der sich weiter nur mit salbungsvollem Gerede statt mit einem Bekenntnis zum Rechtsstaat zu Wort meldet, wenn wieder mal ein Eklat mit Migrationshintergrund zu beklagen ist, gehört so schnell wie möglich abgewählt.
© Manfred Gburek
www.gburek.eu
Manfred Gburek ist neben seiner Funktion als Kolumnist privater Investor und Buchautor.
Neu bei www.gburek.eu : Die Leiden der Immobilienkäufer
"Die mediale Berichterstattung ist voll von Appellen an Moral und Emotion. Die deutsche Rückkehrpolitik steckt tief in der Krise. Scheiternde Abschiebungen, überhöhte Erwartungen an die freiwillige Rückkehr, komplexe Strukturen und eine vergiftete und emotionale Diskussionskultur - all diese Probleme muss Deutschland angehen, um seine Rückkehrpolitik effektiver, menschlicher und ehrlicher zu machen."
Doch was geschieht stattdessen? Die meisten Politiker, vom Mitglied der Bundesregierung bis zum Bürgermeister einer Kleinstadt, ducken sich lieber weg - was man ihnen nicht mal verübeln kann, weil es an einem übergelagerten Konzept mangelt. "Eine Viertelmillion Menschen lebt heute ohne legalen Aufenthaltsstatus in Deutschland, doppelt so viele wie vor sieben Jahren. Es ist das erklärte Ziel der Regierung, dass Ausreisepflichtige Deutschland verlassen, doch nur wenige tun es. Die Rückkehrpolitik ist ein föderaler Flickenteppich, in dem Hunderte von staatlichen Akteuren uneinheitlich vorgehen."
Zum föderalen Flickenteppich gesellt sich ein weiterer, und der hat es in sich: Er besteht unter anderem aus der Europäischen Kommission, Frontex, aus Wohlfahrtsverbänden, Grenz- und Küstenwachen, Ausländerbehörden, Organisationen, Stiftungen, Think Tanks und einigen mehr. Sie alle sind natürlich daran interessiert, ihre Bedeutung medial herauszustellen.
Daraus folgt: Kaum haben Kameraleute zum Beispiel ein überlastetes Elendscamp in Griechenland oder ein mit Menschen überbordendes Schiff auf dem Mittelmeer entdeckt, wird gefilmt, was das Zeug hält - und landet nicht selten als Mahnmal in sensationsheischenden Medien, sei es im Fernsehen einschließlich Mediathek, sei es in Internetforen oder in der Boulevardpresse.
Eines muss man den beiden Autorinnen des DGAP-Dokuments, Victoria Rietig und Mona Lou Günnewig, hoch anrechnen: Sie haben besonders gründlich recherchiert; das ist ihnen in puncto Migrations-Terminologie sogar auf humorvolle Weise gelungen, indem sie das amtliche Vokabular in Sachen Differenzierung wie folgt auseinandergenommen haben: freiwillige geförderte Rückkehr, unfreiwillige Rückkehr, Abschiebung, Rückführung, Zurückweisung, Zurückschiebung, selbständige eigenständige Ausreise, Ausweisung, Ausreisepflicht, Duldung, Dublin-Überstellung.
Da steigt niemand mehr durch. Nehmen wir nur das aufschlussreiche Dublin-Beispiel: "Bei einer Dublin-Überstellung bringt die Bundespolizei eine Person, für deren Asylantrag ein anderer EU-Mitgliedstaat zuständig ist, zurück in das nach dem Dublin-Verfahren zuständige Land. Eine Dublin-Überstellung findet also nicht statt, weil das BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) eine inhaltliche Entscheidung über einen Asylantrag getroffen hat, sondern weil ein anderes EU-Land für die Prüfung des Asylantrags der Person zuständig ist."
Wenden wir uns wieder einigen brisanten Fakten zu. Zum Beispiel hat sich die Zahl der Ausreisepflichtigen von 2013 bis 2019 von zirka 120.000 auf 250.000 fast verdoppelt. Dabei ist die Zahl der Ausreisepflichtigen ohne Duldung von zirka 30.000 auf 50.000 gestiegen, die der mit Duldung von unter 100.000 auf mehr als 200.000. Solche Zahlen suggerieren auf den ersten Blick Klarheit. Doch weit gefehlt, wie die folgenden Fakten belegen:
"Mehr als vier von fünf Ausreisepflichtigen sind in Deutschland im Besitz einer Duldung, die ihnen bescheinigt, dass sie zwar theoretisch ausreisepflichtig sind, doch der Staat zurzeit darauf verzichtet, diese Pflicht mit Zwang zu vollziehen. Die Situation mutet paradox an: Es gibt zwar immer mehr Ausreisepflichtige, aber die Bedeutung dieser Pflicht ist verwischt. Teilen der Bevölkerung ist es schwer zu vermitteln, dass eine Ausreisepflicht für Migranten nicht automatisch eine Verpflichtung darstellt, tatsächlich das Land zu verlassen.
Die Gründe vieler Duldungen sind unklar. Bekannt ist, dass vier von zehn Personen wegen fehlender Reisedokumente geduldet werden. Bei weiteren vier von zehn sind jedoch nur 'sonstige Gründe' bekannt. Der medial zitierte Abschiebestopp und die medizinischen Gründe treffen nur auf jeweils zwei Prozent der Geduldeten zu."
Was unternimmt die Bundesregierung angesichts der hier beschriebenen unhaltbaren Zustände dagegen, dass ihr die Entwicklung noch mehr als bisher aus dem Ruder zu laufen droht? Nachdem sie vor drei Jahren mit einem Gesetz zur Ausreisepflicht endlich beschlossen hatte, mehr Härte als zuvor zu demonstrieren, ließ sie mit dem Geordnete-Rückkehr-Gesetz vor einem Jahr Vorschriften folgen, die etwas strenger ausfielen, beispielsweise zur Klärung der Identität oder zur Haft von Ausreisepflichtigen.
Zu diesen gesetzlichen Verschärfungen gesellten sich viele, auch innerhalb der EU abgestimmte Vorschriften. Fast schon so etwas wie ein Meilenstein ist das von Bund und Ländern beschlossene Gemeinsame Zentrum zur Unterstützung der Rückkehr. Es wird ergänzt um Kooperationen verschiedener Bundesländer und um 15 sogenannte Anker-Einrichtungen, von denen sich sieben in Bayern befinden, wo sie entstanden sind.
Bei aller Kritik, die in dem DGAP-Dokument zu Recht steckt - es fordert Politiker auch mit zehn konstruktiven Empfehlungen auf, endlich die Initiative zu ergreifen, damit Migranten aller Art sich nicht einfach über deutsche Gesetze erheben und weiterhin finanzielle Vorteile erheischen. Das wird nicht nur zu verbalen Auseinandersetzungen in Parlamenten und im sonstigen politischen Raum führen, sondern auch zu körperlichen Auseinandersetzungen auf der Straße, wie unlängst in Stuttgart und Frankfurt und ständig in Berlin.
Hier sind die Empfehlungen: "Verantwortlichkeiten bündeln, mehr Datentransparenz ermöglichen, Anzahl und Dauer von Duldungen reduzieren, verbindliche Standards und Ausbildung für Rückkehrberater festlegen, Monitoring-System für Abschiebungen ausbauen, Rückkehrkooperationen strategisch aufbauen, Rückkehr- und Reintegrationshilfen nachhaltiger gestalten, Kosten und Nutzen neuer Abschiebehaftplätze berechnen, Anker-Konzept kritisch prüfen, rhetorisch abrüsten."
Hinter jeder von diesen Empfehlungen steckt auch eine Drohung. Politiker, die sie nicht hinreichend wahrnehmen, werden nach der kommenden Bundestagswahl alt aussehen. Oder um der Wahrheit konkret die Ehre zu geben: Jeder Politiker, der sich weiter nur mit salbungsvollem Gerede statt mit einem Bekenntnis zum Rechtsstaat zu Wort meldet, wenn wieder mal ein Eklat mit Migrationshintergrund zu beklagen ist, gehört so schnell wie möglich abgewählt.
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Manfred Gburek ist neben seiner Funktion als Kolumnist privater Investor und Buchautor.
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