Auf den Spuren von Mario Draghi
14.02.2021 | Manfred Gburek
Der 73-Jährige Mario Draghi als Regierungschef Italiens, warum tut er sich das an? Weil er damit Geschichte schreiben will? Eher nicht. Weil er zurzeit als Einziger sein Land mithilfe von Deutschland vor einem finanziellen Kollaps bewahren kann? So ist es. Er wird dabei die verschlungenen Pfade der EU und speziell der Eurozone nutzen - und natürlich sein Wissen als langjähriger Chef der EZB. So geht Wirtschaftspolitik, während sich deutsche Politiker überwiegend um Details zur Corona-Pandemie zanken.
Acht Jahre an der EZB-Spitze, das hat Draghi zu wertvollen Verbindungen und zu einem Know-how auf internationaler Bühne verholfen wie kaum einem anderen Zentralbanker. Er hat es fertiggebracht, mit einem kleinen verbalen Schlenker ("whatever it takes"), im Sommer 2012 von London aus in die weite Welt hinausposaunt, für den Startschuss zur bis heute anhaltenden Aktien- und Immobilienhausse zu sorgen.
Das Ganze enthält noch weitere Komponenten; sie betreffen zum Beispiel die engen Verbindungen zwischen Frankreich und Italien: Französische Großbanken haben hohe Kredite nach Italien vergeben, da darf also nichts anbrennen. Zudem nimmt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron eine Schlüsselfunktion in der EU ein. Das wurde besonders deutlich, als er sich unter Umgehung des EU-Parlaments mit seinem Plädoyer für die frankophile Ursula von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin einsetzte - zulasten anderer Kandidaten.
Draghi bestimmt Italiens Politik seit Freitagabend wie kaum ein Regierungschef vor ihm, wenngleich altersbedingt nur für eine begrenzte Zeit. Dazu wird er wohl, auch in Abstimmung mit Macron, finanziellen Druck auf Deutschland ausüben - und dabei leichtes Spiel haben in Anbetracht von sechs Landtagswahlen und der Bundestagswahl, weil von deutscher Seite aus wegen der Konzentration der hiesigen Politiker auf opportunistische Themen kaum mit nachhaltigem Widerstand zu rechnen sein wird.
Zugegeben, die hier angestellten Überlegungen sind zum Teil spekulativ. Doch sie entsprechen einer gewissen EU-Logik, gegen die bis auf Weiteres kein Kraut gewachsen ist. Das mag man noch so schlimm finden, doch an den Fakten ändert es nichts. Und das politische Vakuum, das Deutschland wegen der anstehenden Wahlen derzeit bietet, macht alles noch schlimmer.
Eine in den vergangenen Tagen vielfach gestellte Frage: Wie werden sich die hier beschriebenen politischen Zustände auf die Konjunktur in Europa und speziell in Deutschland auswirken? Zunächst nur geringfügig, erkennbar an den Aktienkursen, die ihren eigenen Verlauf nehmen und dabei nicht so sehr Fakten, sondern Erwartungen widerspiegeln. Ein solcher Zusammenhang wird von den meisten Konjunkturforschern seltsamerweise nur unzureichend berücksichtigt. Es empfiehlt sich aber, die Konjunktur unter diesem Aspekt weiter zu verfolgen.
Üblicherweise beeinflusst eine Mischung aus Geld- und Fiskalpolitik die Aktienkurse. Doch aktuell kommt ein Phänomen hinzu, das in gewisser Weise an die wilde Zeit der Nasdaq in den USA und am Neuen Markt in Deutschland erinnert: Börsianer spielen mit seltsamen Aktien, denen weder ein Geschäftsmodell noch irgendein Umsatz zugrunde liegt. Was dabei herauskommt, sind unter anderem Cannabis-Aktien und Börsengänge von Firmen, die im übertragenen Sinn aus heißer Luft bestehen.
Warum ist so etwas möglich? Weil der Hang vieler Amerikaner - besonders solcher, die über sehr viel Geld verfügen - zum Glücksspiel tendiert. Damit sind sie nicht allein; auch viele Chinesen, Südkoreaner und Japaner sind spielwütig. Es empfiehlt sich, diesen Aspekt zu berücksichtigen, wenn Investitionen in Aktien anstehen. Deren Kursverläufe an den Börsen in Amerika und in Fernost während der vergangenen Monate sprechen ja Bände: Sogenannte Fahnenstangen, wie steile Kurausbrüche genannt werden, wohin das Auge schweift. Und in Deutschland? Wenn es um Geld geht, ist man hierzulande eben etwas träger.
Diese weit verbreitete Mentalität hat die meisten Deutschen zwar davon abgehalten, sich auf finanzielle Abenteuer einzulassen; aber darüber haben sie vergessen, sich mit Aktien zu beschäftigen. Wenigstens viele Jüngere unter ihnen sind derzeit dabei, mit Aktien ein Vermögen aufzubauen. Derweil sind andere dem Spiel erlegen; die wie Pilze aus dem Boden geschossenen Broker sind ein Beleg dafür.
Die Mentalitätsunterschiede zwischen Deutschen und Amerikanern oder Asiaten sind unverkennbar. Um länderspezifische Differenzen auszumachen, braucht man indes gar nicht in die Ferne zu schweifen - womit sich der Kreis zu Draghi und Macron schließt. Denn beide stehen repräsentativ für die Politik von Ländern, die sich trotz geografischer Nähe erheblich von Deutschland unterscheiden. Man denke zum Beispiel nur daran, wie schnell Draghi am vergangenen Freitag sein Kabinett zusammengetrommelt hat. Oder wie Macron schon vor Monaten auf dem Umweg über Frau von der Leyen alternative Kandidaten für den EU-Chefposten verhindert hat.
So geht Politik im europäischen Staatenbund, aus dem wegen vieler Partikularinteressen kein Bundesstaat erwachsen kann - auch wenn ein solches Ziel von Brüssel aus immer wieder mit vielen Worten propagiert wird. Einstweilen bleibt uns nichts anderes übrig, als die Ergebnisse der zahlreichen deutschen Wahlen in diesem Jahr abzuwarten, um anschließend durch eine neue, hoffentlich kompetente Bundesregierung - welcher Couleur auch immer - ein Gegengewicht zur italienisch-französischen EU-Vorherrschaft zu bilden.
© Manfred Gburek
www.gburek.eu
Manfred Gburek ist neben seiner Funktion als Kolumnist privater Investor und Buchautor.
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Acht Jahre an der EZB-Spitze, das hat Draghi zu wertvollen Verbindungen und zu einem Know-how auf internationaler Bühne verholfen wie kaum einem anderen Zentralbanker. Er hat es fertiggebracht, mit einem kleinen verbalen Schlenker ("whatever it takes"), im Sommer 2012 von London aus in die weite Welt hinausposaunt, für den Startschuss zur bis heute anhaltenden Aktien- und Immobilienhausse zu sorgen.
Das Ganze enthält noch weitere Komponenten; sie betreffen zum Beispiel die engen Verbindungen zwischen Frankreich und Italien: Französische Großbanken haben hohe Kredite nach Italien vergeben, da darf also nichts anbrennen. Zudem nimmt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron eine Schlüsselfunktion in der EU ein. Das wurde besonders deutlich, als er sich unter Umgehung des EU-Parlaments mit seinem Plädoyer für die frankophile Ursula von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin einsetzte - zulasten anderer Kandidaten.
Draghi bestimmt Italiens Politik seit Freitagabend wie kaum ein Regierungschef vor ihm, wenngleich altersbedingt nur für eine begrenzte Zeit. Dazu wird er wohl, auch in Abstimmung mit Macron, finanziellen Druck auf Deutschland ausüben - und dabei leichtes Spiel haben in Anbetracht von sechs Landtagswahlen und der Bundestagswahl, weil von deutscher Seite aus wegen der Konzentration der hiesigen Politiker auf opportunistische Themen kaum mit nachhaltigem Widerstand zu rechnen sein wird.
Zugegeben, die hier angestellten Überlegungen sind zum Teil spekulativ. Doch sie entsprechen einer gewissen EU-Logik, gegen die bis auf Weiteres kein Kraut gewachsen ist. Das mag man noch so schlimm finden, doch an den Fakten ändert es nichts. Und das politische Vakuum, das Deutschland wegen der anstehenden Wahlen derzeit bietet, macht alles noch schlimmer.
Eine in den vergangenen Tagen vielfach gestellte Frage: Wie werden sich die hier beschriebenen politischen Zustände auf die Konjunktur in Europa und speziell in Deutschland auswirken? Zunächst nur geringfügig, erkennbar an den Aktienkursen, die ihren eigenen Verlauf nehmen und dabei nicht so sehr Fakten, sondern Erwartungen widerspiegeln. Ein solcher Zusammenhang wird von den meisten Konjunkturforschern seltsamerweise nur unzureichend berücksichtigt. Es empfiehlt sich aber, die Konjunktur unter diesem Aspekt weiter zu verfolgen.
Üblicherweise beeinflusst eine Mischung aus Geld- und Fiskalpolitik die Aktienkurse. Doch aktuell kommt ein Phänomen hinzu, das in gewisser Weise an die wilde Zeit der Nasdaq in den USA und am Neuen Markt in Deutschland erinnert: Börsianer spielen mit seltsamen Aktien, denen weder ein Geschäftsmodell noch irgendein Umsatz zugrunde liegt. Was dabei herauskommt, sind unter anderem Cannabis-Aktien und Börsengänge von Firmen, die im übertragenen Sinn aus heißer Luft bestehen.
Warum ist so etwas möglich? Weil der Hang vieler Amerikaner - besonders solcher, die über sehr viel Geld verfügen - zum Glücksspiel tendiert. Damit sind sie nicht allein; auch viele Chinesen, Südkoreaner und Japaner sind spielwütig. Es empfiehlt sich, diesen Aspekt zu berücksichtigen, wenn Investitionen in Aktien anstehen. Deren Kursverläufe an den Börsen in Amerika und in Fernost während der vergangenen Monate sprechen ja Bände: Sogenannte Fahnenstangen, wie steile Kurausbrüche genannt werden, wohin das Auge schweift. Und in Deutschland? Wenn es um Geld geht, ist man hierzulande eben etwas träger.
Diese weit verbreitete Mentalität hat die meisten Deutschen zwar davon abgehalten, sich auf finanzielle Abenteuer einzulassen; aber darüber haben sie vergessen, sich mit Aktien zu beschäftigen. Wenigstens viele Jüngere unter ihnen sind derzeit dabei, mit Aktien ein Vermögen aufzubauen. Derweil sind andere dem Spiel erlegen; die wie Pilze aus dem Boden geschossenen Broker sind ein Beleg dafür.
Die Mentalitätsunterschiede zwischen Deutschen und Amerikanern oder Asiaten sind unverkennbar. Um länderspezifische Differenzen auszumachen, braucht man indes gar nicht in die Ferne zu schweifen - womit sich der Kreis zu Draghi und Macron schließt. Denn beide stehen repräsentativ für die Politik von Ländern, die sich trotz geografischer Nähe erheblich von Deutschland unterscheiden. Man denke zum Beispiel nur daran, wie schnell Draghi am vergangenen Freitag sein Kabinett zusammengetrommelt hat. Oder wie Macron schon vor Monaten auf dem Umweg über Frau von der Leyen alternative Kandidaten für den EU-Chefposten verhindert hat.
So geht Politik im europäischen Staatenbund, aus dem wegen vieler Partikularinteressen kein Bundesstaat erwachsen kann - auch wenn ein solches Ziel von Brüssel aus immer wieder mit vielen Worten propagiert wird. Einstweilen bleibt uns nichts anderes übrig, als die Ergebnisse der zahlreichen deutschen Wahlen in diesem Jahr abzuwarten, um anschließend durch eine neue, hoffentlich kompetente Bundesregierung - welcher Couleur auch immer - ein Gegengewicht zur italienisch-französischen EU-Vorherrschaft zu bilden.
© Manfred Gburek
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Manfred Gburek ist neben seiner Funktion als Kolumnist privater Investor und Buchautor.
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