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Stolpernd in die Knappheit

29.04.2021  |  John Mauldin
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Was bedeutet das für die Finanzmärkte? Die Frage Inflation vs. Disinflation ist wichtig, kratzt aber nur an der Oberfläche. Dies ist strukturell. Die Megatrends, die das Wirtschaftswachstum ermöglicht haben, das wir so lange genossen haben, sind nicht über Nacht entstanden und werden auch nicht über Nacht verschwinden. Aber in dem Maße, wie sie sich verändern, nehmen die Wachstumsaussichten im traditionellen Sinne ab. Es ist nicht so einfach, Bergbauunternehmen zu kaufen, weil Gold steigen wird. Es passieren viel größere Dinge.


Lohninflation

Ich möchte den Punkt "Arbeit" von Louis Gave vertiefen. Er betrachtet Chinas Aufnahme in die Welthandelsorganisation im Jahr 2001 als Schlüsselereignis. Unternehmen verlagerten Arbeitsplätze an Orte mit niedrigeren Löhnen, da ein riesiges neues Angebot an Arbeitskräften verfügbar wurde. Dies führte zu einer Flut von preiswerten Waren aus Asien in den Westen. Theoretisch sollten die westlichen Arbeiter, deren Arbeitsplätze nach Übersee verlagert wurden, für bessere Dinge umgeschult werden. Das geschah aber nicht.

Darüber hinaus verarmten Niedriglohnländer, die nicht mit China konkurrieren konnten, noch mehr, was viele ihrer Arbeiter dazu veranlasste, in westlichen Ländern Arbeit zu suchen, zu für ihre Verhältnisse hohen Löhnen, die aber für ihre westlichen Arbeitgeber Schnäppchen darstellten. Dies wirkte sich auf das allgemeine Lohnniveau aus und begrenzte das Wachstum für andere Arbeitnehmer.

Der untere Chart zeigt das inflationsbereinigte, jährliche Lohnwachstum in den USA seit 2000 unter Berücksichtigung des durchschnittlichen Stundenlohns und der durchschnittlichen Wochenstunden. Diese Bereinigung ist wichtig, weil manchmal weniger Arbeitsstunden einen höheren Stundenlohn ausgleichen können. Sie sehen, dass das Reallohnwachstum bis 2020 nur selten die 3%-Marke erreichte und auch nicht lange dort blieb. Oft war es ein negatives Lohnwachstum. Nach diesem Maßstab stiegen die Reallöhne von 2000 bis Ende 2019 insgesamt (nicht annualisiert) um etwa 11%.

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Denken sie daran, dass der CPI nicht unbedingt die realen Lebenshaltungskosten widerspiegelt. Wie ich bereits besprochen habe, werden z.B. Wohnkosten untergewichtet. Dieses "reale" Lohnwachstum war für viele Arbeiter nicht so real, wie es scheint. Die Löhne stagnierten für viele, vielleicht sogar für die meisten Arbeiter... für den Großteil der letzten 20 Jahre. Ist es da ein Wunder, dass wir Unzufriedenheit, Populismus und Ressentiments gegenüber Einwanderern verzeichneten?

Übrigens, der Lohnanstieg, den Sie 2020 bis 2021 sehen, ist größtenteils ein "kompositorischer" Effekt, der die unverhältnismäßigen Arbeitsplatzverluste von 2021 für Niedriglohnarbeiter zeigt. Wenn man Millionen von Restaurantangestellten entlässt, aber alle Software-Ingenieure behält, werden die Durchschnittslöhne steigen, auch wenn niemand eine Lohnerhöhung bekommt.

Aber auf einer grundsätzlicheren Ebene sollte dies nicht überraschend sein. Die Globalisierung hat das Arbeitsangebot erhöht. Unter sonst gleichen Bedingungen sollte das die Löhne nach unten drücken oder zumindest verhindern, dass sie steigen, und genau das ist passiert. Louis Gave weist darauf hin, dass sich all dies nun umkehrt. Die COVID-Krise hat den Herstellern gezeigt, dass hochgradig optimierte globale Lieferketten, die auf Niedriglöhne in Übersee basieren, von Natur aus anfällig sind.

Die Hersteller schauen mehr auf ihre Gesamtproduktionskosten als nur auf die Arbeitskosten. Eine kürzlich durchgeführte Umfrage ergab, dass 71% der in China tätigen Unternehmen nicht planen, Arbeitsplätze zurück in die USA zu verlagern, was darauf schließen lässt, dass 29% zumindest darüber nachdenken. Das ist real gesehen sehr viel.

In der Zwischenzeit treiben auch politische Veränderungen die Kosten für Arbeit in die Höhe: steigende Mindestlöhne in vielen Ländern, höhere Arbeitslosenunterstützung und so weiter. Auch nationale Sicherheitsbedenken lassen die Regierungen bei Importen zögern. All das deutet auf ein geringeres Angebot an Arbeitskräften hin, was die Löhne erhöhen sollte. Aber wie stark, ist noch nicht klar. Außerdem werden einige Arten von Arbeitskräften mehr im Angebot sein als andere.

Wie sich das alles entwickeln wird, ist unklar. Wenn wir in Zukunft auch nur ein jährliches Reallohnwachstum von 2% für Arbeiter der Mittelklasse sehen, wäre das eine große Wende gegenüber den letzten zwei Jahrzehnten. Das würde sicherlich einen gewissen Inflationsdruck bedeuten, aber ich glaube nicht, dass es eine Inflation wie in der Weimarer Republik wäre.

Einige der heutigen Inflationsgegner haben ein kurzes Gedächtnis. Vor nicht allzu langer Zeit war eine jährliche CPI-Inflation von 3% normal und wurde erwartet. Wir hatten höhere Zinssätze, ja. Aber das bedeutete, dass man eine anständige Rendite auf festverzinsliche Anlagen erzielen konnte, und das reale BIP-Wachstum war oft viel besser als in letzter Zeit.

Es war nicht ideal, aber es war auch nicht die Hölle. Wir kamen zurecht. Die Inflation könnte in Zukunft eine Herausforderung werden, und manchmal eine große, aber wir werden durchkommen. Und die Art von technologischen Durchbrüchen, die ich erwarte, könnte genug neuen Überfluss schaffen, um sie nach dem anfänglichen vorübergehenden Aufschwung auszugleichen.


© John Mauldin
www.mauldineconomics.com


Dieser Artikel wurde am 23. April 2021 auf www.mauldineconomics.com veröffentlicht und exklusiv für GoldSeiten übersetzt.


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