Zinskontrolle birgt inflationären Sprengstoff
24.05.2021 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
Die Politik der Zinskontrolle verschärft das Verschuldungsproblem und könnte zu einem ernsthaften Inflationsproblem werden. Dies, weil Regierungen de facto die Verantwortung für die Kaufkraft des Geldes bekommen.
Wohl kein anderes Wirtschaftsphänomen wird so kontrovers diskutiert wie der Zins. Unter Ökonomen ist er so etwas wie ein Zankapfel. Einige Ökonomen meinen, der «richtige» Zins könne auf null Prozent fallen beziehungsweise sogar negativ werden. Andere bestreiten das, sehen einen Null- oder gar Negativzins als sprichwörtlich «unnatürlich» an. Sie befürchten grosse volkswirtschaftliche Schäden - in Form von übermässiger Verschuldung, Fehlinvestitionen und inflationären Spekulationsblasen -, wenn die Zentralbanken die Zinsen auf oder gar unter die Nulllinie schleusen.
Politik der Zinskontrolle
Es ist wohl die Macht des Faktischen, die die grossen Zentralbanken der Welt veranlasst, die Zinsen auf extrem niedrige Niveaus oder auch in den Minusbereich zu setzen: Die weltweite Kreditlast, die im Zuge der Corona-Krise einen gewaltigen Schub erhält, wird immer erdrückender. Das International Institute of Finance (IIF) schätzt, dass die globale Verschuldung im vergangenen Jahr den Rekordwert von 281,5 Billionen US-Dollar erreicht hat; das entsprach 355 Prozent des Welt-Bruttoinlandproduktes. Damit die Schuldenpyramide nicht ins Wanken gerät, verringern die Zentralbanken die Kreditkosten so stark wie nur möglich.
Dazu haben sie ihre Leitzinsen auf null Prozent gesetzt oder - wie beispielsweise im Euro-Raum, in Japan, Dänemark und der Schweiz - unter die Nulllinie befördert. Zudem kaufen viele Zentralbanken Schuldpapiere in grossem Stil auf. Dadurch nehmen sie direkten Einfluss auf die Kurse und damit auch auf die Renditen der Anleihen. Die Marktrenditen bilden sich folglich nicht mehr frei, sondern sie werden quasi von den Zentralbanken diktiert. Diese Art der Geldpolitik läuft auf eine sogenannte «Politik der Zinskontrolle» hinaus. Sie birgt besonderen Sprengstoff.
Durch die Schuldpapierkäufe der Zentralbanken fallen die Marktzinsen niedriger aus, als wenn diese Käufe nicht erfolgen würden. Das wiederum ermuntert Schuldner - vor allem die Staaten - sich noch stärker zu verschulden. Werden mehr Schuldpapiere angeboten, übt das tendenziell einen Abwärtsdruck auf die Anleihekurse beziehungsweise einen Aufwärtsdruck auf die Zinsen aus - zwischen dem Kurs einer Anleihe und deren Verzinsung besteht eine negative Beziehung. Um den unerwünschten Anstieg der Anleihezinsen zu verhindern, muss die Zentralbank einspringen und Schuldpapiere kaufen.
Hoheit über die Geldmenge
Zwar kann die Zentralbank auf diese Weise die Marktzinsen niedrig halten. Jedoch weitet sie durch ihre Anleihekäufe die Geldmenge aus. Die Zentralbank bezahlt schliesslich die Schuldpapierkäufe mit neuem, sprichwörtlich aus dem Nichts geschaffenem Geld. Und das bedeutet: Wenn sich die Zentralbank einer Politik der Zinskontrolle verschreibt, dann gibt sie die Hoheit über die Geldmenge auf. Wie viel neues Geld sie in Umlauf bringt, hängt fortan vom Kreditappetit des Staates ab, und der ist bekanntlich unersättlich. Im Fachjargon nennt man das «Fiskalische Dominanz».
Sie verheisst nichts Gutes. Denn sie kommt einer Rückkehr zu den Verhältnissen in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren gleich, in denen viele Zentralbanken weisungsgebundene Unterabteilungen der Finanzministerien waren und die Haushaltslöcher der Staaten mit neu geschaffenem Geld zu finanzieren hatten. Die Folge war hohe Inflation, zuweilen sogar Hyperinflation (wie in vielen lateinamerikanischen Ländern). Weil aber die gesellschaftlichen Kosten der Inflation dann doch zu gross wurden, dachte man um.
Die Zentralbanken wurden in die politische Unabhängigkeit entlassen, ihr Geldmonopol sollte nicht mehr von der Tagespolitik missbraucht werden können. Zudem beauftragte man die Zentralbanken, die Inflation niedrig zu halten. Zunächst mit Erfolg. Ab den frühen 1980er Jahren war die Inflation der Konsumgüterpreise vielerorts auf dem Rückzug. Doch es stellten sich zwei neue Probleme ein.
Der Weg zur Inflation
Die Inflation kehrte im neuen Gewand zurück. Die Preise für Bestandsgüter - Aktien, Häuser, Grundstücke usw. - begannen kräftig zu inflationieren. Vor allem aber schwoll die Verschuldung gewaltig an. Die Zentralbanken - in enger Kooperation mit den Geschäftsbanken - weiteten das Kreditangebot immer weiter aus.
Mit der Ausgabe von neuen Krediten haben sie einen Scheinaufschwung in Gang gesetzt, der immer mehr Kredit, bereitgestellt zu immer niedrigeren Kreditzinsen, erfordert, um nicht einzubrechen. Und damit schliesst sich der Kreis: Das Weltkredit- und -geldsystem benötigt Zinsen, die im Trend immer weiter fallen.
Auch wenn die Zentralbanken mit der Zinskontrolle genau das erreichen und für Ruhe auf den Kreditmärkten sorgen, sollte man nicht leichtfertig der Hoffnung erliegen, das aufgelaufene Schuldenproblem liesse sich auf diese Weise geräuschlos und schmerzfrei aus der Welt schaffen. Die Politik der Zinskontrolle läuft vielmehr Gefahr, zum Verschuldungsproblem ein ernstes Inflationsproblem hinzuzufügen, weil sie den Regierungen de facto die Verantwortung für die Kaufkraft des Geldes gibt. Und das war, wie die Währungsgeschichte zeigt, fast immer nachteilig für den Geldwert.
© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH
Wohl kein anderes Wirtschaftsphänomen wird so kontrovers diskutiert wie der Zins. Unter Ökonomen ist er so etwas wie ein Zankapfel. Einige Ökonomen meinen, der «richtige» Zins könne auf null Prozent fallen beziehungsweise sogar negativ werden. Andere bestreiten das, sehen einen Null- oder gar Negativzins als sprichwörtlich «unnatürlich» an. Sie befürchten grosse volkswirtschaftliche Schäden - in Form von übermässiger Verschuldung, Fehlinvestitionen und inflationären Spekulationsblasen -, wenn die Zentralbanken die Zinsen auf oder gar unter die Nulllinie schleusen.
Politik der Zinskontrolle
Es ist wohl die Macht des Faktischen, die die grossen Zentralbanken der Welt veranlasst, die Zinsen auf extrem niedrige Niveaus oder auch in den Minusbereich zu setzen: Die weltweite Kreditlast, die im Zuge der Corona-Krise einen gewaltigen Schub erhält, wird immer erdrückender. Das International Institute of Finance (IIF) schätzt, dass die globale Verschuldung im vergangenen Jahr den Rekordwert von 281,5 Billionen US-Dollar erreicht hat; das entsprach 355 Prozent des Welt-Bruttoinlandproduktes. Damit die Schuldenpyramide nicht ins Wanken gerät, verringern die Zentralbanken die Kreditkosten so stark wie nur möglich.
Dazu haben sie ihre Leitzinsen auf null Prozent gesetzt oder - wie beispielsweise im Euro-Raum, in Japan, Dänemark und der Schweiz - unter die Nulllinie befördert. Zudem kaufen viele Zentralbanken Schuldpapiere in grossem Stil auf. Dadurch nehmen sie direkten Einfluss auf die Kurse und damit auch auf die Renditen der Anleihen. Die Marktrenditen bilden sich folglich nicht mehr frei, sondern sie werden quasi von den Zentralbanken diktiert. Diese Art der Geldpolitik läuft auf eine sogenannte «Politik der Zinskontrolle» hinaus. Sie birgt besonderen Sprengstoff.
Durch die Schuldpapierkäufe der Zentralbanken fallen die Marktzinsen niedriger aus, als wenn diese Käufe nicht erfolgen würden. Das wiederum ermuntert Schuldner - vor allem die Staaten - sich noch stärker zu verschulden. Werden mehr Schuldpapiere angeboten, übt das tendenziell einen Abwärtsdruck auf die Anleihekurse beziehungsweise einen Aufwärtsdruck auf die Zinsen aus - zwischen dem Kurs einer Anleihe und deren Verzinsung besteht eine negative Beziehung. Um den unerwünschten Anstieg der Anleihezinsen zu verhindern, muss die Zentralbank einspringen und Schuldpapiere kaufen.
Hoheit über die Geldmenge
Zwar kann die Zentralbank auf diese Weise die Marktzinsen niedrig halten. Jedoch weitet sie durch ihre Anleihekäufe die Geldmenge aus. Die Zentralbank bezahlt schliesslich die Schuldpapierkäufe mit neuem, sprichwörtlich aus dem Nichts geschaffenem Geld. Und das bedeutet: Wenn sich die Zentralbank einer Politik der Zinskontrolle verschreibt, dann gibt sie die Hoheit über die Geldmenge auf. Wie viel neues Geld sie in Umlauf bringt, hängt fortan vom Kreditappetit des Staates ab, und der ist bekanntlich unersättlich. Im Fachjargon nennt man das «Fiskalische Dominanz».
Sie verheisst nichts Gutes. Denn sie kommt einer Rückkehr zu den Verhältnissen in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren gleich, in denen viele Zentralbanken weisungsgebundene Unterabteilungen der Finanzministerien waren und die Haushaltslöcher der Staaten mit neu geschaffenem Geld zu finanzieren hatten. Die Folge war hohe Inflation, zuweilen sogar Hyperinflation (wie in vielen lateinamerikanischen Ländern). Weil aber die gesellschaftlichen Kosten der Inflation dann doch zu gross wurden, dachte man um.
Die Zentralbanken wurden in die politische Unabhängigkeit entlassen, ihr Geldmonopol sollte nicht mehr von der Tagespolitik missbraucht werden können. Zudem beauftragte man die Zentralbanken, die Inflation niedrig zu halten. Zunächst mit Erfolg. Ab den frühen 1980er Jahren war die Inflation der Konsumgüterpreise vielerorts auf dem Rückzug. Doch es stellten sich zwei neue Probleme ein.
Der Weg zur Inflation
Die Inflation kehrte im neuen Gewand zurück. Die Preise für Bestandsgüter - Aktien, Häuser, Grundstücke usw. - begannen kräftig zu inflationieren. Vor allem aber schwoll die Verschuldung gewaltig an. Die Zentralbanken - in enger Kooperation mit den Geschäftsbanken - weiteten das Kreditangebot immer weiter aus.
Mit der Ausgabe von neuen Krediten haben sie einen Scheinaufschwung in Gang gesetzt, der immer mehr Kredit, bereitgestellt zu immer niedrigeren Kreditzinsen, erfordert, um nicht einzubrechen. Und damit schliesst sich der Kreis: Das Weltkredit- und -geldsystem benötigt Zinsen, die im Trend immer weiter fallen.
Quelle: IIF; Graphik Degussa. Letzter Datenpunkt: 1. Quartal 2021.
Auch wenn die Zentralbanken mit der Zinskontrolle genau das erreichen und für Ruhe auf den Kreditmärkten sorgen, sollte man nicht leichtfertig der Hoffnung erliegen, das aufgelaufene Schuldenproblem liesse sich auf diese Weise geräuschlos und schmerzfrei aus der Welt schaffen. Die Politik der Zinskontrolle läuft vielmehr Gefahr, zum Verschuldungsproblem ein ernstes Inflationsproblem hinzuzufügen, weil sie den Regierungen de facto die Verantwortung für die Kaufkraft des Geldes gibt. Und das war, wie die Währungsgeschichte zeigt, fast immer nachteilig für den Geldwert.
© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH