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Die Russland-Sanktionen des Westens und die Langfristinteressen Chinas

04.03.2022  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Dosierung

Die bislang erlassenen Sanktionen zertrennen nahezu vollends die bestehenden Handels- und Finanzbeziehungen zwischen Russland und der westlichen Welt. Das verbindenden Elemente, die Arbeitsteilung und der Handel, werden dadurch zerstört. Dazu muss man wissen, dass die Arbeitsteilung, national wie international, die Menschen miteinander friedvoll verbindet. Wer miteinander arbeitsteilig kooperiert, der erblickt in seinem Gegenüber keinen Konkurrenten, keinen Gegner, sondern jemanden, der ihm dienlich ist, um seine Lebensherausforderungen besser bewältigen zu können.

So gesehen sind Arbeitsteilung und Handel über Grenzen hinweg im wahrsten Sinne des Wortes ein "Friedensprogramm".

Doch die Welt, die wir heute vorfinden, ist leider kein System freier Märkte. Vielmehr greifen die Staaten auf vielfältige Weise und immer stärker in das Wirtschafts- und Gesellschaftssystem ein. Sie betreiben dabei nicht nur "Innenpolitik", sondern vor allem auch "Außenpolitik" und sorgen dabei bekanntlich für Probleme. Und so ist der Ukraine-Russland-Konflikte auch kein Ergebnis der freien Märkte, sondern rührt aus "Sicherheitsinteressen", aus "Sonderinteressen" der Staaten.

Nicht die breite Bevölkerungen stehen sich feindlich gegenüber, sondern die Staaten beziehungsweise ihre Repräsentanten, die nicht selten eigene, nicht die Interessen ihrer Bevölkerungen verfolgen. Doch dazu später mehr.

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Quelle: Refinitiv; Graphik Degussa. *Serien sind indexiert (Januar 1998 = 100). Performance-Indizes (berücksichtigt Kurssteigerungen und Re-Investition der Dividenden).


An dieser Stelle ist zunächst noch anzumerken, dass die Befürworter der harten Sanktionen vermutlich hoffen, dass sie mit derartigen Maßnahmen den Kreml zum Beenden seiner Kriegstätigkeit zwingen können - weil die mit den Sanktionen verbundenen Kosten schlichtweg zu hoch werden; dass beispielsweise die wirtschaftliche Not, die die Sanktionen hervorrufen, die Putin-Regierung zur Aufgabe der militärischen Handlungen anhalten; oder dass die Sanktionen das Umfeld von Präsident Putin finanziell so stark schädigen, dass sie ihm ihre Gefolgschaft aufkündigen. Mit den bis jetzt erlassenen Sanktionen ist so gesehen also auch ein möglicher "Regime Change" angelegt.

Die Russlandsanktionen des Westens sind nicht nur sehr hart im Vergleich zur bisherigen Sanktionspraxis, sondern sie sind vermutlich auch härter als Präsident Putin es erwartet hat. Das Kalkül, dass sich hinter den Sanktionen des Westens verbirgt, lässt sich als eine Form des "escalate to de-escalate" bezeichnen: Der Widersacher erfährt eine Reaktion von seinem Gegenspieler, die unerwartet hart ausfällt, und die ihn dazu anhalten soll, sein bisheriges Treiben zu beenden.

Doch die damit verbundene Gefahr besteht darin, dass sich die Aggressionen weiter hochschaukelt: Auf Vergeltung folgt eine noch aggressivere Vergeltung, und die Situation für alle Beteiligten wird nicht etwa entschärft, sondern sie verschlimmert sich. Das ist durchaus gefahrvoll in der aktuellen Situation: Russland ist eine Atommacht.

Eine solche Situation würde etwa dann entstehen, wenn die russische Seite durch (aus ihrer Sicht) unerwartet harte Sanktionen in eine Position gedrängt wird, von der aus sie, egal was sie macht, keine Verbesserung ihrer Lage mehr erwarten kann, wenn selbst ein Einlenken keine Verbesserung der eigenen Position mehr verspricht. Dann nehmen die Kosten, die sie für eine weitere Eskalierung des Konflikts zu tragen hat, quasi ab, und das schlimmste Szenario wird heraufbeschworen: ein unerbittlicher Vernichtungsfeldzug, der als Lösung nur noch die unbedingte Kapitulation des Gegners kennt, der einen Friedensschluss in noch weitere Ferne verschiebt.


Vorgeschichte

Seit dem Fall der Mauer, dem Zusammenbruch des Ostblocks hat es insgesamt fünf Runden der Nato-Osterweiterung gegeben. (1) 1999 formten Polen, Ungarn und die Tschechoslowakei die Visegrád-Gruppe, die die Integration in die EU und Nato vorantreiben sollte. (2) 2004 traten Ungarn, Polen und Tschechien offiziell der Nato bei. Zudem bereitete die Nato den Weg zur Mitgliedschaft für Albanien, Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Nordmazedonien, Rumänien, die Slowakei, und Slowenien. (3) 2009 beschloss die Nato den Beitritt von Albanien und Kroatien. (4) 2017 wurde Montenegro in die Nato aufgenommen und (5) in 2020 Nordmazedonien.

Russland hatte die Osterweiterung der Nato stets abgelehnt, sah in ihr nicht den richtigen Weg, um eine europäische Sicherheitsordnung herzustellen. Der ehemalige Präsident Russlands, Boris Jelzin, wird dazu häufig erwähnt. Er hat 1993 an den damaligen US-Präsidenten Bill Clinton geschrieben, dass die Nato-Osterweiterung nicht im Einklang mit dem "Geist" des Zwei-plus-Vier-Vertrages stehe. Es gelang Russland jedoch nicht, die Nato-Osterweiterung aufzuhalten.

Seit je her sieht Russland es für seine Sicherheitsinteressen als erforderlich an, dass keine fremde Macht direkt an die russische Grenze heranreicht. Zwischen Russland und dem "Feind" soll sich stets eine "Pufferzone" befinden. Man mag über die Angemessenheit dieser Forderung trefflich debattieren - zumal sie ja beansprucht, die Souveränität ehemaliger Sowjetrepubliken unmittelbar einschränken zu dürfen. Schlussendlich kann man die russische Position aber nicht ausblenden, will man Russlands Außenpolitik verstehen.

Vor diesem Hintergrund ist natürlich auch die Entwicklung in der Ukraine zu betrachten. Aus Sicht der Russen ist die Nato dabei, unmittelbar an die russische Grenze vorzurücken. Man stelle sich nur einmal vor, in Kanada oder Mexiko kommt eine Pro-China-Regierung an die Macht. Vermutlich würde es nicht lange dauern, und die Vereinigten Staaten würden alles daransetzen, diesen Vorgang rückgängig zu machen. Selbstverständlich rechtfertigt das nicht - wie auch im Falle der Ukraine nicht - den Einsatz von Waffen, das Führen eines Krieges. Ohne Wenn und Aber.




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