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Wie die EZB versucht, Ihre Verantwortung für die Hochinflation zu verschleiern

23.07.2023  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
Man sollte sich nicht verwirren lassen: Nicht die Firmen tragen die Verantwortung für die Hochinflation im Euroraum, sondern die Ursache ist die Geldmengenvermehrung durch die Europäische Zentralbank (EZB).

"‘Haltet den Dieb‘, ruft der Dieb." Man kennt das: Der Übeltäter macht sich lauthals bemerkbar und bezichtigt andere für seine Missetat. So will er die Aufmerksamkeit von sich ablenken und die drohende Strafe einem anderen aufhalsen.

Der eine oder andere mag vielleicht so denken, wenn er die jüngsten Äußerungen von Frau Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), hört. Vor dem Wirtschafts- und Währungsausschuss des Europaparlaments sagte sie: Die meisten Unternehmen hätten "den Vorteil genutzt, die höheren Kosten völlig auf die Kunden abzuwälzen." … "Und einige von ihnen haben die Preise über den bloßen Kostendruck hinaus erhöht."

Und schon macht das Kunstwort "Gierflation" in den Medien die Runde. Seine Erfinder haben offensichtlich dazu die Wörter "Gier" und "Inflation" kombiniert. Doch ist das sinnvoll? Was ist dran an der Behauptung, Firmen wären (mit-)verantwortlich für die hohe Güterpreisinflation?

Beginnen wir zunächst mit einer Klarstellung, was unter Inflation zu verstehen ist. Üblicherweise wird unter Inflation der fortgesetzte Anstieg der Güterpreise auf breiter Front verstanden. Die Güterpreise steigen also nicht einmalig an, sondern sie verteuern sich im Zeitablauf immer weiter; und nicht nur einige wenige Güterpreise streben im Zeitablauf in die Höhe, sondern alle.

Definitionen können bekanntlich nicht richtig oder falsch sein, sondern sie sind mehr oder weniger zweckmäßig. Ökonomisch gesehen erscheint es in der Tat zweckmäßig zu sein, Inflation anders zu definieren, und zwar als das Ansteigen der Geldmenge. Denn wenn die Geldmenge in der Volkswirtschaft zunimmt, dann steigen (früher oder später) auch die Güterpreise – beziehungsweise die steigende Geldmenge verhindert, dass die Güterpreise absinken (was sie tun würden, würde die Geldmenge nicht steigen).

Aus diesem Blickwinkel betrachtet ist die Geldmengenvermehrung (die Geldmengeninflation) die Ursache für die Güterpreisinflation, beziehungsweise die Güterpreisinflation ist ein mögliches Symptom der Geldmengeninflation.

Werfen wir einen Blick auf die Entwicklung der Geldmenge im Euroraum. Von Ende 2019 bis Ende 2022 hat die EZB die Geldmenge M3 – als Reaktion auf die politisch diktierten Lockdowns – um gut 25 Prozent erhöht. Dadurch entstand ein gewaltiger "Geldmengenüberhang", der sich nachfolgend und überwiegend in stark steigenden Güterpreisen entladen hat – man bedenke hier, dass das Güterangebot in den Volkswirtschaften im Euroraum von Ende 2019 bis Ende 2022 nur um 5,3 Prozent zugelegt hat.

Begünstigt wurde der gewaltige Güterpreisauftrieb durch eine Reihe von "Kostenschubeffekten". So gab es vielfältige Engpässe aufgrund der Lockdowns und damit Preissteigerungen bei vielen Gütern. Zudem führte die "grüne Politik" zu einer massiven Verteuerung von Energie. Und nicht zuletzt trug auch der Ukraine-Russland-Krieg zu den Kostensteigerungen bei. Dass sich aber die Kostenschubeffekte in einen allgemeinen Anstieg der Güterpreise übersetzen konnten, lag einzig und allein an der stark ausgeweiteten Geldmenge, für die die EZB mit ihrer Tiefzinspolitik und ihrem Aufkauf von Schuldpapieren, die mit sprichwörtlich neu geschaffenen Euros bezahlt wurden, gesorgt hat.

Wenn man feststellt, dass Firmen ihre Absatzpreise erhöht haben, dann kann daraus nicht geschlussfolgert werden, dass die Preiserhöhungen der Firmen der Treiber, die Erklärung für die Inflation sind. Das wäre etwa so, als ob man in ei-nem Mordfall behaupten würde, die Schusswaffe sei der Täter (und nicht derjenige, der mit der Schusswaffe geschossen hat).

Es stellt sich zudem die Frage: Wenn es die Firmen sind, die ihre Absatzpreise so stark angehoben haben, warum haben sie das dann nicht schon all die Jahre zuvor gemacht? Wenn man den Firmen unterstellt, sie seien "gierig", dann müssten sie ja auch in der Vergangenheit ihre Absatzpreise übergebührlich angehoben haben. Oder warum sollten sie plötzlich ein Verhalten zeigen, dass sie in der Vergangenheit nicht gezeigt haben? Warum prangert man plötzlich "Gierinflation" an, obwohl man es in der Vergangenheit nicht getan hat?

Dass Firmen grundsätzlich bestrebt sind, ihre Gewinne zu steigern, ist gut und richtig. In einer freien Marktwirtschaft werden diejenigen Unternehmer erfolgreich sein, die die Kundenbedürfnisse bestmöglich bedienen. Firmen, deren Produkte von den Kunden nicht gekauft werden, erleiden Verluste, werden angehalten, ihre Leistung zu verbessern, sonst scheiden sie früher oder später aus dem Markt aus, geben anderen, besseren Anbietern die Möglichkeit, ihren Absatz auszuweiten.

Der Absatzpreis bildet sich bekanntlich durch Angebot und Nachfrage. Die meisten Unternehmen können den Preis ihrer Produkte gar nicht selbst bestimmen (oder wenn, dann nur in engen Grenzen), sie sind Preisnehmer. Übersteigt der von ihnen geforderte Preis den Marktpreis, verlieren sie Kunden, möglicherweise bricht ihr Absatz völlig ein.

Steigen die Absatzpreise viele Unternehmen zur mehr oder weniger gleichen Zeit an, so kann das für sich genommen keine Inflation (also einen fortgesetzten Anstieg der Güterpreise auf breiter Front) verursachen. Denn klettern die Güterpreise in die Höhe, nimmt das reale Einkommen der Nachfrage ab, ihre Kaufkraft geht zurück. Die schwindende Nachfrage, die daraus resultiert, macht den Preisauftrieb rückgängig, und es kommt hier nicht zur einer Güterpreisinflation – einem fortgesetzten Ansteigen aller Güterpreise im Zeitablauf.

Man sollte sich also nicht verwirren lassen: Nicht die Firmen tragen die Verantwortung für die Hochinflation im Euroraum, sondern die Ursache ist die Geldmengenvermehrung durch die Europäische Zentralbank (EZB); ein Wort wie "Gierflation" verstellt den Blick auf die Zusammenhänge, wie sie wirklich sind.


© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH


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